Beiträge von Leserin

    Liebe Mitgefangene, hätte ich beinahe gesagt, da ich annehme, dass der Roman euch genauso wie mich gefangen genommen hat,


    Erst ein Wort zu Madeleine:
    Angst und Schrecken muss der Fürst gar nicht erst verbreiten. Das ist wie bei einem leibhaftigen Leoparden, wir fürchten ihn einfach deshalb, weil er das ist, was er ist. Ebenso reagieren die Kinder des Fürsten, seine Dienerschaft, seine Frau, sobald er sich nähert. Sie unterbrechen ihre Tätigkeiten, zollen ihm Respekt und schauen zu ihm auf. Von seinem Sohn Paolo heißt es im ersten Kapitel "er hatte allen Mut zusammengenommen und wünschte ihn zu sprechen." Vom Essen wird berichtet: "Während man schweigend aß, blickten des Fürsten blaue, unter den halbgeschlossenen Lidern etwas verengte Augen die Kinder, eines um das andere, scharf an und ließen sie dadurch vor Furcht endgültig verstummen." Das er, während er sie anschaut, denkt, "alles schöne Kinder", wissen sie nicht und es würde an ihrer Haltung auch nichts ändern. Seine Tochter Concetta wagt es nicht, direkt mit ihm zu sprechen, wenn um ihre Gefühle zu Tancredi geht. Man könnte noch viele Beispiele anführen. Der Fürst ist eben nicht nur, wie er selbst es allen Sizilianern zuschreibt, ein Gott, sondern Gottvater Zeus.

    "Die großen Herren waren zurückhaltend und schwer zu durchschauen, die Bauern deutlich und klar; doch der Teufel wickelte beide gleicherweise um den kleinen Finger." Ein wichtiger Satz, ein Gedanke, der vieles relativiert, in diesem enormen Totentanz, den Lampedusa da vor uns entwirft.


    Doch inzwischen bin ich am "Ende von allem" angekommen und bin bewegt von diesem düsteren, traurigen "Endspiel". Ich fühle mich an Virginia Woolf erinnert, die Liebe zu Stendhal ist unverkennbar. Bei Virginia Woolf ist es auch so, das Menschen dir in ihrer ganzen Lebendigkeit vor Augen gebracht werden, von denen es im nächsten Kapitel dann nur noch lapidar heißt, sie seien vor Jahren verstorben, wie es hier mit der Fürstin, mit Pater Pirrone und Tancredi passiert.
    Wirklich ein meisterliches, tief empfundenes und eindrucksvolles Werk!
    Doch jetzt werde ich erst einmal eure Kommentare lesen, dazu bin ich leider noch gar nicht gekommen.
    Viele Grüße von der Leserin

    Liebe Katzenfreunde,


    vielen Dank für deine herzliche Begrüßung, Sir Thomas,


    das 4. Kapitel habe ich nun beendet, das Buch liest sich ja so weg. Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ich längst durch. Meine bisherigen Eindrücke haben sich teilweise bestätigt. Mit dem ersten Teil des 4. Kapitels war ich nicht so glücklich. Wo sich der Fokus vom Fürsten zu anderem Personal hin verlagert, bleiben die Charaktere schablonenhaft und vermögen mich nicht recht zu interessieren. Das verändert sich erst im zweiten Teil des 4. Kapitels, wenn "der Leopard" wieder in den Mittelpunkt rückt. Zu deiner Frage nach der Bewunderung, Sir Thomas, kann ich nur sagen, ich finde nichts an ihm, dass bewundernswert wäre, dafür weckt er Anteilnahme. Er hat mit allem abgeschlossen, und das ganz ruhig, besonnen und nüchtern. Es sind ihm keine Illusionen über seine Mitmenschen und über sich selbst geblieben. Er läßt sich nichts vormachen und macht sich selbst nichts vor. In gewissem Sinne ist er wirklich wie ein starkes Tier, dessen gefesselte Kräfte dabei sind zu schwinden, da sie nicht mehr benötigt werden. Er ist die einzige Figur, die mich wirklich interessiert. Der Fürst ist jemand, der Angst verbreitet, ohne dass Gefahr von ihm ausgeht, und der nur die schätzt und mit Wohlwollen betrachtet, die ihn nicht fürchten, Tancredi, Angelica und den Hund.
    Noch ein Wort zu de Sade, an den sich manche von euch, wahrscheinlich durch die vielen Peitschen, erinnert gefühlt haben: Warum sollte man seine Bücher, die so abgrundtief trostlos sind, wie seine mit zwanghaften Zählritualen verbrachten Jahre hinter den Mauern von Charenton, lesen? Früher habe ich gedacht, man sollte alles kennen, aber heute denke ich, man sollte sich manches lieber ersparen. Die leeren Wüsten des Marquis gehören definitv zu dem, auf das ich hätte verzichten können.
    Grüße von der Leserin

    Ich möchte hier zwei moderne Erzähler erwähnen, die den Leser zu lehren verstehen, die Welt neu zu sehen. Sie dringen mit ihrem Schreiben so weit in die Räsel der Wirklichheit vor, dass es einem schier den Atem verschlägt.
    Der Amerikaner Harold Brodkey (1930-1996) schrieb Romane und Novellen von ungeheurer Wucht, Sprachpräzision und Vollendung.
    Der Amerikaner Raymond Carver (1938-1988) ist der Meisterder kleinen Form. Er schreibt über scheinbar geringfügige Ereignisse und läßt den Leser am Ende völlig erschüttert zurück.
    Grüße von der Leserin

    Entschuldigt bitte meine verspätete Einmischung. Ich hatte bisher keine Zeit, mich zu beteiligen. Dies ist meine erste Leserunde. Es sollte ein Buch sein, das ich bisher noch nicht gelesen habe und das mich schon länger interessiert. "Der Leopard" ist der erste Lesevorschlag, auf den das zutrifft.
    Jetzt bin ich tief im dritten Kapitel. Nach den ersten Seiten war ich fasziniert und bin jetzt ganz eingetaucht in diese Welt des vornehmen Untergangs und des Verfalls. Es ist ja ein Buch über das Sterben, das Absterben einer Welt, einer Epoche, einer Klasse. (darin durchaus verwandt mit den Buddenbrooks, wie Sir Thomas schon erwähnt hat) Alles strömt den Geruch von Morbidität aus. Vor dem endgültigen Dahinscheiden dieser inzwischen untergegangenen Welt, das Lampedusa ja selbst erlebt hat, wird noch einmal alles heraufbeschworen, was diese Welt ausgemacht hat. Mich überrascht, wie es Lampedusa gelingt diesem sowohl sprachlich als auch inhaltlich ganz im 19.Jahrhundert verwurzelten Buch mitunter Modernität einzuhauchen. Wenn plötzlich Flugzeuge oder Freud erwähnt werden, schreckt man richtig auf. Mit der Figur des Fürsten (in seiner Stärke und Zartheit) ist es Lampedusa gelungen, jemanden zu schaffen, der in aller Abwehr, die man ihm gegenüber hegen muss, doch Sympathien auf sich zieht, ist er doch der einzige, der die Situation richtig einschätzt und überschaut. Permanent vollzieht er Abschiede. Überhaupt ist es ein Buch über die Kunst des Abschiednehmens, so scheint es mir bisher. Soviel zunächst in aller Kürze. Ich konnte noch nicht alle eure Beiträge verfolgen, werde das aber nachholen.
    Viele Grüße von der Leserin

    So gesehen, Madeleine, braucht man sicher überhaupt keine Bücher. Das nackte Überleben können sie nicht sichern, auch in existentiellen Grenzsituationen sind sie nutzlos. Doch wo der bloße Existenzkampf endet, und die Reflexion über das eigene Ich einsetzt, sind sie unerläßlich. Sie können Begleiter werden, Freunde sein.Wir suchen in der Kunst, dass über uns hinaus und in uns hinein Weisende. Zu allen Zeiten und überall auf der Welt tun die Menschen das. Dabei vertrauen wir den Künstlern, die durch ihr Werk und ihr Leben, für das einstehen, was sie uns gegeben haben.
    Die Frage nach Kafka, Vult und Madeleine, gehört in einen eigenen Ordner, den es sicher schon gibt. Über ihn ist so viel und wird noch so viel geschrieben werden, dass es ganze Bibliotheken füllt. Was kann man dem noch hinzufügen? Ich kann euch da nur das Buch "Von Kafka zu Kafka" des großen französischen Literaturwissenschaftlers Maurice Blanchot und die Schrift des Philosophen Gilles Deleuze "Kafka: Für eine kleine Literatur", dann noch "Prejuges. Vor dem Gesetz" des Philosophen Jacques Derrida und den Text "Aufzeichnungen zu Kafka" in Adornos "Prismen" empfehlen. Es gibt weltweit kaum einen bedeutenden Schriftsteller nach Kafka, der nicht von ihm beeinflußt wäre, auch keinen Philosophen.
    Doch ihr müßt natürlich euren eigenen Weg zu Kafka finden, wenn ihr es wollt. Die großen, stets wiederkehrenden Themen und Motive in der Literatur sind Liebe, Krieg, Abenteuer, Reise, Entwicklung, Tod, Verbrechen, Auflehnung, Abschied etc. Bei Kafka geht es darum nicht. Er versucht die inneren Zusammenhänge zu ergründen, die Abgründe unserer Existenz, die Ursprünge unserer Leiden. Die Sprache zu der er dabei findet, ist zuvor nie gesprochen worden. Sie ist oft nachgeahmt, aber nie erreicht worden. Kafka bewegt sich auf hauchdünnem Eis, auf der Nadelspitze. Das meiste, was uns von seinem Werk überliefert ist, war von ihm nicht dazu bestimmt, von uns gelesen zu werden. Umso behutsamer müssen wir damit umgehen, umso sorgfältiger, umso dankbarer.
    Grüße von der Leserin

    Giesberts Liste könnte von mir sein, nur unter umgekehrten Vorzeichen, alles meine Favoriten. Ich hoffe ihm bleibt, außer Arno Schmidt, den er offenbar verehrt, noch genug Lesestoff übrig.
    Überhaupt werden hier lauter Bücher und Autoren genannt, die mir viel bedeuten, Jean Paul, Faulkner natürlich und Dante sowieso. Brecht habe ich mich nach einer langen Zeit der Distanzierung wieder angenähert. (Er hat eben doch zu oft die richtigen Worte gefunden)
    Kafka ist mein Alpha und Omega, Richtmaß des Sagbaren, Gewissen der Welt, Wort für Wort ein Wunder.
    Ich verstehe nicht, Sandhofer, was der großartige Tizma mit dem Naturalismus zu tun haben soll. Da du auch mit Imre Kertész und Thomas Bernhard nichts anfangen kannst, vermute ich, du nennst diejenigen Naturalisten, die der Gewalt des Realen eine Sprache zu geben versuchen.
    Auf Ink-Hearts Frage hat im Grunde schon Finsbury für mich geantwortet. Es gibt viele Bücher, die ohne Zweifel ihren verdienten Platz in der Literaturgeschichte haben, mich aber inhaltlich, thematisch oder sprachlich nicht interessieren.
    Grüße von der Leserin

    Aus der langen Liste von Mombour kenne ich nur Bücher von Hermann Ungar, Friedo Lampe und Ernst Kreuder, alle drei nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut, wer sie nicht kennt, verpaßt keine große Literatur. Dann kenne ich noch Robert Müller, ein völlig mit Recht vergessener Autor, der sich in seinen Werken, ähnlich wie Otto Weininger, (der sich genau wie Müller in jungen Jahren das Leben nahm), durch einen krankhaften Frauenhaß auszeichnet.
    Gert Hofmann ist jemand, der nicht vergessen werden darf (es gibt schon einen Ordner über ihn, der allerdings bisher nicht viele Interessenten gefunden hat), denn er gehört zum Feinsten, was die deutsche Literatur nach 45 hervorgebracht hat. Er schrieb ein kleines Meisterwerk nach dem anderen.
    Gruß von der Leserin

    Hallo Josmar,


    Woher weißt du denn, dass ich meine Lebenszeit verschwendet hätte, wenn ich Simmel gelesen hätte, wenn du ihn nicht selbst gelesen hast? Also entweder du hast ihn gelesen (und damit wahrscheinlich Lebenszeit verschwendet) oder dir deine Meinung über ihn auf andere Art und Weise gebildet.


    Ein kleiner Test für euch. Welcher Text ist von Lenz und welcher von Simmel?


    1)Der Karfreitag ist schon immer ein trauriger Tag gewesen, aber in diesem Jahr war er ganz besonders traurig. Die Bäume und Sträucher blühten, auf den Wiesen verbreitete sich frisches grünes Gras, und die Sonne schien aus einem wolkenlosen Himmel auf alle Häuser, auf alle Straßen der großen Stadt. Und dennoch hielt eine ungeheure, maßlose Traurigkeit die Menschen gefangen, so daß sie die Blumen nicht sahen und nicht die Spatzen in den rußigen Ästen der Bäume im Park, die hellen Kleider der Frauen nicht und nicht die vielen Geschäfte, in deren Auslagen die kostbarsten Dinge lagen. Die Arbeiter in den Fabriken fühlten, daß ihre Hände schwer waren wie Blei, die Angestellten in den Büros der großen Ämter legten in der Mittagspause ihre bleichen, verzagten Gesichter auf die verschränkten Arme...


    2)Das Fenster wurde hochgewuchtet, und Henry erblickte zum ersten Mal Bußmann, Albert Bußmann mit seinem verdrossenen Gesicht, in dem zu weiten fleckigen Blaumann, der ihn bei gewissen Bewegungen zu umwehen schien. Auf seinen anfragenden Blick ließ Henry dem alten Mann den Vortritt - er hier, der Herr war vor mir da -, lehnte sich gegen das Schreibpult, sah mit vergnügter Neugierde einer Verhandlung zu, die er demnächst vermutlich selbst führen würde - fast kam es ihm so vor, als sollte er noch vor seinem Einstellungsgespräch Anschauungsunterricht erhalten.

    Vielleicht ist Simmel gar nicht so schlecht und Lenz gar nicht so gut, wie man denkt?
    Vielleicht sollte man die beiden auch überhaupt nicht miteinander vergleichen, schließlich kann der eine sich nicht mehr daran erinnern, Mitglied in der NSDAP gewesen zu sein (wie so viele Mitglieder der Gruppe 47), während der andere als Sohn eines jüdischen Vaters nur knapp dem Rassenwahn entgehen konnte.


    Noch ein Wort zu Madeleine: Vor den Büchern sind wir alle gleich, da gibt es weder Experten noch Laien, mit den Büchern sind wir allein, ganz auf uns selbst gestellt.


    Und, Friedrich Arthur, ich muß mich doch nun wirklich nicht zur Aufklärungsbeauftragten über die Gruppe 47 machen, welchen Schaden sie angerichtet hat und welchen geistigen Ursprungs sie war, sollte inzwischen hinlänglich bekannt sein und gehört heute zum Grundwissen jedes Germanistikstudenten.
    Gruß von der Leserin

    Dank Vult bleibt mir Gott sei Dank nichts mehr über Grass zu sagen übrig. Eine Leserunde zu Grass? Dazu ist mir meine Zeit zu kostbar. Ich möchte mit all den Trommlern, Fischen, Kröten, Rättinnen und anderen Ausgeburten seines Unvermögens nichts mehr zu tun haben. Siegfried Lenz (den Autor) mag ich aber auch überhaupt nicht. Als Mensch ist er viel angenehmer als Grass, seine Bücher jedoch sind nicht besser als die von Simmel, gegen den ja menschlich auch nichts einzuwenden ist. Könnten die beiden doch bloß schreiben!
    Auch wenn Grass jetzt abgehakt ist, und die armen Chinesen und Inder von ihm verschont bleiben (die Deutschen haben ja schon immer versucht, ihren Mist bei anderen abzuladen), die Auseinandersetzung mit den Verfehlungen der Gruppe 47 muß weitergeführt werden.
    Gruß von der Leserin

    Hallo Madeleine,
    ich zitiere mit "sorgfältig kalkuliert" doch lediglich "deinen" Grass, siehe oben. Geschwafel und Geschwätz darf die Literatur eben niemals sein, sonst ist sie keine. Grass hat aber nichts anderes zu bieten als das. Es gibt bei ihm kein einziges wahres Wort, nur hohle Konstrukte, barockes Gefasel, männlich-dummdreistes Gehabe, erzlangweilige Salbaderei. Er ist ein notorischer und erfolgreicher Selbstüberschätzer, Moralisierer ohne Moral, narzißtisch und aufgeblasen. Für seinen Erfolg kann er nichts, zu lange hat man ihm all das abgenommen und abgekauft, es war ja auch so bequem. Die Deutschen haben durch ihn und andere Unglücksfälle der Gruppe 47 glauben dürfen, sie hätten sich wieder einen Platz in der Weltliteratur erobert. Doch davon sind sie weit entfernt, in ein paar Jahren werden all diese Böll-, Grass-, Walser-, Lenz- Luftnummern vergessen sein, sie sind es eigentlich heute schon.
    Das sind für dich sicher alles wieder keine Argumente, doch in der Literatur ist es wie in der Medizin, nimm ein, was dir hilft.
    (Ich weiß, das steht jetzt bestimmt wieder im falschen Ordner)
    Grüße von der Leserin

    So etwas kenne ich nicht, wenn ich sie schätze, halte ich sie auch für gut und umgekehrt. Es ist ja auch die Frage, gut in welchem Sinne und für wen? Einem Schüler würde ich beispielsweise Jules Verne empfehlen, weil ich damit schon gute Erfahrungen gemacht habe, selber lese ich ihn aber nicht gern.
    Es gibt gute und wichtige Bücher, die ich persönlich nicht gerne lese, weil sie mich tendentiell eher langweilen, beispielsweise die von Jane Austen, den Schwestern Bronte oder Balzac.
    Ich brauche die Härte eines Emile Zola, dessen "Bestie Mensch" mich mit 12 Jahren bei der Lektüre umgehauen hat. Seitdem habe ich dieses Buch von ihm nicht wieder gelesen, doch sind mir die Bilder und Figuren noch plastisch vor Augen, und ich habe von Zola gelernt, die harten den sanften Büchern vorzuziehen. So lese ich lieber Hugo als Balzac, lieber Dostojewskij als Tolstoi.
    Die Leserin

    Dieser Artikel ist wieder typisch für Teile der deutschsprachigen Literaturkritik, allein die Aufzählung der genannten Autoren: Updike, Roth, McCormack etc., wobei wichtige Namen fehlen, müßte uns angesichts der Erzeugnisse deutscher Sprache die Scham ins Gesicht treiben, stattdessen vergleicht die Rezensentin, die diesen Namen kaum verdient, die langweiligen, bemühten Versuche von Ingo Schulze mit der messerscharfen, kristallinen Prosa eines Raymond Carver.
    Eine tatsächlich mit pubertärem Talent ausgestattete, von den Medien in die Welt gesetzte Autorin wie Zoe Jenny kann man nicht mit Jonathan Safran Foer vergleichen, dessen Bücher Leuchtfeuer in dunkler Nacht sind. Foer ist ein Ausnahmeschriftsteller, einer der weinigen, die einem Jahrhundert zugebilligt werden. Sein erstes brennendes Buch schrieb er mit kaum zwanzig Jahren. Seine beiden Romane sind, was ihre Titel sagen, durch und durch erleuchtet, extrem laut und ungeheuer nah. Ich bemitleide alle, die seine Bücher nicht kennen.
    Man lege eine Tonne deutschen Gegenwartsschriftmüll auf eine Waagschale, dann eine Seite von Foer auf die andere Waagschale, und schon wirbeln die ganzen deutschen Blätter in der Luft herum.
    Die Leserin

    Oft sind die mit Literatur Beschäftigten es einfach müde, sich für dumm verkaufen lassen. Sie sind wütend darüber, das es einerseits Leute gibt, die glauben Schriftsteller zu sein (obwohl sie in anderen Berufen bestimmt besser aufgehoben wären und viele Bäume am Leben bleiben könnten, wenn sie nicht totes Papier produzieren würden), und andererseits Leute, die den sogenannten Schriftstellern ihr Geschriebenes abnehmen.
    Wenn man der Schönheit, Wahrheit und Klarheit begegnet, ist man niemals neidisch, nur beglückt. Wenn man der Dummheit begegnet, muß man sich in Sicherheit bringen, denn sie ist eine Krankheit, die sich wie Mehltau auf alles Lebendige legt.
    Je mehr man gelesen hat, umso wählerischer wird man, umso genauer lernt man das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, umso mehr achtet man auf falsche Töne, schiefe Bilder, auf Ungenauigkeiten in der Sprache, die ja immer auch Ungenauigkeiten im Denken sind. Immer weniger möchte man sich von Phrasen, Attitüden, Eitelkeiten, Plattitüden, Unaufrichtigkeiten langweilen lassen. Jedes Buch soll ein Abenteuer (im Kopf) sein, aus dem man als ein Erneuerter, Erstarkter, Aufgerichteter oder Erschütterter hervorgeht. Man entwickelt ein Gespür für Effekthascherei und Großspurigkeit. Man lehnt das handwerkliche Kleingeld ebenso ab, wie das geborgte Gold oder den Flitterkram. Man möchte sich nicht mit dem Mittelmaß abspeisen lassen. Man beginnt damit, die Bibliothek für das Leben zusammenzustellen. Alles wird dann gewogen, vieles für zu leicht befunden und aussortiert. Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher, wer hat das gleich noch gesagt? Am Ende wird man sich vielleicht mit Beckett, Hölderlin und Kafka zurückziehen, wer weiß?
    Die Leserin

    Hallo Jaqui,
    jetzt habe ich deine Gefühle also doch verletzt. Das tut mir leid und war nicht meine Absicht, aber wohl unvermeidlich, wenn ich ehrlich bleiben wollte. Ich bin hier schon gegen Autoren wie Grass, Böll, Walser, Pascal Mercier etc. zu Felde gezogen, was sollte ich da wohl zu Wolfram Fleischhauer sagen?
    Geht es dir beim Lesen denn wirklich nur um mehr oder weniger aufregende Geschichten, achtest du gar nicht auf die Sprache? Nimm mir die Frage nicht übel, denn sie interessiert mich wirklich.
    Grüße von der Leserin

    Hallo Evelyne,
    ich verstehe von dem Fach so viel man davon verstehen kann, wenn man es studiert und sich ein Leben lang damit beschäftigt hat. Doch das will nichts besagen. Jeder Leser ist ein Fachmann in Fragen seines eigenen Geschmacks.
    Meines Wissens sind Peter Handke, Gert Jonke, Alain Claude Sulzer, Marcel Beyer, Edgar Hilsenrath und dann gibt es auch noch Alexander Kluge weder tot (ein langes Leben sei Ihnen gewünscht), noch Klassiker (denn wie gesagt, sie leben ja Gott sei Dank noch), noch Literaturnobelpreisträger (kann aber noch kommen).
    Alles muß in einem gewissen Kontext gesehen werden, da hast du recht. Es fragt sich nur, welchen du in diesem konkreten Fall meinst?
    Warum nimmst du an, ich würde glauben im Ausland gäbe es nur gute Bücher? (Jede Menge Schrott, wohin man guckt) Nur weil ich gesagt habe, es gibt zu wenige lesenswerte deutschsprachige Bücher der Gegenwart?
    Alles was du in deinem Beitrag an Peter schreibst, finde ich gut und richtig. Die ganze Aufregung ist nicht der Mühe wert, die Zeit wird es schon richten. Die Aufarbeitung der Mängel, Unzulänglichkeiten und Versäumnisse der deutschen Literatur nach 45 wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    In der Zwischenzeit habe ich bei euch genau das Gegenteil von dem erreicht, was ich erreichen wollte, denn ihr wollt jetzt noch mehr von dieser faden Kost der deutschen Gegenwartsliteratur konsumieren.
    Dann lest doch wenigstens den Roman "Flughunde" von Marcel Beyer. Diese Tiere haben diesem Roman den Titel gegeben und spielen in ihm eine Rolle, weil sie über ein ungleich stärkeres Hörvermögen verfügen als der Mensch. Das Buch besteht aus inneren Monologen. Die Stimme eines Akustikers, der für Joseph Goebbels arbeitet und die Stimme der kleinen Helga, der ältesten Goebbels-Tochter, wechseln sich ab. Der Akustiker wird die letzten für menschliche Ohren hörbaren Lebenszeichen der Goebbels-Kinder aufzeichnen. Es ist ein Buch, das man nicht mehr vergißt.
    Grüße von der (Marcel Beyer-) Leserin

    Na,na, Dostojewskij, ein bisschen netter könntest du schon sein. Denke bloß mal an den großen Namen, den du trägst!
    Nun zu deinen Fragen: Zu 1) Das frage ich mich eben auch. Zu 2) Sie haben eben das, was die Deutschen nicht haben, nämlich Talent, aber auch Genie und Wahnsinn. Zu 3) Ich denke, sie haben zu viele schlechte deutsche Bücher nach 45 (die Dumpfbacken der Gruppe 47 z.B. oder gar literarische Produkte aus der schönen DDR) als Weltliteratur vorgesetzt bekommen, die sie sich zum Maßstab genommen haben. Dazu kommt der verheerende Deutschunterricht und vielleicht noch obendrein ein verschnarchtes Germanistikstudium. Und schon ist wieder ein kleiner potentieller in Deutsch verfaßter Ladenhüter oder wahlweise Bestseller (nicht selten merkt man den Unterschied beim Lesen kaum) geboren.
    Ich dachte, hier sollte es um Gegenwartsliteratur gehen, Bachmann, Bernhard, Schmidt, Böll, Rinser etc. (ich hätte beinahe Grass, Walser, Härtling, Siegfried Lenz geschrieben) gehören dann nicht mehr hierher.
    Wilhelm Genazino ist kein uninteressanter Autor, doch seine Bücher ähneln sich zu sehr, hat man eins gelesen, so hat man alle gelesen.
    Wolfram Fleischhauer hat zwar Bücher geschrieben, doch ist er deshalb auch ein Schriftsteller? Droemer Knauer verlegt Bücher, aber keine ( es sei denn manchmal aus Versehen) Literatur.
    Vielleicht muß ich noch anfügen, dass ich keine Leser beurteilen oder verletzen will, sondern nur meine eigenen Maßstäbe anlege. Ein Buch soll mich ruhig ratlos oder verzweifelt machen, aber bitte nicht dümmer.
    Grüße von Leserin zu Lesenden

    Ein ungeordnetes Archiv für geistige Fundstücke, die man mit anderen teilen will:


    "Vielleicht besteht die höchste Weisheit lediglich in dem Wissen, wie das Wesentliche in den Endzwecken unterzubringen ist, die von Anfang an unvermeidlich waren."
    (Roger Caillois, Die Schrift der Steine)

    Hallo Dostojewskij,
    Entschuldige bitte, wie konnte ich ahnen, dass dies "deine" Autoren sind? Bist du sicher, dass du gerne Thomas Bernhard u n d Luise Rinser (die ja beide nicht mehr zur Gegenwartsliteratur gehören) liest, und wenn ja, wie geht das? Wenn ich die Smileys mögen würde, hätte ich jetzt irgendeinen hier eingefügt. Ich habe nicht gemeint, die deutschen Autoren würden im Ausland keinen Verleger finden, sondern, dass es im Ausland bessere Autoren gibt, weil bestimmte Texte dort einfach keine Chance bekommen würden, Einzug in die Belletristik halten zu können. Die deutschen Verleger wollen einfach nicht begreifen, dass es momentan auf dem deutschsprachigen Markt keine Talente gibt, darum wird jedes neue Buch als Offenbarung gefeiert, obwohl es schon vor der Veröffentlichung in die Restposten-Ecke gehören würde. Mich hat neulich ein schwedischer Bekannter gefragt, welche deutschen Bücher der Gegenwart er lesen soll. Ich war ziemlich ratlos und habe dann gesagt: "Du liest am besten weiter euren begnadeten Per Olov Enquist."
    Gruß von der Leserin

    Hallo Dostojewskij (der du einen großen Namen gelassen trägst),
    Mit deinem Plädoyer für die Gegenwartsliteratur stößt du bei mir offene Türen auf. Klassik ist für mich (allen anderen Definitionen zum Trotz) keine Frage des Alters, sondern der Klasse.
    Nur die deutschsprachige Literatur gibt mir wenig Anlaß zur Hoffnung. In den letzten 20 Jahren sind fast alle lesenswerten deutschsprachigen Schriftsteller gestorben (Thomas Bernhard, Hermann Lenz, Gert Hofmann, W.G.Sebald). Die uns noch geblieben sind, kann ich bald an einer Hand abzählen ( Elfriede Jelinek, Peter Handke, Gert Jonke, Alain Claude Sulzer, Marcel Beyer, Edgar Hilsenrath). Vielleicht habe ich den einen oder anderen vergessen oder übersehen, aber viele sind es bestimmt nicht. Deine Liste ist völlig beliebig zusammengestellt und enthält jede Menge Überflüssiges und Überschätztes. Viele dieser Autoren würden im Ausland wahrscheinlich gar keinen Verleger finden. Vielleicht braucht es aber nur etwas Geduld und es wachsen welche nach. In der Zwischenzeit lese ich Dostojewskij und J.M. Coetzee (Kennst du seinen wunderbaren Dostojewskij - Roman "Der Meister von Petersburg"?)
    Gruß von der Leserin