Debatte um Takis Würgers 'Stella'

  • Ich mache hier mal einen Strang zu dem Thema auf. Die Debatte tobt nun seit einigen Wochen durch das Feuilleton, auch am Wochenende gab es dazu wieder mehrere Beiträge in den Qualitätszeitungen, denn nun hat sich neben der literarkritischen auch noch eine juristische Dimension aufgetan. Die Erben bzw. Nachlassverhalter der titelgebenden Figur in Würgers Roman wollen juristisch dagegen vorgehen.


    Habt Ihr die Debatte verfolgt? Nehmt Ihr daran teil, beschäftigt sie Euch?

    Ich habe den Roman nicht gelesen und habe auch nicht vor, das zu tun. Der letzte Roman von Takis Würger, Der Club, wurde bereits ziemlich hochgejubelt, aber ich fand ihn nicht sehr überzeugend. In den Rezensionen zu 'Stella' konnte ich zumindest erkennen, dass Würger sich im neuen Buch nicht verbessert hat, daher halte ich das für nicht besonders interessant.

    Die Rezensenten haben das Buch in einer Einhelligkeit verrissen, die überrascht. Abgesehen davon, dass es wohl einfach ein schlechter Roman ist, haben sie aber ein tiefer reichendes und grundsätzliches Problem ausgemacht: Dass hier ein Roman den historischen Stoff (Holocaust) nur als Kulisse hernimmt, um eine flache Geschichte ein bisschen aufzumotzen und ihr eine Tiefe und Dramatik zu verleihen, die der Autor mit eigenen Mitteln nicht herstellen kann. Nazi-Deutschland als Themenpark zur Produktion von Nazi-Kitsch. Dem Autor wird vorgeworfen, sich an dem Thema völlig überhoben zu haben, obwohl er doch unbedingt 'große Literatur' produzieren wollte. (Seitenhieb: und Daniel Kehlmann wollte ihm dabei sekundieren, indem er ein komplett verfehltes Zitat für den Buchrücken lieferte...). Ich las am Wochenende einen Bericht zu Lesungen mit dem Autor, die ebenfalls erkennen ließen, wie sehr der Autor an seinem selbstgewählten Thema scheitert.

    Diese Debatte finde ich wichtig. Denn Würger tut hier etwas, das in der deutschen Literatur vielleicht noch nicht sehr verbreitet ist, in der angelsächsischen Literatur und Unterhaltungsindustrie aber schon längst üblich. Bücher, die sich der Nazithematik bedienen, um eine möglichst einfache Folie für das Spiel von Gut und Böse zu haben, finden sich dort zuhauf.


    Eine ganze Reihe von Fragen stellen sich. Darf man das heute so machen? Ist die historische Distanz junger Autorinnen und Autoren vielleicht so groß, dass sie es auch nicht anders können? Obwohl es ja zahlreiche Gegenbeispiele gäbe...
    Und im Hinblick auf den Verlag: Verschiedene Kritiker haben dem Verlag und seinem Verleger Jo Lendle massive Vorwürfe gemacht. Der Verlag hat den Titel als Schwerpunkttitel beworben. Er liegt aber im Niveau meilenweit unter dem, was Hanser unter Michael Krüger mal zu einem führenden literarischen Verlag gemacht hat. Das ist auch ein schlechtes Zeichen (wobei es schon Vorzeichen dieser Entwicklung gab).


    Ich finde das insgesamt eine spannende Debatte.


    Was meint Ihr?

  • JHNewman

    Hat den Titel des Themas von „Debatte um Takis Wügers 'Stella'“ zu „Debatte um Takis Würgers 'Stella'“ geändert.
  • Ich habe das Buch nicht gelesen, werde es auch nicht kaufen. Viele der Rezensionen habe ich gelesen, auch die in der NZZ, auf Perlentaucher gibt es da wohl einen Überblick.


    Mir riecht das alles zu sehr nach einem "postfaktisch" inszenierten Politikum und davon habe ich die Nase bis obenhin voll.


    Postfaktisch = Als postfaktische Politik wird schlagwortartig ein politisches Denken und Handeln bezeichnet, bei dem Fakten nicht im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer Aussage tritt dabei hinter den emotionalen Effekt der Aussage vor allem auf die eigene Interessengruppe zurück.

  • Wenn ich mir die Diskussion so angucke (kenne das Buch auch nicht), bin ich geneigt zu glauben, der Rahmen (echte Dokumente gemischt mit einer erfundenen Handlung rund um eine Figur, die existiert hat) ist gar nicht so sehr das Problem, sondern dass das Buch einfach schlecht geschrieben ist. Allerdings muss es schon fürchterlich schlecht geschrieben sein, da sich alle Kritiker offenbar einig sind.


    Den Vorwurf der Trivialisierung einer Tragödie gab es übrigens schon bei der Erstausstrahlung der Holocaust-Serie. Ich war damals so um die 20, habe die Serie angeschaut und mich geärgert, aber nicht mehr, als ich mich über die Serie "Roots" geärgert habe (aus den gleichen Gründen).

  • Am Wochenende wurde die Debatte noch einmal weitergeführt. In der Literarischen Welt gab es eine ganze Seite über Stella Goldschlag und ihren Nachlassverwalter. Und es gab weitere Berichte, dass jetzt gegen Takis Würger sogar Strafanzeige gestellt wurde.