Was lest ihr gerade?

  • Immer wenn ich hier reinschaue muss ich mir notieren was ich auch noch lesen will. :breitgrins:


    Fontanes Kinderjahre sind auf meinem reader. Von Mann müsste ich auch mal wieder was lesen. Und da ich den Zauberberg immer weiter vor mir herschiebe ist Doktor Faustus vielleicht eine gute Alternative.


  • Fontane kann man immer lesen 8-) (zuletzt hab ich mal wieder Jenny Treibel gelesen). Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich mir vor Augen führe, wie spät im Leben er mit seinen Romanen angefangen hat, die sind ja praktisch alle Alterswerke ;-)


    Stimmt. :winken: Und daher hat er auch gleich mit seinem schönsten Roman angefangen: Vor dem Sturm. Mein persönliches Lieblingsbuch von Fontane, wobei natürlich der Stechlin auch großartig ist. Jenny Treibel ist sehr sehr witzig. Überhaupt liebe ich an Fontane seinen Humor ganz besonders. Und weil der in Effi Briest so sparsam eingsetzt wird, mag ich dieses Buch von ihm auch gar nicht so sehr.

  • Ich haue mir grade einen Krimi rein. Das Wetter und die Umstände lassen mich nach etwas entspannder Lektüre verlangen...


    Marc Elsberg, Blackout


    Das Buch ist - für ein Genrebuch - ziemlich klasse. Thema ist ein großflächiger Stromausfall, der weite Teile Europas lahmlegt. Das ist keine Panne, wie sich herausstellt, sondern gezielte Sabotage, ein terroristischer Akt. Die Folgen eines solchen über mehrere Tage sich hinziehenden Ausfalls werden sehr realistisch beschrieben. Beklemmend realistisch. Bin ich froh, in einem Haus mit Kaminofen und mehreren Festmetern Holz im Garten zu leben... :-)

  • Blackout ist eine sehr gute Wahl :winken:
    Als ich das Buch gelesen hab gab es bei uns tatsächlich einen Stromausfall. Ich war da kurz in Panik. Seitdem haben wir immer genug Wasser im haus und andere Sachen die man braucht.

  • Es ist ein großartiges Buch, das dunkelste von Thomas Mann, aber mit tiefen Einblicken in Kunst, Welt und Seele. Mich beeindrucken auch die Dialoge, in denen vieles von dem deutlich wird, was die Menschen in Deutschland seinerzeit umtrieb. Das Buch geht für mich aber auch an Grenzen. Das Echo-Kapitel etwa kann ich kaum ertragen. Wie da die Zerstörung eines Kindes beschrieben wird, ist kaum auszuhalten.


    Neben der Lesefassung von Gert Westphal gibt es auch noch eine ausgezeichnete Hörspielfassung auf 10 CDs, die ich ebenfalls sehr empfehle.


    Ich habe "Doktor Faustus" zweimal gelesen. Ja, es ist großartig, es ist dunkel - und doch irgendwie nicht "rund" und daher in all seiner Größe misslungen. Es ist ein Buch, das den Leser überfordert - und ich wage die Behauptung, dass auch der Autor viele Passagen einfach von Schönberg und Adorno übernommen hat, ohne sie ganz zu verstehen. Das ist nicht wirklich dramatisch, führt aber dazu, dass das Werk belehrt und nicht auf Augenhöhe mit dem Leser operiert. Es ist ein reiches Buch, aber es schenkt dem Leser nichts - vor allem keine eigenen Gedanken bzw. die Möglichkeit, diese zu entwickeln. Dieses Werk ist permanent schlauer als der Leser, und in seiner Vollendung und Perfektion lässt es keinen Raum für Ergänzungen durch die eigene Phantasie oder Erfahrung - was zum Teil natürlich auch in der Wahl des Stoffs (Musik- und Musiktheorie) begründet ist.


    Das alles ist mir erst relativ spät bewusst geworden. Heute komme ich deshalb zu folgendem Resumée: "Doktor Faustus" ist in Bezug auf Gedankentiefe und philosophischen Gehalt ein großes Buch. Aber es ist ein Buch, das uns (als Leser) nicht braucht, weil sein kalter Glanz uns nicht erreicht und uns nicht mitstrahlen lässt. Es steht da um seiner selbst willen - ohne uns zu berühren. Das haben übrigens auch die Zeitgenossen nach dem Krieg so oder ähnlich empfunden. Die Ablehnung des Werks war vehement.


  • Warum warst du im Boykott??


    Das steht im Fontane-Ordner (Beitrag vom 14. August 2012). Hier ein Auszug: Nach der Fontane-Leserunde im vergangenen Jahr ("Unwiederbringlich") sowie nach der Lektüre von "Jenny Treibel" unmittelbar im Anschluss daran, habe ich beschlossen, von diesem Autor nichts mehr zu lesen. Die letztgenannten Romane sind von durchschaubarer Machart, das Personal eine Aneinanderreihung von Klischees, die viel gerühmten Dialoge werden irgendwann langweilig. "Effi Briest" und Teile des "Stechlins" möchte ich von dieser Kritik ausnehmen, denn mit diesen Büchern verbinde ich positive (vermutlich weil tiefer in der Vergangenheit liegende) Leseerlebnisse.


    Gottfried Benn schrieb 1949 über Fontane: "Dieser Autor war immer gegen mein Empfinden. … Er hat Sicherheit, Kontur und Überlegenheit, er wird mit seinem Thema fertig, er ist innerhalb der deutschen Romaninferiorität eine große Leuchte. … Aber das Pläsierliche, ein Präservativ der Moral, ... entzieht ihm den Rang." Fontane als Kleinmeister unter den mittelmäßigen Autoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Ich halte das für einigermaßen zutreffend.


  • Angeregt durch Eure Beiträge habe ich beschlossen, meinen Fontane-Boykott zu beenden. "Kinderjahre" ist heute eingetroffen und wird in Kürze meine Abendstunden füllen.


    Bei Fontane besteht im Moment anscheinend erhöhte Ansteckungsgefahr. :breitgrins:


    Ich habe jetzt die ersten fünf Kapitel der "Kinderjahre" gelesen und bereue es nicht, erstmals einen autobiographischen Text von Fontane zu lesen.


    Schmunzeln musste ich über die "Beweisführung" der verwandtschaftlichen Verbindungen nach Frankreich. Aber besonders schön finde ich bisher, mit welch zärtlicher Nachsicht Fontane seinen Vater und vor allem dessen Schwächen beschreibt.


    Gruß, Gina


  • Es ist ein Buch, das den Leser überfordert - und ich wage die Behauptung, dass auch der Autor viele Passagen einfach von Schönberg und Adorno übernommen hat, ohne sie ganz zu verstehen. Das ist nicht wirklich dramatisch, führt aber dazu, dass das Werk belehrt und nicht auf Augenhöhe mit dem Leser operiert. Es ist ein reiches Buch, aber es schenkt dem Leser nichts - vor allem keine eigenen Gedanken bzw. die Möglichkeit, diese zu entwickeln. Dieses Werk ist permanent schlauer als der Leser, und in seiner Vollendung und Perfektion lässt es keinen Raum für Ergänzungen durch die eigene Phantasie oder Erfahrung - was zum Teil natürlich auch in der Wahl des Stoffs (Musik- und Musiktheorie) begründet ist.


    Das alles ist mir erst relativ spät bewusst geworden. Heute komme ich deshalb zu folgendem Resumée: "Doktor Faustus" ist in Bezug auf Gedankentiefe und philosophischen Gehalt ein großes Buch. Aber es ist ein Buch, das uns (als Leser) nicht braucht, weil sein kalter Glanz uns nicht erreicht und uns nicht mitstrahlen lässt. Es steht da um seiner selbst willen - ohne uns zu berühren. Das haben übrigens auch die Zeitgenossen nach dem Krieg so oder ähnlich empfunden. Die Ablehnung des Werks war vehement.


    Allerdings, und das ist ein grundsätzliches Problem, wenn ein Genie über die Beschwerlichkeiten der Genialität schreibt.


    Das Verhältnis des Künstlers zur Welt ist ja ein immer wieder auftauchendes Thema bei Thomas Mann - und bei Hermann Hesse, worüber die beiden sich ja auch sehr tiefgehend austauschten. Es gehört allerdings auch zu meinen grundsätzlichen Einwänden. Es ist ein Thema, das seine Höhe aus der Absonderung gewinnt, einen beträchtlichen Teil der Leserschaft folglich nicht einbeziehen, sondern allenfalls belehren kann, wenn nicht gar ausschließen muss.

  • Hey, Sir Thomas und Gronauer,


    danke für Eure Gedanken zum Doktor Faustus. Die Kritik am Buch kann ich nicht ganz nachvollziehen. Das hat aber wahrscheinlich viel damit zu tun, dass ich grundsätzlich einfach gerne Bücher lese, bei denen ich den Eindruck habe, dass der Autor/die Autorin klüger ist als ich, von denen ich etwas lerne und kennenlerne, das ich vorher nicht kannte. Dass der Doktor Faustus dabei von einer gewissen Höhe zu mir herabkommt, stört mich also nicht. Als Musiker liegt mir das Thema allerdings auch näher als vielleicht manchem anderen Leser, manch anderer Leserin. Ich finde manche musikalischen Gedankengänge in diesem Buch endlos faszinierend, etwa die Frage nach der Musik der pennsylvanischen Siebenten-Tags-Baptisten.


    Gleichwohl habt Ihr natürlich recht mit der Empfindung der 'Kälte', die auch von diesem Buch - vielleicht aber mehr noch von der Hauptfigur, Adrian Leverkühn, ausgeht. Diese Kälte entspricht aber nicht nur der Hauptfigur, sondern auch seiner Musik, wie auch der Musik Schönbergs. Die gesamte Zwölftönerei ist und bleibt ja letztlich eine kalte Kunst, die den Hörer nicht braucht, ihn sogar oft überfordert oder sogar malträtiert. Es ist Musik gegen den Menschen, bis in die Physiologie hinein. Auch darin erweist sich der Roman also seinem Thema durchaus angemessen...


    Um dieses kalte Herz herum (für das Leverkühn sich die Genialität erkauft), werden aber doch Elemente der Warmherzigkeit angeordnet: der Freund Serenus Zeitblom, Frau Schweigestill, und nicht zuletzt der kleine Echo. Deren Wärme allerdings reicht nicht aus, um das kalte Zentrum des Romans zu erweichen.


  • ... Das hat aber wahrscheinlich viel damit zu tun, dass ich grundsätzlich einfach gerne Bücher lese, bei denen ich den Eindruck habe, dass der Autor/die Autorin klüger ist als ich ...


    Viele Autoren sind klüger als ich (das nehme ich zumindest an), was mich nicht im geringsten stört, denn im Idealfall "erklären" sie mir eine unbekannte Welt mit Schirm, Charme und Melone ... Wenn der Glanz eines Werks mich anstrahlt und wärmt, akzeptiere ich jede Form der "Belehrung" durch den Autor.

  • Lieber sandhofer!


    Ich fände es toll, wenn Du die letzten Beiträge in diesem Ordner (ich meine die zu "Doktor Faustus") abtrennen und in den Thomas Mann-Thread verschieben könntest.


    Vielen vorauseilenden Dank! (a bissl Süßholz muss sein, gell?)

  • Viele Autoren sind klüger als ich (das nehme ich zumindest an), was mich nicht im geringsten stört, denn im Idealfall "erklären" sie mir eine unbekannte Welt mit Schirm, Charme und Melone ... Wenn der Glanz eines Werks mich anstrahlt und wärmt, akzeptiere ich jede Form der "Belehrung" durch den Autor.


    Das geht mir so ähnlich. Ich wollte auch gar nicht speziell den Doktor Faustus kritisieren. Mir ging es um das grundsätzliche Problem, was geschieht, wenn der Künstler seinen Selbstbezug abbildet. Das gleiche Problem hatte ich mit Th. Manns Tonio Kröger; und wenn wir schon einmal Hesse erwähnt haben: dito beim Glasperlenspiel, bei Rosshalde, bei Klingsors letzter Sommer. Der Doktor Faustus treibt es dabei aber besonders weit, weil er neben der literarischen Selbstbeschäftigung zusätzlich auch noch äußerst exklusive musikalische Erörterungen bietet. Ich bin dabei durchaus nicht der Meinung, dass Mann da nur blind abgeschrieben habe. Es gibt von Th. Mann auch in einzelnen Erzählungen musikalische Details, die man eigentlich nur versteht, auch in ihrer Bedeutung für den Text, wenn man entweder ein absolutes Gehör hat oder sie an einem Instrument nachvollziehen kann. Kennt jemand die harmonische Progression im Höhepunkt von "Luischen"? Übrigens, wenn ich es recht bedenke, auch das "Luischen" enthält eine Facette des Künstler-Motivs, nur viel profaner.


    Ein Autor mag ja gerne klüger sein als ich; die meisten, die etwas taugen, sind es wohl auch. Recht glücklich werde ich trotzdem dann nicht, wenn sie sich mit sich selbst befassen - in der Romanform.

  • Vielleicht nur ein schwacher Trost: aber immerhin bietet TM im Doktor Faustus die Biographie des Protagonisten ja auch aus der Perspektive eines Menschen an, der an den entscheidenden Punkten den Freund ebenfalls nicht versteht, ihm nicht folgen und ihn nicht enträtseln kann. Statt eine Identifikation mit Leverkühn bietet er also eine Identifikation mit der unverstandenen und nicht verstehenden Liebe des Jugendfreundes an.


    Aber es hilft ja nichts. Wenn Euch das Buch nicht trifft, dann trifft es Euch nicht. Dagegen kann man nicht argumentieren, sondern nur empfinden. Mein Lieblingsbuch von TM ist es auch nicht, das wäre dann doch der Zauberberg, dicht gefolgt von den Buddenbrooks.

  • Ihr macht mir gerade richtig Lust auf Thomas Mann. Aber komischerweise nicht auf Doktor Faustus sondern auf den Zauberberg :breitgrins:


    Ich denke mal dass ich endlich in einem Alter angekommen bin um den Berg zu bezwingen. Zweimal bin ich schon gescheitert. Aber aller guten Dinge sind drei.


  • Ihr macht mir gerade richtig Lust auf Thomas Mann. Aber komischerweise nicht auf Doktor Faustus sondern auf den Zauberberg :breitgrins:


    Ich denke mal dass ich endlich in einem Alter angekommen bin um den Berg zu bezwingen. Zweimal bin ich schon gescheitert. Aber aller guten Dinge sind drei.


    Auf mich wirkt er wie eine Droge. Am Schluss wollte ich TB haben und ins Sanatorium Berghof übersiedeln. Allein die tägliche Liegekur sprach mich sehr an. :bang: