Jean Paul: Hesperus oder 45 Hundposttage


  • OT:



    Ein schöner und so ganz zum Titel des Romans passender Verschreiber ... :smile:


    Danke, ich werde mich weiterhin um Kreativität beim Verschreiben bemühen :zwinker:.


    Nun habe ich das zweite Heftlein beendet und musste erstmal wieder ein bisschen über Herder lesen, um in Ansätzen die Bezüge in dem 6. Schalttag zu verstehen und die spätere fast lyrische Umsetzung einiger der Gedanken in Emanuels Abschieds(?)brief im 25. Hundsposttag. Jedenfalls kann man hier schon erkennen, dass Jean Paul sehr viel Gedankenwelt der Romantik und poetologische Absichten schon in seine Romanen entwickelte, gerade in dieser Sehnsucht und Auflösung des Ichs angesichts der Unendlichkeit und dem Gottesverständnis, das sich weit von der Vorstellung eines persönlichen Gottes im naiven Sinn löst.
    Und auch zu unserer derzeitigen Flüchtlingsfrage nimmt JP im 6. Schalttag Stellung:


    Noch liegen vier Weltteile voll angeketteter wilder Völker - ihre Kette wird täglich dünner - die Zeit schließet sie los - welche Verwüstung, wenigstens Veränderungen müssen diese nicht auf dem kleinen bowling-green unserer kultivierten Länder anrichten!-
    Soweit würde jeder Pegida-Demonstrant Jean Paul unterschreiben, aber dann geht es unmittelbar weiter:
    Gleichwohl müssen alle Völker der Erde einmal zusammengegossen werden und sich in gemeinschaftlicher Gärung abklären, wenn einmal dieser Lebensdunstkreis heiter werden soll.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zitat

    Noch liegen vier Weltteile voll angeketteter wilder Völker - ihre Kette wird täglich dünner - die Zeit schließet sie los - welche Verwüstung, wenigstens Veränderungen müssen diese nicht auf dem kleinen bowling-green unserer kultivierten Länder anrichten!-


    Gleichwohl müssen alle Völker der Erde einmal zusammengegossen werden und sich in gemeinschaftlicher Gärung abklären, wenn einmal dieser Lebensdunstkreis heiter werden soll.


    Danke, finsbury, für dieses Zitat - ich werde mal sehen, ob ich nicht dazu beitragen kann, daß es schön viral wird ... :cool:

  • Bin inzwischen im 28. Hpt. Jetzt beginnen die drei unehelichen Söhne des Fürsten eine Rolle zu spielen, lustigerweise als Vertreter von revolutionären und demokratischen Gedanken. Wozu das Bürgertum, wenn man "Bastarde" hat :breitgrins:.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Im Gegensatz zu dem, was ich versprochen habe, habe ich natürlich noch keine Zeile weitergelesen. Dafür aber in meiner aktuellen Hauptlektüre, der Ästhetik von F. Th. Vischer, Folgendes zu Jean Paul gefunden:


    Dem Humor eines J. Paul fehlt Objectivität in doppeltem Sinne; er verfolgt wohl die geheimſten Irrgänge des Wahnſinns, der in den Widerſprüchen der Subjectivität liegt, ſofern ſie in ſich und in den Kreis des engeren ſozialen Lebens eingeſchloſſen lebt, aber den großen Wahnſinn des öffentlichen Lebens, der Geſchichte, des Staats ſieht er zwar, ſtellt ihn aber ſchroff und ſchrill neben die ſchöne Seele hin und geht auf dieſer Seite zu keiner Verſöhnung fort. Allerdings gehört dieß größere Schauſpiel auch nicht in den Roman, in die Bildungsgeſchichte des Subjects, die er zur Aufgabe hat, aber die gewaltige Phantaſie ſchafft ſich eben für den größeren Horizont auch die rechte Gattung. Allein es iſt noch ein anderer äſthetiſcher Mangel da: es kommt zu keiner gediegenen Form. Das humoriſtiſche Subject ſchiebt ſich überall vor, man hat das Gefühl, es ſei mit dem Erzählen eigentlich gar nicht Ernſt, es beſchreibt komiſch, ſtatt Komiſches zu beſchreiben, der Gehalt der Perſönlichkeit des dichtenden Subjects geht nie ganz in Geſtaltung über, ſieht überall nackt durch die Ritzen hervor. Daher iſt es Pferdearbeit, einen Sterne, einen J. Paul zu leſen. (§ 480)


    :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Bin inzwischen im 28. Hpt.


    Dann bist Du jetzt weiter als ich - ich habe gerade den 22. Hundposttag beendet. Wunderschön der Beginn:


    Zitat von Jean Paul

    Der Leser wird sich ärgern über diesen Hundposttag; ich meines Orts habe mich schon geärgert.


    Diese Mischung meta-poetischer Reflexionen und sentimentaler Ergiessungen (der Brief von Giulia, Joachimens Schwester) sowie Hofsatire ist so typisch Jean Paul, dass man diesen Hundposttag als Zusammenfassung des ganzen Werks gelten lassen könnte...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Momentan pausiere ich, warte, bis jemand von euch, am ehesten wohl sandhofer, anschließt. Mit dem 22. Hpt hast du sicherlich Recht, JP in nuce. Aber das gilt auch für eine Reihe weiterer, "gemischter" Kapitel.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Habe die Lektüre wieder aufgenommen und den sehr langen 28. Hpt abgeschlossen: Auch wieder so ein Mix-Kapitel mit ironischer Schärfe, einer gemischt satirisch-sentimentalen Totenrede Viktors auf seinen eigenen Leichnam, und endlich finden sie sich - Viktor und Klotilde. Nun sieht das Leben für unseren Protagonisten wieder reich und bunt aus, oder wie es JP ausdrückt:


    Er nahm bald Abschied, um zu Hause den ersten betenden Blick über seinen zukünftigen Lebensstrom zu werfen, der sich jetzt zum Grab hinzog in Schönheitlinien, und in welchen bunte Minuten spielten wie Goldfische.


    Immer wieder großartig, wie JP sentimentalen Kitsch durch überraschende Wendungen (zum Grab), die einen kalt berühren, und witzige sprachliche Bilder zur Kunst umwandelt.


    Auch wieder ein absichtlicher Bruch der Formalismen: Am Ende des 28.Hpt kommt nun endlich die Vorrede zum dritten Heftlein, das bereits seit 80 Seiten andauert.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Habe die Lektüre wieder aufgenommen und den sehr langen 28. Hpt abgeschlossen


    Ich habe jetzt wieder zu Dir aufgeschlossen, fürchte aber, ausser uns beiden liest niemand mehr mit.


    [...] und endlich finden sie sich - Viktor und Klotilde.


    Nachdem er einen oder zwei Hundposttage früher noch eine andere halbnackt gesehen und sie geküsst hat ...


    Immer wieder großartig, wie JP sentimentalen Kitsch durch überraschende Wendungen (zum Grab), die einen kalt berühren, und witzige sprachliche Bilder zur Kunst umwandelt.


    Ich mag ansonsten weder das eine noch das andere - aber bei Jean Paul kann ich es nicht nur verzeihen; ich finde, dass gerade dies seine Kunst ausmacht. Sterne, den er immer wieder erwähnt, war ihm hierin ein guter Lehrmeister.


    Auch wieder ein absichtlicher Bruch der Formalismen: Am Ende des 28.Hpt kommt nun endlich die Vorrede zum dritten Heftlein, das bereits seit 80 Seiten andauert.


    Ein nachträglicher Gag, wenn ich die Anmerkungen richtig verstehe - das war in der ersten Auflage noch anders.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Auch wieder ein absichtlicher Bruch der Formalismen: Am Ende des 28.Hpt kommt nun endlich die Vorrede zum dritten Heftlein, das bereits seit 80 Seiten andauert.


    Wie der im eilften Hundposttag versteckte zweite Schalttag, die mit dem vierten Schalttag "verschweißte" Vorrede zum zweiten Heftlein, (auch die Vorrede zum dritten wird dann mit dem anfallenden Schalttag gleichgesetzt), überhaupt die nachgetragenen Vorreden, die alphabetische Ordnung der „Extraschösslinge“, die schon beim Buchstaben H über den Haufen geworfen wird, die diversen Extrablätter etc - all diese System- und Ordnungseinteilungen scheinen nur eine Funktion zu haben, nämlich sich selbst ad absurdum zu führen und Verwirrung zu stiften.


    Leser kann man nicht genug betrügen, und ein gescheiter Autor wird sie gern an seinem Arm in Mardereisen, Wolfgruben und Prellgarne geleiten


    heißt es im 12. Hundposttag. Kein Wunder, dass Jean-Paul meint, seine Leser foppen, täuschen und dadurch quasi wachrütteln zu müssen, stellt er doch über sie später, im 26.Hundposttag, fest:


    Wenn man überhaupt selber zusieht, wie sie einen lesen - nämlich noch fünfmal elender, gedankenloser, abgrissener als man schreibt[ …]


    Natürlich gehört diese Klage mit zu dem Spiel mit dem Leser und ist ein literarischer Topos…



    Mein anfängliches Urteil, Jean Pauls Äußerungen über Frauen seien misogyn, muss ich revidieren. Ich kann jetzt auch verstehen, dass zeitgenössische Frauen den Hesperus liebten. Im Laufe der Lektüre, besonders um den 6.Schalttag herum, wird immer deutlicher, dass Jean Paul das “verkochte, verwaschene und verputzte Leben“ der Frauen dauert, dass er sehr realistisch und gerecht den sozialen Druck sieht, unter dem Frauen stehen, und ihn anprangert, wobei er eine gewisse Mitverantwortung der Frauen mit einschließt, ähnlich wie viel später sein Namensvetter Jean-Paul Sartre die Frau als Opfer und als Komplizin des Systems (A moitié victime, à moitié complice, comme tout le monde) ansehen wird.
    Beispiel aus dem 21. Hundposttag:


    die Eltern ärgern mich, die Seelenverkäufer sind; dieTöchter dauern mich, die Negersklavinnen werden - ach ists dann ein Wunder, wenn die Töchter, die auf dem westindischen Markt tanzen, lachen, reden, singen mussten, um vom Herrn einer Pflanzung heimgeführt zu werden, wenn diese, sag ich, ebenso sklavisch behandelt werden, als sie verkauft und eingekauft wurden? Ihr armen Lämmer!- Und doch, ihr seid ebenso arg wie eure Schaf-Mütter und Väter - was soll man mit seinem Enthusiasmus für euer Geschlecht machen, wenn man durch deutsche Städte reiset, wo jeder Reichste und Vornehmste, und wenn er ein weitläufiger Anverwandter vom Teufel selbst wäre, auf dreißig Häuser mit dem Fingerzeigen und sagen kann: Ich weiß nicht, soll ich mir aus dem[…] oder aus dem[…] oder etwan aus dem[…]Hause eine holen und heiraten: offen stehen die Kaufläden alle? - Wie ihr Mädchen, ist denn euer Herz so wenig wert[,…]!

    Und es folgt ein Loblied auf auf die einsame stolze Heldin, die Unverheiratete…


    Und überhaupt, der sechste Schalttag, diese Magna Carta, aus der finsbury ja schon zitiert hat! Ich las sie im Zug von Bologna nach München. Während sich ab Verona der Zug allmählich mit eritreischen Flüchtlingen füllte, (die in Rosenheim von der Polizei in Empfang genommen wurden), las ich Sätze wie diese:

    Das gestörte Gleichgewicht der eigenen Kräfte macht den einzelnen Menschen elend, die Ungleichheit der Bürger, die Ungleichheit der Völker macht die Erde elend.


    Bei der fürchterlichen Ungleichheit der Völker in Macht, Reichtum, Kultur kann nur ein allgemeines Stürmen aus allen Kompass-Ecken sich mit einer dauerhaften Windstille beschließen. Ein ewiges Gleichgewicht von Europa setzt ein Gleichgewicht der vier übrigen Weltteile voraus[…] Ein Volk muss das andere aus seinen Tölpeljahren ziehen.


    Das in einem mehr als 200 Jahre altenText!


    Der 29. Hundposttag beginnt mit einer wunderschönen schwierigen Metapher: Der Mensch ist der Doppelspat der Zeit…Dann folgt das bisherige Geschehen in der Erinnerung Viktors im Schnelldurchlauf wie um dem Leser noch mal vorzuführen, wie vergleichsweise banal und simpel die Handlung des Romans ist. Wir steuern auf ein happy end zu und finsbury hat Viktors Zukunfsvision vom Lebensstrom mit den Schönheitslinien und den Goldfischen der glücklichen Momente darin zitiert. Ich finde ja, dass Jean Paul zu poetischer Höchstform aufläuft, wenn er schwarze Stimmungen und Momente schildert. Daher sei zuguterletzt an eine Stelle erinnert, die Viktor liebeskrank und depressiv zeigt, wo ihm wie Werther im Liebeskummer die Welt platt wie ein Abziehbild erscheint :



    Steht nicht der Mensch vor der Brust eines Menschen wie die Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie diese sich heiser vor einem toten flachen Bilde darin, das er für die Schwester seiner klagenden Seele hält? –


    Ein Bild wie aus Bonaventuras Nachtwachen, aus Leonce und Lena , von Baudelaire oder Rilke.

  • Schön, Gontscharow, dass du so fix aufgeholt hast und danke für deine differenzierenden Aussagen zum Frauenbild.
    Was die weiteren Stellen aus dem 6. Schalttag angeht, so habe ich sie mir auch als Lesefrüchte in meinem zurückgezogenen Lesewinkel angestrichen - wie viel stärker ist der Eindruck, wenn man sie mittendrin in der Zeitgeschichte liest!


    Ihr habt mich jetzt beide wohl überholt, weil ich eine Woche mit leichtem Gepäck und wenig Zeit verreist war. Ich versuche aber, die Lektüre nun etwas schneller fortzusetzen.


    Übrigens beginnt bei mir der 29. Hpt anders:


    "Des Morgens ging Klotilde ..."


    Ich lese einen Nachdruck der kritischen Ausgabe von Eduard Berend, hier herausgegeben von Norbert Miller.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Der 29. Hundposttag, und die folgenden, sind dann im Grossen und Ganzen wieder eher romantisch-sentimental gestimmt. Ausser vielleicht da, wo er den Romantikern direkt an den Karren fährt (im Namen seines Freundes Herder), und dann grossen Saufszene beim Vikar, wo Jean Paul seine Figuren, allen voran die drei Engländer (!), revolutionär (im Sinne der Französischen Revolution) argumentieren lässt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Tja, eigentlich lese ich auch noch weiter, aber im Moment quäle ich mich richtig durch.


    Gontscharow,


    natürlich habe ich den "Doppelspat" nun auch gefunden, und ich danke, dass du nochmal auf die Stelle aufmerksam gemacht hast. Den Doppelspat habe ich erstmal nachgeschlagen und finde die Metapher nun sehr treffend und nicht unbedingt schwierig.
    Wir erleben immer mindestens zweimal, das eigentliche Erlebnis und seine Brechung in der Erinnerung, und oft erscheint uns in der Erinnerung das Erlebte noch intensiver und schöner, weil es rein ist von den äußeren Bedingungen, die uns im Moment vielleicht vom Eigentlichen des Erlebten ablenken, und wenn es nur ein juckender Mückenstich ist :zwinker:.



    In den 31. Hpt bin ich erst vorgedrungen und quäle mich durch die empfindsamen Briefe. Hoffentlich kommt bald das Saufgelage beim Vikar, auf das du, sandhofer, mich hoffen lässt.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich bin unterdessen ja durch. Viel Romantisch-Sentimentales zum Schluss, das ist wahr. Ein Scheintod, bei dem ich nicht sicher bin, ob ihn Jean Paul ins Lächerliche ziehen wollte oder nicht. Eine Geliebte, die vergessen geht.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • In den 31. Hpt bin ich erst vorgedrungen und quäle mich durch die empfindsamen Briefe. Hoffentlich kommt bald das Saufgelage beim Vikar, auf das du, sandhofer, mich hoffen lässt.


    Auf das hoffe ich auch schon die ganze Zeit. Bislang vergeblich. Dabei bin schon im 35.Hpt! Ja wo saufen sie denn, sandhofer?



    ...natürlich habe ich den "Doppelspat" nun auch gefunden [...] und finde die Metapher nun sehr treffend und nicht unbedingt schwierig.
    Wir erleben immer mindestens zweimal, das eigentliche Erlebnis und seine Brechung in der Erinnerung ...


    Ja, wunderschöne Metapher, aber eben nicht unmittelbar verständlich, man muss erstmal nachschlagen, so man kein Geologe ist, das meinte ich mit schwierig.
    Überhaupt ist es erstaunlich, aus welch verschiedenen Wissensgebieten (Imkerei, Philosophie, Jagdwesen, Physik, ja selbst Mathematik, um nur einige zu nennen) JP Begriffe zitiert und daraus seine Metaphern und Vergleiche drechselt. Er scheint mit entlegensten Werken und Wissenschaften vertraut zu sein. Im zweiten Abschnitt des 32. HPT schreibt er über seine Befürchtungen in bezug auf mögliche Übersetzungen seines Romans:
    ....Ich kann jene Leser[..] in Rücksicht ihrer Seelenkost, die durch soviele Zwischenglieder vorher geht […] , mit nichts vergleichen als mit den armen Leuten in Lappland. Wenn da die Reichen sich in dem Trinkzimmer mit einem Likör , der aus dem teuren Fliegenschwamm gesotten wird, berauschen: so lauert an der Haustüre das arme Volk und...
    Als ich bei wikipedia unter dem Stichwort Fliegenpilz nachschaute, ob eventuell etwas über Schnaps aus besagtem Pilz drinsteht, stieß ich auf folgendes:


    Zitat von wikipedia

    Im 18. Jahrhundert wurde der Fliegenpilzgebrauch der sibirischen Völker in Europa bekannt. Die früheste derartige Mitteilung stammt vom schwedischen Oberst Philip Johan von Strahlenberg, der in einem 1730 erschienenen und damals sehr populären Buch über seine Kriegsgefangenschaft in Kamtschatka über die dort beheimateten Völker berichtete:[12]:121
    „Die Russen, so mit ihnen handeln und verkehren, bringen ihnen unter anderen Waren auch eine Art Schwämme, die in Rußland wachsen, hin welche auf Rußisch Muchumor (Fliegenpilz) genannt werden, die sie vor Eichhörner, Füchse, Hermelinen, Zobeln etc. an sich tauschen, da denn die Reichen unter ihnen eine ziemliche Provision von diesen Schwämmen sich zum Winter machen können. Wenn sie nun ihre Festtage und Collationens halten wollen, giessen sie Wasser auf diese Schwämme, kochen selbige, und trinken sich davon voll, alsdenn lagern sich um der Reichen Hütten die Armen, die sich dergleichen Schwämme-Provision nicht machen können, und warten biß einer von den Gästen herunter kömmt, sein Wasser abzuschlagen, halten ihm eine hölzerne Schaale unter, und sauffen den Urin in sich, worinn noch einige Krafft von den Schwämmen stecket, davon sie auch voll werden, wollen also solche kräftige Wasser nicht so vergeblich auf die Erde fallen lassen.“


    Pardon,wenn ich hier offene Türen einrenne und das schon in euren Kommentaren steht (meine Ausgabe ist ohne), aber mir schien doch recht interessant zu sein, woher J.P.offensichtlich seine Anregung hat. Nur dass er aus den kamtschatkischen Sibiriaken Lappen macht, noch die Bibel und die Vulgata in den Vergleich mit hinein- verwebt, um dann diese aufwendige Textpassage quasi für „ungültig“ zu erklären, er werde sie einer Übersetzung des Hesperus voranstellen… :smile:

  • Das Saufgelage hat sich wohl auch nur in den gelösten Zungen der Revolutionäre - wenn überhaupt - ausgedrückt.


    Ich quäle mich weiterhin durch, bin auch immer wieder abgeschweift, weil es jetzt - im letzten Drittel - wirklich arg sentimental ist. Nachdem sich Viktor und seine Klotilde nun endlich gefunden hatten, dachte ich, wäre das Ärgste vorbei, aber durch die räumliche Trennung, das sehr hinausgezögerte Wiedersehen, dann die Begegnung im Maiental nimmt sich Jean Paul immer wieder breitesten Raum für empfindsame Exkursionen -wie er sagt, im Auftrag der Leser, die sich auf das köstliche, sentimentalisch-erlesene 34. Kapitel besonders freuen sollen; Ich aber komme kaum durch. Ob die Lesegewohnheiten damals wirklich so anders waren? Ein bisschen Handlung oder Satire zwischendrin hat doch eigentlich selten geschadet ... .
    Was mir im 34.Hpt besonders auffällt, ist der - wohl auch unter Jean Pauls Zeitgenossen zu beobachtende - Trend, Menschen mit Einschränkungen auf diese zu reduzieren. "Der Blinde", dessen Name mir jetzt in der Tat entfallen ist, weil er kaum je mit diesem genannt wird, wird immer nur als solcher dargestellt und auch seine Handlungsweisen scheinen nur Ausdrucksweisen seiner Einschränkung zu sein. Da können wir froh sein, dass doch heute zumeist andere Umgangsformen untereinander herrschen, zumindest in der "politisch korrekten" Öffentlichkeit.


    Ach ja, und was mir auch noch erwähnenswert erscheint, ist, dass Viktor im 31.Hpt mal eben in der späten Dämmerung einen Alpengipfel ersteigt und wieder hinabwandert - ein Vorbild für jeden Alpinisten :breitgrins:.


    Die unglaubliche Bandbreite der Interessen und des Wissens, das JP in seine Schriften einbringt, ist schon bewundernswert, @ Gontscharow, insbesondere skurille Anekdoten und kulturelle Andersartigkeiten haben es ihm wohl angetan. Davor kapituliert auch der Anmerkungsapparat meiner Ausgabe von Norbert Miller, der nach meinem Geschmack immer an dem vorbeischießt, was mich wirklich interessiert, und sich im wesentlichen nur um die erwähnten Autoren und deren Schriften bemüht. Mir wäre es sehr lieb, wenn so mancher mir unbekannte Ausdruck bzw. eine Bedeutungsveränderung aufgeschlüsselt würde. Aber dafür müsste man wohl die historisch-kritische Ausgabe heranschaffen :rollen:.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Ach ja, und was mir auch noch erwähnenswert erscheint, ist, dass Viktor im 31.Hpt mal eben in der späten Dämmerung einen Alpengipfel ersteigt und wieder hinabwandert - ein Vorbild für jeden Alpinisten :breitgrins:.


    Einen Alpengipfel? Dein Ernst? Meinst du jene Passage im 31.Hpt (etwa in der Mitte), die so beginnt: Um sieben Uhr nachts ging er wie das Meer von Osten nach Westen und Viktors Wanderung vom 29. April in den Mai vom thüringischen Fürstentum nach Maienthal beschreibt, wo er sich um Mitternacht auf eine Bergkuppe zum Sterne- Betrachten und Schlafen niederlegt, um im Morgengrauen dann Maienthal vor sich zu sehen? Also ich hielt das für eine Wanderung durch den Thüringer Wald und sah Viktor auf einer Mittelgebirgskuppe liegen……. :zwinker:

  • Wenn er denn doch im 34. Hpt. sogar von diesem Gipfel den Lago Maggiore, in dem die Insel liegt, wo sein Vater ihn über die Geheimnisse des Fürsten aufklärte, zu sehen meint ... . So las ich es jedenfalls in den Anmerkungen.
    Wie kommst du auf ein thüringisches Fürstentum?

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