August 2011: M. Frisch - Der Mensch erscheint im Holozän

  • Ich habe das Buch schon vor ein paar Tagen beendet und es jetzt noch auf mich wirken lassen. So im Nachhinein kommt die Angst vor dem Altern und dem geistigen Verfall ziemlich gut heraus. Sehr knapp und nüchtern bringt Frisch das rüber. Wobei sich die Ereignisse ja mit der Zeit ziemlich beschleunigen. Nach Geisers Fluchtversuch, dem letzten Aufbäumen gegen das Schicksal quasi, geht dann alles ganz schnell... bisweilen kann es einen da schon gruseln...


    Viele Grüße
    thopas

  • Wie geplant habe ich jetzt etwa die Hälfte gelesen.


    Bis jetzt erkenne ich 3 Zeitskalen: Die kurze von Herrn Geiser, die erdgeschichtliche, geologische Skala und die Besiedlungsgeschichte des Tals, die ins späte Holozän passt, denn selbst die Römer haben keine Spuren hinterlassen. Also: Der Mensch erscheint im Holozän im Tal.
    Mal sehen, ob sich das in der zweiten Hälfte bestätigt. Der Erzähler und Geiser beschreiben so detailiert, dass sonst noch Frühzeitfunde auftauchen müssen.

  • Weil mich dieses Buch so fasziniert hat, habe ich zu einem weiteren Frisch gegriffen und habe endlich mal Andorra gelesen. Da das Stück sehr kurz ist habe ich es in zwei Stunden gelesen, aber sonderlich begeistert hat es mich nicht.


    Da war kein Sog wie beim Der Mensch erscheint im Holozän. Die Story plätscherte dahin und es war alles sehr vorhersehbar. Nun werde ich noch Biedermann und die Brandstifter lesen, mal sehen ob das besser ist.


    Mein Name sei Gantenbein habe ich nach zehn Seiten weglegen müssen, weil ich mich überhaupt nicht zurecht gefunden habe. Mal sehen ob ich das weiterlese.


    Katrin

  • Hallo Katrin,


    Andorra ist wirklich ein ödes Stück, das in nahezu jeder Zeile danach schreit, im Deutschunterricht behandelt zu werden - was in meiner Schulzeit leider auch der Fall war.


    Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass Du mit Der Mensch erscheint im Holozän Frischs bestes Werk gelesen hast.


    LG


    Tom


  • Andorra ist wirklich ein ödes Stück, das in nahezu jeder Zeile danach schreit, im Deutschunterricht behandelt zu werden - was in meiner Schulzeit leider auch der Fall war.


    Also eigentlich hätte ich das in meiner Schulzeit auch lesen müssen, aber ich habe es nie gelesen. Und da ich sonst immer alles begeistert mitgemacht habe, ist es der Lehrerin gar nicht aufgefallen, dass ich im Grunde keinen Tau von dem Stück hatte. :redface:




    Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass Du mit Der Mensch erscheint im Holozän Frischs bestes Werk gelesen hast.


    Damit komme ich klar. Denn das war wirklich ein tolles Werk.


    Katrin

  • Also eigentlich hätte ich das in meiner Schulzeit auch lesen müssen, aber ich habe es nie gelesen. Und da ich sonst immer alles begeistert mitgemacht habe, ist es der Lehrerin gar nicht aufgefallen, dass ich im Grunde keinen Tau von dem Stück hatte. :redface:


    Dann bin ich froh, daß wir in der Schule damals Homo Faber gelesen haben. Das hat mir sehr gut gefallen und ich lese es auch heute noch ab und zu mal ganz gerne.


    Viele Grüße
    thopas

  • Bis jetzt erkenne ich 3 Zeitskalen: Die kurze von Herrn Geiser, die erdgeschichtliche, geologische Skala und die Besiedlungsgeschichte des Tals, die ins späte Holozän passt, denn selbst die Römer haben keine Spuren hinterlassen. Also: Der Mensch erscheint im Holozän im Tal.


    Hm ... interessante These. Ist mir so noch nie aufgefallen.


    Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass Du mit Der Mensch erscheint im Holozän Frischs bestes Werk gelesen hast.


    Generell ist wohl Frisch einer der Autoren, die mit dem Alter besser geworden sind. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass Du mit Der Mensch erscheint im Holozän Frischs bestes Werk gelesen hast.


    Zitat von "sandhofer"


    Generell ist wohl Frisch einer der Autoren, die mit dem Alter besser geworden sind. :winken:


    Ich denke, das kommt wieder ganz speziell auf die eigene Lebenseinstellung an, ob man nun Frisch oder gar Hesse mag :zwinker: Persönlich kann ich auch bei diesem Autor wieder diese innere Zerrissenheit erkennen, der vielleicht das Leben eher als Kampf denn Freude wahrnimmt, und ich kann mich ganz schnell in dessen Welt einlesen. Bei "Stiller" habe ich wirklich so eine Art von stiller Kommunikation zwischen Autor und Leser empfunden.
    Und Rebellen liegen mir eh, ob nun offene Rebellen wie Solschenizyn oder die leisen, aber es kann natürlich sein, dass man dazu auch die "Minderheitsrolle", in welcher Art auch immer, fühlen und kennen muss, um einen Blick dafür zu bekommen.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • Ich denke, das kommt wieder ganz speziell auf die eigene Lebenseinstellung an, ob man nun Frisch oder gar Hesse mag :zwinker:


    Ich gehöre wohl zu denen die Frisch weniger mögen. Habe die Brandstifter nun auch gelesen und auch wenn ich finde dass es besser als Andorra war, fehlt doch noch einiges dass ich sagen könnte, es war super zu lesen.


    Katrin

  • Auch ich bin seit zwei Tagen mit der Erzählung durch. Etwas Zeit zum Verarbeiten habe ich mir gelassen.
    Eine bedrückende Schilderung eines Prozesses des Sich-selbst-Verlierens.
    Sprachlich sehr knapp, wohl bewußt so von Frisch gewählt.
    Frisch hat ja wohl immer in Abrede gestellt, daß die Erzählung autobiografisch sei. Dennoch hatte ich diesen Eindruck.
    Der Schriftsteller Frisch kommt mEn zB dann durch, wenn Geiser fragend auf seine Zettel schreibt: „Seit wann gibt es Wörter?“ (Suhrkamp Ausgabe 2011, S. 54) Sollte das Geiser in seiner Abgeschiedenheit, seinem Siechtum tatsächlich interessieren? Oder ist das nicht eher eine Frage für einen Schriftsteller? Damit auch verbunden die Angst vor dem Verlust der Sinne, des Gedächtnisses. Was kann einem Schriftsteller eigentlich mehr treffen, als die Fähigkeit der Kommunikation zu verlieren?


    Ob es sich nun um das „beste“ Werk von Max Frisch handelt, weiß ich nicht und ich bin auch der Ansicht, daß diese Kategorien in der Beurteilung auch im Kern überflüssig sind.


    Fazit: Beeindruckende, ein bisschen angstmachende Erzählung, wenn man an das eigene Älterwerden denkt.


    Das Frisch hier so „wenig gemocht“ wird, liegt sicherlich nicht daran, daß er „langweilt“ (was i. ü. erst einmal zu definieren wäre), sondern eher daran, daß er „zu modern“ ist! :zwinker:


    Vielen Dank an alle Teilnehmer für die interessanten Gedanken und den Austausch über die Erzählung! :winken:



    josmar


  • Das Frisch hier so „wenig gemocht“ wird, liegt sicherlich nicht daran, daß er „langweilt“ (was i. ü. erst einmal zu definieren wäre), sondern eher daran, daß er „zu modern“ ist! :zwinker:


    Hallo josmar,


    ist Frisch tatsächlich "zu modern"? Ich kann das nicht erkennen. Dem Argument, dass die schriftstellerische Intelligenz der des lesenden Fußvolks überlegen sein soll ("er war seiner Zeit voraus" o.ä.), konnte ich noch nie Überzeugungskraft zubilligen.


    Eine "Definition" der Langeweile? :entsetzt: Wozu soll das gut sein?


    LG


    Tom

  • Hallo Sir Thomas,



    1) "zu modern" war bezogen auf das Forum hier im allgemeinen, nicht auf Frisch, ja schon 20 Jahre lang tot,
    und sein schriftstellerisches Werk. :zwinker:


    2) einverstanden


    3) Definition, warum nicht? Schließlich hast Du den Begriff der "Langeweile" im Zusammenhang mit Frisch in
    den Raum gestellt! Ich denke schon, daß es hier völlig unterschiedliche Begriffe der "Langeweile" gibt! :breitgrins:


    Nette, nicht gelangweilte Grüße


    josmar


  • 1) "zu modern" war bezogen auf das Forum hier im allgemeinen, nicht auf Frisch, ja schon 20 Jahre lang tot,
    und sein schriftstellerisches Werk. :zwinker:


    das Forum soll "zu modern" sein? Im Grunde ist Frisch noch gar kein Klassiker, hier werden sonst ganz andere Sachen gelesen, angefangen von den alten Griechen bis in die heutige Zeit. Als zu modern würde ich diesen Mix nicht bezeichnen. :winken:


    Katrin

  • Ja, ich weiß, mit der Ironie im Internet, speziell in Foren, ist es schwierig!


    Natürlich ist nicht das Forum "zu modern", sondern Frisch für das Forum! :winken: Rein bezogen auf die formale Definition des Klassikers!
    Nun dürfte das ja wohl klargestellt sein! :zwinker:


    Nette Grüße


    josmar

  • Ich habe nun auch diese kleine große Geschichte zu Ende gelesen. Dabei habe ich den Fehler gemacht, das Buch parallel zu einem andern zu lesen, welches mich gedanklich mehr beschäftigt. Also gebe ich lieber kein Urteil ab, sondern lerne aus der Angelegenheit, dass es Lektüre gibt, die ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert. Das ist schließlich auch schon eine Würdigung.
    Wenn ich bezogen auf das Textvolumen, die Passagen über die erdgeschichtlichen Themen und die abgebildeten Artikel und Merkzettel abziehe, bleibt nicht sehr viel übrig. Das entspricht aber ziemlich einer Form der Reflektion, die man (ich) selbst gewohnt bin. Kurze reflexartige Gedanken und Erinnerungen die, wie ein Blitzlicht in der Dunkelheit Gegenstände sichtbar macht, Momente erhellt. Da kann es wirklich sein, dass Frisch sich hier selbst reflektiert. Wobei ein Literat sowieso sehr genau beobachtet und aus kleinen Dingen große Schlüsse zieht.
    Übrig bleibt auch ein leiser Verdacht, dass der Titel doch auf Unkenntnis beruht. Er taucht im Text umstellt von lauter wahren Fakten auf. Und ausgerechnet das Stichwort „Holozän“ ist nicht durch einen abgebildeten Lexikonartikel im Buch belegt, falls ich das in der Hast nicht doch übersehen habe.


  • Definition, warum nicht? Schließlich hast Du den Begriff der "Langeweile" im Zusammenhang mit Frisch in den Raum gestellt! Ich denke schon, daß es hier völlig unterschiedliche Begriffe der "Langeweile" gibt! :breitgrins:


    Hallo josmar,


    ich hab das mal an einen gewissen Gustave Flaubert delegiert. Er schreibt folgendes: Kennen Sie die Langeweile? Nicht die gewöhnliche, banale Langeweile, die vom Müßiggang und der Krankheit kommt, sondern diese moderne Langeweile, die den Menschen in seinen Eingeweiden zerfrisst und aus einem verständigen Wesen einen wandernden Schatten macht, ein denkendes Phantom. … Die schönsten Dinge nehmen, wenn man sie durch sie hindurch betrachtet, ihre Farbe an und spiegeln ihre Trauer wider. (Brief an Louis de Cormenin, 7. Juni 1844)


    LG


    Tom