März 2012 Fjodor Dostojewski - Die Dämonen

  • Zitat von Anita<br>« am: Heute um 11:54 »

    Kommt denn der Studentenmord nicht vor, die große Anspielung auf die Netschajew-Affäre?


    Dass die Ermordung Schatows durch Pjotr Stepanowitsch einem authentischen Fall nachgebildet ist, dieser Information kann man kaum entgehen, sie steht in jedem Klappentext und jedem Nachwort. :zwinker: Bei der Ermordung Sch.s bin ich aber auch noch nicht. Sicher wird aber nicht auf den historischen Fall direkt angespielt oder gar der Name Netschajew genannt werden, wie Dostojewski überhaupt nie allzu historisch konkret wird in seinem Roman, auch bei den "historischen politischen Ideologien" nicht, um die es in meinem posting ging.


    Das Buch von Coetzee habe ich auch gelesen, halte es aber für das Verständnis der Dämonen für wenig hilfreich. Es ist eine fiktive Geschichte um Dostojewski, der quasi zur Romanfigur seines eigenen Romans wird, eher verwirrend als erhellend! Oder erinnere ich mich falsch? Von Coetzee ( bes. von seinem Roman Schande) halte ich ansonsten viel!

  • Dabei bist doch gerade du mit deinen Beiträgen für das „hohe Niveau“ hier mitverantwortlich.


    Das sehe ich genauso! :smile:



    Das Buch von Coetzee habe ich auch gelesen, halte es aber für das Verständnis der Dämonen für wenig hilfreich.


    Danke, dann brauche ich meine Frage nicht mehr zu stellen.


    Ich bin jetzt mit dem zweiten Teil fertig und muss sagen, dass ich das Lesen „beschwerlich“ finde. Dostojewskis Spannungstechnik, dieses Verwirrspiel und Vorenthalten von Information finde ich anstrengend. Deshalb mag ich auch Kriminalromane nicht so. Innere Spannung interessiert mich mehr. Aufgrund von sparsamen Informationen und Andeutungen auch noch auf das äußere Geschehen, die Handlung schließen und äußere Zusammenhänge herstellen zu müssen, finde ich bei diesem ohnehin schon vielfältigen mehrschichtigen Werk mit seiner enormen Personenfülle zuviel des Guten.


    Das geht mir ähnlich. Manchmal hätte ich mir ein bißchen mehr Klarheit und Eindeutigkeit gewünscht, sowohl was vergangene Handlungen und Verbrechen (z.B. Stawrogins) als auch die Planung zukünftiger betrifft. Stattdessen: immer wieder Andeutungen, die Streuung von Gerüchten, Widersprüche. Z.B.: wer hat denn bei dem im Chaos endenden Fest nun eigentlich die Fäden gezogen, Pjotr? Und wenn ja, wie hat er es gemacht? Da bleibt viel ungesagt. Oder: welche Sünden gegenüber Frauen hat Strawrogin denn nun begangen? Das Mädchen Matrjoscha ist klar. Aber was war nun mit Lisa und Darja in der Schweiz? Oder hab ich es da an Aufmerksamkeit fehlen lassen? Oder nicht genug zwischen den Zeilen gelesen (auch eine Kunst, die man bei Dostojewski beherrschen muß)?


    Aber: es hat auch seinen Reiz und manchmal muß man nur Geduld haben und ein gutes Gedächtnis (oder ein Notizbuch :zwinker:) und Handlungsfäden entwirren sich.


    Gruß
    Klaus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin mit dem Buch durch und möchte gern auf die Figur des Kirillows zu sprechen kommen ... - Kirillow plant ja, sich umzubringen, aber die Gründe, die er diesbezüglich anführt, erschliessen sich mir nur teilweise, weshalb ich sie mal aufführe ...


    Punkt 1:
    Kirillow: "Gott ist notwendig, also muss es ihn geben. [...] Ich aber weiss, dass es ihn nicht gibt und nicht geben kann. [...] Kannst du [Pjotr Stepanowitsch] denn nicht begreifen, dass ein Mensch mit diesen beiden Gedanken unmöglich am Leben bleiben kann? [...] Kannst du denn nicht begreifen, dass man sich schon allein deshalb erschiessen kann? Begreifst du nicht, dass es einen solchen Menschen geben kann, einen unter tausend Millionen euresgleichen, einen einzigen, der das nicht mitmachen und nicht ertragen will?"


    Dass der Gedanke, dass es keinen Gott gibt, für manche Menschen das Leben dermassen entwertet, dass sie sich lieber die Kugel geben, als in einer solch sinnlosen Welt weiterzuleben, kann ich gut verstehen. Es hat ja auch schon Selbstmorde anlässlich des Todes berühmter Film- oder Rockstars gegeben, weil den betreffenden Personen dadurch jeglicher Lebenssinn abhanden kam. Aber welche Notwendigkeit macht laut Kirillow die Anwesenheit eines Gottes so unabdingbar und woher weiss er, dass es keinen gibt? ...


    Punkt 2:
    Kirillow: "Wenn es Gott nicht gibt, dann bin ich Gott."
    Pjotr: "Das ist genau der Punkt, den ich bei Ihnen nie verstehen konnte: Warum sind Sie dann Gott?"
    Kirillow: "Wenn es Gott gibt, so ist aller Wille Sein, und ich vermag nichts über Seinen Willen. Wenn es Ihn nicht gibt, so ist aller Wille mein [...]."


    Daraus, dass Gott eine Notwendig darstellt, es ihn aber leider nicht gibt, folgert Kirillow also, dass er selbst (und folglich jeder Mensch) Gott ist. Aber worin besteht dieses Gottsein? Drei Jahre, sagt Kirillow, habe er nach dem "Attribut" des Göttlichen in ihm gesucht und es schliesslich gefunden: sein "Selbstwille". Der freie Wille ist es, der den Menschen zum Gott macht. Und um das zu beweisen, wird Kirillow sich umbringen. Selbstmörder hat es schon vor ihm gegeben, aber alle haben sich aus einem bestimmten Grund getötet, er wird der erste sein, der sich völlig grundlos umbringen wird, einzig weil er es kann, aus seinem freien Willen heraus.


    (Nebenbemerkung: Die Antwort von Pjotr Stepanowitsch darauf ist bezeichnend und erhellt deutlich dessen niederträchtigen Charakter: "Ich an Ihrer Stelle würde einen anderen umbringen, um meinen Selbstwillen zu beweisen, und nicht mich selber.")


    Kirillows Tod will ein Zeichen setzen und die Menschen befreien:


    Kirillow: "Der Mensch wird Gott sein und sich physisch verändern. Und die Welt wird sich verändern, und die Dinge werden sich verändern und die Gedanken und alle Gefühle. [...] Volle Freiheit wird dann sein, wenn es egal ist leben oder nicht leben. Das ist das Ziel von allem."


    Das Ziel ist: Gleichgültigkeit ... - alles wird 'gleich gültig' sein. Ob gut oder böse, alles ist gut.


    Stawrogin: "Aber wenn jemand verhungert, wenn jemand ein Mädchen missbraucht und entehrt - ist das gut?"
    Kirillow: "Gut. Und wenn ein anderer ihm den Schädel einschlägt wegen des Kindes, ist auch gut; und wenn ihm keiner den Schädel einschlägt, ist auch gut. Alles gut, alles. Alles ist denen gut, die wissen, dass alles gut ist."


    "Egal", das ist das Lieblingswort von Kirillow. Deshalb stört es ihn auch nicht, wenn Pjotr Stepanowitsch seinen Tod dazu missbrauchen wird, um Dinge zu vertuschen, die Kirillow eigentlich verachtet. (Dass es ihm dann schlussendlich doch nicht so egal ist, seinen Kopf für etwas hinzuhalten, das er ablehnt, zeigt nur wie schwierig sein Unterfangen ist, wie mühevoll es ist, sich von alten Vorurteilen zu verabschieden.)


    Und dabei gurkt es Kirillow richtig an, sich umzubringen ... Nach eigenen Aussagen ist er glücklich, in Hamburg hat er sich einen Ball gekauft "um zu werfen und zu fangen: Stärkt den Rücken" und er treibt Morgengymnastik ... Aber einer muss den ersten Schritt machen und sich opfern.


    Das Ganze ist ziemlich vertrackt und absurd sehe ich gerade ...

  • Vor Jahren habe ich von Camus den "Mythos von Sisyphos" gelesen, darin kommt auch ein Kapitel zu Kirillow vor ... Was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass Camus seine Abhandlung mit den Worten beginnt: "Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord."


    Für die, die das Buch nicht kennen, fasse ich es aus der Erinnerung mal ganz stümperhaft und lapidar zusammen: Laut Camus gibt es keinen Gott, das Leben ist sinnlos und der Mensch dazu angehalten, diese Sinnlosigkeit anzuerkennen und ohne Verzweiflung auszuhalten. Der Mensch gleicht Sisyphos, der einen Stein einen steilen Berg hinaufrollt, aber nicht, weil er hofft, ein Ziel, den Gipfel, zu erreichen, sondern einfach so. Er weiss von vornherein, dass ihm der Stein entgleiten und er mit der ganzen mühevollen Plackerei wieder von vorne wird beginnen müssen, dennoch darf er sich nicht entmutigen lassen, sondern sollte sich jedesmal beherzt und bar jeglicher falscher Hoffungen wieder an seine sinnlose Arbeit machen.


    Ich möchte gerne einige Zitate aus dem Kirillov-Kapitel anführen, die mir geholfen habe, dessen Charakter wenigsten ansatzweise etwas besser zu verstehen. So schreibt Camus z. B., dass Kirillov seine Freiheit und Unabhängikeit dadurch erreicht, dass er seinen Glauben an Gott überwindet:


    "Für Kirilow wie für Nietzsche heisst Gott töten: selber Gott werden [...]. [Aber] warum sich töten und diese Welt verlassen, nachdem man die Freiheit erobert hat?"


    Weil die Mensch das nicht einsehen und ein Exempel brauchen:


    "Wie zu Prometheus' Zeiten nähren sie in sich die blinden Hoffnungen. Man muss ihnen den Weg zeigen, sie können die Predigt nicht entbehren. Kirilow muss sich also aus Liebe zur Menschheit umbringen. Er muss seinen Brüdern einen erhabenen und schwierigen Weg zeigen, auf dem er der erste sein wird. Es ist ein pädagogischer Selbstmord. [...] Aber wenn er tot und die Menschen endlich erleuchtet sind, dann wird diese Erde sich mit Zaren bevölkern und von menschlichem Ruhm erstrahlen. Kirilows Pistolenschuss wird das Signal der letzten Revolution sein. So treibt ihn nicht die Verzweiflung in den Tod, sondern die Nächstenliebe [...]".


    "Pädagogischer Selbstmord" ..., das ist schön ausgedrückt Gemäss Camus sind die Figuren des Stawrogin und Iwan Karamasow (aus "Die Brüder Karamasow") "diejenigen, die Kirilows Tod befreit. Sie versuchen, Zaren zu sein. Stawrogin [...] ist Zar in der Gleichgültigkeit".


    Das würde schön die Selbstherrlichkeit erklären, mit der Stawrogin glaubt, sich über moralische und gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen zu dürfen. Andererseits wissen wir ja, wohin das schlussendlich führt ... (Und für die, die noch nicht so weit mit Lesen sind - ich werde es bestimmt nicht verraten :breitgrins:)


  • Das Buch von Coetzee habe ich auch gelesen, halte es aber für das Verständnis der Dämonen für wenig hilfreich. Es ist eine fiktive Geschichte um Dostojewski, der quasi zur Romanfigur seines eigenen Romans wird, eher verwirrend als erhellend! Oder erinnere ich mich falsch? Von Coetzee ( bes. von seinem Roman Schande) halte ich ansonsten viel!


    Nun ja, da ich mich mit Dostojewski nicht so aus kannte und auch die "Dämonen" nicht gelesen hatte, musste man halt viel googeln und sich informieren. Jetzt, da ich das Buch lese, finde ich die ganze Idee von Coetzee - Biographisches mit diesem Roman zu koppeln - brillant.

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Zitat von riff-raff« am: Heute um 11:53 »

    Kirillow plant ja, sich umzubringen, aber die Gründe, die er diesbezüglich anführt, erschliessen sich mir nur teilweise, weshalb ich sie mal aufführe ...


    Danke für die Auflistung, sie macht einiges klar und auch wieder nicht. So zwingend logisch und folgerichtig sich die Gründe für den Selbstmord im Kopf von Kirillow ausnehmen, so ist er doch Anflügen von Lebensfreude ausgesetzt, es “gurkt“ ihn an ( wie du so schön sagst), sich umzubringen, er hat einen Ball, mit dem er sich fit hält … Danke Dostojewski und riff-raff für dieses kleine brennglasartige Detail! Und bezeichnenderweise lässt sich Pjotr Stepanowitsch diesen Ball- warum ist wohl klar - nach seinem Besuch aushändigen, auch so ein vielsagendes kleines Detail!
    Mir fiel bei K.s ambivalenter Haltung Schillers schöner Satz ein: Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit. Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen…


    Ich kann mich bei Kirillows Gedankengebäude des Eindrucks nicht erwehren , dass seine eiskalte Logik, die er durch einen Selbstmord krönen will, (ob er es tut, weiß ich noch nicht), von pubertärer Radikalität und im Grunde pseudologisch ist. Denn wenn die höchste Freiheit darin besteht, dass es egal = gleich ist zu leben oder nicht zu leben, dann könnte er dieses genausogut durch „grundloses“ Weiterleben beweisen wie durch einen „grundlosen“ Suizid. Und wenn alles egal ist, müsste auch der Umstand, dass alles egal ist, egal sein und müsste nicht bewiesen werden! Gerade seine „Beweisführung“ würde das Gegenteil beweisen! :zwinker:

    Zitat von Anita« am: Heute um 12:05

    Jetzt, da ich das Buch lese, finde ich die ganze Idee von Coetzee - Biographisches mit diesem Roman zu koppeln - brillant.


    Vielleicht hast du recht. Ich hatte mir schon vorgenommen, nach der Dostojewski-Lektüre das Buch von Coetzee nochmal in die Hand zu nehmen...
    Aber dass dieser „weitergesponnene Roman“ im Moment nicht unbedingt zum Verständnis der Dämonen beiträgt, das siehst du doch auch so, oder?

  • Jetzt, da ich das Buch lese, finde ich die ganze Idee von Coetzee - Biographisches mit diesem Roman zu koppeln - brillant.


    Den "Meister von Petersburg" habe ich ebenfalls gelesen. Zwar habe ich keine detailierte Erinnerungen mehr daran, weiss aber noch, dass ich es sehr gerne gelesen habe und es früher oder später sicher für eine Zweitlektüre hervorsuchen werde.


  • Aber dass dieser „weitergesponnene Roman“ im Moment nicht unbedingt zum Verständnis der Dämonen beiträgt, das siehst du doch auch so, oder?


    Oh kam das nicht rüber :redface: Zum Verständnis bestimmt nicht, dazu musste ich mir wie gesagt alles ergoogeln, denn er wirft diese zwei Ebenen wild in einen Topf. Der Roman macht neugierig auf Dostojewski als Mensch sowie auf die "Dämonen". - Hm, vielleicht lässt Coetzee allerdings diese zerrissene Saite von Dostojewski durchschimmern, dieses Leiden und seine Sinnsuche. Ja das vielleicht. -

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Und bezeichnenderweise lässt sich Pjotr Stepanowitsch diesen Ball- warum ist wohl klar - nach seinem Besuch aushändigen, auch so ein vielsagendes kleines Detail!


    Jetzt, da du es sagst, fällt mir der Symbolcharakter der Szene ebenfalls auf. Danke! Beim Lesen hingegen dachte ich nur, was will denn Pjotr bloss mit diesem Ball ...


  • was mich am meisten an Dostojewski stört, ist sein Glauben an Russland. Diese "Slawophilie" kann ich gar nicht verstehen, was meint er damit?


    Hallo Lisbeth!


    Sehr gute Frage - musste mich selbst erst mal schlau machen ...


    Als Slawen wird eine Gruppe von Völkern bezeichnet, die eine slawische Sprache sprechen (klingt logisch :breitgrins:) und die vor allem Ostmitteleuropa, Osteuropa und Südosteuropa bewohnen.


    Nationen mit mehrheitlich slawischer Bevölkerung sind heutzutage:


    [li]
    ostslawische Staaten: Russische Föderation, die Ukraine und Weissrussland[/li]
    [li]westslawische Staaten: Polen, die Slowakei und Tschechien[/li]
    [li]südslawische Staaten: Bulgarien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien[/li]
    [li]grosse slawische Minderheiten leben in Estland, Moldawien, Kasachstan, Litauen und Lettland[/li]


    Die Slawophilie selbst geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Damals gab es in Russland zwei grosse politische Gruppierungen: die Westler und die Slawophilen.


    Die Westler traten unter anderem für die Abschaffung der Leibeigenschaft und (im Gegensatz zu den Slawophilen) für einen engen politischen und kulturellen Anschluss Russlands an Westeuropa ein.


    Die Slawophilen hingegen sorgten sich um die Eigenständigkeit der orthodoxen russischen Kultur und wandten sich deshalb gegen die Europäisierung Russlands. Die Slawophilen waren von einem starken nationalen Sendungsbewusstsein durchdrungen; nachfolgend zwei Zitate eines der Wegbereiter der Slawophilie in den 1820er Jahren, die dieses Sendungsbewusstsein verdeutlichen:


    Wilhelm Küchelbecker (ein Russe baltendeutscher Abkunft):


    [li]"Der Himmel hat die Russen dazu berufen, zu einer grossen, segensreichen Erscheinung in der sittlichen Welt zu werden."[/li]
    [li]"Das Heilige Russland soll nicht nur in der politischen, sondern auch in der sittlichen Welt die erste Vormacht werden!"[/li]


    Oder etwa Iwan Kirejewskij, der von "der grossen Bestimmung unseres Vaterlandes" spricht und davon, dass alle anderen Staaten Europas ihre Entwicklung bereits beendet hätten und nun die jungen, unverbrauchten Kräfte Russland in den Mittelpunkt treten sollten, "ein Volk, das über die anderen durch sein geistiges und politisches Übergewicht die Vorherrschaft ausübt".


    Bei den Slawophilen wird rationales Denken: "Verstand" (Europa) dem intuitiven Erkennen, dem "Glauben" (Russland) gegenübergestellt. Der Priester Dmitrij Dudko schreibt noch im Jahre 1991: "An Gott und Russland muss man einfach glauben. Dies kann man rational nicht erklären. Russland ist ein irrationales Land".


    Vieles, von dem, was ich hier schreibe habe ich aus einem Aufsatz von Rudolf Neuhäuser. Ich zitiere:


    "Als der 1821 geborene Dostojewskij im Alter von 23 bis 25 Jahren zu schreiben begann, da waren bereits alle wesentlichen Komponenten einer slawo- bzw. russophilen Ideologie vorhanden und verfügbar."


    In jungen Jahren wurde Dostojewski wegen der Teilnahme an einem revolutionär gesinnten Diskussionskreis verhaftet und zum Tode verurteilt, jedoch vom Zaren begnadigt und für vier Jahre in ein Straflager in Sibirien verbracht. Die Behörden erlaubten sich dabei einen äusserst makabren Scherz, als sie Dostojewski und seine Mitverurteilten erst dann von der Begnadigung erzählten, als sie bereits auf dem Erschiessunsplatz standen. Man muss sich das einmal vorstellen, Dostojewski und seine Freunde hatten mit dem Leben bereits abgeschlossen und wähnten sich tot ... Einer der Gefangenen ertrug diese Charade nicht und würde verrückt.


    In Sibirien lebte Dostojewski mit Mördern und Verbrechern zusammen (später verarbeitete er diese Zeit in seinen Aufzeichnungen aus einem Totenhaus), und diese vier Jahren veränderten sein Leben.


    Nabokov (lapidar und abschätzig wie immer, wenn es um Dostojewski geht): Um in dieser Umgebung nicht gänzlich den Verstand zu verlieren, brauchte Dostojewski etwas, an das er sich halten konnte. Er fand diesen Halt in einem neurotischen Christentum, das sich während jener Jahre in ihm entwickelte. Es ist nur natürlich, dass einige der Sträflinge, unter denen er lebte, neben schrecklicher Bestialität auch ab und zu einen menschlichen Zug aufwiesen. Dostojewski sammelte solche Manifestationen und nutzte sie, um darauf eine überaus künstliche und ganz und gar pathologische Idealisierung des einfachen russischen Volkes aufzubauen. Das war der erste Schritt auf seinem folgenden spirituellen Weg.


    Nabokov schreibt, dass Dostojewski ursprünglich (also bis zu seiner Verhaftung) eher zu den Westlern tendiert hätte, aber nun änderte sich seine Haltung:


    Nabokov: "Seit den Tagen seiner radikalen Jugend hatte sich seine Haltung gegenüber der Regierung vollständig gewandelt. Sein politisches Glaubensbekenntnis ruhte auf denselben drei Säulen, auf die sich das reaktionäre politische Slawophilentum stützte: Grieschisch-katholische Kirche, absolute Monarchie und der Kult des russischen Nationalismus."


    Und einiges von dieser Ideologie schwappt halt manchmal auch unangenehm in seine Romane über. Aber wenn man die Hintergründe ein bisschen kennt, wirds erträglicher ...


    Gruss


    riff-raff



    Quellen:
    Brockhaus
    http://de.wikipedia.org/wiki/Slawen
    Rudolf Neuhäuser in: Dostojewskij im Kreuzverhör
    Wladimir Nabokov in: Die Kunst des Lesens (Fischer-Verlag, 2010)


  • Wo in den Dämonen hast du Hinweise auf Dostojewskis Slawophilie gefunden?


    Das Wort fiel im Roman, es müsste aus Stepans Munde gekommen sein, bin mir aber nicht mehr sicher. Vielleicht aber auch im Streit zwischen Peter und seinem Vater, aber auf Stepan gemünzt.

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Jetzt, da du es sagst, fällt mir der Symbolcharakter der Szene ebenfalls auf. Danke! Beim Lesen hingegen dachte ich nur, was will denn Pjotr bloss mit diesem Ball ...


    Ui danke, das ist ein toller Hinweis, und das Buch von Camus ist auch geordert :smile:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Das Wort fiel im Roman, es müsste aus Stepans Munde gekommen sein, bin mir aber nicht mehr sicher. Vielleicht aber auch im Streit zwischen Peter und seinem Vater, aber auf Stepan gemünzt.




    Missverständnis. Ich fragte, wo und inwiefern Dostojewskis Slawophilie und Glauben an Russland (was nicht unbedingt dasselbe ist) in den Dämonen sichtbar oder spürbar wird und zwar so, dass es wie für Lisbeth störend ist.

  • Missverständnis. Ich fragte, wo und inwiefern Dostojewskis Slawophilie und Glauben an Russland (was nicht unbedingt dasselbe ist) in den Dämonen sichtbar oder spürbar wird und zwar so, dass es wie für Lisbeth störend ist.


    Schatow bezeichnet in seinem Gespräch mit Stawrogin die Russen als "Gottesträgervolk" (2. Teil,I,7) und begründet dies damit, dass es "allein berufen und fähig ist, alle anderen mit seiner Wahrheit zu erwecken und zu erlösen".


    Aber Gontscharow fragt natürlich zu Recht, inwiefern es Dostojewski ist, der hier spricht. Im Prinzip kann jeder Autor sich hinter seinen Figuren oder seinem Erzähler verstecken, egal ob Ich-Erzähler oder allwissend, und ihnen seine Ansichten unterschieben. Ich wüßte aber nicht, wie man dies aus dem Textzusammenhang heraus, also ohne Zuhilfenahme weiterer Quellen beweisen könnte.


    Gruß
    Klaus

  • Hallo,


    interessante und weiterführende Diskussion von allen Seiten!
    Die Slawophilie scheint immer nur indirekt auf, z. B. in den Kommentaren des Ich-Erzählers und anderer, mit denen Werchovenskis Europageneigtheit kritisiert wird. Sie kommt auch häufig auf in den Szenen auf, die den russischen Volksglauben thematisieren, als ein Chrakteristikum, das es im Westen nicht gebe (und in der Tat wohl auch so nie gegeben hat). Am Anfang schrieb auch ich, dass mich diese slawophile Haltung Ds. störe, muss aber inzwischen sagen, dass sie in diesem Roman (bin im III. Teil, 2. Kap.) recht dezent ist.
    Wie Gontscharow richtig schreibt, muss man sich wohl auch von dem konkreten ideologischen Hintergrund dieses Romans lösen, um ihn zu genießen, dann kann man ihn überraschend aktuell finden. Was mit der "revolutionären" entwurzelten Jugend in dem Kreisstädtchen passiert, flammt auch bei uns allemal auf und hat ähnliche Ursachen: Entwurzelung und Perspektivlosigkeit: Aber schon Dostojevskij zeigt in seinem Roman auf, dass es darauf keine einfachen Antworten, kein Allheilmittel gibt.
    Was mich aber immer wieder aufs Neue an diesem Autor fasziniert, ist die Art, wie er inszeniert, ja, anders kann man das kaum sagen. Als ich III, 1 las - Das Fest, erster Teil - kam ich mir vor wie in einer Oper: Tusch, Auftritt des Chors (der Zuschauer), Gewisper im Hintergrund, Grummeln hinter der Bühne und dann kamen die wichtigen Nebenpersonen-Adelsmarschallin und Lisaweta, der Gouverneur und Gattin, jeweils mit dem entsprechenden Getöse, alles nimmt erwartungsvoll Platz ... und dann geht die Post ab! Erneuter Tusch: Temopreicher und spannender kann man kaum erzählen.
    Nun habe ich mich auch noch mal über die Hintergründe der Dostojevkij-Turgenjev-Feindschaft informiert, denn wie hier Karmasinov rangenommen wird, ist wirklich unschön.
    Turgenjev war ursprünglich ein Bewunderer von Ds. frühen Romanen und D. schätzte "Väter und Söhne" sehr, außerdem steuerte Turgenjev seine Erzählung "Gespenster" zu "Epocha" bei, einer Zeitschirft, die D. und sien Bruder in jüngeren Jahren gegründet hatte.
    Aber das Zerwürfnis rührte daher, dass D. in Deutschland wegen Spielschulden um einen Kredit um 100 oder mehr Taler bat, aber nur 30 von Turgenjev bekam, der wohl reich, aber auch vorsichtig war. Dies nahm D. wohl als Beleidigung wahr und beobachtete danach Turgenjevs Werdegang mit Misstrauen und Ablehnung, was auch mit dessen Verehrung der westlichen Kultur zu tun hatte. Dennoch ist wenig schön, aber vielleicht auch allzumenschlich, dass D. Turgenjev in dem Kapitel III, 1 regelrecht zur Schlachtbank führt: Ausgerechnet die ihm zur Unterstützung dienende Erzählung "Gespenster" macht er unter dem Titel "Merci" lächerlich und lässt den Autoren in Unverständnis und Selbstmitleid untergehen.
    So sind sie, unsere großen Schriftsteller ...


    finsbury


  • Schatow bezeichnet in seinem Gespräch mit Stawrogin die Russen als "Gottesträgervolk" (2. Teil,I,7) und begründet dies damit, dass es "allein berufen und fähig ist, alle anderen mit seiner Wahrheit zu erwecken und zu erlösen".


    Ja, und sein Gesprächspartner bemängelt unter anderem daran, "dass Sie Gott zu einem bloßen Attribut der Nationalität herabwürdigen“. Tja, wer ist nun Dostojewski?
    Wie schon an anderer Stelle gesagt, die Gegenargumente sind zu gut und Schatow, der mit „Schaum vor dem Mund“ die Idee des „Gottesträgervolkes“ verficht, zu exaltiert, als dass ich glauben kann, dass Dostojewski aus ihm spricht.
    Wie finsbury finde ich den Umgang mit dem Thema Slawophilie in den Dämonen „dezent“. Ja, von Slawophilie ist die Rede, aber wie von anderen zeittypischen Geisteshaltungen auch, nirgends wird sie unwidersprochen propagiert oder gar als Botschaft an den Leser gebracht.


    Zitat von finsbury« am: Heute um 18:12 »

    … dann kann man ihn (den Roman) überraschend aktuell finden.


    In der Tat. Interessant z. B. welche Parallelen Jan Phlipp Reemtsma in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt zieht :
    Mir geht es darum, an einem Beispiel zu zeigen, wie Literatur dazu beitragen kann, Gesellschaft zu verstehen. Der bedeutendste Soziologe der Macht war William Shakespeare. Autoren gelingt es immer wieder, für bestimmte Vorgänge Modelle zu entwerfen, die im Grunde dem entsprechen, was Max Weber Idealtypen nannte. Im Fall von Dostojewski war es so, dass er die Presseberichte über einen Prozess gegen einen russischen Anarchisten namens Netschajew genau verfolgt hat. Der Mann war angeklagt, ein anderes Mitglied seiner Gruppe ermordet zu haben. Ein Mord, der - so Dostojewskis Interpretation - dazu diente, den Zusammenhalt der Gruppe durch ein gemeinsames Verbrechen zu festigen. Dostojewski hat das, was er über das Funktionieren einer solchen Terrorgruppe in diesem Prozess gelernt hat, in den Roman "Die Dämonen" eingebaut. Und das ist ihm so gültig gelungen, dass man als Leser bei bestimmten Szenen das Gefühl hat, ins Berlin der frühen 70er-Jahre versetzt zu sein mehr

  • 'Stawrogins Beichte' (zweiter Teil, neuntes Kapitel: Bei Tichon) ist sicherlich eines der düstersten Kapitel des Romans. Da findet man wahrlich keine Spur mehr von Humor oder Ironie. Und nachdem man es gelesen hat, ändert sich der Blick auf Stawrogin radikal.


    Stawrogin scheint von einem tiefen Drang beseelt zu sein, sich selbst zu erniedrigen und sich in seinen eigenen Gewissensbissen zu suhlen:


    Jede ausserordentlich schmähliche, masslos erniedrigende, niederträchtige und vor allem lächerliche Lage, in die ich in meinem Leben geriet, erregte in mir ausser einem masslosen Zorn auch ein unmässiges Lustgefühl. Ebenso im Augenblick, da ich ein Verbrechen beging, oder im Augenblick jäher Lebensgefahr. Würde ich stehlen, dann würde ich mich beim Stehlen am Bewusstsein meiner Niedertracht berauschen. Es war nicht die Niedetracht, die ich liebte [...], es ging mir um den Rausch des quälenden Bewusstseins meiner Gemeinheit.


    Auch Schatow wirft ihm vor, eine perverse Genugtuung aus seinen Grenzüberschreitungen zu ziehen:


    Oh, Sie wandeln nicht am Rande des Abgrunds, sondern Sie stürzen sich entschlossen kopfüber hinein. Sie haben geheiratet aus Leidenschaft für Qual, aus Leidenschaft für Gewissensbisse, aus moralischer Wollust. [...] Die Herausforderung an den gesunden Menschenverstand war zu verführerisch! Ein Stawrogin und eine schäbige, schwachsinnige, bettelarme Lahme! Empfanden Sie etwas keine Wollust, als Sie den Gouverneur ins Ohr bissen? Empfanden Sie keine Wollust? Sie müssiges, wankelmütiges Herrensöhnschen, empfanden Sie keine Wollust?


    In seinem Bericht, den er Tichon vorlegt, versucht Stawrogin seine - auch schon so abartigen - Taten noch dadurch an Drastigkeit und Unerhörtheit zu verstärken, dass er immer wieder hervorhebt, wie seine Verbrechen nie im Affekt erfolgt sind, sondern immer das Resultat einer kaltblütigen Rationalität darstellten:



    [li]Es lodert in mir wie richtiges Feuer auf, aber ich war jederzeit in der Lage, es zu beherrschen, zu löschen und ihm sogar auf seinerm Höhepunkt Einhalt zu gebieten, ich wollte nur nie Einhalt gebieten.[/li]
    [li]... Dies alles, damit jeder weiss, dass diese Gefühl mich niemals überwältigte und dass ich die ganze Zeit vollständig bei Bewusstsein blieb.[/li]
    [li]Ich erwähne hier diese Bagatelle, weil ich unbedingt beweisen will, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten war.[/li]
    [li]usw.[/li]


    Er unternimmt alles, um seine Taten nicht als die Folgen irgendeiner Krankheit oder Geistesgestörtheit erscheinen zu lassen. Alle mildernden Umstände werden von ihm schon im Vorfeld ausgemerzt. Das hat mich an die Ich-Erzähler in einigen von Edgar Allan Poes Kurzgeschichten erinnert, die den Leser dermassen penetrant darauf aufmerksam machen wie geistig gesund sie seien, dass gerade diese nachdrückliche Erwähnung im Leser den Verdacht aufkommen lasse, es hier mit einem Irren zu tun zu haben.


    Stawrogin hebt so oft seine bewusste und überlegte Handlungsweise hervor, dass er damit eigentlich nur zwei Ziele verfolgen kann: Entweder möchte er eine wie auch immer geartete Geisteskrankheit vertuschen oder er möchte, dass wir ihn ob seiner Kaltblütigkeit nur umso mehr verachten. Tichon tendiert zu Letzterem:


    Sie scheinen an ihrer eigenen Psychologie Gefallen zu finden, und jedes Detail ist Ihnen recht, nur um den Leser durch eine Gefühllosigkeit zu überraschen, die Ihnen keineswegs eigen ist. [...] Sie möchten, dass ich Sie so schnell wie möglich verachte und es auch zeige. [...] Sie möchten sich absichtlich brutaler machen, als Ihr Herz fühlt ...


    Wenn Stawrogin dann vage eingesteht, dass er sich vielleicht wirklich in manchem selbst verleumdet hat, steht man als Leser der Beichte vor einem Problem: Wie viel davon darf man glauben und was ist lediglich bewusste Eigenverleumdung?


    Überhaupt scheint das Wort "Beichte" hier fehl am Platz zu sein, und im Roman kommt diese Bezeichnung, glaube ich, auch gar nicht vor, sondern sie hat sich einfach allgemein für dieses Kapitel eingebürgert. Die erste Grundbedingung einer Beichte ist Reue: ich bereue, beichte und erhoffe mir davon Vergebung, Verständnis oder eventuell Mitleid. Aber Mitleid oder Verständnis, genau das will Stawrogin nicht, genau das erträgt er nicht. Was er will, ist die Leute mit seiner Bericht zu schockieren und gehasst zu werden.


    Tichon: Sie scheinen alle, die das Geschriebene lesen werden, im voraus zu hassen und zum Kampf herauszufordern. [...] Bedeutet das, dass deren Hass Ihren Hass wecken soll und dass Sie hassend sich leichter fühlen würden, als wenn sie ihr Mitleid ertragen müssten? [...] Wenn Sie sich nicht geschämt haben, das Verbrechen zu bekennen, warum schämen Sie sich Ihrer Reue?


    Stawrogin wird sein Bekenntnis nicht veröffentlichen, genau so wenig er seine Heirat mit Marja Lebjadkina jemals bekannt machen wird, obwohl er diesen Schritt immer wieder ankündigt. Bedeutet das, dass ihm die Meinung der Leute letztendlich doch nicht so gleichgültig ist, dass er doch nicht so frei ist, sich über alle sozialen Konventionen hinwegzusetzen, wie er das gerne möchte? Tichon prophezeit es ihm:


    Einen Tag, vielleicht eine Stunde vor dem grossen Schritt werden Sie sich in ein neues Verbrechen stürzen, wie in einen Ausweg, nur um die Veröffentlichung dieser Blätter zu vermeiden!

  • Stawrogin erscheint mir wie ein 'unbewegter Beweger': nichts vermag ihn zu entflammen oder zu begeistern, aber die Menschen um ihn herum werde alle durch ihn beeinflusst und verändert. Eine Weile lang hat er sich anscheinend bemüht, den Glauben an Gott und Russland in sich zu entfachen. Vergeblich. Aber Sachow wurde dadurch vom Sozialisten zum überzeugten Slawophilen gewandelt (Sachow: "Ich war der Jünger und sie der Meister.") Als er Stawrogin seine eigenen Worte wieder in Erinnerung ruft und fragt, warum er sich jetzt davon lossage und ob das alles nur leeres Gerede gewesen sei, antwortet dieser:


    Ich habe Sie damals nicht zum besten gehalten; als ich Sie überzeugen wollte, geschah es vielleicht mehr um meinetwillen als um Ihretwegen.


    Und zur gleichen Zeit, als er Sachow "Gott und Heimat ins Herz pflanzte" - oder besser gesagt: in sein eigenes Herz zu pflanzen suchte -, zur selben Zeit spielt er auch mit dem entgegengesetzten Gedanken, macht aus Kirillow einen Atheisten und weckt in ihm den Gedanken an den "logischen Selbstmord" (Schatow: "Gehen Sie doch jetzt hin und sehen Sie ihn an, das ist Ihr Werk ...")


    Stawrogin probiert Lebensmöglichkeiten und Überzeugungen an wie Anzüge, stets auf der Suche nach etwas, das ihm passt und auf den Leib geschneidert ist. Aber sein Problem ist die Gleichgültigkeit ... Nicht die Gleichgültigkeit eines Kirillow, für den alles gleich gültig ist und somit wertvoll ist, sondern Gleichgültigkeit im Sinne von: alles lässt mich kalt, nichts gelingt es, mich zu beseelen oder zu begeistern.


    Vielleicht ist es die Leere Stawrogins, die ihn zur idealen Projektionsfläche für seine Umgebung macht. Pjotr Stepanowitsch sieht in ihm den idealen Anführer für seine politische Bewegung, wegen seiner "aussergewöhnlichen Befähigung zum Verbrechen":


    Sie sind genau der, den man braucht. Ich, ich brauche genau so einen wie Sie. Ich weiss keinen anderen ausser Ihnen. Sie sind der Führer, die Sonne [...].


    Alle erhoffen sich etwas von ihm alle hofieren und umschwirren ihn. Die Frauen sowieso ... - aber auch die Männer:


    Pjotr Stepanowitsch: Stawrogin, Sie sind ein schöner Mann. Ich bin ein Nihilist, aber ich liebe die Schönheit. Lieben Nihilisten die Schöhnheit etwa nicht? Nur Götzen lieben sie nicht, gut, aber ich liebe einen Götzen. Sie sind mein Götze. (Lese ich da etwas eine homoerotische Komponente heraus? ...)


    Schatow: Ich tat es [Ohrfeige], weil Sie so viel in meinem Leben bedeutet haben ...


    Stawrogin selbst scheint sich das am allerwenigsten erklären zu können:


    zu Schatow: Sie scheinen mich für eine Sonne zu halten und sich selbst im Vergleich mit mir für ein Insekt.


    zu Pjotr Stepanowitsch: Aber was wollen Sie mit mir? [...] Soll ich für Sie ein Talisman sein?


    Aber was nützt einem die Bewunderung der anderen, wenn man selbst nicht lieben kann (zu Schatow: "Ich bedaure, dass ich Sie nicht lieben kann.").


    Wenn er doch wenigsten kalt wäre wie Kirillow oder heiss wie Schatow ... Aber Stawrogin ist keins von beidem und deshalb steht ihm die Stelle aus der Apokalypse immer so schmerzhaft vor Augen:


    Ich weiss deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.