Christoph Ransmayr, Die letzte Welt


  • Edit:
    Noch etwas fällt auf und gefällt mir, nämlich dass Nasos Haus sowohl in seiner Heimat und wie auch die Behausung im Exil selbst „belebt“ werden und sich gegen das Eindringen Fremder wehren.


    Es scheint sich ja auch Tomi zu beleben. Nach dem zweijährigen Winter wird das Wetter immer besser und es gibt bald ein subtropisches Klima. Viele neue Pflanzen breiten sich in Tomi aus. Zu Anfang ist alles noch steingrau, später wird es grün und der Himmel ist immer öfter tiefblau. Das erinnert sehr an das Mittelmeer. Schön fand ich die Szene, als Cotta bei Arachne zu Besuch ist und dort die Teppiche bewundert. Die Atmospäre hat mich an eine griechische Insel erinnert.

  • Ich habe den Roman schon vor ein paar Tagen beendet, komme aber nicht dazu, hier meine Gedanken beizutragen...


    Insgesamt hat mir diese Reise in die 'letzte Welt' schon sehr gut gefallen. Für mich war es vor allem wieder eine intensive Leseerfahrung - ein Durchwandern intensiv geschilderter Szenen und Bilder mit starker suggestiver Kraft. Leider ist meine Kenntnis der antiken Mythen sehr lückenhaft und auch die Metamorphosen kenne ich nicht, daher sind mir sicher viele Anspielungen verloren gegangen. Trotzdem fand ich es sehr schön, wie Ransmayr die Metamorphosen selbst so verwandelt - in die Erzählungen Echos, die Teppiche Arachnes, die Steinmenhire des Pythagoras, die Filme an der Wand... In dem Moment, in dem Cotta meint, Ovid nun doch noch gefunden zu haben, habe ich regelrecht den Atem angehalten...


    Zudem gefällt mir, wie Ransmayr es schafft, die antike Welt des Ovid doch sehr modern wirken zu lassen. Es gibt Totalitarismus, es gibt Flüchtlingsboote und Gaskammern, Vergewaltigung und Tod... Das alles wirkt sehr düster und bedrückend, und doch hatte ich beim Lesen das Gefühl einer großen Leichtigkeit, weil die Bilder sich immer wieder verflüchtigen und wandeln. So empfand ich auch den Schluss als sehr stimmig. Die Szenerie verwandelt sich sozusagen in einen Flügelschlag.

  • Zitat

    Nach dem zweijährigen Winter wird das Wetter immer besser und es gibt bald ein subtropisches Klima. Viele neue Pflanzen breiten sich in Tomi aus. Zu Anfang ist alles noch steingrau, später wird es grün und der Himmel ist immer öfter tiefblau.


    Bewußt ist mir das mit dem Wetter nicht aufgefallen. Gut, dass du es erwähnst, thopas.



    Zitat von „JHNewman“

    Es gibt Totalitarismus, es gibt Flüchtlingsboote und Gaskammern, Vergewaltigung und Tod... Das alles wirkt sehr düster und bedrückend, und doch hatte ich beim Lesen das Gefühl einer großen Leichtigkeit, weil die Bilder sich immer wieder verflüchtigen und wandeln. So empfand ich auch den Schluss als sehr stimmig. Die Szenerie verwandelt sich sozusagen in einen Flügelschlag.



    Bei den Flüchtlingen bin ich gerade angekommen. Iasons Drachensaat! Starke Bilder!


    Wie ging nochmals mit Iason und dem Goldenen Vlies? War er da nicht eher ein Held? Ich weiß es auch nicht mehr so genau. Bei Ransmayr ist er jedenfalls ein Ausbeuter geworden.



    Ich bin noch nicht sehr weit. Immer noch im 9. Kapitel.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Bei den Flüchtlingen bin ich gerade angekommen. Iasons Drachensaat! Starke Bilder!


    Und beängstigend aktuell, wenn man daran denkt, wie die Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer behandelt werden.


    Echos oder Ovids Endzeiterzählung mit den nach der Sintflut auferstehenden Zombies ist sehr eindrucksvoll und bedrückend. Danach ist Echo weg, als ob diese Erzählung ein Verweilen am Ort unmöglich macht. Cotta und auch Lykaions Haus versinken in Untätigkeit und Verfall, bis sich der Römer im 11. Kapitel aufrafft, noch einmal nach Ovid zu suchen. Aber dies geschieht nach einer Reihe von Murenabgängen, die den Sommer beendet haben. Auch Trachila wurde getroffen. An dieser Stelle verweile ich jetzt.


    Wie dir, thopas, fällt mir auch auf, wie intensiv Ransmayr Klima und Jahreszeiten sowie Naturkatastrophen beschreibt. In den Naturbildern spiegelt sich die innere Struktur der Geschichte, auch Cottas Seelenleben. Der Hoch-Zeit mit Echo im Sommer mit den schönen Bildern der Bucht voller Steinbalkone und sich erholender Stadtbewohner folgt als Spiegel von Echos Endzeitvision der Gewittersturm und darauffolgend die Muren, aber auch das Aufblühen der Natur nach der Dürre des Sommers.

  • Ich habe den Roman heute beendet. Das Tempo nahm nochmals zu. Besonders das Wüten des Tereus !


    „Was kam verging“ - könnte als Motto für den Roman sein.



    Am Ende des Romans gibt es noch eine Zusammenfassung der Personen der Neuen und Alten Welt. Feine Sache!


    Mir hat es sehr gut gefallen :winken:

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Am Ende des Romans gibt es noch eine Zusammenfassung der Personen der Neuen und Alten Welt. Feine Sache!


    Das habe ich auch erst mitten drin in der Lektüre herausgefunden. Ich habe das Buch auch schon beendet und bin jetzt noch bei diesen Informationen zu den Personen.


    Ein bisschen muss ich noch nachdenken über den Schluss...


  • „Was kam verging“ - könnte als Motto für den Roman sein.


    Ja!
    Und auch: was ist vergeht. Und was vergangen ist, kehrt wieder, aber in anderer Gestalt. Nichts bleibt, aber auch: nichts ist verloren.


    Und stimmt: Das Wetter ist ja ebenfalls eine sich ständig verändernde Kraft unseres Alltags.


    Dieses ständige Vergehen, Verwandeln, Verändern und sozusagen Fließen hat mir an dem Text ungeheuer gut gefallen. Das ist sozusagen ein Lebensgefühl, dem ich mich gerne aussetze.


    Die Stärke von Ransmayrs Text liegt für mich auch darin, dass ihm diese Bilder gelingen ganz ohne Klischees. Nichts ist abgegriffen oder schal. Darin liegt für mich auch seine große Kunst.

  • Die Stärke von Ransmayrs Text liegt für mich auch darin, dass ihm diese Bilder gelingen ganz ohne Klischees. Nichts ist abgegriffen oder schal. Darin liegt für mich auch seine große Kunst.



    Das stimmt. Bei Ransmayr wirkt nichts aufgesetzt oder gekünstelt, sogar die Vermischung der Zeitebenen hat er zur Metamorphose gemacht. Und man kann ihm wirklich leicht folgen. Das macht wirklich Freude.


    Naso wurde in einer Vision von Cotta zu einem Vogel (Vogel-Verwandlungen sind am häufigsten in den Metamorphosen vorkommend), einem Kormoran:


    Naso hatte schließlich seine Welt von den Menschen und ihren Ordnungen befreit, indem er jede Geschichte bis an ihr Ende erzählte. Dann war er wohl auch selbst eingetreten in das menschenleere Bild, kollerte als unverwundbarer Kiesel die Halden hinab, strich als Kormoran über die Schaumkronen der Brandung oder hockte als triumphierendes Purpurmoos auf dem letzten, verschwindenden Mauerrest einer Stadt.“


    Ich finde das ist ein würdiges Ende für Naso, auch wenn es eine Vision ist.
    Cotta hat sich selbst verloren, obwohl er am Ende doch mit sich im reinen ist, (oder?)

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Nun bin ich auch durch und kann eure letzten Eindrücke nur bestätigen.
    Ein symbol- und metaphernreiches Werk über das ständige Fließen, Wandeln und Vergehen und auch eine halb satirische , halb ernste Stellungnahme zur Macht und Ohnmacht der Literatur: Sie ist einerseits ein Produkt menschlicher Eitelkeit (Pythagoras', des Autors Selbstbespiegelung im literarischen Werk eines anderen, Größeren) und der Vanitas unterworfen, andererseits kann kaum etwas so wie sie diesen Vorgang, dessen Dramatik und Größe so festhalten. Arachnes Teppiche zerfallen, auch Pythagoras' Fähnchen und selbst die von den Schnecken ganz langsam zersetzten Wort-Stelen vergehen, bleiben aber gerade im Geschriebenen erhalten, und nur diesem gelingt die Durchmischung von Zeit und Raum, von Handlung und Reflexion.
    Ein tolles Buch, über das ich noch eine Weile nachdenken werde.


  • Nun bin ich auch durch und kann eure letzten Eindrücke nur bestätigen.
    Ein symbol- und metaphernreiches Werk über das ständige Fließen, Wandeln und Vergehen und auch eine halb satirische , halb ernste Stellungnahme zur Macht und Ohnmacht der Literatur: Sie ist einerseits ein Produkt menschlicher Eitelkeit (Pythagoras', des Autors Selbstbespiegelung im literarischen Werk eines anderen, Größeren) und der Vanitas unterworfen, andererseits kann kaum etwas so wie sie diesen Vorgang, dessen Dramatik und Größe so festhalten. Arachnes Teppiche zerfallen, auch Pythagoras' Fähnchen und selbst die von den Schnecken ganz langsam zersetzten Wort-Stelen vergehen, bleiben aber gerade im Geschriebenen erhalten, und nur diesem gelingt die Durchmischung von Zeit und Raum, von Handlung und Reflexion.
    Ein tolles Buch, über das ich noch eine Weile nachdenken werde.



    Schön zusammengefasst :winken:

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)