Thomas Hettche, Pfaueninsel

  • Hallo zusammen,


    ich lese gerade "Pfaueninsel" mit viel Vergnügen. Doch mich irritiert ein Vers von Sappho das Marie zitiert:


    Reiterheere mögen die einen, andere halten Fußvolk oder ein Heer von Schiffen für der Erde Schönstes, ich aber das, was man liebt


    Ich finde keinen Übersetzer, der dafür 1819 in Frage käme.
    Außerdem wurde Sappho, so meine ich mich zu erinnern, später ins Deutsche übersetzt. Vielleicht hat der Autor auf eine frühe französische Übertragung des Verses zurückgegriffen und hat es Marie sozusagen übersetzen lassen?


    Unbekannt war Sappho 1819 sicher nicht, denn Grillparzer hat ja ein Trauerstück 1818 uraufgeführt.


    Hat jemand eine Idee?


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Gina,


    die ersten 120 Seiten gefallen mir sehr gut. Er wechselt gern mal die Erzählperspektive, immer nur ganz kurz, das gibt dem ganzen etwas Märchenhaftes und doch ist die Realität oft grausam, wie die Natur selbst auch. Diese Kombination finde ich sehr gelungen. Manchmal packt er mMn etwas zu gewollt Weltgeschehen mit hinein, um zu vermitteln, was sich außerhalb der Insel tut.


    Aber wie oben beschrieben, lässt mich Sappho nicht los. Man sollte meinen, daß man einen digitalisierten Text findet, das ist jedoch nicht der Fall. Somit stell ich mir die Frage, ob es 1819 eine französische Übersetzung von Sapphos Versen gab, die der Autor benutzte und ins Deutsche übertrug.


    Manche Fragmente hat man ja auch erst Anfang des 20. Jht.gefunden, soweit ich mich erinnere. Ist schon länger her, daß ich Sappho las und mich damit beschäftigte.


    Berichte bitte über deine Eindrücke :winken:


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Doch mich irritiert ein Vers von Sappho das Marie zitiert:


    Reiterheere mögen die einen, andere halten Fußvolk oder ein Heer von Schiffen für der Erde Schönstes, ich aber das, was man liebt


    Ich finde keinen Übersetzer, der dafür 1819 in Frage käme.
    Außerdem wurde Sappho, so meine ich mich zu erinnern, später ins Deutsche übersetzt. Vielleicht hat der Autor auf eine frühe französische Übertragung des Verses zurückgegriffen und hat es Marie sozusagen übersetzen lassen?


    Ich kenne Hettche nicht, und weiss deshalb nicht genau, in welchem Zusammenhang Du eine Übertragung suchst. Natürlich gab es schon vor 1819 welche von Sappho in Deutsche, zumindest die von Ernst Anton L. Möbius von 1815.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich kenne Hettche nicht, und weiss deshalb nicht genau, in welchem Zusammenhang Du eine Übertragung suchst. Natürlich gab es schon vor 1819 welche von Sappho in Deutsche, zumindest die von Ernst Anton L. Möbius von 1815.


    Hallo Sandhofer,


    Danke für die Info.
    Mich interessiert welche Übersetzung der Autor hernahm.
    Bis jetzt bin ich noch nicht fündig geworden.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Hallo Maria,


    ich habe jetzt die ersten drei Kapitel gelesen und je weiter ich vorankomme, desto besser gefällt mir das Buch. Manchmal wirkt der Blick auf das Weltgeschehen vielleicht ein wenig gewollt, aber ich finde dennoch, es passt: Er schwenkt den Blick nach außen, um dann wieder nach innen auf das räumlich so beschränkte Inselgeschehen zurückzukommen.
    Ja, der Wechsel der Erzählperspektive gefällt mir auch sehr. Die Insel wirkt so wie aus der Zeit genommen - und sie ist es doch nicht.


    Irritiert war ich im ersten Moment von dem Abschnitt, als die Namensschwester (Mary, spätere Shelley) in Italien erwähnt wird, die dort ihren Frankenstein schreibt. Aber dann hat es doch "klick" gemacht, Frankenstein - ein Monster. Das Wort, das Marie immer verfolgt.


    Besonders gut hat mir bisher die Begegnung mit Peter Schlemihl gefallen. So ein reizender Einfall:
    Die Anspielung auf Adelbert von Chamisso selbst und dann der Scherenschnitt von Maries Profil, ein Schattenbild ... sehr schön! Aber auch Schlemihls Äußerungen, die bei Marie die Ahnung hervorrufen, dass etwas vorüber ist. Fand ich sehr gelungen.


    Du bist wahrscheinlich schon ein gutes Stück weiter, oder?


    Gruß, Gina

  • Hallo Gina,


    ich komme zum 6. Kapitel.


    Romantik und Märchen weicht zunehmend der Wissenschaft und Technik. Mißerfolge bleiben nicht aus. Viele Tiere sterben, was man ja erwarten durfte und der Gestank ist so übel, daß dieser Bereich abgeschirmt wird.


    Irritierend finde ich die sexuelle Komponente im Roman. Ein seltsames mechanisches Gerät wird im 5. Kapitel beschrieben. Auch sexuell wird Marie ausgebeutet.


    Ich komme zum 6. Kapitel.


    Und dann nimmt noch Peter Schlemihl seine Siebenmeilenstiefel und macht sich auf nach Griechenland. Eine entzückende Szene, aber zugleich auch so traurig, weil Marie zurück bleibt.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich habe eben "Pfaueninsel" beendet und brauche wohl noch ein bisschen, um wieder aus der Geschichte herauszufinden. Im Moment bin ich einfach nur froh, das Buch gelesen zu haben: es ist ganz wunderbar und schrecklich zugleich.


    Gruß, Gina


  • Irritierend finde ich die sexuelle Komponente im Roman. Ein seltsames mechanisches Gerät wird im 5. Kapitel beschrieben. Auch sexuell wird Marie ausgebeutet.


    Ja, das ging mir ähnlich, aber nachdem ich darüber nachgedacht habe, erschien es mir alles ganz folgerichtig. Marie ist als 'Zwergin' aus der Norm gefallen. Sie passt in kein System. Für die einen ist sie eine Märchenfigur, für die anderen ein Monster, für die Dritten einfach eine Anomalie der Natur, ein Fehler im System. Jeder erklärt sich ihre Existenz auf seine Weise, ganz und gar davon abhängig, welches Weltbild er vertritt. Der Mensch Marie spielt dabei kaum eine Rolle. Marie und ihre Existenz werden somit zur Projektionsfläche für Theorien und Weltbilder, aber genauso auch für sexuelle Wünsche und Obsessionen. Sie wird nicht als Frau wahrgenommen, nicht als gleichwertiger Mensch, daher meint man, mit ihr nach Gutdünken verfahren zu können, auch was die Befriedigung körperlicher Begierden angeht.

  • mir gehts ähnlich. Am Wochenende habe ich das Buch beendet und mich lässt die Geschichte noch nicht los. Der einzige Versuch Maries von der Insel zu kommen, und das mit 60 Jahren, scheitert kläglich.


    Was ich besonders raffiniert finde, ist, daß der Autor in ausgewählten Szenen den Leser immer wieder mit reinzieht, besonders grausam (sag ich mal) ist die Stelle auf S. 251 und 252, da heißt es:


    Jenes Wort, mit dem diese Geschichte damals begann und dem wir gefolgt sind zu ihr und in dem wir sie begafft haben, ebenso, wie wir in dem Wort Königin jene junge Frau mit den flackernden Wangen begafft haben, die nun schon über ein Vierteljahrhundert tot war. Monster. Nichts bedeutete dieses Wort nun noch für Marie.


    das ist schon eine starke Aussage uns wie Gaffer erscheinen lassen, gleich wie die Besucher der Pfaueninsel. Der Autor traut sich was.


    Ein großartiges Buch und jedes Preises würdig.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ein großartiges Buch und jedes Preises würdig.


    Volle Zustimmung! :klatschen:


    Ich bin inzwischen zwar aus der Geschichte wieder aufgetaucht, aber ganz losgelassen hat sie mich noch nicht.


    Heute habe ich dieses schöne Montaigne-Zitat gelesen:


    "Ein kleiner Mensch ist ein ganzer Mensch,
    genauso wie ein großer."


    Und schwupp, habe ich wieder an Maries Geschichte gedacht ...


    Gruß, Gina

  • Dito. Hoffe auf Besserung.


    Ein Spontanbesuch in der Buchandlung hat mich enttäuscht, keine "Pfaueninsel". Es ist zwar eine kleine Buchhandlung, aber die Shortlist könnte man doch erwarten.


    Gruß,
    Maria


    Am Tag vorher anrufen und es liegt bereit. Unser Buchhandel ist fast (noch) immer schneller als des Licht, und eine kleine Buchhandlung, vielleicht in einem kleinen Ort, kann solche Bücher nur schwierig verkaufen. Da sind Kinderbücher, Reiseführer und Schullektüre die Bestseller.