Wolfgang Koeppen " Das Treibhaus" u.a.

  • Hallo Hubert,


    ja, mich hat "Der Tod in Rom" sehr an den "Tod in Venedig" erinnert. Nicht nur der Name sondern die ganze Grundstimmung und Emotionen. Koeppen ist allerdings wesentlich deutlicher in seiner Kritik, vielleicht wollte ja Thomas Mann auch nicht unbedingt kritisch sein. Es ist schon lange her, dass ich den "Tod in Venedig" gelesen habe, so kann ich mich an konkrete Parallelen nicht erinnern. Aber die Szene auf dem Boot war überdeutlich.


    Und ja, dass Dietrich Pfaffrath dem Untertan entspricht, habe ich gleich gemerkt (heißt er nicht auch Dietrich?, ich habs vor langen Jahren in der Schule gelesen), insofern war es sehr verblüffend, die Parallele vom ersten zum zweiten Weltkrieg zu ziehen.


    Die "Fliegen" von Sartre kenne ich leider nicht.


    Das das alles ein "innerer Dialog" ist, ahnte ich schon. Während dem Lesen ist es mir eigentlich aber nicht deutlich aufgefallen, allerdings gibt es ja wieder einige "absurde" Szenen, die mich an "Das Treibhaus" erinnerten. Auch der Schluß, sehr theatralisch, verdeutlichte wieder dieses Entfernen von der Realität. Meinst Du, dass der ganze Roman ein "innerer Dialog" ist, oder das es eine gewisse rudimentäre Rahmenhandlung gibt ?


    Zitat

    Hast Du mal drauf geachtet, zu welcher Zeit und mit welcher Zeitdauer die Romanhandlung spielt?


    Ich habe das Buch jetzt nicht neben mir, aber etwas besonderes ist mir nicht aufgefallen. Jetzt interessierts mich aber schon ...


    LG von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Du hast gepostet:
    Das das alles ein "innerer Dialog" ist, ahnte ich schon. Während dem Lesen ist es mir eigentlich aber nicht deutlich aufgefallen, allerdings gibt es ja wieder einige "absurde" Szenen, die mich an "Das Treibhaus" erinnerten. Auch der Schluß, sehr theatralisch, verdeutlichte wieder dieses Entfernen von der Realität. Meinst Du, dass der ganze Roman ein "innerer Dialog" ist, oder das es eine gewisse rudimentäre Rahmenhandlung gibt ?


    In Deinem ersten Posting zu „Der Tod in Rom“ hast Du geschrieben:
    Er beschreibt die seelischen Folgen des Nationalsozialismus anhand verschiedener Personen, von denen jede für eine Rolle steht:
    Deine Beschreibung trifft absolut zu, und dieses modellhafte Rollenspiel hätte Koeppen leicht den Vorwurf der reinen Konstruktion einbringen können. Dem hat er vorgebeugt indem er sagt, ja es soll ja auch nur ein Gedankenmodell sein, entstanden im Kopf Siegfrieds zwischen zwei Grappa.


    Leider hat niemand diese „Erfindung des inneren Dialogs“ durch Koeppen erkannt und Koeppen hat das Romanschreiben aufgegeben. Wahrscheinlich wollte er keine weiteren Perlen ..... .


    Du hast recht, beim Lesen fällt es einem zunächst nicht auf, erst wenn sich die Rahmenhandlung schließt, kann man die eigentliche Buchkonstruktion erkennen.


    Die Rahmenhandlung beginnt im 3. Abschnitt nach dem Prolog: Der Abschnitt beginnt mit: „Ich saß an einem Aluminiumtisch ......(also plötzlich Siegfried als Ich-Erzähler, im 1. Abschnitt, nach dem Prolog, hat er sich noch selbst gedacht) und die entscheidende Stelle lautet: „...ein Grappa, und ich trank ihn, weil ich bei Hemingway gelesen hatte, man trinke ihn in Italien.“


    Die Rahmenhandlung endet (im Suhrkamp Taschenbuch auf Seite 174, Buchende ist bei Seite 187) : „Ich ging in irgendeinen Wartesaal und trank einen Grappa, weil Hemingway Grappa empfohlen hatte, ...)


    Der Rest des Buches sind Gedanken Siegfrieds (stream of consciousness) zwischen zwei Grappa.


    Obwohl die Handlungen der drei Romane (Tauben im Gras, Treibhaus, Tod in Rom) nichts miteinander zu tun haben, macht es Sinn diese in der Reihenfolge der Entstehung zu lesen, um die „Erfindung des inneren Dialogs“ nachvollziehen zu können. Bei „Tauben im Gras“ (eigentlich mein Lieblingsroman von Koeppen) sind meiner Meinung nach noch Einflüsse von Dos Passos (filmschnittartiges Erzählen) und Joyce (ein Tag in einer Stadt) zu erkennen. (stream of consciousness kommt nur als innerer Monolog vor); bei m „Treibhaus“ gibt es neben inneren Monologen in der Schlusssequenz Ansätze zum inneren Dialog und bei „Tod in Rom“ besteht das ganze Buch nur noch aus einem inneren Dialog.


    Die Frage:
    Hast Du mal drauf geachtet, zu welcher Zeit und mit welcher Zeitdauer die Romanhandlung spielt?
    war ein kleiner Test: wie genau liest Steffi? :zwinker:
    Auflösung:
    Das Buch besteht ja aus zwei Teilen. Der erste Teil spielt am 6.5.1954, der zweite am 7.5.1954.


    Liebe Grüße von Hubert

  • Hallo Hubert,


    danke für deine Erklärungen ! Zwischen zwei Grappas :breitgrins: was sich da so alles abspielen kann ... Ich finde diese Konstruktion schlichtweg genial, vielleicht auch, weil (und da komme ich zu dem Thema "Wie genau liest Steffi") mich innere Monologe/Dialoge so ansprechen, denn ich lese wirklich nicht so genau. Ich habs, glaub ich, schon mal irgendwo gepostet, ich lese mehr über die Bilder und Emotionen, die in mir dann wieder bestimmte Gefühle und Bilder auslösen. Erst später, in der Diskussion oder wenn ich dann bewußt nachdenke oder wenn ich darüber schreibe, kann ich wieder in die rationale Ebene wechseln. Deshalb tue ich mich mit Büchern, in denen viel Fakten stehen oder in denen die Fakten zum Verständnis wichtig sind, schwer. Da muß ich dann mit Bleistift und Blatt bewaffnet lesen :zwinker:
    Ich glaube, Dos Passos wäre vielleicht so ein Fall ?


    Aber, hej, ich habe schon gemerkt, dass es zwei Tage sind (und eine Nacht) ... sollte mir das Datum etwas sagen ??


    Zitat

    Bei „Tauben im Gras“ (eigentlich mein Lieblingsroman von Koeppen)


    Ja, ich weiß, ich habe falsch angefangen, aber ich lese auch "Tauben im Gras" noch, versprochen !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Du hast gepostet:
    Ich finde diese Konstruktion schlichtweg genial, vielleicht auch, weil (und da komme ich zu dem Thema "Wie genau liest Steffi")


    Ja, Du hast recht, ich finde auch: Koeppen ist genial, und zwar sowohl was die Konstruktion seiner Romane, als auch was die verwendete Sprache betrifft ...


    und das mit dem Test, - das war doch nicht ernst gemeint, :zwinker: hoffentlich hat Dich mein Joke nicht verärgert?


    Und ja, dass Dietrich Pfaffrath dem Untertan entspricht, habe ich gleich gemerkt (heißt er nicht auch Dietrich?


    Nicht genau, aber vom Klang doch sehr ähnlich: Heinrich Manns Untertan heißt Diederich Heßling, also die zwei sind nicht identisch, aber sehr ähnlich. Diese Sorte Menschen, die der Maxime „Nach oben buckeln, nach unten treten“ leben, ist ja bis heute nicht ausgestorben.


    Aber, hej, ich habe schon gemerkt, dass es zwei Tage sind (und eine Nacht) ... sollte mir das Datum etwas sagen ??


    Nicht direkt, aber ich denke es macht schon einen Unterschied, ob eine solche Geschichte 1949 oder 1954 spielt, und damit will ich auch auf ein Problem von „Tauben im Gras“ kommen. Meiner Meinung nach, kann man den Tag an dem dieser Roman spielt ziemlich genau eingrenzen. Um so mehr wundert es mich, dass sowohl das Kindler-Literaturlexikon als auch MRR bzw. der Suhrkamp-Verlag einen m.M. nach völlig falschen Zeitpunkt angeben.


    In Kindlers neuem-Literaturlexikon schreibt Prof. Dr. Otto F. Best über „Tauben im Gras“:
    „Roman von Wolfgang Koeppen, erschienen 1951. - Die Möglichkeiten der Montagetechnik von Döblin oder Dos Passos, des inneren Monologs von Joyce mit virtuoser Selbstverständlichkeit nutzend, gibt der Autor in dieser mosaikartigen Szenenfolge die modellhaft konzentrierte Bestandsaufnahme eines Tagesgeschehens im Nachkriegsdeutschland. Wie »Tauben im Gras« sind die Menschen des Alltags im amerikanisch besetzten München um 1948, gefährdet und Opfer des Zufalls, »dem Metzger preisgegeben, aber stolz auf die eingebildete, zu nichts als Elend führende Freiheit«


    Und der Suhrkamp Verlag schreibt in der Taschenbuchausgabe von „Tauben im Gras“:
    „ .... Dabei ist das literarische Verfahren von "Tauben im Gras" ein kaleidoskopartiges: Der ganze Roman schildert Gestalten und Vorgänge eines einzigen Tages im München des Jahres 1949. Mit einer Fülle genauer atmospärischer Details zeichnet Koeppen den Nachkriegsalltag dieser Stadt....“.
    Genau den gleichen Text kann man auch bei MRR nachlesen, wobei ich mir nicht sicher bin ob MRR die falsche Jahreszahl von Suhrkamp übernommen hat oder umgekehrt:


    http://www.derkanon.de/romane/roman_tauben.html


    Davon abgesehen, dass die Metapher „Tauben im Gras“ nicht wie von Prof. Dr. Best angenommen, bei Koeppen dafür steht, dass die Menschen „Opfer des Zufalls“ sind, sondern dafür, dass die Menschen sich wie selbst die Tauben im Gras in Gottes Hand befinden, was ja ungefähr genau das Gegenteil ist, verwundert es, dass Verlag und Literaturlexikon verschiedene Jahreszahlen für die Handlung des Romans angeben. Ich selbst bin der Meinung, dass beide Jahreszahlen völlig falsch sind und denke, man kann das am Text sehr leicht nachweisen.


    Deshalb, liebe Steffi, an Dich die Bitte: Wenn Du „Tauben im Gras“ liest, achte doch mal darauf, in welchem Jahr, in welcher Jahreszeit und an welchem Wochentag der Roman spielt.
    (Versteh das bitte nicht als Test, ob Du genau liest, das geht mich erstens nichts an und ist mir zweitens auch ziemlich egal, sondern als Hilfe für mich, der ich denke, dass ich die Handlungszeit bis auf 4 Tage genau festgemacht habe, aber noch Bestätigung für meine Meinung suche)


    Ich glaube, Dos Passos wäre vielleicht so ein Fall ?


    Nein, glaube ich nicht, lass Dich von unserer Diskussion nicht irreführen. Die USA-Trilogie ist eigentlich sehr leicht zu lesen (sicher einfacher als Koeppen). Und unter uns: Die Wochenschauen und Kameraaugen muss man gar nicht mitlesen, um die erzählenden Kapitel zu verstehen. :zwinker: Natürlich bringt es mehr wenn man es tut, es ist dann ungefähr so, als würde man zu Koeppens Trilogie gleichzeitig Auszüge aus einer Koeppen-Biografie und eine Geschichte der BRD sowie eine Weltgeschichte in Stichworten, sowie Zeitungsüberschriften aus der Zeit mitlesen, aber Hand auf Herz: Hast Du das bei Koeppen getan? Also als Tipp: Wenn Du neben Dante oder zwischen den Dante-Kapitel etwas Leichtes zum Lesen suchst: Dos Passos ist ideal, und Sandhofer und mich kannst Du sicher noch einholen.



    Maria
    Hallo Maria,


    im Gegensatz zu den Beiträgen von Prof. Dr. Best und MRR, gibt es an Deinem Posting über „Tauben im Gras“ nichts auszusetzen. :breitgrins: Alles was Du geschrieben hast, auch über die einzelnen Protagonisten würde ich so mitunterschreiben. :klatschen: Vielen Dank auch für Deinen Link zur Bibliothek des Münchener Amerikahauses :smile: und sorry, dass ich auf Dein Posting nicht eingegangen bin, ich hatte es zwar gleich gelesen, aber im Moment keine Zeit (oder Lust) zu antworten und dann ....? ....habe ich es erst jetzt wieder gelesen. :redface:


    Vielleicht gibt es ja noch eine gemeinsame Diskussion, wenn Steffi das Buch auch gelesen hat. Hast Du mal auf die Handlungszeit (Jahr, Jahreszeit, Wochentag) geachtet? Und hast Du nur das eine Buch von Koeppen gelesen, oder auch die beiden anderen der Trilogie?


    Liebe Grüße an euch Beide und einen schönen zweiten Adventssonntag


    Hubert

  • Hallo Hubert, hallo Steffi


    Außer zu "Tauben im Gras" bin ich noch zu keinen weiteren Roman von Koeppen gekommen. Würde aber gerne weiter zur Diskussion über diesen Schriftsteller beitragen, wenn ich kann. Die Erinnerung ist in manchen Szenen aus dem Buch wieder vernebelt, manche habe ich noch relativ gut in Erinnerung.


    Jedenfalls ist mir "Tauben im Gras" als Großstadtroman in Erinnerung, wie sie James Joyce geschrieben hat. Der Zeitraum kann ich jetzt nicht ganz festlegen, ich glaube es beginnt mit Philipp um Mitternacht(?), der sich nach einem Streit mit seiner Frau Emilia ein Hotelzimmer sucht(?) und endet auch mit einem Glockenschlag(?) (OH MEIN GEDÄCHTNIS *seufz*).


    Da ich das Buch mir ausgeliehen hatte, kann ich leider nicht mehr nachschauen. Ich werde es mir aber noch selbst zulegen.


    Vieles in diesen Roman verweckte in mir den Eindruck, daß ich einige Szenen nicht ganz verstand bzw. dass der Autor ein bestimmtes Ziel verfolgte. Außerdem ist mir noch der agressive Ton des Buches in Erinnerung. Warum mochte z.B. dieser Edwin (der Vortragredner) Gertrude Stein und Hemingway nicht?


    Zitat von "Hubert"

    Davon abgesehen, dass die Metapher „Tauben im Gras“ nicht wie von Prof. Dr. Best angenommen, bei Koeppen dafür steht, dass die Menschen „Opfer des Zufalls“ sind, sondern dafür, dass die Menschen sich wie selbst die Tauben im Gras in Gottes Hand befinden...


    dieser Ausspruch stammt doch von diesem Edwin, dem Vortragredner, oder? ("...die Tauben im Gras in Gottes Hand"). Aber ist es auch das was Koeppen aussagen wollte?


    den Titel "Tauben im Gras" hat er ja von Gertrude Stein entnommen: “Pigeons on the grass alas"


    (ob Koeppen auch Hesse im Sinn hatte, als er diese unschreiblich Einsamkeit mancher Menschen niederschrieb? ich glaubs zwar nicht, aber es berührte mich so, wie Hesse's "Steppenwolf" es tat).


    naja - vielleicht läßt sich das ja noch aufklären.


    Jetzt verabschiede ich mich erstmal für 2 Wochen, wegen eines Krankenhausaufenthaltes, ich melde mich wieder, wenn es mir besser geht. Macht es alle gut und viele schöne Diskussionen wünsche ich euch.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Hubert,




    Zitat

    und das mit dem Test, - das war doch nicht ernst gemeint, hoffentlich hat Dich mein Joke nicht verärgert?


    nö, ich kenn dich ja jetzt schon ein bißchen und du - wie mir scheint - mich auch :breitgrins:


    Ich finds toll, wenn wir auch außerhalb des Gemeinsamen Lesens über ein Buch gemeinsam schreiben und oft kann ich meine Gedanken gar nicht so gut zusammenfassen. Deine Fragen und Anregungen bringen mich oft auf Aspekte, die mir dann einen Aha-Effekt bescheren und plötzlich geht mir auf, warum ich manches so gut fand !


    Jaja, ihr habt mich jetzt richtig neugierig auf "Tauben im Gras" gemacht und ich werde es demnächst ordern :smile:


    Eure Dos Passos-Diskussion find ich sehr interessant, aber ich habe gerade mit "Der Fahrt hinaus" von Virginia Woolf angefangen und da ich ihren Stil sehr genieße - auch mit einer Art innerem Dialog, naja mehr Erinnerungen an Gesprächen - lese ich es, für meine Begriffe, recht langsam.


    Folgenden link habe ich über "stream of consciousness" gefunden:
    http://www.robert-morten.de/ba…nnia_mini_detail&Id==1975


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,
    hallo Maria,


    Maria hat gepostet:
    "...die Tauben im Gras in Gottes Hand"). Aber ist es auch das was Koeppen aussagen wollte?


    Für mich ist das eine der entscheidenden Fragen des Romans, die Maria da gestellt hat (die meisten Leser dringen bis zu dieser Ebene gar nicht vor, na ja auch die Oberfläche gibt ja schon sehr viel her), im Buch wird sie zweimal beantwortet, einmal von Edwin im Vortrag und vorher schon mal von einer der amerik. Lehrerinnen am Platz der Nationalsozialisten:: also THESE und ANTITHESE, die SYNTHESE lässt Koeppen tatsächlich zunächst offen, aber m.M. nach ist sie im Roman versteckt (und zu finden).


    den Titel "Tauben im Gras" hat er ja von Gertrude Stein entnommen: “Pigeons on the grass alas"


    Das Motto des Buches stammt aus der Oper „Four Saints In Three Acts“ von Gertrude Stein, die komplette Zeile „If they were not pigeons on the grass alas what were they“ und die Szene ist mit “Vision of Holy Ghost” überschrieben!
    Mich persönlich hat das Motto auch an Matthäus 6 erinnert und da an einer Stelle im Roman daraus zitiert wird, ist m.M. nach diese Assoziation erlaubt: „Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel (oder die Tauben im Gras), sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“
    Achtet mal darauf ob es im Roman jemand gibt, der tatsächlich nach dieser Bibelstelle lebt.


    Alles Gute für Deinen Aufenthalt im Krankenhaus, Maria und hoffentlich bist Du bald wieder fit.


    Steffi
    Hallo Steffi,


    vielen Dank für Deinen Link zu „stream of consciousness". Koeppens „Innerer Dialog“ (der Begriff stammt übrigens von Koeppen selbst), ist dabei allerdings noch nicht berücksichtigt. Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, wenn ich den Link nochmals im Dos Passos-Thread erwähne, weil ja nicht jeder alle Postings liest?


    Liebe Grüße von Hubert

  • Am 23. Juni 2006 wäre Wolfgang Koeppen 100 Jahre alt geworden. Sein 100. Geburtstag ist also ein gefundenens Jubiläum, um diesen Meister der Prosa kennenzulernen, oder wiederzuentdecken. 45 Jahre war Koeppen alt, als er seinen dritten Roman vorlegte, mit dem er sich bei Kritikern und Lesern eine bis heute ungebrochene Wertschätzung erschrieb. Das war 1951, der Roman hieß “Tauben im Gras” und galt fast allen als sein Erstling, da die beiden Vorgängerbücher – “Eine unglückliche Liebe” und “Die Mauer schwankt” – in den dreißiger Jahren publiziert und der Nachkriegszeit vergessen waren. Rasch aufeinander folgten die beiden nächsten Romane sowie die drei Reiseberichte “Nach Rußland und anderswohin” (1958), “Amerikafahrt” (1958) und “Reisen nach Frankreich” (1961). Erst 15 Jahre später, 1976, legte er mit “Jugend” eine neue und zugleich seine letzte Prosaarbeit vor. Vorausgegangen waren unzählige Romanversuche, teilweise auf mehreren hundert Seiten angewachsen, teilweise nur aus Titelformulierungen bestehend. Obwohl das Nicht-Schreiben von Wolfgang Koeppen die Literaturwelt genauso stark beschäftigte wie sein Schreiben und er nicht wenige Interviews gab – eine Erklärung dafür fehlt. Dieses Rätsel wird gelöst in dem von Hiltrud und Günter Häntzschel erarbeiteten Text- und Bildband “Ich wurde eine Romanfigur” – dem Begleitbuch zur großen Koeppenausstellung, deren erste Station im März 2006 München ist ( http://www.muenchner-stadtbibliothek.de ). Daneben ist der 100. Geburtstag Anlaß für den Verlag, den ersten Band einer vierzehnbändigen Gesamtausgabe seines Werks vorzulegen. Dessen Herausgeber ist ein Kollege Koeppens: der 1952 geborene Hans-Ulrich Treichel. (Quelle: Suhrkamp)


    Also steht 2006 endlich die Lektüre von “Tauben im Gras” an. Die Prosa aus dem Nachlass finde ich jedenfalls sehr schön. Das sind Text aus einer andern Welt, so kommt es mir im Nachhinein vor. Dieses Buch gibt es jetzt auch als 779 Seiten dickes Taschenbuch (st 3679).


    Ich bin gespannt, was sonst noch alles im Koeppen-Jahr geschehen wird…


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Zitat


    Ich bin gespannt, was sonst noch alles im Koeppen-Jahr geschehen wird…


    Grüße, FA


    Hallo Friedrich-Arthur
    danke für den Hinweis. "Tauben im Gras" habe ich gelesen und erinnert mich, dass ich "Treibhaus" und "Tod in Rom" noch lesen wollte. Wäre für 2006 eine schöne Aufgabe. Schade, dass Hubert sich nicht mehr im Forum meldet, er könnte mich ein bißchen antreiben in bezug auf Koeppen. Sehr schade.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Zitat

    Schade, dass Hubert sich nicht mehr im Forum meldet,


    Ja, ich vermisse ihn auch !


    Aber bezüglich Koeppen könnte ich dich anttreiben. Ich habe ja sozusagen von hinten angefangen mit der "unzusammenhängenden Trilogie". Tauben im Gras fehlt mir noch :breitgrins: Ich fand Tod in Rom besonders eindrucksvoll !! Was mir an den beiden Romanen auffiel war, dass ich mehrmals betroffen und sprachlos wurde :entsetzt: nicht weil die Schilderungen darin so ensetzlich waren, sondern die Gedanken, die sich aus dem Buch ergeben. Seither hat sich der Begriff Wirtschafstwunder für mich völlig verändert !


    Liebe Grüße von Steffi

  • Zitat von "Steffi"

    Ich fand Tod in Rom besonders eindrucksvoll !! Was mir an den beiden Romanen auffiel war, dass ich mehrmals betroffen und sprachlos wurde :entsetzt: nicht weil die Schilderungen darin so ensetzlich waren, sondern die Gedanken, die sich aus dem Buch ergeben. Seither hat sich der Begriff Wirtschafstwunder für mich völlig verändert !


    Liebe Grüße von Steffi


    jetzt machst du mich wirklich neugierig :smile:
    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich konnte der Versuchung heute nicht wiederstehen und so wurde "Tauben im Gras" mein Eigentum. Aber es wird wohl noch etwas dauern, bevor ich mich dem Buch widmen kann. Es ist zumindest beruhigend zu wissen, immer eine schöne und abwechslungsreiche Buchreserve zu haben und sich das nächste Buch zum Lesen aussuchen zu können. Diese Vorratswirtschaft habe ich von den Eichhörnchen gelernt... Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    Bayern2 (Radio) startet heute am 04.03.06 um 21.00 Uhr die Lesung "Tauben im Gras", 8 Folgen an den nächsten Samstagen.


    dazwischen noch ein Feature "Fragmente einer Fiktion" am Donnerstag 09.03.06, Bayern2, 20.30 Uhr.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen!


    Im Koeppenjahr wäre doch eine Koeppen-Leserunde und Entdeckung/Wiederentdeckung dieses großartigen Stilisten eine gute Idee, dachte ich mir und so schlug ich "Tauben im Gras" für eine gemeinsame Leserunde vor.


    Mein Eindruck: im Klassikerforum gibt es eine schlummernde Anhängerschaft für und Neugier auf diesen Nachkriegsautoren.


    Ist dieser Eindruck berechtigt?


    Grüße, FA

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  • Ab sofort gibt es unter "Aktuelle Leserunden" auch eine Tauben-im-Gras-Leserunde. Schaut doch mal vorbeit und seid nocheinmal alle recht herzlich zur (Gast-)Teilnahme eingeladen. Grüße, FA

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  • Zum Briefwechsel


    “Ich bitte um ein Wort”
    Wolfgang Koeppen – Siegried Unseld


    Las ich in der Suhrkamp-Insel-Jahrestage-2006-Vorschau:


    Zitat

    Ein neuer Roman von Wolfgang Koeppen ist anzukündigen – entstanden im Briefgespräch mit Siegfried Unseld. Die Handlung setzt 1957 ein und endet mehr als 500 Briefe später in den neunziger Jahren. Im Mittelpunkt steht die spannende Frage, welche Faktoren die Niederschrift eines Manuskriptes verhindern. Die Protagonisten: ein Verleger, der auch in den aussichtslosesten Situationen der Maxime treu bleibt, “seinem” Autor die Vorraussetzungen zur literarischen Produktion zu gewährleisten. Und ein Autor, der wie kein anderer das Schreiben eines neuen Buches durch das Verfertigen von Briefen über die nicht vollendeten, weil von den Umständen verhinderten Romane ersetzt.
    Die verschiedenen Kapitel des Romans erzählen von überraschenden Wendungen des Epos vom scheiternden Autor: Koeppen kündigt immer wieder den bevorstehenden Abschluß eines Werkes an und nennt sogar ein genaues Datum dafür. Unseld befördert dieses Unterfangen mit seinem ganzen verlegerischen Repertoire. Dann setzt die erste Schreibkrise ein, die unweigerlich im psychischen Zusammenbruch Koeppens und im ökonomischen Desaster mündet.
    Die Briefe, in denen Koeppen den akuellen Roman für undurchführbar erklärt, sind genau die brillante Prosa, auf die Unseld wartet – der Text, in dem der Autor sein Unvermögen erklären will, beweisen dem Verleger das Gegenteil: Koeppen ist ein großer Autor, weswegen er nie an diesem Autor zweifelt.


    Unseld schrieb in einem Brief an Koeppen:

    Zitat

    Nun zeigen Sie doch der Welt, daß Sie schreiben können. Immer wieder lese ich wirklich großartige Prosa von Ihnen. Warum nicht diese lächerlichen 60 oder 100 oder 200 Seiten? Das ist doch einfach nicht einzusehen.


    Was haltet ihr von diesem Text? Mich hat er traurig gestimmt. ABER: Ist nicht das, was Koeppen dennoch an Werk hinterließ nicht schon etwas sehr großes? Steht es nicht über vielem anderen und hat nicht Koeppen auch damit einen Platz in der Weltliteratur?


    Was denkt ihr?


    Grüße, FA


    (gleichlautender Beitrag im Literaturcafé und Klassikerforum)

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Mein vorerst letzter Beitrag zu Koeppen:


    Auch zu “Ich wurde eine Romanfigur” fand ich etwas in gleicher Vorschau:

    Zitat

    Der hundertste Geburtstag Wolfgang Koeppens am 23. Juni 2006 und das Gedenken an seinen Tod am 15. März 1996 sind Anlaß, den verschlungenen, sich verzweigenden, oft schwer zu erkennenden oder absichtsvoll in die Irre führenden Weg in dessen Biographie genau zu verfolgen. Kurz: In dieser erstmals den gesamten Nachlaß einbeziehenden Lebens- und Werkbeschreibung geht es um Dichtung, um Wahrheit und um das Verhältnis zwischen beiden.
    Wolfgang Koeppen bewahrte fast alle in betreffenden Dokumente auf. Sie eröffnen neue Einsichten in seine persönlichen Geschicke, in lebensentscheidende Ereignisse und Begegnungen, in die wenigen Frendschaften und in heftige Liebesgeschichten, vor allem aber in eine von Bruchstücken, von Fragmenten, Plänen, Anfängen, Varianten, kleinen, uns vollendet erscheinenden, aber nicht veröffentlichten Kunststücken überquellenden Schreibwerkstatt.
    Koeppen hat die literarische Öffentlichkeit mit seinem Schweigen mindestens ebenso beschäftigt wie mit seinem Schreiben. Die hier entworfene persönliche und literarische Physiognomie entzaubert den einen oder anderen in der Öffentlichkeit kursierenden Mythos, gewichtet Realität und Fiktion neu und stellt so das große Œuvre eines singulären und zugleich repräsentativen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in seinen Entstehungszusammenhängen und in seiner Wirkungsgeschichte dar.


    ( http://www.libri.de/shop/actio…uctDetails?artiId=5196652 )


    Also schrieb Koeppen doch ununterbrochen? Also gibt es doch noch Fertiges oder fast Fertiges zu entdecken? Wäre ich Schriftsteller, würden mich seine Bruchstücke, Fragmente, Pläne, Anfänge und Varianten sicher neugierig machen, vielleicht auch, um daraus ein eigenes Werk fortzudichten oder fortzuschreiben…


    Grüße, FA


    (gleichlautender Beitrag im Literaturcafé und Klassikerforum)

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Koeppenfreunde,


    hier kann die <a href="http://www.suhrkamp.de/_download/Sonstiges/koeppen-zeitung.pdf">Wolfgang-Koeppen-Zeitung</a> heruntergeladen werden. Viel Spaß beim Schmökern.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Friedrich-Arthur


    danke für den Link. Was für ein Chaos in Koeppen's Arbeitszimmer.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)