Halldór Laxness: Weltlicht


  • heute bin ich ein gutes Stück weitergekommen und befinde mich vor Beginn von IV, 11.


    Ui, das ist ja gestreckter Galopp, oder so etwas in der Art ... :breitgrins:


    So schnell kann ich derzeit mangels Zeit nicht vorankommen - sorry.


    Schönes Wochenende!


    Tom


  • Was mir an diesem Buch gefällt, ist die Verehrung angesichts dieser Großartigkeit, diese Goethesche Betrachtungsweise der "Herrlichkeit in der Natur".
    Olafur begeht im Laufe des IV. Buches Handlungen, die nach unserem heutigen Verständnis absolut nicht korrekt sind und seine eher gleichgültige und rechtfertigende Betrachtungsweise der Dinge ist schwer zu schlucken.



    Zitat von "Sir Thomas"

    Ich habe gestern den vierten Teil begonnen, bin aber über das erste Kapitel nicht hinausgekommen. Der Einstieg in das Finale ist grandios. Die Landschaft am Gletscher spiegelt die Befindlichkeiten des restlos resignierten Dichters. Sehr schön geschrieben, sehr poetisch! Das gefällt mir - und Euch hoffentlich auch



    den Beginn finde ich auch grandios und der absolute Tiefpunkt seiner Erkenntnis über sein Leben im Kapitel 5 ist großartig beschrieben:


    Kapitel 4/5
    Dann sind fünf Jahre vergangen, auf jene hinterlistige Art und Weise, mit der sich die Zeit vom Herzen wegstiehlt..... Er erwacht in den Tiefen der Nacht, ein Fremder in seinem eigenen Leben, voll Reue über die Sünden, die er nicht gegangen hat, und seine Taten sind schon längst in Mitleid ertrunken; er erwacht weit fort von sich selbst, ein Verirrter in der Wüste des Menschenlebens, und der Weg zurück ist zu lang für ein Menschenleben...



    Was aber dann folgt ist unannehmbar. Ich finde, Olafur ist ein unbeherrschter und unlehrbarer Heuchler, der seine Aufsichts- und Lehrpflicht auf schlimmste verletzt hat.


    Ein paar Seiten zuvor, sah man wieder wie er in sein altes Schema verfiel. Sein Sohn kommt zur Welt und er denkt an dessen Tod. Was hat er denn getan um seine früheren Kinder zu retten? Er vergißt sogar für den Winter Brennmaterial zu sammeln.


    Hier ist nichts mehr mit "Schönheit" zu entschuldigen.


    Ich komme zu 4/6.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)



  • Die satirische Schilderung der isländischen Honoratioren , insbesondere in IV,8 des Bezirksrichters und seines Gefolges wiegen wieder viele Passagen Olafurschen/r Selbstmitleids und Selbstüberhöhung auf.
    In IV, 10 müste Olafur eigentlich im Gefängnis verweilen, aber unerklärlicherweise befindet er sich auf der Suche nach seiner Mutter und findet sie auch. Habe ich da war überlesen oder muss ich das so hinnehmen?



    Hallo zusammen,


    ich bin nun auch soweit. Wenn das drum herum nicht wäre, würde ich abbrechen. Mich regt der Lichtvikinger seit beginn des 4. Teils derart auf ! Was für ein armseliges (Innen)Leben ! (vom äußeren Leben mal abgesehen, dass er im Grunde nicht von dieser Welt ist, haben wir ja zu genüge gelesen).


    Er betont, dass er niemanden böse sein kann. Doch im Grunde fehlt es ihm an Unterscheidungsvermögen; so wie er am Beginn, als er vom Krankenbett aufstand und schwankend umherging, weil er zwei verschiedene Beinlängen hatte und vom Liegen vermutlich kaum Rückenmuskulatur hatte, so schwankt er immer noch rückratslos durchs Leben. Dem Redakteur in dieser Stadt redet Olafur auch nach dem Munde.


    finsbury,
    du hast nichts überlesen, wegen der Mutter. Die Szene war plötzlich wie eingefügt da. Ich frage mich, warum er nicht früher seine Mutter gesucht/besucht hat. Die Stadt war ja nicht soweit von seinem letzten Wohnsitz entfernt. Er wußte ja, wo sie zu finden war.


    Ich komme zu Kapitel 4/12.


    ein schönes Wochenende wünscht euch
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    befinde mich knapp vor dem Ende. Entschuldigt, dass ich so "davongaloppiere", aber jetzt, wo das Ende naht, will ich es auch hinter mir haben, denn genau wie du, Maria, kann ich den Ljosvikingur nicht mehr ertragen. Zum Ende hin verliebt er sich nochmal, natürlich in einem Traumgesicht angekündigt, und benimmt sich genauso selbstmitleidig und schmierig wie in den meisten Beziehungen, die im Buch geschildert werden.
    Da diese Geschichte auf einer Schiffstour um die Insel spielt, bekommt man zur Entschädigung wenigstens einige schöne Schilderungen aus verschiedenen Küstenorten. Ich stecke nun in Kapitel 22 und bin nur noch 9 Seiten vom Schluss entfernt.


    finsbury


    Anna Magdalena, was ist eigentlich mit dir? Du bist sicherlich schon lange fertig ... . Wie lautet denn dein abschließendes Urteil über dieses Werk?

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • Hallo,


    befinde mich knapp vor dem Ende. Entschuldigt, dass ich so "davongaloppiere", aber jetzt, wo das Ende naht, will ich es auch hinter mir haben, denn genau wie du, Maria, kann ich den Ljosvikingur nicht mehr ertragen. Zum Ende hin verliebt er sich nochmal, natürlich in einem Traumgesicht angekündigt, und benimmt sich genauso selbstmitleidig und schmierig wie in den meisten Beziehungen, die im Buch geschildert werden.
    Da diese Geschichte auf einer Schiffstour um die Insel spielt, bekommt man zur Entschädigung wenigstens einige schöne Schilderungen aus verschiedenen Küstenorten. Ich stecke nun in Kapitel 22 und bin nur noch 9 Seiten vom Schluss entfernt.


    finsbury


    dein davongaloppieren kann ich verstehen ;-)


    dazu fällt mir diese Disa von Holsbud ein, die gefangen in einem Käfig, sich nicht mehr aufrichten kann und verrückt geworden ist; Olafur begegnet ihr in diesem Armenhaus und gegen Ende des 3. Teils wird diese arme Kreatur zur Wahlurne getragen. Im Grunde ist Olafur wie diese Kreatur, nur ist es bei ihm nicht derart sichtbar wie verkrüppelt er innerlich ist.


    Ihm fehlte jemanden der ihm zu einem bestimmten Zeitpunkte mahnte Deine Lehrjahre sind vorüber.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ihm fehlte jemanden der ihm zu einem bestimmten Zeitpunkte mahnte Deine Lehrjahre sind vorüber.


    So kann man das durchaus sehen. Aber vielleicht ist es auch so, dass er von Anfang an sich von anderen Menschen hat aushalten lassen, natürlich auf niedrigstem Niveau, aber bereits in Fordar unter Fordarfödur hat er sich ja schnell, wenn auch nicht absichtlich, aus dem Arbeitsprozess verabschiedet und diese Haltung seitdem nie mehr aufgegeben. Aber vielleicht haben wir auch die preußisch-protestantische Arbeitsethik zu sehr internalisiert, dass uns so ein Lebenswandel derart gegen den Strich geht. Dass ein Künstler, um sein Werk zu verwirklichen, phasenweise rücksichtslos gegenüber seiner Umgebung sein muss, ist schon klar, aber Olafur übertreibt es wirklich, und die in diesem Buch enthaltenen Gedichte weisen nicht unbedingt daraufhin, dass es für dieses Werk lohnenswert ist, andere Menschen zu verletzen und auszubeuten.
    Es würde mich sehr interessieren, wie Laxness selbst zu seinem Helden stand. Dies wird mir absolut nicht deutlich: Teilweise ist er sehr ironisch, auch mit Olafur, und dann gibt er dessen Gedanken über Dutzende von Seiten ohne jegliche Brechung wieder.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Noch einmal ganz kurz zu Euren letzten Postings:



    ... jetzt, wo das Ende naht, will ich es auch hinter mir haben, denn genau wie du, Maria, kann ich den Ljosvikingur nicht mehr ertragen.



    Wenn das drum herum nicht wäre, würde ich abbrechen. Mich regt der Lichtvikinger seit beginn des 4. Teils derart auf !


    Diese Reaktionen bezüglich eines fiktiven Charakters verstehe ich nicht. Eure Aversionen sind mir fremd.
    Mir stellt sich die Frage: Warum schildert der Autor uns seine Hauptperson zum Teil derart negativ? Was steckt dahinter? Ich kann (noch) nicht glauben, dass Laxness das Dichterdasein als unauflösbaren Widerspruch zum "normalen" Leben begreift. Aber vielleicht ist gerade das die Kernaussage des gesamten Buchs.


    Dostojewski hat ähnlich ambivalente, widersprüchliche, zum Teil sogar unverständliche Gestalten in seinem Werk auftreten lassen. Das nur als "Warnung" für die anstehende Dämonen-Runde (an der ich ganz gewiss nicht teilnehmen werde).


  • Diese Reaktionen bezüglich eines fiktiven Charakters verstehe ich nicht. Eure Aversionen sind mir fremd.
    Mir stellt sich die Frage: Warum schildert der Autor uns seine Hauptperson zum Teil derart negativ? Was steckt dahinter? Ich kann (noch) nicht glauben, dass Laxness das Dichterdasein als unauflösbaren Widerspruch zum "normalen" Leben begreift. Aber vielleicht ist gerade das die Kernaussage des gesamten Buchs.


    Dostojewski hat ähnlich ambivalente, widersprüchliche, zum Teil sogar unverständliche Gestalten in seinem Werk auftreten lassen. Das nur als "Warnung" für die anstehende Dämonen-Runde (an der ich ganz gewiss nicht teilnehmen werde).


    Hallo Tom,


    meine Reaktion hat mich selbst überrascht. Denn bis dato (4. Teil) konnte ich recht gut mit dem Charakter umgehen, auch wenn er in mir, stellenweise mit seiner Unfähigkeit mit Alltag umzugehen, Unverständnis hervorrief. Einem Dichter/Künstler gesteht man so einiges zu.


    Der 4. Teil hingegen und die Episode mit dem 14jährigen Mädchen hat es bei mir zum Überlaufen gebracht. Die Unfähigkeit Weiterzudenken als nur bis zu seinen momentanen Bedürfnissen und immer wieder Entschuldigungen hervorzubringen (hier wars der Alkohol vom Vortag) hat mich kalterwischt. Seine Rechfertigung vor Gericht, warum er nicht die Wahrheit gesagt hatte, ist genauso armselig, wie sein gesamtes Leben.


    Die Frage, welche Absicht der Autor hinter dieser Figur verbirgt, habe ich mir auch gestellt.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geburt, Erziehung und der Nicht-Weiterentwicklung des Dichters? Will uns dies Laxness vermitteln?


    Dichtkunst, Schönheit und das Leben des Protagonisten. Was für einen Wert stellt es für ihn selbst dar und für seine Umgebung?


    ich empfinde, dass es ein vergeudetes Leben war und er dem Wahnsinn (Himmelsvision, Bera) schon sehr viel näher war, als ich es bis dahin bemerkte. Vielleicht schon seit seiner ersten Vision als er den 'Klang' hörte (?)


    Wie seht ihr das?


    Tom,
    Olafur konnte ich zwar nicht mehr ertragen, aber das hat nichts mit der Leserunde zu tun. Nicht, dass ein Mißverständnis auftritt. Wenn ich euch nicht gehabt hätte, wer weiß, ob ich soweit gekommen wäre.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo,


    Tom, es tut mir leid, wenn wir dir weggaloppiert sind.
    Es hat, wie schon Maria schrieb, nichts mit dieser sehr interessanten Leserunde, und es hat auch nichts mit dem Roman als Ganzem zu tun. Laxness ist einer meiner bevorzugten Autoren und obwohl er einige abstoßende Charaktere schildert, habe ich früher nie Probleme mit der Lektüre gehabt.
    Was mich hier so nervt, ist, wie sich Laxness zu dieser Figur verhält. Vor dem Hintergrund seiner Biografie, die ich allerdings erst zu einem Viertel gelesen habe, gibt es einige Übereinstimmungen zwischen Laxness und seinem Helden, allerdings in dem Maße, wie es, wie ich oben schrieb, für einen Künstler vertretbar ist.
    Dieser Olafur ist dagegen so selbstmitleidig, tut so, als fühle er mit der ganzen Menschheit mit und ist doch nicht in der Lage, sich in seine Nächsten einzufühlen, sucht mit der ganzen Seele nach der Schönheit des Himmels und findet doch immer nur sich selbst.
    Laxness verarbeitet hier im Übrigen die Tagebücher und Aufzeichnungen des Dichters Magnus Hjaltason.
    Vielleicht sollte mir das zu denken geben und eine distanziertere Betrachtung der Hauptfigur ermöglichen.
    Andere Leser erkennen auch mehr die ironische Brechung als ich:

    Zitat


    Laxness’s acknowledged source for the character of Olafur is the historical poet Magnus Hjaltason Magnusson (1873-1916). If Bjartur of Summerhouses may be seen as a tragic hero (as I believe he may), then Olafur is a comic one: a reflective and inoffensive vessel of good will whose impulse toward the ideal (symbolized by the “light” glimpsed through a bedroom window) is repeatedly compromised by his dealings with entrepreneurs and worldly wise men, and especially with alluring women.


    Das ist mir zwar auch aufgefallen, aber dennoch bleibt Laxness seltsam kritiklos gegenüber seinem Protagonisten.
    Auch die ästhetischen und kunstphilosophischen Ausführungen, die im Mittelpunkt stehen, kann ich so nicht nachvollziehen. Meine Auffassung vom Sinn der Literatur ist weniger transzendental begründet. Schönheit ist mir kein Wert an sich.
    Also, was bleibt mir dennoch von diesem Roman?
    - Wir erhalten einen interessanten und vermutlich wirklichkeitsnahen Einblick in die Lebenswelt der Nord- und Westisländer in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts.
    Laxness lässt einige unnachahmliche Charaktere auftreten:
    -Bei den Frauen bleibt mir am stärksten Magnina aus dem ersten Band im Gedächtnis. Was Laxness hier an differenzierter Darstellung leistet, ist ganz große Literatur.
    - Seine satirische Ader zeigt er manchmal bei seinem Protagonisten, aber besonders im zweiten und dritten Band bei den Geschehnissen in Svidinsvik: Solche Typen wie Petur Dreiross, Juel J. Juel, der Gemeindevorsteher und der Arzt können Dickensschen Charakteren problemlos das Wasser reichen.
    - Island ist eine karge Insel, die viele Menschen eher abschreckend finden. Unserem Autor dagegen gelingt es immer wieder, das Grandiose dieser Landschaft zu schildern, aber auch die kleinen Details - das Schreien der Vögel, Wetterphänomene, Pflanzen - vielleicht weil man in einer solchen Umgebung die Kleinigkeiten mehr beachtet und schätzt als in Ländern, die mit üppiger Natur und angenehmem Klima ausgestattet sind.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo!


    Ich bin mit dem Buch schon seit einiger Zeit fertig, aber da Ihr bisher so unterschiedlich weit in der Lektüre wart, habe ich mit meiner abschließenden Meinung noch gewartet.


    Nach den ersten beiden Teilen hatte ich mich schon gefreut, einen weiteren guten Autor aus Skandinavien entdeckt zu haben. Leider fand ich dann den dritten, vor allem aber den vierten Teil erzählerisch weitaus schwächer und habe den Roman ziemlich lustlos zu Ende gelesen. Bei der Beschreibung von Armut, Hunger und Demütigungen gibt es doch zunehmend Längen und Wiederholungen, eine Kürzung um etwa ein Viertel seines Umfangs hätte dem Buch gut getan. Von den eindringlichen Naturschilderungen und besonders von der pointierten, ironischen Darstellung der Figuren und sozialen Verhältnisse ist in der zweiten Hälfte des Buches nicht mehr viel zu finden. Gerade der Humor, hinter dem das mühselige, elende Leben der Romanfiguren doch immer spürbar blieb, fehlt fast völlig. Obwohl im vierten Teil eine ganze Menge geschieht, bleiben die einzelnen Episoden matt und farblos. Die Liebesgeschichte wie überhaupt das ganze Romanende fand ich schwach. Der Traum von dem Mädchen Bera, die Begegnung mit ihr, der großen Liebe, die ihm nach einem trostlosen, gedrückten Leben doch noch den Blick auf die Schönheit eröffnet, der Aufstieg zum Gletscher, dem Sinnbild der ewigen, unvergänglichen Schönheit, all diese Ereignisse am Schluss des Romans wirkten auf mich überhastet und aufgesetzt.


    Diese Reaktionen bezüglich eines fiktiven Charakters verstehe ich nicht. Eure Aversionen sind mir fremd.


    Da geht es mir genau so wie Sir Thomas. Auch ich gehöre zu den Lesern, die sich nicht mit den Romanfiguren identifizieren, sondern sie immer mit einer gewissen Distanz betrachten. Mich über deren Charakter oder Verhaltensweise aufzuregen, als hätte ich reale Personen vor mir, liegt mir fern (mit Ausnahme von Old Shatterhand; den würde ich, wenn es mir möglich wäre, mit seinem dämlichen Henrystutzen über den Haufen schießen :breitgrins:). Es sind eben zwei verschiedene Arten des Lesens. Ich hoffe, Sir Thomas, Du nimmst an der Dämonen-Leserunde nicht nur deswegen nicht teil, weil Du „identifikatorische Leser“ fürchtest.


    Aber abgesehen davon empfinde ich Olafur Karason Verhalten auch nicht als egoistisch oder abstoßend. Angesichts seiner elenden Kindheit ist es doch eigentlich erstaunlich, dass aus ihm ein so sanftmütiger, mitleidiger, zu Hass völlig unfähiger Mensch geworden ist. Nicht einmal Alkohol rührt er an. Trotzdem habe auch ich ein Problem mit dieser Figur. Olafur wird als eine Art heiliger Narr beschrieben, eine Mischung aus jesusähnlicher Gestalt, der selbst noch mit seinen Peinigern mitfühlt, allen Schmerz der Welt in sich trägt und den Menschen Erlösung durch die Dichtung verschaffen will, und reinem Tor mit kindlichem Gemüt, der ohne Bewusstsein von Schuld und Sünde stets seinen eigenen Bedürfnissen nachgibt. Er ist voller Mitleid mit den Menschen, macht aber nicht den leisesten Versuch, das durch Hunger und Kälte drohende Leid von seiner Familie fernzuhalten, und obwohl er sehr reflektiert ist, ist er nicht in der Lage, die Folgen seines Handelns zu überblicken. Auf mich wirkt die Figur weniger zerrissen als an vielen Stellen einfach überzogen und unstimmig.


    Da ich aber die ersten beiden Teile des Romans sehr gelungen fand, werde ich sicher noch einen Roman von Laxness lesen, vielleicht erstmal „Atomstation“.


    Gruß
    Anna

  • Aber abgesehen davon empfinde ich Olafur Karason Verhalten auch nicht als egoistisch oder abstoßend. Angesichts seiner elenden Kindheit ist es doch eigentlich erstaunlich, dass aus ihm ein so sanftmütiger, mitleidiger, zu Hass völlig unfähiger Mensch geworden ist. Nicht einmal Alkohol rührt er an. Trotzdem habe auch ich ein Problem mit dieser Figur. Olafur wird als eine Art heiliger Narr beschrieben, eine Mischung aus jesusähnlicher Gestalt, der selbst noch mit seinen Peinigern mitfühlt, allen Schmerz der Welt in sich trägt und den Menschen Erlösung durch die Dichtung verschaffen will, und reinem Tor mit kindlichem Gemüt, der ohne Bewusstsein von Schuld und Sünde stets seinen eigenen Bedürfnissen nachgibt. Er ist voller Mitleid mit den Menschen, macht aber nicht den leisesten Versuch, das durch Hunger und Kälte drohende Leid von seiner Familie fernzuhalten, und obwohl er sehr reflektiert ist, ist er nicht in der Lage, die Folgen seines Handelns zu überblicken. Auf mich wirkt die Figur weniger zerrissen als an vielen Stellen einfach überzogen und unstimmig.


    Hallo Anna,


    das ist finde ich gut zusammengefasst und beurteilt.
    Ansonsten ist gerade im dritten Teil noch ein gerüttelt Maß an Satire enthalten, wenn man an Olafurs Überführung denkt, bei der der Untersuchungsrichter erstmal ein Saufgelage einlegt und Aufpasser und Gefangenen einfach vergisst, es sogar noch als Zumutung empfindet, als diese sich in Erinnerung bringen.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Ich hoffe, Sir Thomas, Du nimmst an der Dämonen-Leserunde nicht nur deswegen nicht teil, weil Du „identifikatorische Leser“ fürchtest


    Meine letzte Dämonen-Lektüre liegt gerade einmal zwei Jahre zurück und hat den positiven Eindruck der Erstlektüre (ca. 20 Jahre her) nicht bestätigt. Außerdem stehen andere Dinge an als die Beschäftigung mit Dostojewski, den ich weitgehend abgeschlossen habe.

  • Ich bin auch fertig. Ihr habt viele interessante und schöne Dinge in Eure Schlußresümees gepackt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.


    Hier noch ein treffendes Zitat aus dem 1. Band:
    „Es dauert ein langes Menschenleben, sich in die Literatur Islands hineinzuversetzen, und sei es auch nur, um sich klar zu machen, dass man nur ganz wenig von ihr kennen und noch viel weniger von ihr verstehen kann.“


    Allen Mitstreitern herzlichen Dank!


    Tom

  • Hallo zusammen,


    abschließend möchte ich mich noch bei euch allen bedanken, besonders für eure Geduld, ob es um langsames oder zu schnelles Lesetempo ging, identifikatorisches oder reflektierendes lesen, eure Gedanken haben mir das Buch verständlicher gemacht. :winken:


    Zitat

    „Es dauert ein langes Menschenleben, sich in die Literatur Islands hineinzuversetzen, und sei es auch nur, um sich klar zu machen, dass man nur ganz wenig von ihr kennen und noch viel weniger von ihr verstehen kann.“



    wie treffend. Danke, Tom, fürs zitieren :winken:


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Soeben gelesen in Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen": Die Kunst steht mit der Tugend auf keinem guten Fuß. ... Sie wird nie im politischen Sinn moralisch, nie tugendhaft sein. Nie wird der Fortschritt sich auf sie verlassen können. Sie hat einen unzuverlässigen, verräterischen Grundhang. Ihr Entzücken an skandalöser Anti-Vernunft, ihre Neigung zu Schönheit schaffender „Barbarei“ ist unaustilgbar.


    Wenn man "Kunst" durch "Dichtung" ersetzt, trifft das Zitat durchaus auf unseren Freund Olafur zu. :zwinker:


  • Soeben gelesen in Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen": Die Kunst steht mit der Tugend auf keinem guten Fuß. ... Sie wird nie im politischen Sinn moralisch, nie tugendhaft sein. Nie wird der Fortschritt sich auf sie verlassen können. Sie hat einen unzuverlässigen, verräterischen Grundhang. Ihr Entzücken an skandalöser Anti-Vernunft, ihre Neigung zu Schönheit schaffender „Barbarei“ ist unaustilgbar.


    Wenn man "Kunst" durch "Dichtung" ersetzt, trifft das Zitat durchaus auf unseren Freund Olafur zu. :zwinker:


    ja, das ist eine gute Parallele. Bisher hatte ich auch eher die Produkte der Dichter gelesen, als eine dichterische Darstellung eines Dichters. Ich nehm Olafur jetzt als Überzeichnung eines Künstlers Mann'scher Facon und ihn deshalb so hin.
    Euch auch herzlichen Dank. Es hat auch gut getan, mal wieder - und diesmal in angenehmer Gesellschaft - im hohen Norden zu weilen.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Hallo zusammen!



    Ansonsten ist gerade im dritten Teil noch ein gerüttelt Maß an Satire enthalten


    @ finsbury, natürlich gibt es auch im letzten Teil noch einige ironische Stellen, aber insgesamt lässt die erzählerische Intensität doch stark nach und der Schluss ist mir einfach zu forciert, als habe Laxness partout noch zu einem erhebenden Abschluss kommen wollen.



    Ich bin auch fertig. Ihr habt viele interessante und schöne Dinge in Eure Schlußresümees gepackt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.


    @ Sir Thomas, mich würde trotzdem interessieren, ob Dir der Roman gefallen hat. Ein kurzes Statement?



    Hier noch ein treffendes Zitat aus dem 1. Band:
    „Es dauert ein langes Menschenleben, sich in die Literatur Islands hineinzuversetzen, und sei es auch nur, um sich klar zu machen, dass man nur ganz wenig von ihr kennen und noch viel weniger von ihr verstehen kann.“


    Bei solchen Sätzen bin ich skeptisch. Warum sollte die Literatur Islands schwerer zugänglich sein als die Literatur anderer Länder? Bei “Weltlicht“ hatte ich jedenfalls nicht das Gefühl, dass mir der Roman und die darin beschriebene Welt fremd geblieben wäre. Was die Figur des Olafur angeht, auf die Du wohl anspielst, so nehme ich da eine Mittelposition zwischen Euch ein. Ich kann sie in ihrer Sonderbarkeit verstehen und akzeptieren – bei Hamsun, den ich sehr mag, kommen nur sonderbare Figuren vor -, aber sie wirkt auf mich etwas konstruiert. Besonders stören mich die jesusähnlichen Züge an ihr, so etwas habe ich grundsätzlich nicht so gern, aber das ist wahrscheinlich Geschmackssache.


    Zum Schluss noch ein Buchtipp: Wenn man sich mit der isländischen Literatur beschäftigen will, kommt man um die Isländersagas nicht herum, denn die spielen bis heute selbst in den isländischen Krimis eine große Rolle. Im Oktober letzten Jahres ist im Fischerverlag eine Neuübersetzung in vier Bänden mit einem Begleitband herausgekommen. Nicht ganz billig, aber sicher lohnend.


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    Vielen Dank auch an Euch, wir sehen uns zum Teil ja bald in der Dämonen-Runde wieder!


    Gruß
    Anna


  • @ Sir Thomas, mich würde trotzdem interessieren, ob Dir der Roman gefallen hat. Ein kurzes Statement?


    Here we go:
    Ich hatte einen Künstlerroman erwartet - und als solcher funktioniert "Weltlicht" recht ordentlich. Ästhetizismus, l'art pour l'art, Sympathie mit dem Tode: Diese Zutaten werden von Laxness zu einem appetitlichen Menü zusammengestellt. Natürlich sind Verzerrungen und Überzeichnungen unübersehbar, aber das muss man einem Autor einfach nachsehen, denn er lebt schließlich über einen langen Zeitraum mit seinen Ideen und Figuren.


    Gefallen hat mir die immer wieder hervorgehobene Ambivalenz, mit der ein Dichter in Island gesehen wird: Einerseits als arbeitsscheuer Faulpelz und Nichtsnutz, der aber durchaus geschätzt wird, wenn er den rauhen Alltag ein klein wenig mit Versen verhübscht. Gefallen haben mir die Naturbeschreibungen, die immer etwas mystisches an sich haben. Und natürlich die unverwechselbaren Charaktere, die Laxness sehr lebendig zu zeichnen versteht.


    Aber: Das Ganze hat Längen, verursacht durch Nebenhandlungen. Insbesondere der zweiten Hälfte hätte ein wenig Straffung gut getan.


    "Weltlicht" war nach "Islandglocke" mein zweiter Laxness-Roman. Der Autor verbleibt damit auf meinem Radar, wenn auch nicht unbedingt als sich mir annäherndes Flugobjekt. Er wird mich weiter umkreisen - in angemessener Entfernung.

  • Von der leserunde hatte ich mich frühzeitig abgemeldet und die Diskussion habe ich auch nicht weiter verfolgt. Mittlerweile habe ich das Buch aber in aller Stille zu Ende gelesen, nicht mit der gleichen Begeisterung wie ich "Mein eigener Herr" gelesen habe, aber Laxness wird bald wieder dran sein, wahrscheinlich mit "Atomstation".


    Ich frage mich, ob Laxness für seine Figur nicht auch vom Simplizissimus angeregt wurde. Sein Held wird ja auch mehr oder minder durch Zeit und Welt getrieben ohne so richtig seinen Weg selbst zu bestimmen.