März 2012 Fjodor Dostojewski - Die Dämonen

  • Ich wollt nur kurz Bescheid geben, dass ich mich nun aus der Diskussion zurückziehe, denn ihr seid insgesamt alle schon viel zu weit. Ich rätsel hier, wie kommt riff-raff darauf, dass Nikolai etwas zarenmäßiges hat, was habe ich nun überlesen, und sehe jetzt - ah so heißt mein nächstes Kapitel. So entstehen nur Missverständnisse :breitgrins:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo Anita,


    ich würde das extrem schade finden, wenn du dich aus der Leserunde ausklinkst. Ausser du hast beschlossen, das Buch nicht fertig zu lesen; habe selbst so manche Leserunde frühzeitig abgebrochen weil mich das Buch nicht besonders anmachte. Aber wenn du immer noch gewillt bist, weiterzulesen, sehe ich keinen Grund dazu. Bei mir ist es halt momentan so, dass ich mehr Zeit als üblich zum Lesen habe und deshalb mit dem Buch auch schon durch bin. In einer kommenden Leserunde werde ich dann aus rein zeittechnischen Gründen kein so hohes Tempo mehr anschlagen können. Ich wüsste auch nicht, wie man dieses Dilemma mit den unterschiedlichen Lesegeschwindigkeiten irgendwie lösen könnte, so dass alle auf ihre Kosten kommen. Aber meist gleicht es sich ja irgendwie aus, weil man ja nicht bei jeder Leserunde gleich viel Zeit aufwenden kann.


    Bitte überlege es dir doch noch einmal ... Ich würde mich jedenfalls freuen, dich weiterhin in der Runde zu sehen.


    Liebe Grüsse


    riff-raff


  • Bitte überlege es dir doch noch einmal ... Ich würde mich jedenfalls freuen, dich weiterhin in der Runde zu sehen.


    Oh das tut mir leid. Vielleicht stehe ich momentan auch irgendwie neben mir oder auf dem Schlauch, denn eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich jetzt erst einmal fleißig lesen werde, bevor ich meinen Schnabel wieder öffne. Aber ich bin jetzt an der Stelle, wo es wirklich interessant wird.


    Ich danke dir :smile:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo,


    ich bin jetzt auch durch. Die letzten 100 Seiten habe ich gestern "in einem Zug" (im doppelten Sinne :breitgrins:) gelesen. Der Roman war eine sehr lohnende, bereichernde Lektüre, die keinen Moment langweilig war und nie habe ich mir die Frage gestellt: "weiterlesen oder nicht?". Ich möchte noch ein paar Eindrücke wiedergeben:


    Der 3. Teil ist von einer faszinierenden Dramaturgie: die Ereignisse überstürzen sich und erzeugen einen Strudel aus Anarchie, Chaos und Verbrechen. Erst die "letzte Wanderschaft" Stepans, die liebevoll und ironisch erzählt wird, stellt einen Konstrast dar zu dem vorausgegangenen Wahnsinn. Eigentlich kontrastiert dieses Kapitel zu dem ganzen restlichen Buch: wenn ich es richtig sehe, spielt kein anderes Kapitel außerhalb unserer (anonymen) Kleinstadt, außer in Rückblicken, wie z.B. der Beichte Stawrogins. Es ist wie ein Aufatmen: endlich raus aus dieser Stadt und ihren "Dämonen" und aufs Land, wo Stepan nun das "wirkliche Leben" beheimatet sieht.


    Während der Schilderung des Festes und der anschließenden Feuersbrunst wurde ich den Eindruck nicht los, dass hier eine Person vorkommt, die in jedem Personenverzeichnis fehlt: die anonyme Menge, der "Mob", das "Gesindel", die marodierende und leicht beeinflußbare Masse, oder einfach: "man". Ich habe nicht gezählt wie oft dieses Wort vorkam, aber immer wieder las ich Floskeln wie: "man schrie, man sagte, man schnappte auf" und immer wieder wörtliche Rede, die keiner bestimmten Person zugeordnet war. Diese Anonymisierung ist charakteristisch für viele Abschnitte und ich glaube hier ist D. auch ganz modern. Die Verführbarkeit der Masse sollte im folgenden Jahrhundert noch eine große Rolle spielen.


    Ein kleines Detail: 3. Teil, Ende VI. Kapitel: Erkel verabschiedet sich von Pjotr: dieser wendet ihm mitten im Satz den Rücken zu und hat nur noch Ohren und Augen für seine neue Bekanntschaft aus besten Kreisen. Das ist für Erkel so enttäuschend, dass es zweimal wiederholt wird: einmal in der Schilderung durch den Erzähler und dann nochmal als subjektiver Eindruck Erkels selbst. Hier wird sehr deutlich das abgehobene Verhältnis Pjotrs zu den Mitgliedern seiner Fünfergruppe und dass er sie die ganze Zeit nur benutzt hat. Pjotr ist für mich die mit Abstand unsympathischste Person des Romans und ausgerechnet er überlebt! Ist Euch aufgefallen mit welch ekelhafter Arroganz er sich beim Treffen der "Unsrigen" die Nägel schneidet?


    Sind Euch die vielen Fliegen und Spinnen als Metapher aufgefallen? Ich glaube sie kamen nicht zufällig vor: die Fliege als nutzloses Insekt, die Spinne, die kühl kalkulierend auf ihre Opfer wartet ... Sollte ich den Roman nochmal lesen, werde ich mehr darauf achten.


    Das wärs erstmal für heute. Vielleicht fällt mir später noch mehr ein.


    Gruß
    Klaus :winken:

  • Hallo,


    Pjotr ist für mich die mit Abstand unsympathischste Person des Romans und ausgerechnet er überlebt! Ist Euch aufgefallen mit welch ekelhafter Arroganz er sich beim Treffen der "Unsrigen" die Nägel schneidet?


    Sind Euch die vielen Fliegen und Spinnen als Metapher aufgefallen? Ich glaube sie kamen nicht zufällig vor:


    Und für mich ist er nun im III. Teil ganz klar der russische Mephisto, genauso wie Stawrogin immer mehr in die Rolle des Faust übertritt. Komisch, dass mir das vorher noch nie aufgefallen ist. So wie Pjotr immer um Stawrogin herumscharwenzelt, hündisch, das erinnert an Goethes Pudel. Auch der homoerotische Aspekt, der früher erwähnt wurde, fiel mir an der gleichen Stelle auf und wurde ja dem Goetheschen Mephisto meiner Erinnerung nach auch unterstellt. Dazu passt, dass die Spinnen und Fliegen, die Teufelsbegleiter, immer in der Nähe sind. Auch das Schneiden der Nägel, diese offene Missachtung aller Höflichkeitsregeln, das gleichzeitig einen gewissen Ekelfaktor hat, passt dazu.


    Ja, und Stawrogin? Der ist sicherlich eine eigenwillige Variante des Faust. So wie riff raff schreibt,

    Zitat von "Riff raff"

    Stawrogin probiert Lebensmöglichkeiten und Überzeugungen an wie Anzüge, stets auf der Suche nach etwas, das ihm passt und auf den Leib geschneidert ist. Aber sein Problem ist die Gleichgültigkeit ...


    ist er leerer als Faust, aber sucht wie er den Reiz, um zu dem Augenblicke zu sagen, "Verweile doch ...": Das kommt ganz stark im 1. Abschnitt von III,3 zum Ausdruck:
    [Stawrogin sagt zu Lisa:]Ich wusste, dass ich dich nicht liebe und habe dich zugrunde gerichtet. Ja, 'ich habe den Augenblick festgehalten', ich hatte eine Hoffnung ....,


    aber das Ganze ist soviel müder, viel sarkastischer als bei Goethes Faust. Und das Gretchen ist hier im Roman in viele Frauen aufgespalten: Die wahnsinnige Marfa, aber auch Dascha und natürlich Lisa, vielleicht sogar ist das vergewaltigte Mädchen ein Aspekt davon.


    Weil ich im Moment mal wieder in einer Hoch-Arbeitsphase bin, wird es weiter eher langsam vorangehen: So einen tollen Roman möchte ich auch genießen! Gerade dieser Schlussteil ist wirklich furios.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Bin nun etwas weiter gekommen und halte in III, 5/1 inne. Kurz vor Schatows zu befürchtender Hinrichtung durch die Fünfergruppe ist seine von ihm immer noch geliebte Frau bei ihm eingetroffen.
    Auch tolle Frauengestalten werden in diesem Buch dargestellt. Sie sind alle keine Seelchen, sondern alle in ihrer Art sehr selbstständig, oft mit Haaren auf den Zähnen, werden aber - bis auf Julija Michailowna - immer mit Sympathie geschildert, ob es z.B. die frauenbewegte Studentin an Wirginskijs Tisch ist oder Marja Timovejevna und eben nun auch Marja Schatowa, die wohl einige harte Jahre hinter sich hat. Diese Frauen sind nie unterwürfig, sondern setzen sich durch und gehen die Männer recht hart an.
    Interessant ist auch, wie gelähmt die Fünfergruppe (III,4) ist: Obwohl sie alle Pjotr Stepanowitsch hassen und wissen, dass er sie betrügt und missbraucht, wagen sie sich nicht gegen ihn aufzulehnen. Liputin hat Pass und Reisetasche bereit, weiß, dass er ansonsten bei dem Mord an Schatow mitmachen muss und flieht trotzdem nicht. So ganz nachvollziehen kann ich das nicht! Aber es liegt wohl an dem Mephistophelischen in Pjotr Stepanowitschs Charakter, dass sie sich nicht von seinen bösen Absichten lösen können und sich von ihm die Worte im Munde verdrehen lassen.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Interessant ist auch, wie gelähmt die Fünfergruppe (III,4) ist: Obwohl sie alle Pjotr Stepanowitsch hassen und wissen, dass er sie betrügt und missbraucht, wagen sie sich nicht gegen ihn aufzulehnen. Liputin hat Pass und Reisetasche bereit, weiß, dass er ansonsten bei dem Mord an Schatow mitmachen muss und flieht trotzdem nicht. So ganz nachvollziehen kann ich das nicht!


    Ja, Liputin: er geht genauso neben Pjotr auf dem Trottoir, wie dieser vorher neben Stawrogin: verachtet und immer wieder gezwungen in den Straßenmatsch zu treten. Er haßt Pjotr immer mehr und dieser Haß konzentriert sich in der Szene, wo er ihm beim Beefsteak-Essen zusieht: die Zeit scheint stillzustehen, während Pjotr sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund schaufelt:


    "Schließlich haßte Liputin ihn so sehr, daß er keinen Blick von ihm abwenden konnte. Es war eine Art Nervenanfall. Er zählte jeden Bissen Beefsteak, den er zum Munde führte, haßte ihn dafür, wie er den Mund aufmachte, wie er kaute, wie er genießerisch an den fetten Stücken lutschte, er haßte sogar das Beefsteak selbst."

    Es erinnert mich an die ewigen Augenblicke Kirrilows, wie er sie z.B. Schatow beschreibt. Nur dass es sich bei ihm um Augenblicke der ewigen Harmonie und nicht des Hasses und des Ekels handelt. Man muß sich wirklich fragen, warum Liputin nach dieser Erfahrung weitermacht.


    Oder Ljamschin: er ist mir frühzeitig als Spaßmacher und Witzfigur aufgefallen. Auf dem Höhepunkt des Festes läuft er auf den Händen und symbolisiert damit, dass die ganze Welt Kopf steht. Er wandelt sich sehr. Während der Ermordung Schatows bekommt er einen Schreikrampf, erkrankt und läuft, nachdem alles vorbei ist, auf Knien rutschend zur Polizei und legt ein komplettes Geständnis ab.


    Gruß
    Klaus

  • Ja, Liputin: er geht genauso neben Pjotr auf dem Trottoir, wie dieser vorher neben Stawrogin: verachtet und immer wieder gezwungen in den Straßenmatsch zu treten.


    Das ist wieder so eine Stelle, die Dostojewski als „Propheten des 20. Jahrhunderts“ (Camus) alle Ehre macht! Was ist das für ein Phänomen, das Liputin und die anderen wider besseres Wissen Pjotr Stepanowitsch folgen lässt? Schockstarre, Feigheit, Lust an der Unfreiheit, an der Unterordnung, Angst vor der eigenen Verantwortung, die Lust am Untergang? Fragen, die nach und während der Katastrophen des 20.Jahrhunderts immer wieder gestellt wurden, z. B. von Wilhelm Reich "bereits" 1933 in „Massenpsychologie des Faschismus“. Das in einem Roman des 19. Jahrhunderts zu lesen, ist schon erstaunlich! Lenin hat Dostojewskis Dämonen als schmutziges, durch und durch reaktionäres Machwerk abgelehnt. Kein Wunder, er fühlte sich wohl in letzter Konsequenz durchschaut. Was wäre wohl geschehen, wenn die Russen zur Zeit der ‚stalinistischen Säuberungen’ diese Zeilen hätten lesen dürfen:


    [quote= Dostojewski, Dämonen, III.Teil, Kap.IV,2]Dass Schatow sie verraten würde, glaubten die Unsrigen sämtlich; daran aber, dass Pjotr Stepanowitsch mit ihnen spiele wie mit Schachfiguren – glaubten sie ebenfalls. Und doch wussten sie, dass sie trotzdem am nächsten Tag alle vollzählig zur Stelle sein würden und dass Schatows Schicksal eine beschlossene Sache war.
    Sie hatten das Gefühl, als wären sie plötzlich wie Fliegen in das Netz einer riesigen Spinne geraten, ärgerten sich darüber, aber zitterten vor Furcht.[/quote]


    Im Internet soll ein Essay von Hannah Arendt über die Dämonen zugänglich sein. Was diese Kennerin des politischen Totalitarismus über den Roman zu sagen hat, würde mich schon sehr interessieren. Weiß jemand mehr?
    Auch ich werde in Kürze den Roman beendet haben. Euren Kommentaren kann ich übrigens nur voll und ganz zustimmen.

  • Hallo zusammen :winken:



    Im Internet soll ein Essay von Hannah Arendt über die Dämonen zugänglich sein. Was diese Kennerin des politischen Totalitarismus über den Roman zu sagen hat, würde mich schon sehr interessieren. Weiß jemand mehr?


    Danke für den Tipp Gontscharow! Bin tatsächlich auch fündig geworden: Library of Congress Einfach auf "Search by Keyword" klicken und im Suchfeld possessed eingeben, dann erscheinen die Scans zu Hannah Arendts Notizen bezüglich den Dämonen. Es handelt sich um vier mit Schreibmaschine getippte Seiten, anscheinend Notizen zu einer Vorlesung, samt Rechtschreibefehlern, Korrekturen und handschriftlichen Einfügungen.


    Laut Arendt kann jedes literarische Meisterwerk auf verschiedenen Ebenen gelesen werden:


    Ebene 1: Wirklichkeitsebene
    Die Handlung des Romans ist (immer laut Arendt) der Wirklichkeit entnommen. Genauso die Charaktere: Pjotr Stepanowitsch entspricht einem gewissen Nekaev, sein Vater stellt eine Mischung aus Granowsky und Kukolnik dar, Schigaljow soll Tkachev nachempfunden sein und Schatow wird mit Dostojewski gleichgestellt (eine ziemlich gewagte Unterstellung, wie ich finde).


    2. Ebene: Gesellschaft
    Der Roman stellt die zu Dostojewskis Zeiten herrschenden Geistesströmungen dar, bietet aber auch eine prophetische Sicht auf Dinge, die noch kommen werden. So wird z. B. der aus dem Westen herüberschwappende Atheismus den Untergang der Zarenherrschaft herbeiführen: da der Zar seinen Herrschaftsanspruch direkt von Gottes Gnaden ableitet, verliert er seine Legitimität, wenn keiner mehr an Gott glaubt. Überhaupt hat der Glaube an Gott, mit seiner Angst vor der Hölle, die Menschen jahrhundertelang davon abgehalten Böses zu tun, aber der Atheismus eliminiert diese Angst: plötzlich ist alles erlaubt.
    Die Figur des Pjotr Stepanowitsch erinnert an Stalin: er vergisst nie eine Beleidigung. Aber auch der schrankenlose Despotismus eines Schigaljow deckt sich gut mit dem Charakter des Diktators. Zudem ist die Paranoia, die innerhalb der Fünfer-Gruppe herrscht - jeder überwacht und kontrolliert jeden - bezeichnend für die Stalinzeit.


    3. Dostojewskis Glaubensebene
    Die zentrale Fragestellung sämtlicher Romane Dostojewskis kreist weniger um die Frage, ob Gott existiert, als viel eher darum, ob der Mensch ohne Glaube überhaupt leben kann. Die Dämonen zeigt, was geschieht, wenn Menschen den Glauben an Gott verlieren. Wenn man Gott entfernt, dem der Mensch zu Gehorsam verpflichtet ist, bleibt immer noch der Mensch übrig mit seinem Bedürfnis einer höheren Sache zu dienen. Nur, dass er jetzt nicht mehr Gott dient, sondern irgendwelchen weltlichen Idealen. Was die russischen Ideologen von ihren westlichen Brüdern unterscheidet ist, dass sie über den wahren Glauben verfügen und deshalb umso gefährlicher werden, wenn sie diesen verlieren.
    Im Roman sind Pjotr Stepanowitsch und Stawrogin die einzigen, die von keiner Idee beherrscht werden; Pjotr will zwar Umsturz und Gewalt, aber nicht weil er an den Fortschritt glaubt, sondern aus reinem Zerstörungswillen und Stawrogin vermag sich in seiner grenzenlosen Gleichgültigkeit eh für nichts zu begeistern. Deshalb wird Stawrogin für Pjotr auch zu so was wie einem Idol: Das Gegenteil von gut ist nicht das Böse oder das Verbrechen, sondern schlicht Gleichgültigkeit.
    Angesichts der Erhabenheit eines Gottesglaubens erscheinen weltliche und politische Ideale hohl und leer (immer gemäss Dostojewski). Wäre es dann nicht besser, der Mensch halte weiterhin an Jesus Christus fest, auch wenn dieser letztendlich vielleicht nicht für die 'Wahrheit' steht?


    4. Ebene: Auswirkungen des Atheismus
    Was geschieht, wenn der Atheismus von Charakteren Besitz ergreift, die über alle Anlagen verfügten, um im Leben eine überdurchschnittliche Rolle zu spielen, wie z. B. Stawrogin und Kirillow? Antwort: "act gratuit" - eine Handlung, die völlig unmotiviert ist. Kirillows "Selbstwille" z. B. ist ein Wille, der durch nichts motiviert wird, ausser durch sich selbst. Kirillow und Stawrogin, das sind die beiden Figuren, die selbst Gott sein wollen, sei es aus Überheblichkeit oder Stolz.
    Absolute Freiheit bedeutet, absolute Vernichtung, weil der Mensch gezwungen ist, das zu zerstören, was ihn einengt und bindet (Gott, Natur etc.). Abgesehen von Gott ist es das Leben selbst, das einen mit seinen Naturgesetzen am meisten einengt und behindert. Woraus folgt: wer wirklich frei sein will, muss sich selbst zerstören. Dann ist er (vielleicht) zwar frei, aber leider tot :breitgrins:
    Der "act gratuit" ist eng verwandt mit Stawrogins Gleichgültigkeit. Da jede Faszination, jeder Enthusiasmus, jedes Interesse einen bindet, wird man unweigerlich zu dessen Sklaven. Man kann deshalb seine Freiheit auch durch vollkommene Gleichgültigkeit demonstrieren.


    5. Ebene: Romanstruktur
    Hier hebt Arendt unter anderem Dostojewskis Dialoge hervor, die ihr vorkommen, als würde eine nackte Seele zur anderen sprechen (sehr schön gesagt).


    Gruss


    riff-raff

  • Thank you, спасибо, danke, riff-raff für den link und dass du dir die Mühe gemacht hast, den Artikel (scheint ein Vorlesungsmanuskript zu sein) für uns zusammenzufassen! :klatschen:
    Ich habe ihn jetzt erstmal nur überflogen; die handschriftlichen Anmerkungen vermag ich nicht zu lesen. Interessant, wie Arendt die “strange similarity” von Pjotr Stepanowitsch Werchowenski mit Stalin, die unter anderem Dostojewski den Ruf eingebracht haben soll,„a gift of foresight bordering on the demonic“ zu besitzen, zu erklären versucht: "As far as Stalin is concerned – remarkable- if it were not for Nekhaev’s catechism wich Stalin certainly knew on wich he probably modelled himself.. " Also, D. hat die literarische Figur Pjotrs nach dem historischen Netschajew "modelliert“. Und Stalin sich selbst nach dem Vorbild des historischen Netschajew und seinem „Katechismus des Revolutionärs“. Jetzt müssten wir Netschajew lesen :schnarch:…laut Reemtsma auch eine Lektüre der RAF…

  • Auch ich habe die Dämonen jetzt beendet. Mit dem jungen Erkel fügt Dostojewski dem Spektrum der Mitläufer einen weiteren Typus hinzu, der im Umkreis der „Unsrigen“ noch gefehlt hat:


    [quote= dostojewski, dämonen,III.Tei, V.Kap,2]
    Erkel war einer jener „Dummköpfchen“, denen nur die Haupteinsicht fehlt…; im Kleinen, Untergeordneten war er gescheit genug, bis zur Schläue. . Er war der „allgemeinen Sache“, im Grunde aber Pjotr Stepanowitsch, fanatisch und mit jugendlicher Begeisterung ergeben und führte alle seine Befehle aus… Der ausführende Teil zu sein war das Bedürfnis dieser kleinen, an Urteilskraft armen immer nach Unterordnung unter einen fremden Willen lechzenden Natur … Der empfindsame, freundliche und gute Erkel war vielleicht der gefühlloseste von allen Mördern, die Schatow überfielen, und nahm, obgleich er ihn persönlich keineswegs hasste, ohne mit der Wimper zu zucken, an seinem Mord teil. …. [/quote]

    Liest sich das nicht wie das vorweggenommene Psychogramm eines jener gut funktionierenden Vollstrecker, wie wir sie erst aus dem 20sten Jahrhundert zu kennen meinen? Erkel zeigt später auch im Gegensatz zu den andern keinerlei Einsicht oder Reue, ist nur durch die Missachtung, die er durch sein Idol erfährt, das ihn jetzt nicht mehr braucht, leicht irritiert und aus der Bahn geworfen.


    Wie Klaus schon gesagt hat, ist das Kapitel „Stepan Trofimowitschs letzte Reise“ ein fast heiterer Kontrapunkt in dem düster turbulenten Schlussteil. Köstlich, wie Trofimowitsch als weltfremder Westler an der Realität in Form des russischen Landlebens schnuppert und seinerseits von der Landbevölkerung als skurriler Exot betrachtet wird. Herrlich, wie er sich und anderen Vergangenes und Gegenwärtiges schönredet und in günstigem Licht erscheinen lässt, um kurz darauf voller Selbstanklage einzugestehen, dass alles erstunken und erlogen ist. Fast hat man den Eindruck, er schaffe Anlässe, um nachher zerknirscht sein zu können. Denn dann wird er fast liebenswert. Gleich darauf ist er dann aber wieder der Alte und lügt sich und andern etwas vor, indem er seine lebenslangen Prinzipien als liberaler „Freidenker“ und Atheist über Bord wirft und vor seinem Ableben noch schnell gläubig wird, weil’s sich so schöner stirbt. Und seine überstürzte Beziehung zu der armen Bibelverkäuferin, wie das beschönigend begründet wird, nur um die schlichte Tatsache zu bemänteln, dass er sich einsam und verlassen fühlt und (irgend-)einer Frau bedarf!
    Das hat seine Entsprechung in den anderen Beziehungsgeschichten des Romans. Es gibt kaum eine intakte Beziehung oder Familie und trotzdem oder gerade deshalb spielen Frauen eine so große Rolle darin. Wie finsbury bemerkt, ist der Roman voll von starken eigenständigen Frauen. Ja, (fast) alle männlichen Personen werden entweder dominiert von einer Frau (Lemke, Wirginski) sind von einer abhängig (Stepan), sehnen sich nach einer Frau (Schatow), oder erwarten Rettung durch eine Frau (Stawrogin).
    Die anrührendste und menschlichste Liebesgeschichte ist die von Schatow und seiner Frau Marja, die zu seiner großen Freude zu ihm zurückgekehrt ist und ihn, oh Wunder und Ironie des Schicksals, am Vorabend seiner Ermordung mit der Geburt eines Kindes beglückt - eine Weihnachtsgeschichte( sie heißt ja auch Maria), in der er die Rolle des großherzigen und treu sorgenden Joseph spielt, dem es ganz gleich ist, dass das Kind von einem andern ist, und die ihn blind macht für die Gefahr, in der er schwebt.
    Nur Pjotr hat nichts mit einer Frau. Er vermittelt nur gerne(Stawrogin/Lisa) ,und schafft wie sein diabolisches Vorbild die Gelegenheiten für andere („Hab ich doch meine Freude dran“)
    Stawrogins letztes Lebenszeichen ist ein Brief an eine Frau, an Darja, die er um Beistand bittet. Bevor sie seiner Bitte nachkommen kann, hat er Selbstmord begangen, was er vorher ausdrücklich abgelehnt hatte, da es ein Zeichen für Verzweiflung oder Reue sei.


    Zitat von riff-raff« am: 23. März 2012

    Stawrogin erscheint mir wie ein 'unbewegter Beweger': nichts vermag ihn zu entflammen oder zu begeistern, aber die Menschen um ihn herum werde alle durch ihn beeinflusst und verändert.


    Das beschreibt diesen rätselhaften Menschen sehr genau. Die Tatsache, dass er Tichon aufsucht und beichtet, der Brief und zuletzt sein Selbstmord zeigen, dass er so unberührbar nicht ist und Gleichmut und Gleichgültigkeit auf Dauer unaushaltbar, unhaltbar sind.
    Alle, die etwas mit den Ereignissen zu tun haben, zeigen Einsicht, Reue, ändern sich. Nur Erkel und Pjotr gehen unverändert daraus hervor. Beängstigend für die Zukunft!


    Die Leserunde hat mir viele Anregungen vermittelt und mich“bei der Stange“gehalten. Zeitweilig war mir die Lektüre nämlich doch zu düster, trostlos und verworren; euer Blick für die Schönheiten des Textes und eure Begeisterung haben mich angesteckt und ermuntert, weiterzumachen. Danke!


    In den nächsten vier Tagen werde ich unterwegs sein. Ich hoffe, dass der eine oder andere dann auch noch ins Ziel getrudelt ist und dass die Diskussion weitergeht. :winken:


  • In den nächsten vier Tagen werde ich unterwegs sein. Ich hoffe, dass der eine oder andere dann auch noch ins Ziel getrudelt ist und dass die Diskussion weitergeht. :winken:


    Und ich über Ostern. Danach freue ich mich noch auf eine abschließende Diskussion :winken:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • Die Leserunde hat mir viele Anregungen vermittelt und mich“bei der Stange“gehalten. Zeitweilig war mir die Lektüre nämlich doch zu düster, trostlos und verworren; euer Blick für die Schönheiten des Textes und eure Begeisterung haben mich angesteckt und ermuntert, weiterzumachen. Danke!


    Hallo zusammen,


    eure Anregungen und Hinweise (besonders das Faustische Motiv) lassen mich zwar weiter am Ball bleiben und ich profitier von euren Äußerungen, aber mir kommt das Buch nicht entgegen, wenn es um eine Beteiligung an der Diskussion geht. Ich lese eure Beiträge, lese weiter im Buch (2. Teil beendet), fühl mich etwas gehetzt, weil ich das Tempo nicht halten kann (kein Vorwurf !) und hab nicht einen nennenswerte Gedanke dazu. Das depremiert mich schon. Deswegen werde ich wohl nur mehr stiller Mitleser sein.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen,


    war schon Anfang letzter Woche durch, hatte aber keine Zeit und war verreist.


    Vielen Dank, riff-raff, für deine Zusammenfassung der Arendt-Notizen. Insbesondere die Ausführungen zu Ds. Ansicht, dass nicht Gott existieren müsse, aber der Glauben des Menschen an einen Gott, ist meiner Meinung ein Kernsatz, der bei dem Verständnis Ds. sehr hilft. Und daher stammt auch das Verquälte, was ich oben konstatiert habe, weil sein Glaube eben nicht echt, sondern utilitaristisch ist und er sich sehr wohl dessen bewusst ist und darunter leidet. Das merkt man auch in allen seine Büchern.
    Das Ende des Romans ist mir etwas merkwürdig. Dass Pjotr Stawrogin untertaucht und davonkommt, ist schlüssig, das passt zu seinem Charakter. Dass sich dagegen Stawrogin schlussendlich aufhängt, scheint auf den ersten Blick erbärmlich, wenn man auf die Gesamtanlage seines Charakters schaut, andererseits ist es nur konsequent, wie auch Gontscharow schreibt, denn so kühl, wie er scheint, ist er absolut nicht. Interessant übrigens, dass er sich auf die gleiche Weise aufhängt wie sein unschuldigstes Opfer, das kleine Mädchen ... .
    Mir bleibt, dass dieser Roman heute sogar noch moderner auf mich wirkt als bei meiner Erstlektüre vor 30 Jahren. Damals war ich selbst noch voller Ideale, die habe ich zwar heute auch noch nicht alle verloren, aber die düstere Seite der Orientierungslosigkeit, die Manupulierbarkeit von Menschen in diesem Zustand und auch die Verlogenheit der Gesellschaft, die keine anderen echte als materielle Werte bietet, wird in diesem Werk wirklich vor Augen geführt.
    Vielen Dank für eure interessanten und ausführlichen Kommentare. Sie haben meine Lektüre vertieft.


    Maria
    Man ist vielleicht auch nicht immer in der Stimmung für ein bestimmtes Buch. Mir lag z.B "Weltlicht" gewaltig quer im Magen, jetzt,mit etwas Abstand, fallen mir viele bedenkenswerte Szenen ein. Ich habe manchmal auch an Tom gedacht, der meinte, mit identifizierendem Lesen käme es gerade bei Dostojevskijs Dämonen viel stärker zu Problemen: Komischerweise kann ich diese Figuren viel besser ertragen und genießen als unseren Lichtwikingner, obwohl sie, in Bezug auf die Folgen, noch viel "schlimmere Finger" sind.
    Lass dich nicht entmutigen!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Hallo, da bin ich wieder :winken:


    Im Gegensatz zu anderen hier, empfand ich das Ende des Buches ein wenig schmalzig. Der Tod von Stepan Trofimowitsch (viel zu lang und ausführlich) und der des Nikolais als Krönung, haben für mich persönlich den Roman gekippt, d. h. vom 5 Sterne Buch zum 4 Sterne Buch herabgewertet, und das ganz lapidar gesagt. Ich mochte es einfach nicht.


    Da ich, falls ein Roman das hergibt, immer ganz begeistert bin von einer psychologischen oder religiösen Ebene, werde ich darauf noch eingehen.


    Kirillow hat nicht nur das Problem "es gibt keinen Gott", sondern seine innere Polarisierung, ein Gefühl, dass es ohne Gott auf der Welt nicht geht, weil der Mensch Mensch ist, und von seiner Logik her, vom Verstand, dass es eben keinen Gott gibt. Vielleicht auch, weil die Welt so ist wie sie ist, der Mensch eben Mensch ist. Dieser Widerspruch, die innere Zerrissenheit, führt dazu, dass K. sich umbringen will und muss, er sieht nur diese Möglichkeit.
    >>Wenn es keinen Gott gibt, dann ist der Mensch Gott.<< Ich denke, das sieht K. so (hier sehe ich persönlich auch das Auge Dostojewskis, der sich geschickt [meiner kleinen Meinung nach] hinter viele Figuren im Roman versteckt, und so auch seine Zerrissenheit voll ausleben kann), einfach aus seiner Welt/Umwelt heraus, dem aufkommenden Nihilismus auf der einen Seite und dem Sozailismus auf der anderen. Die Welt sieht heute immer noch sehr ähnlich aus, deshalb ist auch heute die Fragestellung immer noch aktuell.
    (Zu Punkt 2 unten) Das hat K. aus dem Buddhismus, allerdings heißt es dort Gleichmütigkeit (das ist schon etwas anderes als Gleichgültigkeit). Die Aufhebung des Dualismus. Das Ziel ist es, weder gut noch böse zu sein, sondern in der Mitte leben. Und ja "Mythos von Sisyphos", so manch ein buddhistischer Mönch kehrt den Wald :zwinker:


    Zu Stawrogin: Er ist eben nicht gleichgültig, nur nach außen hin. In seiner Beichte erfährt der Leser auch von seiner Qual, Schmerz, Zerrissenheit.


    Überall spiegelt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen Verstand und Gefühl/Glaube, ob es sich in Europa und Russland, Atheismus und Glaube, oder in der Person des Stawrogin oder Kirillow als Ganzes zeigt. Das macht den Roman aktuell, er zeigt im Grunde die große Sinnsuche, und ist historisch sowie gesellschaftlich geerdet. Wenn nicht teilweise dieser Schmalz wäre, ich würde Dostojewski richtig gerne lesen :breitgrins:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Hallo Anita,


    Im Gegensatz zu anderen hier, empfand ich das Ende des Buches ein wenig schmalzig. Der Tod von Stepan Trofimowitsch (viel zu lang und ausführlich) und der des Nikolais als Krönung, haben für mich persönlich den Roman gekippt, d. h. vom 5 Sterne Buch zum 4 Sterne Buch herabgewertet, und das ganz lapidar gesagt. Ich mochte es einfach nicht.


    Das Ende Stepan Trofimowitschs war für mich nur die Fortsetzung und Apotheose der liebevollen Satire dieser Figur und passte deshalb. Dass ich zunächst mit dem Ende Nikolaj Stawrogins auch meine Schwierigkeiten hatte, es dann aber doch als nur konsequent und durchaus auch lakonisch empfand, scirieb ich schon oben. Aber ein Ende ist nun mal ein letzter Eindruck und wenn es einer als vermasselt empfindet,d dann ist das für diesen Leser eben so.

    Kirillow hat nicht nur das Problem "es gibt keinen Gott", sondern seine innere Polarisierung, ein Gefühl, dass es ohne Gott auf der Welt nicht geht, weil der Mensch Mensch ist, und von seiner Logik her, vom Verstand, dass es eben keinen Gott gibt. Vielleicht auch, weil die Welt so ist wie sie ist, der Mensch eben Mensch ist. Dieser Widerspruch, die innere Zerrissenheit, führt dazu, dass K. sich umbringen will und muss, er sieht nur diese Möglichkeit.
    >>Wenn es keinen Gott gibt, dann ist der Mensch Gott.<< Ich denke, das sieht K. so (hier sehe ich persönlich auch das Auge Dostojewskis, der sich geschickt [meiner kleinen Meinung nach] hinter viele Figuren im Roman versteckt, und so auch seine Zerrissenheit voll ausleben kann), einfach aus seiner Welt/Umwelt heraus, dem aufkommenden Nihilismus auf der einen Seite und dem Sozailismus auf der anderen. Die Welt sieht heute immer noch sehr ähnlich aus, deshalb ist auch heute die Fragestellung immer noch aktuell.
    [...]
    (Zu Stawrogin: Er ist eben nicht gleichgültig, nur nach außen hin. In seiner Beichte erfährt der Leser auch von seiner Qual, Schmerz, Zerrissenheit.


    Überall spiegelt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen Verstand und Gefühl/Glaube, ob es sich in Europa und Russland, Atheismus und Glaube, oder in der Person des Stawrogin oder Kirillow als Ganzes zeigt. Das macht den Roman aktuell, er zeigt im Grunde die große Sinnsuche, und ist historisch sowie gesellschaftlich geerdet. Wenn nicht teilweise dieser Schmalz wäre, ich würde Dostojewski richtig gerne lesen :breitgrins:


    Da stimme ich dir voll zu (bis auf den Schmalz). Insbesondere auch in dem Punkt, dass sich Dostojevskijs Persönlichkeit hinter den zerrissenen seiner Figuren versteckt.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Das Ende Stepan Trofimowitschs war für mich nur die Fortsetzung und Apotheose der liebevollen Satire dieser Figur und passte deshalb. Dass ich zunächst mit dem Ende Nikolaj Stawrogins auch meine Schwierigkeiten hatte, es dann aber doch als nur konsequent und durchaus auch lakonisch empfand, scirieb ich schon oben. Aber ein Ende ist nun mal ein letzter Eindruck und wenn es einer als vermasselt empfindet,d dann ist das für diesen Leser eben so.


    Hallo finsbury,


    oh nein, dass beide Figuren sterben mussten, Stepan ohnehin und Nikolai eben konsequenter Weise, das war nicht mein Problem. Für mich kam dieser anklagende wehmütige Ton wieder so stark hervor, dass ich am liebsten weggerannt wäre. :zwinker: Oh dieser Ton hat mich beim "Idioten" auf die Palme gebracht. Dostojewski versucht über weite Strecken einen eher sachlichen Ton (wie Tolstoi) anzunehmen, gelingt ihm aber nicht immer, und bei Stepans Tod verfällt er absolut wieder in dieses Weinerliche = Schmalz. (So mein Eindruck.)


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;


  • Für mich kam dieser anklagende wehmütige Ton wieder so stark hervor, dass ich am liebsten weggerannt wäre. :zwinker: Oh dieser Ton hat mich beim "Idioten" auf die Palme gebracht. Dostojewski versucht über weite Strecken einen eher sachlichen Ton (wie Tolstoi) anzunehmen, gelingt ihm aber nicht immer, und bei Stepans Tod verfällt er absolut wieder in dieses Weinerliche = Schmalz. (So mein Eindruck.)


    So verschieden kann man das eben wahrnehmen: Für mich gehört dieser schmalzige Ton zur ironischen Brechung in der Darstellung des schmalzigen Stepan Trofimowitsch. Selbst seine letzten Worte scheinen mir von Dostojevskij extra so überhöht zu sein, um das Lächerliche dieser hysterisch-manischen Welteinstellung herauszustellen. Dass ihn dabei aber auch etwas Sympathie mit seiner Figur beseelt, ist allerdings auch zu spüren.
    Aber mir geht es bei anderen Schriftstellern auch so, dass ich gewisse Seiten ihrer "Schreibe" einfach nicht ertragen kann und deshalb ihre Bücher nur widerwillig lese, obwohl ich ihre sonstige Gelungenheit durchaus anerkenne.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Selbst seine letzten Worte scheinen mir von Dostojevskij extra so überhöht zu sein, um das Lächerliche dieser hysterisch-manischen Welteinstellung herauszustellen. Dass ihn dabei aber auch etwas Sympathie mit seiner Figur beseelt, ist allerdings auch zu spüren.


    Ein wenig, klitzekleines Fünkchen, denn wenn die Sympathie Träger dieser Figur gewesen wäre, hätte ich die Figur sowohl auch den Ton des Todes so geliebt wie bei Oblomow. Aber Dostojewskis tragische Figuren empfinde ich als Heulsusen :breitgrins:
    Ja so´n bisschen Subjektivität ist wohl immer dabei, und objektiv kann man die Stärken hervorheben.


    Schönen Sonntag,
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;