Juni 2004: John Milton - Paradise lost

  • Hallo Fuu,


    Zitat von "Fuu"

    Was hast du dann gemeint?


    Bisher dachte ich, ich würde mich zwar knapp, aber deutlich ausdrücken. So kann man sich täuschen... Ich sprach (d.h. schrieb) vom Beginn des vierten Buches und Satans innerem Monolog dort. Seine Situation und wie sie von Milton dargestellt wird hat einige Merkmale (ich wiederhole sie nicht, steht ja in meinem Posting), die mich an die griechische Tragödie erinnert haben. That's all... Aussagen wie "Das Leben ist eine Tragödie" (oder "ein Spiel" oder was auch immer) dagegen sind für mich Sprücheklopferei ohne Erkenntniswert.


    Hallo Hafis,


    Zitat von "hafis50"

    Kann nicht auch noch ein jurist beispile für zweckgerichtete, unabsichtliche handlungen finden, zB ungewollt abgegebene willenserklärungen?


    Interessante Frage. In der Juristerei kenne ich mich nicht aus... für mich enthält der Begriff "Absicht" die Bewusstheit, so dass "unbewusste Absicht" ein Widerspruch in sich ist, d.h. nicht existiert. Das ist natürlich letztlich eine Definitionsfrage.


    Hallo marin,



    Diese Stelle habe ich ganz anders gelesen. Das ist kein Neid auf die Menschen, sondern eher Verachtung, da ganz negative Eigenschaften beschrieben werden. Ich würde so übersetzen:


    "Schande über die Menschen! Die Teufel selbst
    halten untereinander zusammen; von allen vernünftigen Wesen
    bekriegen sich nur die Menschen, obwohl sie in der Hoffnung
    auf göttliche Gnade leben; und obwohl Gott den Frieden verkündet hat,
    leben sie in Haß, Feindschaft und Streit untereinander
    und führen grausame Kriege, wobei sie
    die Erde verwüsten und sich gegenseitig vernichten."


    Klingt das nach Neid????


    Herzlichen Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Fuu!


    Wenn du gerade am Anfang des vierten Buches bist, dann müsstest du genau an der Stelle sein. Hier ein Zitat aus meinem englischen Text:


    "Southward through Eden went a river large,
    Nor changed his course, but through the shaggy hill
    Passed underneath engulfed; for God had thrown
    That mountain as his garden-mould high raised
    Upon the rapid current, which, through veins
    Of porous earth with kindly thirst up-drawn,
    Rose a fresh fountain, and with many a rill
    Watered the garden; thence united fell
    Down the steep glade, and met the nether flood,
    Which from his darksome passage now appears,
    And now, divided into four main streams"


    Hoffentlich findest du so die entsprechende Stelle. :zwinker: Ich fand v.a. am Anfang auch, daß Paradise Lost HdR oder ähnlichen Fantasy-Werken sehr ähnelt oder sich zumindest für eine Verfilmung in dieser Weise eignen würde. Das war m.M.n. besonders deutlich an der Stelle, wo Satan auf Sin und Death trifft.


    Grüße
    marin

  • Hallo marin,


    Zitat von "marin"

    Ich fand v.a. am Anfang auch, daß Paradise Lost HdR oder ähnlichen Fantasy-Werken sehr ähnelt oder sich zumindest für eine Verfilmung in dieser Weise eignen würde. Das war m.M.n. besonders deutlich an der Stelle, wo Satan auf Sin und Death trifft.


    Das ging mir genauso! Die Hölle hörte sich sehr nach Mordor an. Und dann die opponierenden Heerscharen, ganz klar in Gute und Böse geteilt...


    Das Gefühl, dass sich Vieles gut verfilmen liesse, hatte ich übrigens noch mehr in der Göttlichen Komödie. Dante scheint mir noch präziser darin zu sein, durch seine Sprache Bilder zu erzeugen. Das "visionäre" ist in der Göttlichen Komödie stark ausgeprägt.


    Herzlichen Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald,


    sind für mich Sprücheklopferei ohne Erkenntniswert.


    Diese Antwort hat für mich keine Bedeutung und klingt "leer" ohne Sinn. Dann hast du viele Dinge noch nicht verstanden. :grmpf: (Kant, Schiller,Heraklit von Ephesos u.s.w.)
    Habe aber keine Lust einen Streit mit dir hier zu führen :breitgrins: .


    Gruß,Fuu :winken:

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Danke marin, später mehr dazu!


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Hallo Harald,


    Die psychoanalyse war ein beispiel für unbeabsichtigte, weil unbewußte, gleichwohl zweckgerichtete handlungen.


    zur jura:
    Angenommen, man sitzt in einer auktion, bei der per armhochheben geboten wird.
    Du hebst deinen arm, um einem bekanntn zuzuwinken,
    oder weil du ein insekt verscheuchen willst,
    oder einfach nur reflektorisch aus schmerz, weil dich eine wespe gestochen hat.


    Der auktionator sieht deinen arm, schlägt dir das angebot zu, und erklärt, dein armhochheben habe den zweck einer angebotsabgabe erfüllt und fordert nun die bezahlung. Daß dies nicht ad hoc unsinnig ist, folgt ja schoon daraus, daß ansonsten jedes gebot durch angabe eines "zuwinkens" etc. nachträglich annuliert werden könnte!


    Das armhochheben hat damit den zweck im rahmen der auktion erfüllt, obwohl es nicht deine absicht war, ein gebot abzugeben.


    Oder:
    Die sekretärin reicht einen stapel von vertragsentwürfen herein.
    Du willst den oben liegenden vertragsentwurf unterschreiben, bemerkst aber nicht , daß das oberste blatt verrutscht ist, und du deine unterschrift auf ein unterliegendes formular setzt.
    Der vertragsabschluß = zweck wurde erfüllt, die gegenseite pocht nun auf vertragserfüllung.
    gruß hafis

    Nun haben zwar manche Theologen einen ebenso großen Magen, wie man ihn der Kirche nachsagt;
    <br />sie können ebenso viele gedanklichen Ungereimtheiten verdauen wie die Kirche allerlei weltliche Güter. - Heinz Zahrnt

  • Durch Harald angeregt, habe ich mir noch ein paar Gedanken über die Tragödie gemacht. :breitgrins:
    Mit deiner Aussage hast du recht Harald, aber meine Gedanken kreisen überall hin und erfassen alles was ich so gelesen habe. Das "Spiel", spielt dann doch schon eine große Rolle . Zur Zeit überlege ich mir, was die Unterschiede zwischen:


    "Göttliche Komödie" und "Griechische Tragödie" sind.


    Die GK handelt doch um den Sündenfall und die GT aus dem Kult des Dionysos(s.Nietzsche)


    Ich benutze oft das Buch von meiner Tochter: Texte,Themen und Strukturen-Deutschbuch für die Oberstufe :zwinker:


    Dort las ich noch einmal alles über die Kennzeichen der Tragödie-Aristoteles(um 335 v.Ch.) Stimmt ja mit Huberts Tipp überein. Aber aus Texten gleich alles richtig deuten, kann ich noch nicht. Deswegen finde ich Haralds Hinweis gut.


    color=red]Der italienische Dichter Dante Alighieri (1265-1321) hat in seiner "Göttlichen Komödie" (La Divina Commedia) mit eindringlicher Schauerlichkeit die Schrecken des Purgatoriums geschildert.[/color]


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Hallo zusammen!


    Mir will scheinen, wir verlieren uns. Für mich das Zeichen weiter zu lesen. Ich werde also wahrscheinlich morgen, falls keine Protestwelle über mich hereinbricht, meine Gedanken zu Buch IX posten.


    Im Moment nur noch Folgendes:
    Bei der Divina Commedia steht in keiner Weise der 'Sündenfall' im Zentrum. Es ist eine visionäre Schau von Hölle, Purgatorium und Paradies. Thematisch also besteht allenfalls ein höchst lockerer Zusammenhang zu Paradise Lost. Wie weit Nietzsches Analyse zur griechischen Tragödie der Realität entspricht, weiss ich nicht, das müsste auch Thema eines separaten Threads werden. M.M. hat Nietzsche nichts mit Milton zu tun; ich glaube nicht einmal, dass er ihn gekannt hat.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Harald!


    Mordor? Da könntest du recht haben. :breitgrins: Warum ist nur noch niemand auf die Idee gekommen, Paradise Lost zu verfilmen? Die Szene mit Sin und Death wäre doch ideal, um irgendwelche Spezialeffekte einzusetzen. Heutzutage könnte man sowas ja durchaus darstellen. Was die Göttliche Komödie angeht, kann ich nicht mitreden, da ich sie noch nicht gelesen habe.


    @all: Ich bin momentan auch etwas beim Lesen stecken geblieben, werde aber versuchen, noch am Wochenende mit Buch IX zu beginnen. Daß wir weitergehen, heißt ja nicht, daß eine Diskussion über die vorhergehenden Bücher nicht mehr stattfinden kann.


    Grüße
    marin

  • Hallo Sandhofer,


    Zitat von "Sandhofer"

    Mir will scheinen, wir verlieren uns.


    Ich hoffe, das heisst nicht, dass wir Dich verlieren!


    Im übrigen kann man kaum erwarten, dass alle gleich, oder auch nur annähernd gleich schnell lesen. Ich bin noch im vierten Buch. Das braucht Dich aber aus meiner Sicht nicht davon abzuhalten, Gedanken über das neunte zu veröffentlichen. Das spornt mich dann auch zum Weiterlesen an.


    Außerdem steht ab jetzt das Wochenende an. Mehr Zeit... :smile:


    Hallo Fuu,


    Wir haben wohl sehr entgegengesetzte Denkgewohnheiten: Du eher frei assoziierend, ich eher analytisch. Sich damit auseinanderzusetzen sehe ich allerdings nicht als Streit an, eher als Diskussion. Ich habe nichts dagegen, wenn mir widersprochen wird oder jemand eine entgegengesetzte Meinung vertritt, nur würde ich mir Begründungen wünschen, Argumente, mit denen sich etwas anfangen lässt. Nur ein paar illustre Namen in die Runde zu werfen und zu sagen "Du hast keine Ahnung" ist mir irgendwie zu wenig...


    Herzlichen Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Nun denn, Buch IX:


    Das Paradies ist verloren. Wobei ich interessanterweise den Eindruck habe, das Paradies war schon verloren vor dem eigentlichen 'Sündenfall'. Adam wagt es nicht mehr, sich im Paradies frei zu bewegen, weil hinter jeder Staude der Erzfeind lauern könnte. Seiner Eva und sich selber traut er noch weniger; er möchte sie am liebsten nicht aus den Augen lassen. Das alles passt für mich nicht zum Begriff 'Paradies'.


    Doch während Adam einfach ein alter Angsthase ist, Gott fraglos ergeben, entwickelt Eva ganz neue Facetten in ihrer Persönlichkeit. Nicht nur, dass sie sich gegenüber Adam durchsetzt und alleine Stauden aufbinden geht - den Grund, den sie für die Trennung angibt, finde ich ungeheuer interessant.


    Sie argumentiert ja dahingehend, dass getrenntes Arbeiten effizienter sei. Eva als Vertreterin der modernen Arbeitswelt! Adam hingegen wünscht, dass die Arbeit immer auch von belehrenden Gesprächen begleitet sei. Eine antike, aristokratische Einstellung. Die moderne Einstellung setzt sich durch, nicht zum Besten der Menschheit.


    Der eigentliche Sündenfall wird dargestellt wie die Konsumation einer Droge - mit euphorischem Rausch und anschliessender Depression. Hübsch, wie Adam offenen Auges und aus Liebe zu seiner Eva die Liebe und den Gehorsam zu seinem Herrn in den Wind schlägt.


    Amüsiert habe ich zur Kenntnis genommen, dass sich Milton offenbar ähnliche Fragen gestellt hat wie ich - nämlich: Wie hat sich die Schlange vorwärts bewegt, wenn sie ja erst nach dem Sündenfall zum Kriechen im Staub verurteilt wurde?


    Und auch Milton bringt den Sündenfall mit dem Erwachen einer gierig-triebhaften Sexualität in Verbindung.


    Soweit meine ersten Eindrücke.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo sandhofer,


    M.M. hat Nietzsche nichts mit Milton zu tun; ich glaube nicht einmal, dass er ihn gekannt hat.


    Denke ich auch so-,obwohl ja Nietzsche sehr viel gelesen hat.(Nietzsches Bibliothek)


    Werde mich bessern,Harald :zwinker: !


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Hallo marin,


    Ich komme mit der Übersetzung nicht klar und finde die Stelle nicht. Die englische Sprache hab ich auch nicht gelernt. Nur Russisch und etwas Französisch. Da unsere Tochter aber einen Freund hat, der nur die englische Sprache beherrscht, muss ich dies auch noch richtig lernen.
    Ich habe das so übersetzt(Auszug):


    "Southward through Eden went a river large,
    Nor changed his course, but through the shaggy hill
    Passed underneath engulfed; for God had thrown
    That mountain as his garden-mould high raised



    Südwärts durch Eden führte ein Fluß,
    groß und nicht seinen Kurs ändernd.
    Aber durch zottige Hügel führte
    darunter verschlingend-,
    als ob Gott diesen Berg
    einen hochragenden Gartenmater oder Gartenschimmel(versteh ich nicht)


    Das reicht jetzt :redface: !


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Beginne jetzt das 5. Buch :breitgrins: .


    Gruß,Fuu

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Hallo alle,


    Ich habe das fünfte Buch und zum Teil das sechste gelesen. An dieser Stelle eine Bemerkung zu Miltons Erzähltechnik: Mir ist erst jetzt bewußt geworden, dass große Teile der Geschichte, nämlich die Vorgeschichte und der Verlauf von Satans Aufstand, in der Rückblende erzählt werden. Andererseits wird aus der Allwissenheit des Erzählers auf viel spätere Ereignisse verwiesen (sogar Galileo Galilei kommt irgendwo vor).


    Den Trick, einen längere Handlung nicht etwa chronologisch zu erzählen, sondern irgendwo in der MItte zu beginnen und dann mit Rückblenden und Vorschauen zu komplettieren, hat ja schon Homer angewandt. Ob Milton sich Homer in dieser Hinsicht bewusst als Vorbild gewählt hat? Gibt es andere Epen, die ähnlich konstruiert sind?


    Hallo Fuu,


    Dafür, dass Du kein Englisch kannst, übersetzt Du ziemlich genau... :smile: Ich würde "shaggy" eher als"gezackt" oder "zerklüftet" oder so übersetzen. "Engulfed" heisst "verschlungen" (d.h. der Fluss fließt unterirdisch). "mould" heisst auch Gartenerde. Das verstehe ich so, dass der aus Menschensicht hohe Berg für Gott nicht mehr ist als ein Haufen Gartenerde.


    Hallo Sandhofer,


    Milton scheint zeigen zu wollen, dass der Sündenfall auch zur Folge hat, dass die Menschen nicht mehr richtig harmonieren. Man hat auf einmal unterschiedliche Bedürfnisse, die nicht mehr zusammenpassen, man vereinzelt sich. Gleichzeitig die Gier... die allgemein-menschliche Erfahrung, dass Harmonie eher die Ausnahme ist, wird damit auf den Sündenfall zurückgeführt. (Dies nur vorläufig aus Deiner Beschreibung geschlossen, mit der Lektüre bin ich noch nicht so weit...)


    Demnächst mehr!


    Herzliche Grüße, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Harald"

    Den Trick, einen längere Handlung nicht etwa chronologisch zu erzählen, sondern irgendwo in der MItte zu beginnen und dann mit Rückblenden und Vorschauen zu komplettieren, hat ja schon Homer angewandt. Ob Milton sich Homer in dieser Hinsicht bewusst als Vorbild gewählt hat?


    M.W.: ja.


    Zitat von "Harald"

    Milton scheint zeigen zu wollen, dass der Sündenfall auch zur Folge hat, dass die Menschen nicht mehr richtig harmonieren.


    Ich habe offenbar ungenau formuliert. Die 'Auseinandersetzung' zwischen Adam und Eva, auch ihre Angst vor dem Bösen im Paradies, gehen dem eigentlichen, konkreten Sündenfall (dem Essen der verbotenen Frucht) voran! Das eben fand ich so faszinierend: Das Paradies ist verloren, schon bevor die zwei Menschen wirklich um Gut und Böse wissen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Noch ein Nachtrag zu obigem Posting:


    Buch IX hat mich an die Szene erinnert, wo die Sorge als einzige zum alten, reichen Faust vordringen kann:


    [size=18px]Mitternacht[/size]


    erste
    Ich heiße der Mangel. +


    zweite
    Ich heiße die Schuld.


    dritte
    Ich heiße die Sorge. +


    vierte
    Ich heiße die Not.


    zu drei
    Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
    Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.


    mangel
    Da werd' ich zum Schatten. +


    schuld
    Da werd' ich zunicht.


    not
    Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.


    sorge
    Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
    Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.


    mangel
    Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier.


    schuld
    Ganz nah an der Seite verbind' ich mich dir.


    not
    Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.


    zu drei
    Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
    Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
    Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - Tod.
    (Johannn Wolfgang von Goethe: Faust - der Tragödie zweiter Teil; 5. Akt)


    Und noch ein Nachtrag: eine weitere Todsünde (auch nach klassisch-griechischem Verständnis) hat sich bereits ins Paradies eingeschlichen, bevor Eva in die Frucht beisst: Der Hochmut, der Eva dazu bringt, die drohende Gefahr als gering und problemlos meisterbar einzuschätzen. (Während sie dann, wenn es akut wird, keinen Gedanken an Satan verschwendet.)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Leider bin ich noch nicht dazu gekommen Buch IX zu lesen. Sandhofer hat mich aber ziemlich neugierig gemacht auf die Beschreibung des "Paradieses" vor dem Sündenfall. Ich frage mich eigentlich, warum denn das Paradies verloren ging, bevor Adam und Eva Gott gegenüber ungehorsam waren. Vielleicht trugen sie sich schon mit dem Gedanken, von der verbotenen Frucht zu essen? Ich könnte mir auch vorstellen, daß Gott ihnen das Paradies sozusagen entzogen hat, da er ja schon an früherer Stelle gegenüber Gott Sohn äußert, daß sich der Sündenfall ereignen wird. Irgendwie scheint es mir, als würde Miltons Gott kein Vertrauen und keine Hoffnung in die Menschheit zu setzen.


    Fuu, du hast doch richtig gut übersetzt! "Die eine" richtige Übersetzung gibt es sowieso nicht.


    Milton thematisiert laut sandhofer auch die Probleme der modernen Arbeitswelt (kann man das so ausdrücken? :rollen: habe Buch IX ja noch nicht gelesen). Somit scheint mir Paradise Lost denn doch auch aktueller zu sein, als man glauben könnte.


    Grüße
    marin

  • Hallo,


    Es wird mal wieder Zeit für eine kleine Provokation... :zwinker:


    Ich habe die Bücher V und VI gelesen. Sie enthalten die Schilderung von Satans Aufstand gegen Gott, und zwar in Raphaels Schilderung im Gespräch mit Adam und Eva.


    Ich hatte schon gesagt, dass mir die Schilderung des Himmels sehr "weltlich" vorkommt. Dieser Eindruck hat sich verstärkt, und zwar so sehr, dass ich es nicht mehr nachvollziehen kann.


    Man stelle sich vor: Krieg im Himmel! Und zwar ein echter, mit Schwertern, Pfeil und Bogen, Streitwagen, ja selbst Kanonen werden aufgefahren und abgefeuert. Drei Tage wütet die Schlacht, und schliesslich werden die Verlierer gnadenlos zermalmt - bzw. von einer Art gigantischem Bulldozer erst plattgemacht und dann in die Tiefe gedonnert.


    Mir erschien das Besondere am Christentum immer sein radikaler Pazifismus zu sein - "Selig sind die Friedfertigen", "Liebe auch deine Feinde", "Wenn Dich jemand schlägt, halte auch die andere Backe hin" (ich zitiere aus dem Gedächtnis, korrigiert mich, wenn ich falsch zitiere). Von diesem Christus ist Miltons Christus ja das genaue Gegenteil. Kein Friedensbringer, sondern eine Art Warlord, ein Kämpfer für die Ehre seines Vaters...


    Kommt Euch diese Verquickung von religiöser Selbstgerechtigkeit und militärischer Überlegenheit nicht irgendwie bekannt vor? Gibt es in der aktuellen weltpolitischen Landschaft keinen Kämpfer für die Ehre seines Vaters...? Der das Reich des Bösen am liebsten mit Panzern niederwalzen würde, und das zum Teil auch tut? (Wenn Milton im 20. Jahrhundert gelebt hätte, wäre Christus' Streitwagen wohl ein Panzer gewesen.)


    Diese Gedankenverbindung ist so abwegig nicht. Man bedenke: Milton war Dissenter, d.h. einer jener Extrem-Protestanten, die sich jenseits der anglikanischen Hochkirche in Sekten organisierten und glaubten, den ganz besonderen Draht zu Gott zu haben. Viele Dissenter sind durch "Erweckungserlebnisse" und eine das ganze Leben bestimmende, tief empfundene Religiosität aufgefallen. Als Nebeneffekt der Unabhängigkeit von kirchlichen Vorgaben ergibt sich die schon erwähnte Selbstgerechtigkeit - man hat ja "das Licht gesehen"... Viele der Dissenter sind nach Amerika ausgewandert und haben für die noch heute fühlbare besondere Religiosität bestimmter Schichten der amerikanischen Bevölkerung gesorgt. Ab und zu sollen sogar Präsidenten davon erfasst werden... mehr sage ich nicht...


    Ende der Provokation.


    Natürlich hat Milton lange geschwankt, ob er ein Epos über einen Stoff der englischen Geschichte oder über ein biblisches Thema schreiben würde. Und Schlachtenschilderungen gehörten bei allen seinen Vorbildern einfach dazu. Insofern mag es für ihn natürlich gewesen sein, die geistliche Überlegenheit Gottes im Gewand militärischer Überlegenheit darzustellen. Es mag auch sein, dass Milton einfach nur dem Geist seiner Zeit Ausdruck verleiht. Andererseits haben wir im 21. Jahrhundert das Recht, seinen Text aus unseren Erfahrungen heraus zu interpretieren. Und da stößt mir diese ganze Episode doch sehr sauer auf. Ist Euch das nicht so gegangen?


    Herzlichen Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.