Juni 2012: Heimito von Doderer - Die Dämonen


  • Auf S. 696 (dtv) besucht er seine Eltern und dann Grete, allen gegenüber tritt er versöhnlicher auf, denn er will wohl nicht wie die anderen, zu denen er auch Schlaggenberg (dicke Damen), Eulenfeld (Trunksucht), Körger und die Ungarn (politisch-ökonomische Intrigen?) zählt, zum Getriebenen werden.


    Danke - Eulenfeld und Trunksucht, natürlich ! Auch wird mir Stangelers Entwicklung deutlicher, ich denke, dass auch der historische Aspekt irgendetwas damit zu tun hat. Allerdings, um vieles zu verstehen, müsste ich wohl mehrmals Die Dämonen lesen.


    Ich komme nun zum Kapitel "Dort unten" und bin nach euren Ausführungen schon sehr gespannt, was mich dort unten erwartet :breitgrins:


  • vielleicht hat er sich mit dem Akzent vertan ?
    in der Strudlhofstiege spricht Doderer zweimal von einer solennen Wiener Jause (S. 217 / S. 726) . Keine Ahnung was das bedeutet und ob es einen Zusammenhang zur solé gibt. Wollte es dennoch erwähnen.


    Vielen Dank für deine Mühe. :zwinker: Dass er sich mit dem Akzent vertan hat, ist eher unwahrscheinlich, weil das ja nochmal so vorkommt: Quapp ersteht eine ähnliche (oder gleiche) Kopfbedeckung aus nämlichem Filz und zwar zu einem Zeitpunkt als auch sie triumphiert und sich aus allen möglichen Abghängigkeiten löst. Wie bei Mary ist der extravagante Hut das I-Tüpfelchen auf ihrem Triumph und ihrem (neuen) Selbstbewusstsein.
    Mittlerweile bin ich der Ansicht, besagtes Wort ist ein Attribut zu Filz, ein P.P.P. zu dem Verb soler, das es leider auch nicht zu geben scheint. Es gibt desoler, assoler, isoler, insoler - aber soler alleine nicht. Ich glaube, es hat mit le sol - Boden( ähnlich wie du, Maria, vermutet hast) zu tun... geerdeter Filz? besohlt, vielleicht gefüttert? solid?
    Das ganze ist natürlich eine Marginalie. Aber ich will es eben immer ganz genau wissen. Zumal wenn es leitmotivisch daherkommt. :zwinker:

  • Zitat

    Das ganze ist natürlich eine Marginalie. Aber ich will es eben immer ganz genau wissen. Zumal wenn es leitmotivisch daherkommt. :zwinker:



    Das kann ich nur zu gut verstehen.
    Mich beschäftigt gerade das dargebotene Frauenbild im Kapitel Kavernen von Neudegg. Im vorigen Kapitel wird Otto Weiningers Geschlecht und Charakter erwähnt. Dies und die Erwaehnung von Hexenprozessen ergibt ein deutlich feindliches Frauenbild . Was mich irritiert ist Stangelers Meinung, dass die meisten Prozesse Scheinprozesse waren. (S. 734) !


    Dann noch die Vorgeschichte Herzkas (Vergewaltigung, Bondage Phantasien).


    Alles jedoch in diesem Kapitel in romantischen? Blau gehalten (vorrangige Farbe )


    Ich bin irritiert . Vielleicht löst sich manches noch gegen Ende des Kapitels auf.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Mich beschäftigt gerade das dargebotene Frauenbild im Kapitel Kavernen von Neudegg. Im vorigen Kapitel wird Otto Weiningers Geschlecht und Charakter erwähnt. Dies und die Erwaehnung von Hexenprozessen ergibt ein deutlich feindliches Frauenbild . Was mich irritiert ist Stangelers Meinung, dass die meisten Prozesse Scheinprozesse waren. (S. 734) !


    Ja, das Frauenbild zu Ende des zweiten und Beginn des dritten Buches lässt sich weitestgehend als zynisch bezeichnen. Das muss ja nicht der Meinung des Autors entsprechen, denn die jeweilige Erzählperspektive bestimmt ja meist die dargestellte Sichtweise. Was allerdings die Biografie zu Doderers Frauenbild sagt, stimmt nachdenklich.


    Andererseits werden in dem Roman auch großartige starke Frauengestalten gezeichnet, wie Mary K., auch Quapp, die Drobila und die Frauengestalten aus der Halbwelt, so dass wir schon von differenzierten Sichtweisen sprechen können.


    Die beiden letzten Kapitel des zweiten Buches zeigen uns zwei verwandelte Hauptpersonen des Buches, René Stangeler und Geyrenhoff, der auch in der Kapitelübeschrift "Der Sturz vom Steckenpferd" anzeigt, dass er vom Hobbychronisten in seine eigene Geschichte hereingestürzt ist. Wobei auch er zunächst wieder zum Beobachter und Erschließer wird und die Zusammenhänge zwischen Quapps Abstammung und einem Betrug Levielles bei ihren Erbansprüchen immer deutlicher werden.


    Ich konnte nicht widerstehen und habe doch schon mit dem 3. Buch begonnen, bin nun in Schlaggenbergs additiver Berichterstattung zu den Feldversuchen mit seinen dicken Damen. Schön ist in diesem Zusammenhang, dass er selber gar nicht genau weiß, was eigentlich der Idealtypus der DD ist, ihn aber dennoch aus einer Menge herauskristallisieren will.


    Was die Ausdrücke konvex und konkav in diesem Zusammenhang bedeuten, will sich mir nicht recht erschließen. Meint er damit nur die Nasenform oder die Leibesfülle der entsprechenden Damen? Konkav und Leibesfüllle schließen einander aber doch wohl aus?


    In der nächsten Woche muss ich wieder mehr arbeiten, dann komme ich nur langsamer voran.


    @ Steffi und Maria, wie kommt ihr mit "Dort unten" zurecht?


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich komm gerade nicht so recht vorwärts. Ich habe gerade nach dem Namen Ruodlieb von der Vlaentsch gegoogelt und keinen Eintrag gefunden, was ich als ungewöhnlich bezeichnen würde, nicht mal ein Hinweis auf Doderers Dämonen. Stangeler sieht den Namen als Kryptogramm. Ich lass mich gerade viel zu leicht von solchen Dingen ablenken vom lesen.


    Allerdings gabs einen mittelalterlichen Ritterroman namens Ruodlieb.


    Lg


    Maria

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  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Deshalb tritt er auch relativ unverschämt gegenüber Herzka auf, dem er seine Bedingungen diktiert und dessen Ort der Sehnsucht, den Raum mit dem Marterpfahl, er durch das darübergeworfene Jackett "schändet". Aus seinem eigenen Gefühl, sich selbst nun im Griff zu haben, erhebt er sich über die anderen, deutlich sichtbar auch an der Besteigung des Burgturmes, den er allein unternimmt.



    Ein starkes Bild, das Jackett das Stangeler übern Marterpfahl wirft, Herzkas tut es ihm gleich. Stangelers Ueberlegenheit und Reife zeigt sich auch aus seinen Gedanken "Es ist Mary. Sie spielt wieder." Ich glaube gleich zweimal kommt ihn dies in den Sinn.


    "Dort unten" habe ich beendet. Ein Kapitel mit sadistischen Einschlag und Ritter Heimo der Befehle nur zu gern ausführt. Ich vermute, es war Doderer ein Zwang ein solches Kapitel in die "Dämonen" einzubringen und wählte eine Sprache, die es erschwert sie zu lesen. Thomas Mann wählte das Französisch in seinem Zauberberg, wenn es um Liebe geht. Doderer verschleiert sadistische Neigungen mit mittelalterlicher Sprache, ebenso sein nicht schmeichelhaftes Bild über die Frau. Lt. Otto Weininger verabscheut der 'wirklich große Mann' die Vereinigung mit einer Frau und der geniale Mann sollte als Masochist leiden oder als Sadist Leiden bereiten. Doderer war ein Bewunderer Otto Weiningers.


    Ich bin froh dieses Kapitel hinter mir lassen zu können.


    Gruß


    Maria

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  • Auch ich habe "Dort unten" beendet. Ich fand es etwas mühselig zu lesen, ich hoffe, Stangeler findet kein weiteres Manuskript :zwinker: Die Interpretation von JMaria, dass Doderer seine Neigungen mit der Sprache auch verschleiert, gefällt mir gut ! Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass es für einen Historiker auch mal schön sein kann, ein Dokument sozusagen legal zu fälschen. Und auch passt es in die Problematik, die sich durch autobiografische Texte ergeben können; hierbei ist nicht nur Doderer zu nennen, der die Dämonen 1929 beginnt und erst später, nämlich 1956 zu Ende schreibt, auch G-ff beginnt seine Chronik 1927 und schreibt erst 1955 zu Ende und auch Ruodlieb schreibt das Manuskript 1517, die Ereignisse haben sich aber 1464 abgespielt. Jeder der Texte ist also in einem zeitlichen Rückblick entstanden und somit schon durch den Autor interpretiert.


    Sicherlich sind euch auch die Namen aufgefallen: Heimo (Spitzname von Heimito), Ruodlieb (der erste fiktionale Roman des Mittelalters), Oswald (von Wolkenstein ?)



    Stangeler sieht den Namen als Kryptogramm.


    Das verstehe ich auch nicht so ganz, denn unter Kryptogramm versteht man doch eigentlich ein Rätsel, bei dem die Buchstaben Zahlenwerte enthalten ?



    Die beiden letzten Kapitel des zweiten Buches zeigen uns zwei verwandelte Hauptpersonen des Buches, René Stangeler und Geyrenhoff, der auch in der Kapitelübeschrift "Der Sturz vom Steckenpferd" anzeigt, dass er vom Hobbychronisten in seine eigene Geschichte hereingestürzt ist. Wobei auch er zunächst wieder zum Beobachter und Erschließer wird und die Zusammenhänge zwischen Quapps Abstammung und einem Betrug Levielles bei ihren Erbansprüchen immer deutlicher werden.


    Es wird hier eindeutig, dass sowohl Stangeler als auch Geyrenhoff sich von ihrer 2. Reaität verabschiedet haben und in die tatsächliche 1. Realität gelangt sind. Die Apperzeption ist geglückt. Stangeler hat nun ein Ziel, auch fühlt er sich durch die neue Arbeit sicher und selbstbestätigt. Und auch Geyrenhoff erkennt, wie falsch sich die anderen benehmen und dass er für Quapp handeln muss.


    Gerade die zwei Kapitel: Am Strom und Sturz vom Schaukelpferd haben mit sehr gut gefallen. Überhaupt mag ich Dwight Williams und die Drobila ganz gerne. An der Donau erkennt Stangeler, dass das Leben immer weiter geht und wie die äußere und innere Ordnung in Einklang zu bringen ist. Es herrschte Ordnung bei ihm. (S. 820 beck)



    Was die Ausdrücke konvex und konkav in diesem Zusammenhang bedeuten, will sich mir nicht recht erschließen. Meint er damit nur die Nasenform oder die Leibesfülle der entsprechenden Damen? Konkav und Leibesfüllle schließen einander aber doch wohl aus?


    Ich bin noch nicht soweit. Konkav für die Taille, je breiter, also konvexer Hüfte und Busen, desto konkaver die Taille ? Im übrigen, die dicken Damen, die bisher beschrieben wurden, wiegen ca. 70 kg, also Kleidergröße 38 oder 40, in meinen Augen kann man da noch nicht wirklich von Leibesfülle sprechen.


  • Auch ich habe "Dort unten" beendet. Ich fand es etwas mühselig zu lesen, ich hoffe, Stangeler findet kein weiteres Manuskript :zwinker: Die Interpretation von JMaria, dass Doderer seine Neigungen mit der Sprache auch verschleiert, gefällt mir gut ! Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass es für einen Historiker auch mal schön sein kann, ein Dokument sozusagen legal zu fälschen. Und auch passt es in die Problematik, die sich durch autobiografische Texte ergeben können; hierbei ist nicht nur Doderer zu nennen, der die Dämonen 1929 beginnt und erst später, nämlich 1956 zu Ende schreibt, auch G-ff beginnt seine Chronik 1927 und schreibt erst 1955 zu Ende und auch Ruodlieb schreibt das Manuskript 1517, die Ereignisse haben sich aber 1464 abgespielt. Jeder der Texte ist also in einem zeitlichen Rückblick entstanden und somit schon durch den Autor interpretiert.


    Sicherlich sind euch auch die Namen aufgefallen: Heimo (Spitzname von Heimito), Ruodlieb (der erste fiktionale Roman des Mittelalters), Oswald (von Wolkenstein ?)



    Das verstehe ich auch nicht so ganz, denn unter Kryptogramm versteht man doch eigentlich ein Rätsel, bei dem die Buchstaben Zahlenwerte enthalten ?



    hab ich mich auch gefragt und frage mich immer noch wie das zusammenpasst !



    Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass es für einen Historiker auch mal schön sein kann, ein Dokument sozusagen legal zu fälschen.



    der Gedanke gefällt mir !


    "Gregorius" wird auch mal kurz erwähnt. Ein Versepos um Schuld, Reue, Inzest.



    Jeder der Texte ist also in einem zeitlichen Rückblick entstanden und somit schon durch den Autor interpretiert.



    man könnte von erzählter Erinnerung sprechen. Somit passt auch dieses Manuskript stilistisch in Doderers Romanaufbau.


    LG
    Maria

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  • Die beiden letzten Kapitel des zweiten Buches zeigen uns zwei verwandelte Hauptpersonen des Buches, René Stangeler und Geyrenhoff, der auch in der Kapitelübeschrift "Der Sturz vom Steckenpferd" anzeigt, dass er vom Hobbychronisten in seine eigene Geschichte hereingestürzt ist. Wobei auch er zunächst wieder zum Beobachter und Erschließer wird und die Zusammenhänge zwischen Quapps Abstammung und einem Betrug Levielles bei ihren Erbansprüchen immer deutlicher werden.



    und man erahnt bereits, dass die Aufgabe Prinz Croix Bibliothek zu ordnen dem Leonhard zufallen wird.
    die letzten beiden Kapitel des 2. Teils haben mir sehr gut gefallen.


    somit ist Quapp letztendlich auch mit Jan Herzka verwandt. Man blickt immer mehr hinter die Verhältnisse.


    Gruß,
    Maria

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  • Hallo,


    Vielen Dank für deine Mühe. :zwinker: Dass er sich mit dem Akzent vertan hat, ist eher unwahrscheinlich, weil das ja nochmal so vorkommt: Quapp ersteht eine ähnliche (oder gleiche) Kopfbedeckung aus nämlichem Filz und zwar zu einem Zeitpunkt als auch sie triumphiert und sich aus allen möglichen Abghängigkeiten löst. Wie bei Mary ist der extravagante Hut das I-Tüpfelchen auf ihrem Triumph und ihrem (neuen) Selbstbewusstsein.
    Mittlerweile bin ich der Ansicht, besagtes Wort ist ein Attribut zu Filz, ein P.P.P. zu dem Verb soler, das es leider auch nicht zu geben scheint. Es gibt desoler, assoler, isoler, insoler - aber soler alleine nicht. Ich glaube, es hat mit le sol - Boden( ähnlich wie du, Maria, vermutet hast) zu tun... geerdeter Filz? besohlt, vielleicht gefüttert? solid?
    Das ganze ist natürlich eine Marginalie. Aber ich will es eben immer ganz genau wissen. Zumal wenn es leitmotivisch daherkommt. :zwinker:


    Ich hab jetzt auch die andere Stelle mit dem Hütchen gefunden: Auf S. 879 hat das Hütchen (Solé) in der dtv -Ausgabe aber einen ganz korrekten accent aigu. Für mich passt der Plattfisch auch immer noch besser als der geerdete Stoff.


    Steffi und Maria,


    vielen Dank für eure Ausführungen zu "Dort unten" . In dieser Sichtweise wirkt das Kapitel denn doch nicht so gekünstelt, sondern hat durch die doppelte Brechung der Erzählperspektive (Stangelers Kommentar und Rudoliebs Bericht auf verschiedenen ´Zeitebenen) nun eine klare Entsprechung zu Erzählhaltungen im Roman.
    Auch mir gefallen die letzten Kapitel aus Buch zwei und die ersten aus Buch drei besonders gut, weil ich mich wie erlöst fühlte von dem kunsthandwerklichen Frühneuhochdeutsch und den merkwürdigen Geschehnissen in den Kavernen und weil man nun langsam, wie ihr oben auch erwähnt, die Zusammenhängen zwischen den Personen und Ereignissen begreift.


    Bin am Beginn von III, 3.


    finsbury

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  • Zitat von Autor: finsbury« am: Heute um 15:21 »

    Auf S. 879 hat das Hütchen (Solé) in der dtv -Ausgabe aber einen ganz korrekten accent aigu


    Das wurde auch nie in Abrede gestellt, auch für Marys Kopfbedeckung nicht... :zwinker: Ich sagte nur, dass ich mit meiner Tastatur keinen accent hinbekomme.


    Zitat von Autor: finsbury« am: Heute um 15:21 »

    Für mich passt der Plattfisch auch immer noch besser als der geerdete Stoff.


    Ich musste schmunzeln bei der Stelle. Kann mir genau vorstellen, was für einen Hut du meinst; Kate Middleton trägt so etwas gern, schräg aufgesetzt. Aber (wie gesagt), die Scholle heißt la sole - ohne Akzent. Und Quapps Hut wird als Toque bezeichnet - eher eine topfartige als platte Hutform. Je regrette…


    Bin in III,7 :lesen:

  • Ich musste schmunzeln bei der Stelle. Kann mir genau vorstellen, was für einen Hut du meinst; Kate Middleton trägt so etwas gern, schräg aufgesetzt. Aber (wie gesagt), die Scholle heißt la sole - ohne Akzent. Und Quapps Hut wird als Toque bezeichnet - eher eine topfartige als platte Hutform. Je regrette…


    Du hast natürlich vollkommen Recht, Gontscharow! Ich war so verliebt in die Vorstellung mit der Scholle, dass ich die Wörter mit und ohne Akzent verwechselt.
    Nun habe ich auch in Hüte- und Stofflexika recherchiert, aber die Geschichte mit der Sole ist nicht rauszukriegen. Du wirst schon das Richtige getroffen haben: brauner, erdiger Filz.


    Jetzt aber zu Wichtigerem:
    Heute Morgen habe ich III, 3: "Im Haus zum Blauen Einhorn" zu Ende gelesen und war etwas hin- und hergerissen: Zunächst dachte ich, was denn für eine "Kraft durch Freude"-Darstellung der Jugendbünde hier gegeben wird, aber dann distanziert sich der Erzähler ja selbst von dieser Hinführung zur HJ- und BDM-Welt, indem er klar macht, wozu das Ganze auch führen kann:


    Die stauende Wirkung derartig gesammelte Aufschübe erzeugt dann die sogenannte Wucht der geschichtlichen Tatsachen, und was man vorher nicht im Kopf haben wollte, kriegt man hintnach als eine Tracht Wissen auf den Hintern, der aber kein fruchtbares Feld für solchen Anbau sein kann, sondern nur dumm weh tut.(dtv , S. 889)


    Ob Doderer damit auch sich selbst meint? Klingt jedenfalls ein wenig wie selbst erfahren.


    Renata alias Licea ist jedenfalls nicht so ein Rudeltier und wirkt für ihr Teeniealter sehr erwachsen. Sie arbeitet sich jetzt schon an den Spaltungen zwischen Alltagsleben, sozialen Beziehungen und eigenen Bedürfnissen des Rückzugs, der Selbstreflektion ab.


    Dass sie sich in das Haus der Frau Kapsreiter zurückzieht, beschert uns Lesern erstens eine wunderschöne Orts- und Interieurbeschreibung und zweitens eine köstliche Romanfigur, die wieder Doderers Sensibilität für Einblicke in Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft zeigen.


    Fast unmittelbar darauf erfolgt etwas ganz Anderes: Die Kneipe von Freud und ihr Personal samt des uns schon bekannten Meisgeiers erinnern mich sehr an Dickensche Londoner Halbwelt und deren Personal. Hier wird für mich - über 100 Jahre später - auch ein bisschen zu schematisch soziale Stellung und zweifelhafter Charakter miteinander verbunden. Das gilt besonders für die Hausmeisterzuordnung.


    Auch in diesem Kapitel klären sich wieder Zusammenhänge: Die Schattendorfer Morde erhalten durch die Beschreibung von "Krächzi" und seinem Onkel, das Leid der Frau Kapsreiter und auch Liceas eine persönliche Dimension.



    finsbury

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  • Die stauende Wirkung derartig gesammelte Aufschübe erzeugt dann die sogenannte Wucht der der geschichtlichen Tatsachen, und was man vorher nicht im Kopf haben wollte, kriegt man hintnach als eine Tracht Wissen auf den Hintern, der aber kein fruchtbares Feld für solchen Anbau sein kann, sondern nur dumm weh tut.(dtv , S. 889)


    Ob Doderer damit auch sich selbst meint? Klingt jedenfalls ein wenig wie selbst erfahren.


    Schöne Stelle, die du da zitierst. Ich glaube schon, dass Doderer sich in den Kreis derer, die vor bestimmten Dingen die Augen verschlossen und dann durch die Geschichte eines besseren belehrt wurden, mit einbezieht. Aber doch scheint mir das halbherzig und wehleidig dahergesagt... Denn die Tracht Wissen, die ihm hintnach verabreicht wurde, scheint so schmerzhaft nicht ausgefallen zu sein, wenn er quasi unbelehrt in den 50ern Lust verspürte bzw. keine Hemmungen hatte, sein antisemitisches Romanprojekt mit dem gleichen Personal wieder aufzunehmen und zu vollenden ...

  • Hallo zusammen ,


    Ich beginne heute Abend noch mit dem 3. Kapitel im 3. Teil.
    In der letzten Doderer-Leserunde hatten wir ein Bild vom Blauen Einhorn:


    http://www.sagen.at/fotos/showphoto.php/photo/7651


    Das Einhorn war auch die Wohnstätte von Nikolaus Lenau, eines Verwandten Doderers.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Aber doch scheint mir das halbherzig und wehleidig dahergesagt... Denn die Tracht Wissen, die ihm hintnach verabreicht wurde, scheint so schmerzhaft nicht ausgefallen zu sein, wenn er quasi unbelehrt in den 50ern Lust verspürte bzw. keine Hemmungen hatte, sein antisemitisches Romanprojekt mit dem gleichen Personal wieder aufzunehmen und zu vollenden ...


    Für mich hatte diese Stelle auch ein bißchen ein "Gschmäckle" - es klingt wie eine Rechtfertigung, aber mir ist das etwas zu flapsig und oberflächlich. Dumm wehgetan hat es vielleicht Doderers Ego, aber was sagen die vielen Toten ? Von Einsicht jedenfalls zeugt diese Stelle nicht !


    Ich habe die Kapitel um das blaue Einhorn auch gerne gelesen, auch wenn ich auch empfand, dass Doderer die bürgerliche Arbeiterschicht immer etwas zu biedermeierlich-idyllisch zeigt.


    Über den Namen Licea habe ich noch ein bißchen geforscht, aber außer, dass es eine Gattung der Schleimpilze ist, nichts weiter herausgefunden. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass Doderer diesen Namen einfach so erfunden hat.


    Und auch über die Hütchen habe ich mir Gedanken gemacht, ich kann mit vorstellen, dass entweder eine bestimmte Beschaffenheit des Filzes gemeint ist oder dass es eine Art Ausruf oder Bezeichnung ist, z.B. abgewandelt von isolé (=einzigartig). Es wäre interessant, diese Stelle in einer Übersetzung zu lesen.


    Mit III/5, dem Nachtbuch, konnte ich nicht wirklich etwas anfangen, eine Art Vorausschau auf den Tod Krächzis ? Oder waren es die Träume nach seinem Tod ?

  • September 1925: Unfall Mary K.
    Vorfrühling 1926: Leonhard Kakabsa und Malva Fiedler begegnen sich
    Spätsommer 1926: Kreis um Trix K.
    Herbst 1926: Geyrenhoff zieht nach Döbling
    Mary K. kommt nach Wien zurück
    Treffen der Ungarn in Mörbisch (Pinta, Sevcik, Graf)
    Mord an Hertha durch Meisgeier
    Dorbila begegnet Mary K; bei Lilly Likartz im Atelier in Döbling
    Sa, 13.11.1926: Leonhard trifft Mary K.
    20.11.1926: Geyrenhoff begegnet Schlaggenberg an der Verkehrsinsel
    21.11.1926: Beginn der Chronik
    Ende 1926: Schlaggenberg zieht nach Döbling
    Sa, 8.1.1927: Oper Rosenkavalier (Fr. Ruthmayr, Dr.Neuberg, Levielle)
    Eulenburgs Troupeaux bei Fr. Ruthmayr; Schlaggenberg und Stangeler treffen sich
    Versammlung gegen Grete Siebenschein im Café
    Camy Schlaggenberg fährt nach England
    Lasch ist auf Geschäftsreise
    Hausball bei Baron Frigoni
    Mo, 10.1.1927: Grete und Stangeler streiten
    Quapp kommt an
    30.1.1927: Schattendorfer Morde
    Gyurkicz ist in Schattendorf
    1.2.1927: Quapp zieht nach Döbling
    Februar 1927: Gyurkicz und Eulenfeld ziehen nach Döbling
    Skiausflug Quapp, Schlaggenberg und Stangeler
    Mitte Februar 1927: Tod Claire Charagiel
    März 1927: Gründungsfest der Unsrigen
    Mi, 23.3.1927: Tod Baron Neudegg
    Fr. 25.3.1927: Geyrenhoff trifft Levielle auf dem Graben
    Mo, 28.3.1927: Levielle trifft Schlaggenberg
    Ende März 1927: Stangeler belauscht Lasch und Levielle
    Frühling 1927: Geyrenhoff beginnt Chronik
    Mitte April 1927: Ausflug der Unsrigen
    Quapp zieht in die Nähe von Gyurkicz
    Sa, 30.4.1927: Geselligkeit bei Mary K.
    Ende April 1927: Stadtbummel Geyrenhoffs
    Sa, 14.5.1927: Treffen Mährischl, Altschul, Levielle, Lasch
    Levielle reist nach Paris, trifft Frigoni am Westbahnhof
    Quapp trifft Stangeler und verspätet sich
    Tischtennis bei Siebenschein
    Geyrenhoffs Erleuchtung
    Oper Rosenkavalier (Fr. Ruthmayr + Geyrenhoff)
    So, 15.5.1927: Geyrenhoff erhält Brief von Camy
    Geyrenhoff bei Gontard (Gespräch über Revolution)
    Geyrenhoff trifft Gach (Testament über Erbe Quapps)
    Geyrenhoff trifft Mucki Langingen u. Alfons Croix
    Mo, 16.5.1927: Jan Herzka erbt
    Stangeler und Herzka nach Burg Neudegg
    Di, 17.5.1927: Mary K. + Trix auf Urlaub im Semmering (4 Wochen)
    Quapp + Gyurkicz treffen sich in Altenburg
    Quapp trifft Gach (Erwachen bei der Kastanienblüte)
    Mi, 18.5.1927: Quapp erfährt vom Testament Neudeggs
    Licea + Sylvia mit Gyurkicz im Schnapslokal
    Gyurkicz trifft Pinta im Café
    Do, 19.5.1927: Stangeler + Herzka zurück in Wien
    Fr, 20.5.1927: Stangeler trifft Williams und Drobila an der Donau
    5.7.1927: Schwurgericht "Schattendorfer Morde"
    15.7.1927: Demonstration und Brand Justizpalast
    18.7.1927: Verhaftung Anni Gräven wegen Mord an Hertha

  • Zitat von "Steffi"

    Über den Namen Licea habe ich noch ein bißchen geforscht, aber außer, dass es eine Gattung der Schleimpilze ist, nichts weiter herausgefunden. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass Doderer diesen Namen einfach so erfunden hat.


    Dahinter steckt eine Freundin von Doderer namens Gabriele Murad. die Zusammenhänge sind mir allerdings noch nicht klar, vielleicht stoße ich in der Biographie noch darauf. Außerdem gabs ein Skizzenbuch mit diesem Namen...


    Im "Skizzenbuch für Licea" aus dem Sommer 1943 steht geschrieben: "Die Feder des Schriftstellers ist oft klüger als er selbst, wie mitunter das Pferd gescheiter als der Reiter."


    Ich glaube er hat die politischen Geschehnisse nicht recht durchschaut, für ihn war seine Kunst immer das wichtigste und was sie voran treibt war ihm Recht.


    Danke für die zeitliche Chronologie, Steffi.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Dahinter steckt eine Freundin von Doderer namens Gabriele Murad. die Zusammenhänge sind mir allerdings noch nicht klar, vielleicht stoße ich in der Biographie noch darauf. Außerdem gabs ein Skizzenbuch mit diesem Namen...


    Im "Skizzenbuch für Licea" aus dem Sommer 1943 steht geschrieben: "Die Feder des Schriftstellers ist oft klüger als er selbst, wie mitunter das Pferd gescheiter als der Reiter."


    Interessant - dann ist der Name im privaten Umfeld entstanden, danke für den Hinweis !

  • Interessant ist auch, dass die Vermutung nahe liegt, dass Schlaggenberg der Verfasser des 3. Kapitels ist. Wäre mir ohne Info nicht aufgefallen.


    Teil 3


    1. Geyrenhoff /Schlaggenberg
    2. Doderer
    3. (Schlaggenberg )
    4. Geyrenhoff
    5. Kapsreiter
    6. Geyrenhoff
    7. Schlaggenberg
    8. Geyrenhoff
    9. Geyrenhoff , Sxhlaggenberg
    10. Kapsreiter
    11. Doderer, Geyrenhoff, Schlaggenberg
    12. Geyrenhoff

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)