Alexander Kielland: Schnee

  • Hier findet eine Minileserunde zu "Schnee" von Alexander Kielland statt.

    Teilnehmer sind bisher nur Leseigel und ich; weitere sind willkommen.


    Der Text ist hier zu finden: Alexander Lange Kielland: Schnee

    Biografie de Autors: hier bei Wikipedia . Lebensdaten: geboren 1849 in Stavanger (wo ein Denkmal für ihn errichtet wurde), verstorben 1906 in Bergen.

    Ausschnitt:

    Alexander Lange Kielland gehörte zu den Autoren des Modernen Durchbruchs in Skandinavien, die sich dem konsequenten Realismus verschrieben hatten. Wie seine literarischen Mitstreiter setzte er sich sozialkritisch mit den Klassenunterschieden der damaligen Gesellschaft auseinander. Hauptangriffspunkte seiner Kritik, die er mittels scharfer Kontraste und typisierender Personendarstellungen zum Ausdruck brachte, waren das Schulwesen, die Heuchelei in Kirche und Bürgertum, vor allem jedoch die Kluft zwischen arm und reich.

    Schon zu seinen Lebzeiten zählte Kielland zu den sogenannten „Großen Vier“ der norwegischen Literatur des 19. Jahrhunderts – neben Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson und Jonas Lie.


    Seltsamerweise liegt der Roman bei Gutenberg doppelt vor, einmal der ganze Text auf einer Seite und dann ein zweites Mal in kurze Kapitel unterteilt. Nicht davon täuschen lassen, es handelt sich wirklich um einen sehr kurzen "Roman".


    Ich schlage vor, dass wir immer zwei Kapitel lesen (es sind insgesamt elf) und dann jeweils aufeinander warten. Ist das okay, Leseigel ?

    Ich gebe dann mal hiermit den Startschuss.

  • Danke, dass du den neuen Thread eröffnet hast, Zefira. Sieht einladend aus, ich nehme an, dass es Leser gibt die, so wie ich, von diesem Schriftsteller noch nie was gehört haben.


    Zwei Kapitel pro mal ist okay für mich. Ich würde sagen erstmal eine Woche für die ersten zwei, wenn die Zeit zu lang oder zu kurz ist, kann man sie immer ändern.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Das erste Kapitel legt den Schauplatz fest. Wir befinden uns in einer provinziellen Umgebung, die Landschaft ist verschneit und die Menschen rücken in den Häusern zusammen und bleiben unter sich.

    Neuigkeiten werden durch die Zeitung mitgeteilt sowie beim Kirchgang. Weder Zeitung noch Pfarrer ermutigen die Menschen in irgendeiner Form, den ihnen zugewiesenen Platz verlassen zu wollen. Im Gegenteil, was man da zu hören bekommt, wie es in der Welt zugeht - um es auf Neudeutsch zu sagen - törnt eher ab.

  • @Zefira- Danke für die gute Zusammenfassung des ersten Kapitels. Ich kann gern Kapitel zwei übernehmen. Mein Zweifel ist nur immer nicht zu viele Spoiler in die Beiträge mithereinbringen.


    Mir sind in diesem ersten Kapitel einige Sachen, aufgefallen.

    Erstens, wie der Schnee beschrieben wird, der ja die Atmosphäre für die Geschichte setzt. Mein weiss ja noch gar nicht, was passieren wird, aber ich glaube, das ist die schönste Schneebeschreibung, die ich je gelesen habe. Sie erinnert an die Beschreibung von Dickens, eines seiner Einflüsse vom londoner Nebel.


    Was einem auch auffällt, sind die starke Gegensätze der Beschreibung: die Kälte draussen im Kontrast mit dem warmen Ofen. Was sich auch auf das moralische Auswirkt: die "böse" Aussenwelt voller Versuchungen und die heimelige und wohl auch "gute" kleine Stadt, deren moralisches Zentrum das Pfarrhaus bildet.


    Die Zeitung bildet anscheinend die Brücke zwischen diesen zwei Welten.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Zitat

    Ich kann gern Kapitel zwei übernehmen. Mein Zweifel ist nur immer nicht zu viele Spoiler in die Beiträge mithereinbringen.

    Ich hatte diese Frage hier auch schon mal und dann festgestellt, dass man In dieser Beziehung hier sehr entspannt ist, wir sind ja nicht in einem Krimiforum. Du kannst gern Inhalte aus dem Buch im Forum wiedergeben.

  • Fein Zefira und danke für die Auskunft. Dann mache ich mich mal an Kapitel 2.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Weiter mit "Schnee". Im zweiten Kapitel lernt man dann Pfarrer Daniel Jürges und einige andere Figuren kennen und es bildet sich auch der erste Anlass zu einer Spannung.


    Dieser Anlass ist banal genug: der Pfarrer möchte einen baufälligen Schuppen, der direkt gegenüber vom Pffarhaus steht, in Ordnung bringen lassen. Dazu müssen im nahen Wald einige Bäume gefällt werden, damit der Schuppen neu aufgestützt werde.


    Pfarrer Jürges hat es eilig. Er will dafür sorgen, dass die nötigen Bäume schnell gefällt werden. Die Bauern sollen dann für den Transport der Balken zum Schuppen zuständig sein.


    Das klingt einfach genug, aber Daniel Jürges weiss und bedenkt nicht, dass beim Bäumefällen in dieser Gemeinde gewisse Traditionen ins Spiel gesetzt werden. Die Geschichten aus früheren Zeiten, die man ihm erzählen will, sind ihm zu lang und umständlich.


    Die Bauern ihrerseits finden, dass der Pfarrer, der doch ein gelehrter Mann ist, ihre Traditionen kennen und danach handeln müsste.


    So landet die ganze Geschichte in einer Sackgasse: Die nötigen Bäume werden zwar gefällt, aber nicht transportiert. Sie werden nicht im Einklang mit den Regeln der Gemeinde gefällt, von denen der Pfarrer nichts weiss, und deshalb wollen die Bauern sie auch nicht transportieren. Der Pfarrer seinerseits weigert sich, die Bäume noch einmal an der vorgeschriebenen Stelle fällen zu lassen.


    Und bei diesem Hin und Her gibt es bald keinen Schnee mehr, um den Weg zu glätten und den Transport zu erleichtern...


    Und, was schlimmer ist: der Pfarrer steht seiner Gemeinde als Fremder gegenüber. Ich bin ja gespannt, wie das Ganze weitergeht. Es fallen mir mehrere Geschichten ein, wo es erst um eine Kleinigkeit ging und dann etwas viel Grösseres daraus wurde

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

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  • Das dritte Kapitel führt in die Persönlichkeit des Pfarrers ein. Ein offenbar weltgewandter, gut aussehender Mann, dem "als Sohn eines hochstehenden Geistlichen" eine Karriere in der Hauptstadt offensteht. Statt dessen lässt er sich aufs Land versetzen - "ihm gefiel die neue Auffassung des Volkes gut".

    Allerdings scheint er auch von einer gewissen Hybris geplagt zu sein, wenn er etwa denkt, dass er unbedingt einer Rezension über ein viel beachtetes neues Buch an die Zeitung schicken müsse, denn "schwieg er jetzt, dann mochten die literarischen Begriffe vieler Menschen - vornehmlich unter der Jugend - sich verwirren". Vornehmer Gedanke, in einer abgelegenen Bauernkate sitzend der Erzieher der Nation werden zu wollen!

    Nachdem er nun festgestellt hat, dass aus ihm "ein vertrockneter bäurischer Pfarrer" zu werden droht und er sich nicht länger erlauben kann, so zurückgezogen zu leben, meldet er sich zum Dienst in einer großen, weiter südlich gelegenen Pfarre an, wo ihm nun prompt das Missgeschick mit dem geschlagenen und nicht abtransportierten Bauholz passiert.
    Ich weiß noch nicht recht, ob er mir sympathisch ist oder nicht. Dass die Eitelkeit seine "Schoßsünde" ist - ich habe das Wort nachgeschlagen, es bedeutet offenbar so etwas wie Lieblingssünde - scheint mir sehr wahr gesprochen.

  • Nein, gar nicht Zefira, ich wollte nur nicht zu eilig sein. I lese fleissig weiter, und hatte mich darauf vorbereitet meine Antwort morgen zu posten.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Ich hatte ja darauf gewartet, dass die Situation mit den gefällten und untransportierten Bäumen irgend wann mal wieder aufgenommen wird aber das vierte Kapitel ist eine direkte Fortsetzung des Vierten.


    In den vorangehenden Kapiteln erfährt man, das Daniel Jürges seine Eitelkeit, ein gewandter und glänzender Pfarrer zu sein, dadurch bekämpft, dass er sich um bescheidene, ländliche Pfarren bewirbt, wo diese Eigenschaften gar nicht auffallen.


    Wie aber Zefira oben schreibt, stört es ihn sehr, wie er merken muss, als er einen Artikel nach Christiania (heute Oslo) schickt, dass er sich von der dortigen Gesellschaft, (die sein eigentlicher Masstab ist), distanziert.


    Er sucht sich auch sofort ein neues Amt mehr im Süden. Auf dem Weg dahin, verbringt er ein paar Tage in der Hauptstadt und besucht seine alten Beziehungen. Er wird ein regelmässiger Mitarbeiter der Zeitung und seine Artikel werden vortan an ehrenvoller Stelle abgedruckt. Wer wissen möchte, wie der Mann denkt hier zitiere ich den Anfang eines Artikels: "

    »Die Durchführung des Prinzips der Volkssouveränität im Staate würde daher dasselbe sein, wie die Absetzung, ja die Vernichtung des

    Christentums als das moralische Prinzip des sozialen Lebens. Die furchtsameren Seelen diskutieren die Entthronung des Christentums unter

    mancherlei Einschränkungen, Umschweifen und Phrasen; die vorgeschritteneren Geister sprechen ihm la mort sans phrase zu. Der Kampf

    wird nämlich nur anscheinend zwischen den Radikalen und der Regierung geführt; der Schlag ist aber in Wirklichkeit gegen Gott gerichtet,

    von dem alle Obrigkeit ist – es ist ein Kampf gegen Gott.«. In:

    https://www.projekt-gutenberg.…elland/schnee/schnee.html"


    Sehr wichtig in diesem vierten Kapitel ist auch, dass man einen näheren Einblick in Jürges Familienbeziehungen bekommt, vor allem, was seine Ehe betrifft.


    Die in ihrer Jugend als schönes und talentiertes Mädchen bekannte Wilhelmine ist nach vierzehn Jahren und acht Wochenbetten, von denen nur drei Kinder überlebten, zu einer verblühten und zurückgehaltenen Frau zusammengeschrumpft, die ganz im Schatten ihres Mannes steht, und eine unglückliche Ehe führt.


    Daniel Jürges hat so wenig Einfühlung für seine Frau, wie er für seine Gemeinde hat. Seine Eitelkeit hat offenbach eine andere Richtung gefunden. Er fühlt sich der Frau überlegen, die einst die begerteste Partie von Cristiania war, und die sozusagen in seinem Dienst eingegangen ist und heutzutage nur noch Freude an sehr häuslichen Dingen hat, eine Freude, die er nicht teilt.


    Die beiden Töchter haben inzwischen geheiratet. Der Sohn studiert Theologie in Christiania.

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    3 Mal editiert, zuletzt von Leseigel ()

  • Hallo Leseigel !


    Ich lese ja nur am Rande mit, mir sind aber jetzt doch zwei Dinge aufgefallen:


    das vierte Kapitel ist eine direkte Fortsetzung des Vierten.

    Das klingt irgendwie nach einem Zirkel ...


    Und auf dieses hier:



    von dem alle Obrigkeit ist – es ist ein Kampf gegen Gott.«. In:

    file:///C:/Users/Dante/Downloads/Schnee-Alexander Kielland.html"

    haben wir wohl keinen Zugriff. ;)


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Danke, sandhofer, schon bearbeitet.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

    Einmal editiert, zuletzt von Leseigel ()

  • Kapitel 4 hat mich nicht wenig geärgert, was Jürges' Verhältnis zu seiner Frau betrifft. Auch wenn Kielland als Autor keine eigene Meinung äußert, schimmert doch deutlich durch, dass seine Frau, die körperlich zart war und künstlerische Interessen hatte, durch die Anforderungen der Ehe buchstäblich gebrochen wurde; sogar ihre alten Freundinnen erkennen sie nicht wieder. Dass er ihr auch noch vorwirft, sie habe kein Verständnis für ihn, schlägt dem Fass den Boden aus.


    Kapitel 5 besteht aus einem Brief des Sohnes Johannes an seinen Vater: Er zeigt seine Verlobung mit einem "jungen und lieblichen Weib" an, der Tochter einer wohlhabenden und geachteten Familie. Wenn er sie wirklich heiraten kann, macht er eine glänzende Partie. Doch es sind einige Schwierigkeiten zu überwinden, vor allem gibt es einige Freigeister in der Familie, die es "als eine Art milden Blödsinns" ansehen, gläubig zu sein, und leider ist auch Johannes' Braut von diesem "modernen Unwesen" nicht ganz unberührt.

    Leider hat sie ihm das Versprechen abverlangt, dass er nicht Priester wird - und er hat es ihr im Überschwang seiner Werbung zugesagt, obwohl er jetzt gern davon abrücken möchte ... So ehrerbietig der Brief formuliert ist, so scheint doch deutlich durch, dass Johannes von der gleichen Selbstgerechtigkeit durchdrungen ist wie sein Papa. Er wird seine Braut schon dazu bringen, seine Denkweise anzunehmen, wenn man ihn nur lässt und der Papa ihm mit Rat zur Seite steht. Hm.

  • Ich bin (wahrscheinlich) ab Mi oder Do nächster Woche für ca. 14 Tage unterwegs, werde zwar zeitweilig online sein, aber wohl nicht die Muße haben, hier wie gewohnt zu posten. Wollen wir vorher fertig werden? Meiner Meinung nach ist das zu schaffen ... Wir können aber auch gern bis Ende August aussetzen, wenn das besser passt.

  • Mit Kapitel 4 hast du völlig Recht, aber ich denke der Autor ärgert sich auch.

    Ich habe die Geschichte schon ganz gelesen und habe da einen Vorschlag. Ich schreibe morgen über Kapitel 6 (Antwort des Vaters) und 7 (Ankunft von Johannes und seiner Braut) und du schreibst dann vor deiner Reise über wie viele Kapitel du möchtest. Ich kann die Geschichte dann beenden oder wir warten, bis du wieder mehr Zeit hast.

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  • Zitat

    Ich habe die Geschichte schon ganz gelesen

    Dann kann ich ja jetzt zugeben, dass ich sie auch schon ganz gelesen habe. :D:D:D

    Machen wir es so. Du übernimmst die nächsten beiden Kapitel und ich den Rest am Wochenende. Dann haben wir noch ein paar Tage Zeit, ein Fazit zu ziehen.

  • Ok, Zefira, machen wir.

    ^^. Ich wollte aber nicht mit der Tür ins Haus fallen, nachdem ich ein Kapitel pro Woche vorgeschlagen hatte. Man kennt sich ja noch nicht.

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  • Im 6. Kapitel beantwortet Pfarrer Jürges den Brief seines Sohnes. Er verbirgt nicht seine Freude darüber, dass sein Sohn sich eine Braut aus angesehener und reicher Familie nimmt. Er sieht es gewissermassen als eine Belohnung an, dass dem Sohne alle Schätze beschert werden sollen, denen er selbst entsagt hat. Was dann aber auch wieder zeigt, dass seine Werte im Wesentlichen dieselben geblieben sind.

    Natürlich bleibt da weiter das kleine Problem, dass das Mädchen dem Theologiestudent das Versprechen abgenommen hat, nicht Pfarrer zu werden. Daniel Jürges rät dem Sohn der Sache erstmal aus dem Weg zu gehen und sein Mädchen zu Ostern in die Pfarre zu Besuch zu bringen.


    Das 7. Kapitel findet dann auch Johannes und Gabriele (so heisst das Mädchen) auf dem Weg zur Pfarre. Interessant ist, wie gleich in diesem ersten Moment gezeigt wird, wie beide zwar nebeneinander im Schlitten sitzen, aber getrennt ihre eigenen Gedanken verfolgen.


    Johannes freut sich auf seine Heimkunft. Er freut sich auch darüber, dass der Vater von ihm nicht dieselben Entsagungen erwartet, die er sich seinerzeits selbst auferlegt hat. Anders als früher sein Vater, ist Johannes eher jemand, der von der Gesellschaft übersehen wird. Deshalb denken mehrere Verwandten von Gabriele, dass er sich aus Berechnung um sie beworben hat.


    Gabriele ihrerseits erinnert sich daran, wie sie sich in Johannes verliebt hat. Wichtig ist dabei, was da über die weibliche Perspektive am Ende des 19. Jahrhunderts ausgesagt wird. Einmal verheiratet, wie man dass bei der Wilhelminne Jürges sehen kann, wurde von den Frauen meistens erwartet, dass sie ganz für Mann und Familie lebten, egal ob sie sonst andere Interessen und Begabungen hatten. Gabriele ist das junge noch ledige Mädchen aus angesehener und reicher Familie, das reden und lassen kann und kritisieren kann, wen sie will,"bis ihre Unmündigkeit durch eine christliche Ehe einst besiegelt würde." Nachdem sie diese Unmündigkeit festgestellt hat, verliebt sie sich in den einzigen Mann, der sie wirklich ernst nimmt. Sie hat auch die Zuversicht, dass es ihr gelingen wird, seinen engen Ausblick zu erweitern.


    Im Pfarrhaus wird sie zwar gut empfangen, sie merkt aber gleich dass sie in einem sehr quadratischen Millieu gelandet ist. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und Daniel Jürges kommen schon am Abend bei einem ersten Gespräch stark zum Vorschein. Vobei der Pfarrer überlegen die Ansichten seiner künftigen Schwiegertochter besonders zum Thema Reform belächelt und sie sich ihrerseits ärgert, dass er das besprochene Thema (oder sie) nicht ernst genug nimmt.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

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  • Kapitel 8: Gabriele ist gekränkt wegen der Osterpredigt ihres zukünftigen Schwiegervaters, in der er gegen die moderne Wissenschaft gewettert hat, die die Auferstehung leugne, und zwar einzig zu dem Zweck, sich "ungezügelten Trieben folgend, in der wilden Orgie der Sinne zu betäuben". Sie denkt jedoch immer noch, dass sich Johannes auf ihre Seite stellen müsste, zumal er "die religiösen Gegner in einem ganz anderen Ton und mit ganz anderen Mitteln zu bekämpfen pflegt".

    Interessant ist der Besuch im Schulzenhof: Der alte Schulze ist ein lustiger alter Mann von frivolem Witz, was Johannes sehr unangenehm ist; die Schulzentöchter dagegen, mit denen Johannes sich gern unterhält, sind entsetzlich langweilig. Man merkt hier schon deutlich, dass es zwischen den beiden Brautleuten keine rechte Verständigung geben kann. Und dass Gabriele vollends die bewusste Predigt kritisiert, geht schon gar nicht an.


    Nur noch zwei Kapitel! Ich fürchte, aus dieser Ehe wird nichts. Und obwohl Gabriele manchmal unnötig heftig wird, wenn sie Johannes' Vater "durch die Blume" einen aufgeblasenen Pfaffen nennt, würde ich doch eher ihre Partei nehmen. Aufgeblasen sind Johannes und sein Vater tatsächlich.


    Später mehr!