Hallo !
Nachdem ich nun auch ein Buch des von euch empfohlenen Wolfgang Koeppen gelesen habe, möchte ich euch kurz meine Eindrücke schildern.
Das Treibhaus schildert die letzten Tage des Abgeordneten Keetenheuve im Herbst des Jahres 1953. Er gehört zur Opposition, war vor den Nazis geflüchtet und dann nach Kriegsende hoffnungsvoll wieder zurückgekommen, unverhofft in hohe politische Ämter geraten und sieht sich nun, nach dem Tod seiner Frau, dem "Dschungel der praktischen Politik" gegenüber.
"Und im Dickicht vergaß er, daß eine Sonne ihm leuchtete, daß ihm ein Wunder widerfahren war, eine liebte ihn..." Er erkennt, daß sein Leben fremdbestimmt war, seine Meinungen und Wünsche, seine Hoffnungen und Überzeugungen sich im Treibhaus der Politik nicht durchsetzen lassen. Und er weigert sich nun "den alten Silberstreifen aufzuziehen, der vor jeder Wahl aus der Kiste geholt wird wie der Baumschmuck zu Weihnachten (die Partei verlangte es), die Hoffnung, daß alles besser wird, diese Fata Morgana für Einfältige ..."
Koeppen ist für mich ein Meister der Bilder und Anspielungen, natürlich verwendet er viele Metaphern, die zum Bild Treibhaus passen, denn Bonn und seine Abgeordneten und Beamten leben unter einem großen Glashaus, mit einer eigenen Atmosphäre, abgegrenzt von der Außenwelt, einmal bezeichnet Koeppen die Politiker als Pflanzen im Treibhaus. Diese Bilder finde ich wunderbar ! Immer wieder träumt Keetenheuve, versucht sich ironisch mit seiner Rolle abzufinden. Er sucht noch einmal Kontakt mit dem wahren Leben, die Liebe, und erkennt dann doch, daß er sein Leben zu lange in diesem Treibhaus verbracht hat und seine idealistischen Werte schon lange verloren hat.
Vielleicht machen die vielen Anspielungen, z.B. alle Namen der Personen sind irgendwie sprechende Namen ? das Buch etwas schwer zu lesen. Da ich mich mit der Nachkriegsgeschichte nicht so gut auskenne, war es eine gute Gelegenheit, Kenntnisse aufzufrischen -die Zeit als Deutschland sich den westlichen Militärbündnis anschloß und sich damit gegen eine schnelle Wiedervereinigung entschied. Koeppen zeigt das politische Geschäft sehr entlarvend: Geheimdienst, Presse, Opposition und Regierung versuchen, ihre Linie durchzusetzen, der einzelne Abgeordnete hat nichts zu sagen, wenn er unbequem wird, wird er in den auswärtigen Dienst versetzt. Heute mag das keine neue Erkenntnis sein, leider, aber 1953, als Deutschland im Wiederaufbau war, sollte doch alles besser, alles anders werden.
Fasziniert hat mich Koeppens Sprache, er liebt abgehackte, oft verkürzte Sätze (wie ich) und der Leser kann seine eigenen Gedanken einsetzen. Er springt auch oft von Thema zu Thema, greift voriges auf und so entsteht mit der Zeit ein sehr dichtes Bild. Seine Sprache wirkt aber nie künstlich, nie gewollt. Es gibt viele innere Monologe, die dann plötzlich wieder mit der Handlung abwechseln. Er taucht aber nie zu intim ein, es bleibt immer noch eine gewisse Distanz zu Keetenheuve (anders als z.B. Molly Bloom).
Im Gegensatz zu Thomas Bernhards Holzfällen ist "Das Treibhaus" viel komplexer und es war wirklich herrlich zu lesen - ich habe es so genossen, mich in die Bilder fallen zu lassen ...
Danke für euren Vorschlag, nun werde ich mit Koeppen weitermachen ! Als nächstes will ich jedoch - spinnennetzmäßig - Bölls "Und sagte kein einziges Wort" lesen !
Gruß von Steffi