Preis der Leipziger Buchmesse 2020

  • Ich habe keines der Bücher gelesen. In einer Rezension hieß es, daß Schulzes Buch pädagogisch-belehrend wirke, vor allem gegen das Ende hin.

    Hast Du das auch so empfunden?

    Nein, das habe ich nicht so empfunden. Denn das Buch vermeidet imho allzu große Eindeutigkeiten. Der Erzähler ringt sehr mit seiner Figur, was in Teil zwei und drei sehr deutlich wird. Es werden auch verschiedene Wege der Anpassung an die neue Gesellschaft vorgestellt - zugleich wird auch deutlich, dass die Hauptfigur (Antiquar Paulini) auch Opfer der Umbrüche ist, für die er nicht verantwortlich ist.


    Als pädagogisch habe ich es nicht empfunden. Wir werden das Buch im Mai in unserem Lesekreis besprechen, ich bin mal auf die Rückmeldungen der anderen gespannt. Vielleicht empfinden die das anders.

  • Ich kenne auch keines davon, aber mich würde interessieren, warum Du das Cover so hässlich findest.

    Ich habe es mir bei Google angesehen und finde es in keiner Richtung besonders bemerkenswert.

    Was man im Netz nicht so gut sieht: der Umschlag hat so einen Glimmer- und Glitzer-Effekt und lässt sich deshalb auch sehr schlecht fotografieren. Was bei Google eher nach einfachem Pastell aussieht, reflektiert im Licht. Und das finde ich scheußlich. Es fasst sich auch nicht schon an, sondern der Umschlag wirkt wie mit Plaste überzogen.


    Zu dem Buch von Yanagihara könnte ich eine Menge sagen. Ich habe das damals gelesen (zu lesen versucht), weil es in einigen Foren geradezu hymnisch angepriesen wurde. Ich kann vor diesem Buch nur warnen. Es ist ein schreckliches Buch - ein totaler Gewaltporno mit höchst fragwürdigen Personen. Für Leser und Leserinnen, die sich gerne im Leid ihrer Figuren suhlen, ist es möglicherweise attraktiv, aber ich fand das Buch eine Zumutung.


    Das Umschlagfoto ist aus einer Serie, die Menschen im Moment des Orgamus zeigt. Irgendwie seltsam. Aber zum Gewaltporno passt es natürlich irgendwie. ;)


    EDIT: Meine Gedanken zu dem Buch habe ich seinerzeit im Nachbarforum aufgeschrieben, dort findest Du auch ein paar andere Stimmen dazu:

    https://literaturschock.de/lit…&postID=957932#post957932

  • Vielen Dank für Deine Antwort, JHNewman!

    Zitat
    Hinzu kommt: das Buch strotzt von Klischees. Natürlich sind es katholische Priester, die den Jungen zuerst missbrauchen. Natürlich ist Jude aber trotz allem über die Maßen intelligent und erfolgreich. Er kennt alles, weiß alles, ist hochmusikalisch, singt wie ein Opernstar, spielt Klavier, kann Latein und moderne Fremdsprachen, ist ein begnadeter Mathematiker. Und zugleich ist er eben auch über die Maßen traurig. Auch seine Freunde sind über die Maßen reich, intelligent, erfolgreich und über die Maßen verständnisvoll oder gutaussehend -



    Genau das, was ch auf den Tod nicht leiden kann. Danke, dann hat sich das für mich erledigt. Bei nächster Gelegenheit werde ich den Merkzettel putzen, der ist ohnehin zu lang.

  • Ich habe jetzt mit Leif Randts "Allegro Pastell" den dritten Roman der Liste gelesen.


    Eigentlich wollte ich das nur der Vollständigkeit halber tun und hatte nicht viel von dem Buch erwartet. Das scheußliche Cover trug zu meiner niedrigen Erwartungshaltung bei. Aber wie habe ich mich getäuscht... Bereits das erste Kapitel fand ich elektrisierend gut. Und so ging es dann auch weiter. In dem Buch passiert eigentlich überhaupt nichts, man fährt hin und her, schreibt sich Messages oder E-Mails, telefoniert, hat Sex, geht auf Parties, geht Essen (sehr wichtig!), macht Sport, reist. Das Leben der beiden Hauptfiguren ist finanziell gut ausgestattet, kultiviert, die Probleme sind Probleme auf hohem Niveau.


    Was an dem Roman begeistert, ist der Ton des Erzählers. Er bleibt dicht dran an seinen Figuren, ist immer in ihrem Kopf. Die beiden sind wirklich nicht sympathisch, Tanja ist eine ziemliche Zicke, Jerome eher etwas passiv, nicht besonders ambitioniert, ein bisschen Typ Langweiler. Trotzdem passen die beiden ganz gut zusammen, weil sie jeweils das bieten, was der andere sucht und will. Bis zu einem gewissen Punkt. Und als sie merken, dass sie damit eigentlich ganz gut gefahren wären, ist es für die Beziehung schon wieder zu spät. Beide sind ständig dabei, sich und ihre Umwelt zu analysieren, zu bewerten, sich in irgendeiner Weise zu optimieren, zu inszenieren oder zu performen. Sie sind ständig ihre eigenen Zuschauer, weniger im Bezug auf Selbstdarstellung, eher im Hinblick auf Selbstanalyse. Diese Überreflektierte ist zugleich ein unglaublicher Hemmschuh. Alles ist irgendwie geplant und kontrolliert, daher bleibt alles im moderaten Bereich, eben in Pastelltönen. Wirklich grelle Farben gibt es nicht. Echte Bedürfnisse auch nicht. Große Gefühle ebenfalls nicht. Der Sex ist so okay, dass man den Eindruck hat, er könnte irgendwann mal richtig gut werden. Also reicht es. Häufig vorkommende Begriffe zur Beschreibung von Erfahrungen sind "easy" und "nice".


    Die Stärke des Romans ist, dass er diese Sprache darstellt, ohne selbst zu ihrem Opfer zu werden. Er hält eine angenehme Distanz zu dem, was er erzählt, ohne es einfach nur bloßzustellen. Wahrscheinlich bleibt man deshalb auch dran an der Handlung, obwohl die Figuren wirklich keine Menschen sind, die man gerne kennenlernen würde. (Und gleichwohl hat man das Gefühl, dass man viele davon schon kennt...)


    Eine andere: Als Jerome und seine Freundin von der Schwangerschaft erfahren, machen sie einen Ausflug in den Rheingau, natürlich mit einem SUV - aber immerhin elektrisch. Sie wollen einfach mal ein bisschen testweise auf Familie machen und in ein klassisches Ausflugslokal gehen - wo man Schnitzel mit Kroketten isst und so. Auf der Terrasse des Lokals angekommen, stellen sie fest, dass dort nur "weiße, heterosexuelle Menschen sind". Das ist ihnen zu viel, deshalb gehen sie wieder. Der Roman macht aber klar: natürlich ist ihnen das nicht zu viel, genau in diese Kategorie gehören sie ja selbst. Aber es widerspricht dem Selbstbild, das sie von sich haben möchten, einfach am Sonntagnachmittag in einem Ausflugslokal im Rheingau zu sitzen - wie andere auch.


    Das Buch bleibt über die ganzen 280 Seiten unterkühlt - oder besser: lauwarm. Wirkliche Hitze gibt es nicht. Und obwohl die beiden Hauptfiguren ein eigentlich recht flottes Leben führen (eben im Allegro), bleibt es letztlich blass - eben Pastell. Der Titel ist wunderbar gewählt. Und am Ende versteht man auch, warum das Cover so hässlich ist: Es ist diese Kombination aus unentschiedenen Pastelltönen mit einem seltsam unscharfen Bild, das aber trotzdem nach außen glitzert und glänzt, als wäre es mehr wert oder wolle mehr scheinen, als es ist...


    Und jetzt habe ich ein Problem. In den letzten Jahren konnte ich immer ziemlich genau sagen, welches mein Favorit für den Preis ist. In diesem Jahr fand ich alle drei Roman, die ich gelesen habe, preiswürdig. Seiler vor allem wegen seiner Sprache, Schulze wegen der gesellschaftlichen Relevanz und des raffinierten Aufbaus. Und jetzt dieses 'viruos lauwarme Meisterwerk' (SZ) von Randt. Da könnte ich mich mit jedem als Preisträger anfreunden.


    Bin mal gespannt auf morgen.