März 2004 - Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Zitat von "Hubert"

    Wilde hat neben seinen Theaterstücken und seinem Roman D.G. auch noch einige Erzählungen geschrieben, z.B. 'The Ghost of Canterville'.


    Nicht zu vergessen, sein wohl bestes Werk: Lord Arthur Saville's Crime.


    Zitat

    Mir persönlich am liebsten sind Wildes 'Aphorismen', in einem Insel-Taschenbuch erschienen


    Das nun wiederum irritiert mich. Ich besitze die HarperCollins Edition The Complete Works of Oscar Wilde von 1948 im Reprint von 1992. In der sind gerade mal 4 (eigentlich sogar nur 3) Seiten Aphorismen (A Few Maxims for the Instruction of the Over-Educated und Phrases and Philosophies for the Use of the Young) - der Rest Prosa, Dramen, Lyrik, Essays, theoretische Schriften. Ich nehme nicht an, dass der Insel-Verlag aus diesen 3-4 Seiten ein ganzes Buch macht. Lügt nun HarperCollins, wenn sie die Edition "Complete" nennen? Woher hat Insel seine Aphorismen?


    Zitat

    und ich denke in diesem Bereich war Wilde am stärksten.


    Wenn dem so ist, warum fehlt dies in meiner Edition?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    HarperCollins lügt wahrscheinlich nicht und doch kann es sein, dass in deiner Edition, Aphorismen fehlen, die im Insel-Taschenbuch enthalten sind, da Frank Thissen für die bei Insel zusammengestellten Aphorismen nicht nur Wildes Werke, sondern auch seine Briefe verwendete - und Briefe zählen bei Gesamteditionen meist nicht als Werke? Ich gebe mal einige Aphorismen wieder (allerdings aus dem Gedächtnis), dann kannst Du ja prüfen, ob was fehlt:


    „Erfahrung ist der Name, den die Menschen ihren Irrtümern geben.“


    „Wenn manche Leute mit mir übereinstimmen, habe ich immer das Gefühl, ich muß mich irren.“


    „In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte, und die andere ist, es zu bekommen.“


    „Ein Mann kann nie zu vorsichtig sein, in der Wahl seiner Feinde.“


    „Mit dem guten Geschmack ist es ganz einfach: Man nehme von allem nur das Beste.“


    „Eine Idee, die nicht gefährlich ist, verdient es nicht, eine Idee genannt zu werden.“


    „Gute Menschen reizen die Geduld, böse Menschen reizen die Phantasie“


    „Jeder Erfolg, den wir erzielen, verschafft uns einen Feind. Um beliebt zu sein, muß man ein unbedeutender Mensch sein.“


    Wahrscheinlich findest Du manche Zitate aber auch in den Werken verstreut, so stammt z.B. das folgende aus dem „Dorian Gray“:


    „Er kam prinzipiell zu spät, da sein Grundsatz lautete, Pünktlichkeit stehle einem die Zeit“:


    und mein Lieblings-Wilde-Zitat „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung“ findest Du möglicherweise nicht unter Aphorismen sondern im 1. Akt der Komödie „Lady Windemere’s Fan“, dort sagt Lord Darlington diesen Satz entschuldigend zur Lady.


    Durch die Vorarbeit von Frank Thissen spart man sich also dass Melodramatische und hat Wildes Geistesblitze auf einen Blick. Noch besser man hat beides: Die Werke im Bücherschrank und die Aphorismen quasi „als Nachtisch auf dem Nachttisch.“ :zwinker:


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert, hallo Sandhofer!


    Vielen Dank für eure Anregungen!
    Freut mich, dass du "The Importancy of Being Earnest" besser beurteilst als die anderen Komödien, Hubert. Ich komme nämlich gerade aus der Stadt heim - dreimal darfst du raten, mit welcher Errungenschaft! :zwinker:
    Ich hatte auch schon eine (deutschsprachige) Kurzbiographie in der Hand, aber 8,20 € waren mir für so ein dünnes Büchlein dann doch zu teuer. Vielleicht ein andermal ...
    Auch auf Wildes Erzählungen habt ihr mich sehr neugierig gemacht! :smile:


    Übrigens: Ich glaube, ich habe bei Amazon dieses Aphorismen-Buch gefunden. Ist es das hier? (Sorry, kann das mit dem Verlinken noch nicht)

    http://www.amazon.de/exec/obid…_10_2/302-7822903-1133601


    Wieviele Seiten es hat, ist leider nicht angegeben, aber mehr als 3-4 dürften es schon sein ...


    Zitat von "Hubert"

    PS: Die Unterstellung, den „Dorian Gray“ langweilig zu finden, hat mich doch etwas gekränkt.


    Tut mir ja so leid, bitte nicht böse sein! :knuddel:


    Herzliche Grüße,
    Bluebell


    EDIT: Jetzt haben sich unsere Beiträge überschnitten ...

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo Bluebell,


    Du hast gepostet:
    Übrigens: Ich glaube, ich habe bei Amazon dieses Aphorismen-Buch gefunden...... Wieviele Seiten es hat, ist leider nicht angegeben, aber mehr als 3-4 dürften es schon sein ...


    Ja, das ist es, ich habe es jetzt zwar nicht griffbereit, aber es hat sicher mehr als 100 Seiten.



    Hubert hat folgendes geschrieben::
    PS: Die Unterstellung, den „Dorian Gray“ langweilig zu finden, hat mich doch etwas gekränkt.


    Tut mir ja so leid, bitte nicht böse sein!


    Schon vergessen :knuddel:


    Herzliche Grüße,


    Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Schon das erste der von Dir angeführten Zitate findest sich nicht in den 3-4 Seiten aphoristischer Bemerkungen Wildes. Also wahrscheinlich aus einem Werk oder Brief. (Die Briefe sind übrigens tatsächlich in meiner Edition nicht enthalten.)


    Es gibt bei Insel 2 verschiedene Ausgaben von Aphorismen, eine als Grossdruck:


    http://www.suhrkamp.de/autoren/wilde/wilde_biblio.htm


    + Eine Edition bei diogenes:


    http://www.diogenes.ch/4DACTIO…her_index.html&ID=2012982


    + ???


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hubert: Schaust du mal einen Sprung in die Rubrik Lesevorschläge wegen Victor Hugo und "Die Elenden"? Es geht drum, ob jemand schon einen Vorschlag für einen eventuellen Starttermin hat.


    Bluebell :winken:

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  • Hallihallo ihr Lieben (was ist eigentlich mit Harald?),


    ich habe mich gestern durch die Reste des 11. Kapitels gequält - ich mag diese fast endlosen Aufzählungen überhaupt nicht. Das war wirklich sehr langweilig! Kapitel 14, das sandhofer genannt hatte, finde ich bisher eigentlich nicht unbedingt langweilig, aber da bin ich auch noch relativ am Anfang.


    Übrigens wollte ich schon vor einiger Zeit einen Satz von Lord Henry zitieren, der mich sehr beeindruckt hat: "Die Menschheit nimmt sich selbst zu ernst. Das ist die Ursünde der Welt. Wenn der Höhlenmensch das Lachen gekannt hätte, wäre die Geschichte anders verlaufen." (Kapitel 3).


    Ich überlege mir die ganze Zeit, ob das Bild, das ja eigentlich so etwas wie ein Jungbrunnen ist, grundsätzlich eine solch zerstörerische Wirkung hätte. Würden wir alle erdenkbar schrecklichen Taten begehen, wenn wir wüssten, dass dies keinerleich Auswirkung auf unseren Körper hätte? Rein äußerlich bleibt Dorian der hübsche Mensch, der er schon immer war. Interessant dabei finde ich auch, wie Oscar Wilde die Oberflächlichkeit der Menschen beschreibt: Sie denken von Dorian nur das beste, weil er so schön ist - diese Gedankengänge sind der "heutigen Menschheit" ja auch nicht so fern, oder?


    Liebe Grüße
    nimue

  • So ihr Lieben, ich habe es geschafft – gestern Abend habe ich den Dorian Gray fertig gelesen! :)
    Ich bin nach wie vor begeistert von dem Buch und es gehört zu denen, die ich im Laufe meines Lebens sicher mehr als einmal lesen werde.


    Über den Schluss möchte ich noch nichts sagen, weil ja noch nicht alle fertig sind. Aber ein paar Dinge gibt es trotzdem, die ich gerne jetzt schon mit euch diskutieren würde.


    Zuerst einmal: Das Bild „übernimmt“ sozusagen für den lebendigen Dorian Gray die Zeichen des Alterns und des Lasters, damit er optisch ewig ein unschuldiges Bürschchen von Anfang 20 bleiben kann. Wenn nun dieses Bild nicht existiert hätte: glaubt ihr, Dorian hätte nach 18 Jahren auf alle Fälle so ausgesehen, wie es ihm das Bild gezeigt hat? Oder hätte er, wenn die Zeit und die Sünde ihre Spuren direkt in seinem eigenen Gesicht und nicht in dem des Porträts hinterlassen hätten, vielleicht einen anderen Lebenswandel geführt und wäre gar nicht so hässlich geworden?
    Diese Frage beschäftigt mich sehr, aber ich habe bisher noch keine Antwort gefunden. Was denkt ihr, welche Variante hat Oscar Wilde gemeint?


    Die anderen Dinge, die ich euch fragen möchte, sind weniger essentiell. Erstens: Ist es nicht seltsam, dass niemand ernsthaften Verdacht schöpft, wenn Dorian mit knappen 40 noch immer so aussieht wie Anfang 20? Bei der Szene nach der Opium-Spelunke, nachdem er vor James Vane geflohen ist und dieser sich noch mit diesem einen Mädchen aus der Bar unterhält, sagt sie zwar etwas in der Art wie: „Es wird gemunkelt, dass er seine Seele für ewige Jugend dem Teufel verkauft hat.“ Aber sehr intensiv können sich diese Gerüchte noch nicht verbreitet haben, sonst hätte ihn doch schon jemand darauf angesprochen! Das finde ich besonders seltsam, dass aus seinem engsten Bekanntenkreis, mit dem er sich tagtäglich umgibt, noch niemand auf die Idee gekommen ist, dass etwas mit ihm nicht stimmen könnte.
    Und noch eines ist mir nicht ganz klar: von welchem „Club“ ist da die ganze Zeit die Rede? Oscar Wilde schreibt mit einer derartigen Selbstverständlichkeit über diesen Club, in dem die vornehmen Herrschaften ihre Abende zu verbringen pflegen, dass ich davon ausgehe, solche Einrichtungen waren zu seiner Zeit gang und gebe. Aber worum hat es sich dabei eigentlich gehandelt?


    Danke schon mal für eure Antworten. Und dem Rest wünsche ich noch viel Spaß beim Weiterlesen!


    Bye bye
    Bluebell


    EDIT: Hoppla, ich habe meinen Beitrag offline vorbereitet und dann direkt ins Forum eingetragen. Jetzt habe ich gar nicht gesehen, dass Nimue eine ähnliche Frage über die zerstörerische Wirkung des Bildes gestellt hat wie ich. Also, ihr Experten, lasst und nicht dumm sterben! ;)

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  • Hallo zusammen!


    Wenn ich mich als Nicht-Mit-Leser äussern darf:


    Zitat von "Bluebell"

    Zuerst einmal: Das Bild ?übernimmt? sozusagen für den lebendigen Dorian Gray die Zeichen des Alterns und des Lasters, damit er optisch ewig ein unschuldiges Bürschchen von Anfang 20 bleiben kann. Wenn nun dieses Bild nicht existiert hätte: glaubt ihr, Dorian hätte nach 18 Jahren auf alle Fälle so ausgesehen, wie es ihm das Bild gezeigt hat?

    Diese Frage lässt sich m.M. nicht beantworten. Es wäre - so oder so - eine andere Geschichte ...


    Zitat

    Was denkt ihr, welche Variante hat Oscar Wilde gemeint?

    Die, die er geschrieben hat.


    Zitat

    Ist es nicht seltsam, dass niemand ernsthaften Verdacht schöpft, wenn Dorian mit knappen 40 noch immer so aussieht wie Anfang 20? [...] ?Es wird gemunkelt, dass er seine Seele für ewige Jugend dem Teufel verkauft hat.? Aber sehr intensiv können sich diese Gerüchte noch nicht verbreitet haben, sonst hätte ihn doch schon jemand darauf angesprochen! Das finde ich besonders seltsam, dass aus seinem engsten Bekanntenkreis, mit dem er sich tagtäglich umgibt, noch niemand auf die Idee gekommen ist, dass etwas mit ihm nicht stimmen könnte.

    Schaust Du Deine Bekannten und Freunde täglich daraufhin an, ob sie nun älter geworden sind, ob das Rauchen seine Spuren in ihrem Teint oder an ihren Fingern hinterlässt? Ich jedenfalls erkenne Veränderungen erst, wenn ich alte Fotos mit den vor mir Stehenden vergleiche ...


    Zitat

    Und noch eines ist mir nicht ganz klar: von welchem 'Club' ist da die ganze Zeit die Rede? Oscar Wilde schreibt mit einer derartigen Selbstverständlichkeit über diesen Club, in dem die vornehmen Herrschaften ihre Abende zu verbringen pflegen, dass ich davon ausgehe, solche Einrichtungen waren zu seiner Zeit gang und gebe. Aber worum hat es sich dabei eigentlich gehandelt?

    Genau um das: einen Ort, wo sich die vornehmen Herrschaften gemeinsam des Abends langweilten. Eine typische Erfindung der englischen Upper Class. Man kriegt Essen und Getränke, Zeitungen, Kartenspiele etc. etc. Allerdings nur als Mitglied oder eingeladener Gast. Manche Clubs sind / waren äusserst exklusiv.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallihallo Bluebell,


    ich habe nun noch 20 Seiten vor mir, die ich heute noch lesen werde (vermutlich in der Mittagspause).


    Irgendwie muss ich zugeben, dass ich mich zwischendurch doch etwas gelangweilt habe. Diese ewigen, dekadenten Gespräche, dieser Small-Talk, gingen mir doch sehr auf die Nerven. Natürlich weiß ich, dass Wilde dies beabsichtigt hat - nicht umsonst wird der Roman als "Dekadenzroman" bezeichnet.


    Faszinierend finde ich ja immer wieder Dorians Reaktionen. Einerseits zieht ihn die Wirkung des Bildes völlig in den Bann, andererseits meldet sich doch auch hin und wieder sein Gewissen. Als er seinen Mord an Basil begeht, hasst er ihn einerseits, andererseits denkt er, dass Basil doch ein armer Mensch war, dass er so sterben musste. Dann wiederum ekelt er sich vor sich selbst.


    Zitat von "Bluebell"

    Ist es nicht seltsam, dass niemand ernsthaften Verdacht schöpft, wenn Dorian mit knappen 40 noch immer so aussieht wie Anfang 20?


    Das hat mich auch irritiert, aber sandhofers Argument ist nicht von der Hand zu weisen.


    Erschreckend finde ich immer wieder, dass im Buch Schönheit von vielen gleichgesetzt wird mit einem "Charakterengel" - mit Ausnahme von Lord Henry "wissen" alle, dass jemand, der so schön anzusehen ist, auch eine reine Seele haben muss. Lord Henry jedoch sagt wenigstens, dass es immer besser ist, schön zu sein als gut zu sein.


    Liebe Grüße
    nimue

  • Halihallo (nimue, das gefällt mir so) :winken:


    Ich kann mich dem Zauber von Wildes Dorian Gray auch nicht entziehen, hab gerade wieder danach gegriffen, denn es hilft, sich den Sinn der (literarischen) Kunst neu klarzumachen.


    Obwohl Wilde im Vorwort die Kunst per se unnütz nennt, wieder so ein Paradox von Wilde, zeigt gerade er auf, wie wichtig und sinnvoll die Kunst im allgemeinen ist.


    Der Gedanke, dass Worte wie Musik bezaubern und darüber hinaus gehen in seiner gezielteren Wirkung, finde ich faszinierend und tröstlich.


    Bye, Evelyne

  • Es tut mir Leid, dass ich nun so mitten in diese Diskussion hineinspringe, aber nach der Erschütterung, dass Dorian Gray schon gelesen wurde, ergriff mich alsbald die Hoffnung, bei der nächsten Buchbesprechung teilzunehmen. Ich würde gerne wissen, was denn als nächstes zum gemeinsammen Lesen und Besprechen freigegeben ist. In Erwartung auf eine baldige Antwort, danke ich im Voraus und freue mich schon sehr auf das, was da kommen mag.

    John fragt ihn: "Did you come?"
    <br />&quot;No&quot;, antwortet der Alte.
    <br />John fragt ihn: &quot;Did she come?&quot;...

  • Hallo Hyperion!


    Du hast ja offenbar die Rubrik "Lesevorschläge" selber gefunden. Welche Lesevorschläge wann in die Leserunden-Tat umgesetzt werden, hängt halt in jedem Fall von vielen verschiedenen Faktoren wie Zeit und Lust der Gemeldeten ab.


    Ich gehe mal davon aus, dass sich "Ivanhoe" von Walter Scott Anfang April und eine zweite Runde zur "Divina Commedia" im Spätsommer realisieren werden. Das sind die Leserunden, die ich selber angeregt habe. Für die anderen, wo ich weder Anreger noch Teilnehmer bin, kann ich leider nicht antworten.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Leute :zwinker:


    Ich hoffe, dass wir noch etwas bei Wildes Bildnis des Dorian Gray verweilen.


    Gerade jetzt, wo es fast alle gelesen haben (was die anderen schnell nachholen können, soo lange ist es nun wirklich nicht, fast eine übergrosse Novelle), können wir doch etwas tiefer in die Materie eindringen.


    Wilde nannte dieses Werk sehr persönlich motiviert. Man kann also davon ausgehen, dass Wilde selbst die unsichtbare Mitte des Romans darstellt.


    Wilde identifizierte sich mit dem Maler Basil Hallward, der SEINE Seele in das (novellistisch) zentrale Bildnis gelegt hat, d.h. Oscar Wilde = Basil Hallward = der Künstler im weiten Sinne.


    Der Maler ist denn auch Bindeglied zwischen SEINEN Freunden Harry Henry und Dorian Gray, welche die beiden prinzipiell konträren Seiten des Künstlers Basil Hallward bzw. Oscar Wilde darstellen (das allgegenwärtige Grundmotiv "zwei Seelen in einer Brust").


    Harry Henry ist die offizielle Seite von Oscar Wilde, das, was die Leute von ihm halten, der Freund des Malers, in dessen Bilder er nur reine Ästhetik und den Verkaufserlös sieht, derjenige, der die Kunst als nutzlose Effekthascherei betrachtet, die berechnende, herabsetzende, zerstörerische, kritische Seite des Künstlers Hallward bzw. Wilde.


    Dorian Gray dagegen ist die idealistische Seite des Künstlers Hallward bzw. Wilde, der künstlerische Trieb nach Erfüllung und Inspiration, der ewig unerfüllte Wunsch, die Jugendfrische der ständig wiedergeborenen Inspiration, der Sinn für Kunst auch in den Tiefen der menschlichen Abgründe, die ständig von der Kritik und dem Bösen bedrohten, verfälschten und verbrämten, eigentlich in sich wahren, reinen Inspiration des Künstlers Hallward bzw. Wilde.


    Mit dem Tod des Malers muss auch dessen Inspiration (Dorian Gray) sterben. Oder umgekehrt: Mit dem Seelenverlust der Inspiration (Dorian Gray) verliert der Künstler seine wahre Künstlernatur, die abstirbt.
    Oder noch anders: Mit dem Tod des Künstlers und dessen Inspiration kann sein Werk fortbestehen für die Nachwelt.


    Könnt Ihr damit etwas anfangen?


    Bye, Evelyne

  • Hallo Evelyne,


    Zitat von "Evelyne Marti"

    Ich hoffe, dass wir noch etwas bei Wildes Bildnis des Dorian Gray verweilen.


    Sehr gerne, obwohl ich zugeben muss, dass mir momentan so ein bißchen die Munition für eine Diskussion fehlt. Dorian Gray hat mich anfangs sehr mitgerissen, aber die Leselust ließ ab der Mitte etwas nach. Mit Dekadenz und Oberflächlichkeit konnte ich noch nie so viel anfangen und Oscar Wilde führt sie in seinem Buch zur Perfektion.


    Deine Gedanken zu den Hauptfiguren und Oscar Wildes Identifizierung mit ihnen fand ich sehr interessant. Umso interessanter, was für ein doch schlichtes Ende Basil Hallward gefunden hat. Er wurde zwar von seinem "Kunstwerk" ermordet, doch dies scheinbar ohne vernünftigen Grund (Dorian fühlte plötzlich einen unbändigen Hass auf den Künstler und hat ihm deshalb ein Messer in den Hals gerammt...hm...fand ich etwas unbefriedigend...).


    Dass einzig Lord Henry überlebt, also die Person, die die Leser in Wilde sehen...was will er uns damit sagen? Will er uns dann überhaupt etwas damit sagen?


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hi nimue :zwinker:


    Wenn man in Dorian Gray die Verkörperung der bekanntlich unzuverlässigen Inspiration sieht, dann werden dessen triebhafte Launen begreiflicher.


    Und es "muss" folgerichtig eine Laune des Hasses sein, was Dorian Gray (das ES des Künstlers) zum Mord an Basil Hallward (dem ICH des Künstlers) treibt.


    Dieser Selbst-(Dorian Gray)-Hass des Künstlers (Basil Hallward bzw. Oscar Wilde) ist bei vielen Künstlern anzutreffen.


    Es gibt unzählige Schriftsteller, die ihre inspirierten und selbst bald als dekadent empfundenen Werke zerreissen.


    Und Maler, die ihre Bilder zerstören, sind schon fast die Regel.
    Basil Hallward wollte mit besagtem Messer zuerst selbst das Bildnis zerschneiden, als Dorian Gray anfänglich so eifersüchtig darauf reagierte.


    Und dass die schliesslich zur dekadenten Hülle gewordene Inspiration (Dorian Gray) einen Künstler zu Selbstverstümmelung (Ohr) oder Selbstmord treibt, ist auch nicht gerade selten.


    Dass gerade Harry Henry als Sinnbild der Dekadenz überlebt hat, ist sogar höchst tiefsinnig. Denn was geschieht heute mit den berühmten Werken der alten Meister? Harry Henry war von Anfang an darauf erpicht, das Bildnis auszustellen und zu verkaufen, es der Eitelkeit der Welt hinzugeben. Und das ist es, was den Künstler überlebt.


    Eine Diskussion muss es ja nicht geben, ein nettes Gespräch würde mir durchaus bekommen! :eis:


    Bye, Evelyne

  • Hallo zusammen,


    ich wäre auch gerne dazu bereit, noch über das Buch zu diskutieren (oder ein nettes Gespräch am Laufen zu halten :zwinker: )!


    @Evelyn: deine Interpretationen finde ich sehr interessant. Ich glaube, ich habe mir während des Lesens die Symbolik der drei Hauptdarsteller zu wenig vor Augen gehalten. Jetzt im Nachhinein muss ich schon schlucken, wenn ich daran denke, dass ausgerechnet Lord Henry überlebt hat. Aber du hast recht, die Aussage dahinter ist natürlich alles andere als an den Haaren herbeigezogen.


    Suse: die vor aristokratischer Dekadenz nur so strotzende Atmosphäre hat mir gegen Ende des Buches auch schon zugesetzt. Allerdings hat das meine Leselust nicht so beeinträchtigt wie deine (so habe ich es zumindest verstanden!?), sondern es ist mir einfach nahe gegangen, mit welcher Gleichgültigkeit und teilweise Verachtung die "feine Gesellschaft" auf die niederen Klassen blickt. So, als fließe in deren Adern tatsächlich minderwertiges Blut! :entsetzt:
    Gestört hätte mich nur, wenn diese Dekadenz im Roman beschönigt oder gar idealisiert worden wäre. Diesen Eindruck hatte ich aber ganz und gar nicht - meiner Meinung nach hat Oscar Wilde dieses Gehabe zwar nicht offen verurteilt, aber seine subtilen und zynischen Seitenhiebe sprechen Bände und erreichen ihr Ziel vielleicht sogar eher als eine moralische Anprangerung.
    Dass die Leute Dorian aufgrund seiner Schönheit automatisch auch für einen guten Menschen gehalten haben, hat mich nicht weiter überrascht. Ihr habt doch bestimmt auch schon von diesen psychologischen Studien aus den 80er Jahren gehört, wonach schöne Menschen vor Gericht deutlich seltener verurteilt werden als unattraktive. Soviel zur blinden Justitia ... :rollen:
    Übrigens habt ihr Recht mit eurem Argument, dass einem langsame Veränderungen (wie das Altern) an einem Menschen, mit dem man häufig zusammen ist, nicht so auffallen. Dass es mir nicht auffallen würde, wenn mein Vater heute noch so aussehen würde wie vor 18 Jahren, kann ich mir zwar trotzdem nicht vorstellen :breitgrins: aber ein wenig glaubwürdiger kommt mir die Angelegenheit jetzt trotzdem vor.


    Am Wochenende möchte ich gerne "The Importance of Being Earnest" lesen. Mir steht mal wieder der Sinn nach einer Komödie! :zwinker: Außerdem soll dieses Stück ja eine ziemlich gelungene Satire auf eben diese Gesellschaftsschicht sein, deren heutiges Äquivalent wahrscheinlich die Seitenblicke-Bussibussi-Society ist (kennt jemand von euch die Seitenblicke? Täglich um 20 Uhr auf ORF 2). :breitgrins:


    Was ist eigentlich mit Harald?


    Salut,
    Bluebell

    &quot;Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve.&quot;

  • Halihallo


    Zitat

    Dass einzig Lord Henry überlebt, also die Person, die die Leser in Wilde sehen...was will er uns damit sagen? Will er uns dann überhaupt etwas damit sagen?


    :elch: lol :elch:
    :bang: :bang: :bang: :bang:


    Liebe Grüße


    Lolly

  • Hi Lolly :eis:


    Lord Henry repräsentiert das, was bereits der weise König Salomon (Buch Prediger in der Bibel) erkannte:


    "Es ist alles eitel und ein Haschen nach Wind".


    So wie das Bildnis letztendlich in der verstaubten Abstellkammer endet, wird alles Leben wieder zu Staub.


    "aus Staub bist du geworden und Staub sollst du werden"


    Und da dieser Zustand kein absehbares Ende erfährt, war es ganz sinnvoll, Lord Henry überleben zu lassen.


    Bye, Evelyne

  • Hallo.


    Um es mal ganz emotional auszudrücken: Ich liebe dieses Buch.
    Die Betrachtung der allgemeinen Psychologie in diesem Buch war für mich unglaublich interessant.


    Die Aspekte der Eitelkeit, Arroganz, Selbstzerstörung etc. wirkten auf mich faszinierend. Und sie tun es immer noch.
    Der Prozess des Alterns wird so klar und ich bin froh eben das so früh erkannt zu haben.
    Wie sagte Lord Henry doch so schön: "Jugend! Es gibt nichts in der Welt außer Jugend!"


    Ich nehme an, das ist nun völlig aus dem Zusammenhang gerissen, aber ich wollte meine Meinung zu dem Buch gerne loswerden.


    Liebe Grüße,
    Sandra