Wolfgang Koeppen " Das Treibhaus" u.a.

  • Hallo !


    Nachdem ich nun auch ein Buch des von euch empfohlenen Wolfgang Koeppen gelesen habe, möchte ich euch kurz meine Eindrücke schildern.


    Das Treibhaus schildert die letzten Tage des Abgeordneten Keetenheuve im Herbst des Jahres 1953. Er gehört zur Opposition, war vor den Nazis geflüchtet und dann nach Kriegsende hoffnungsvoll wieder zurückgekommen, unverhofft in hohe politische Ämter geraten und sieht sich nun, nach dem Tod seiner Frau, dem "Dschungel der praktischen Politik" gegenüber.


    "Und im Dickicht vergaß er, daß eine Sonne ihm leuchtete, daß ihm ein Wunder widerfahren war, eine liebte ihn..." Er erkennt, daß sein Leben fremdbestimmt war, seine Meinungen und Wünsche, seine Hoffnungen und Überzeugungen sich im Treibhaus der Politik nicht durchsetzen lassen. Und er weigert sich nun "den alten Silberstreifen aufzuziehen, der vor jeder Wahl aus der Kiste geholt wird wie der Baumschmuck zu Weihnachten (die Partei verlangte es), die Hoffnung, daß alles besser wird, diese Fata Morgana für Einfältige ..."


    Koeppen ist für mich ein Meister der Bilder und Anspielungen, natürlich verwendet er viele Metaphern, die zum Bild Treibhaus passen, denn Bonn und seine Abgeordneten und Beamten leben unter einem großen Glashaus, mit einer eigenen Atmosphäre, abgegrenzt von der Außenwelt, einmal bezeichnet Koeppen die Politiker als Pflanzen im Treibhaus. Diese Bilder finde ich wunderbar ! Immer wieder träumt Keetenheuve, versucht sich ironisch mit seiner Rolle abzufinden. Er sucht noch einmal Kontakt mit dem wahren Leben, die Liebe, und erkennt dann doch, daß er sein Leben zu lange in diesem Treibhaus verbracht hat und seine idealistischen Werte schon lange verloren hat.


    Vielleicht machen die vielen Anspielungen, z.B. alle Namen der Personen sind irgendwie sprechende Namen ? das Buch etwas schwer zu lesen. Da ich mich mit der Nachkriegsgeschichte nicht so gut auskenne, war es eine gute Gelegenheit, Kenntnisse aufzufrischen -die Zeit als Deutschland sich den westlichen Militärbündnis anschloß und sich damit gegen eine schnelle Wiedervereinigung entschied. Koeppen zeigt das politische Geschäft sehr entlarvend: Geheimdienst, Presse, Opposition und Regierung versuchen, ihre Linie durchzusetzen, der einzelne Abgeordnete hat nichts zu sagen, wenn er unbequem wird, wird er in den auswärtigen Dienst versetzt. Heute mag das keine neue Erkenntnis sein, leider, aber 1953, als Deutschland im Wiederaufbau war, sollte doch alles besser, alles anders werden.


    Fasziniert hat mich Koeppens Sprache, er liebt abgehackte, oft verkürzte Sätze (wie ich) und der Leser kann seine eigenen Gedanken einsetzen. Er springt auch oft von Thema zu Thema, greift voriges auf und so entsteht mit der Zeit ein sehr dichtes Bild. Seine Sprache wirkt aber nie künstlich, nie gewollt. Es gibt viele innere Monologe, die dann plötzlich wieder mit der Handlung abwechseln. Er taucht aber nie zu intim ein, es bleibt immer noch eine gewisse Distanz zu Keetenheuve (anders als z.B. Molly Bloom).


    Im Gegensatz zu Thomas Bernhards Holzfällen ist "Das Treibhaus" viel komplexer und es war wirklich herrlich zu lesen - ich habe es so genossen, mich in die Bilder fallen zu lassen ... :klatschen:


    Danke für euren Vorschlag, nun werde ich mit Koeppen weitermachen ! Als nächstes will ich jedoch - spinnennetzmäßig - Bölls "Und sagte kein einziges Wort" lesen !


    Gruß von Steffi

    Gruß von Steffi

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  • Hallo Steffi

    Zitat


    Danke für euren Vorschlag, nun werde ich mit Koeppen weitermachen ! Als nächstes will ich jedoch - spinnennetzmäßig - Bölls "Und sagte kein einziges Wort" lesen !


    hast du dir einen Themenkreis zurechtgelegt?
    Motto: Nachkriegsliteratur (50iger Jahre?)
    wenn ja, welche Literatur hast du dir zusammengestellt?


    Ich finde die Methode sehr animierend und wie es der Zufall will, habe ich mir aus der Bibliothek: Wolfgang Koeppen (3er Band) ausgeliehen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Steffi,


    es freut mich, dass Dir mein Vorschlag gefallen hat. Wie schon bei Bernhards „Holzfällen“ hast Du das Buch wunderbar beschrieben. Aber wie Du auch schon schreibst, es ist viel komplexer und deshalb würde ich gerne, wenn es Dir recht ist, noch etwas mit Dir über das Buch sprechen


    Das Treibhaus schildert die letzten Tage des Abgeordneten Keetenheuve im Herbst des Jahres 1953


    Koeppen schildert im Treibhaus zwei Tage (die ersten vier Kapitel beschreiben einen Tag, das letzte Kapitel den zweiten), vermutlich ist mit der Bundestagsitzung die im fünften Kapitel beschrieben wird, die historische Sitzung vom 19.3.1953 gemeint, in der die entscheidende Abstimmung über einen mititärischen Beitrag der BRD stattfand. Koeppen hat die Handlung aber in den Sommer verschoben (wer Bonn im Sommer kennt, weiß, dass dann wirklich Treibhaus-Klima, auch im wörtlichen Sinne dort herrscht), wieso siehst Du die Handlung im Herbst? – Das sind aber Kleinigkeiten, die nicht besonders wichtig für das Verständnis des Romans sind. Wichtig erscheint mir die Frage: Sind es wirklich die letzten Tage des Abgeordneten? Darüber lohnt sich nachzudenken und zu diskutieren. Zwar vertrittst Du in dieser Frage die herrschende Meinung, trotzdem will ich versuchen Dich von meiner Auffassung zu überzeugen oder doch zumindest Dich dazu zu bewegen nochmals darüber nachzudenken. :


    1. Koeppens Romane sind meist/immer? als Rondo angelegt, d.h. sie enden wie sie begonnen haben. Sein aller erster Roman „Eine unglückliche Liebe“ endet z.B. mit dem Satz: Es hatte sich nichts geändert –


    2. „Das Treibhaus“ beginnt mit einem Tagtraum Keetenheuves. In diesem Tagtraum stellt er sich vor wie er der Wanowski mit einem Beil den Schädel spaltet. (ein bekanntes literarisches Motiv). Dieser Tagtraum endet wie folgt: „Niemand hatte ihn gesehen, ... denn leider hatte er die Tat nicht getan, er hatte wieder nur geträumt, ... er hatte gedacht, statt zu handeln, es war ewig, ewig das alte Lied.“ - Wenn man das „Treibhaus“ als Rondo sieht, müsste es auch mit einem Tagtraum enden und der Leser hätte den Schlusssatz: „---und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei.“ wie folgt zu ergänzen: „niemand hatte es gesehen, denn er war nicht gesprungen, er hatte wieder nur geträumt, er hatte gedacht, statt zu handeln, es war ewig, ewig das alte Lied.“


    3. Im Schlusssatz: „Der Abgeordnete war gänzlich unnütz, er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei“, sind drei literarische Zitate versteckt, die darauf hinweisen, das hier nicht Koeppen erzählt, sondern Keetenheuve denkt.


    4. Sieh Dir doch die letzten paar Seiten im Roman noch mal an, wird hier wirklich noch realistisch erzählt, oder ist das die Beschreibung eines surrealistischen Traums?


    Sind diese Gedanken für Dich nachvollziehbar? Wie gesagt, es kann auch sein, dass Keetenheuve wirklich Selbstmord begeht, aber von der Bonner Rheinbrücke?


    Ich würde mich freuen, wenn Du dich auf diese Diskussion einlassen würdest.


    Maria
    Wenn das von Dir ausgeliehene Buch die sogenannte „Trilogie des Scheiterns“ ist, würde ich Dir den Tipp geben, nicht mit dem zweiten Buch, dem „Treibhaus“ anzufangen, sondern mit dem ersten den „Tauben im Gras“.


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert !


    Du sprichst genau aus, was ich auch schon gedacht hatte - war es wirklich Selbstmord ? Das Ende geschieht so beiläufig, ohne Dramatik und ich wunderte mich, dass es mich gar nicht fassungslos machte ! Nachdem du jetzt den Anfang erwähnst und es immer wieder Tagträume und Szenen gibt, in denen Keetenheuve bestimmte Vorstellung von sich äußert, die also eigentlich Wunschträume sind, passt es sehr gut ins Bild ! Außerdem würde es auch viel besser zur Aussage Koeppens passen - ein Abgeordneter erkennt sein Versagen, seine Ideale verkümmern im Treibhaus und er fügt sich schließlich dem Geschäft. Er kommt ja schon nicht mehr davon los, siehe die Szene mit Gerda, oder war das auch nur ein Traum ? Ist es überhaupt ein Traum von uns Bürgern, uns so einen Abgeordneten zu wünschen ? Einen mit Moral und Gerechtigkeitssinn ?


    Ich muß immer wieder daran denken, daß es uns doch überhaupt nicht mehr schockiert, daß die Politiker, wie Pflanzen, in ihrem Treibhausklima leben. Ich kann nicht nachvollziehen, wie damals 1953 die Stimmung war, ob Koeppen da etwas neues erkannt hatte ? Wurde der Roman damals überhaupt gelesen ? Die Regierung, vor allem Präsident und Kanzler, werden ja sehr provozierend geschildert (entspricht übrigens genau meinem Bild, daß ich von den beiden habe), wahrscheinlich hat es sie in den Fingern gejuckt, das Buch zu verbieten :smile:


    Du schreibst:

    Zitat

    m Schlusssatz: „Der Abgeordnete war gänzlich unnütz, er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei“, sind drei literarische Zitate versteckt,


    Welche Zitate sind das ?


    Und was hälst du von den Namen: Knurrewahn, Keetenheuve, Frost-Forestier usw. ? Sie haben mich ziemlich irritiert, da ich einfach zuwenig Ahnung von der damaligen Politik/den Politikern habe :grmpf:


    Herbst ? Ich dachte, er schreibt irgendwann, daß die Blätter fallen ? Ich lese es nochmal nach -naja, vielleicht auch Keetenheuves "Herbst" ?


    JMaria: Nein, eine ganze Liste habe ich nicht, ich bin nur drauf gekommen, dass Böll auch 1953 einen Roman geschrieben hat, allerdings aus der Sicht einer Arbeiterfamilie - nach Koeppen bestimmt sehr interessant. Mal sehen, was dann kommt ...


    Vielleicht hat noch jemand Tips ? Literatur von 1953 ??


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    schön, dass Du dich auf die Diskussion einlässt.


    siehe die Szene mit Gerda, oder war das auch nur ein Traum ?


    Welche Szene mit Gerda?, meinst Du vielleicht die Szene mit Lena bzw. Lena und Gerda?:


    Er packte Lena ...., er streifte Lenas ... Kleid beiseite, ... und Gerda, ....nahm ihre Gitarre auf, .. und sang mit heller Stimme das Lied vom himmlischen Bräutigam.


    Wenn Du diese Szene meinst: Ja, für mich ist das ein „Traum“ und ich kann nicht verstehen wieso Literaturwissenschaftler das als Realität ansehen können. Ein älterer Mann vergewaltigt ein junges Mädchen und deren lesbische Freundin spielt dazu Gitarre? (Jetzt fehlt mir ein Smilie „ich tippe mir mit dem Finger auf die Stirn“)
    Für mich kann ich eindeutig definieren, wo der letzte Tagtraum einsetzt, es wäre mir aber auch wichtig, dass andere (DU?) unabhängig von mir zu dem gleichen Ergebnis kommen. Vielleicht kannst Du dir ja die letzten Seiten des Romans nochmals ansehen?


    Wurde der Roman damals überhaupt gelesen ?


    Kein Roman von Koeppen war eigentlich ein Bestseller, das hing aber damit zusammen, dass nach dem Krieg in Deutschland ein großer Nachholbedarf an ausländischer, vor allem amerikanischer Literatur bestand. So wurde hauptsächlich Hemingway, Faulkner, Steinbeck gelesen, wobei natürlich damals lange nicht so viel gelesen wurde wie heute und wenn deutsche Literatur, dann las man die auch schon vor dem Krieg bekannten Namen: Heinrich und Thomas Mann, Hermann Hesse, Döblin ...
    Es gibt aus der Zeit einen Aufsatz/Zeitungsartikel?: „Böll, Koeppen, Schmidt – diese Drei“ indem auf die Hoffnungsträger der Nachkriegsliteratur aufmerksam gemacht wurde. (für Hinweise wäre ich dankbar!) und von diesen Drei war Koeppen zunächst eigentlich der Erfolgreichste – warum dann Böll das Rennen machte, wäre eine eigene Diskussion wert.


    Herbst ? Ich dachte, er schreibt irgendwann, daß die Blätter fallen ? Ich lese es nochmal nach -naja, vielleicht auch Keetenheuves "Herbst" ?


    Wenn Du die Stelle findest (wo die Blätter fallen) wäre ich Dir dankbar. Ich kann mich z.B. an foglende Stelle am Anfang des 5. Kapitels erinnern: „ Die Radios schwiegen. Man hörte nur das sommerliche Morgenlied der Großstadt: ...“


    Hast Du übrigens mal darauf geachtet, wie die 5 Romankapitel den 5 Akten eines „Dramas der geschlossenen Form“ entsprechen?


    Liebe Grüße


    Hubert


    PS: Den Rest Deiner Fragen habe ich nicht vergessen, aber es wird sonst zu unübersichtlich und ich bin jetzt auch etwas unter Zeitdruck

  • Hallo Hubert !


    Ja, klar, ich meinte natürlich Lena - den Maschinenbaulehrling - auffallend, der "männliche" Beruf und die von Keetenheuve als lesbisch empfundene Gerda - wieder so ein Tagtraum oder einfach die schockierende Welt der Großstadt Bonn ? Also, manches ist schon arg provozierend :breitgrins:


    Und beim Durchblättern bin ich auch zu der Überzeugung gekommen, Herbst ist es nicht : ich glaube, der Anfang hat mich verführt - seine Haushälterin schenkt ihm Astern und er war im Trenchcoat auf der Beerdigung - aber natürlich gibts auch Sommerastern ... Nachdem auch immer wieder Rosen und Rosenduft vorkommt - sie beschützen den Präsidenten in seinem Dornröschenschlaf - tippe ich auf Frühsommer; der 2.Tag fängt zudem mit Rasenmäherlärm an (welch Provinz doch Bonn ist !!). Komisch, dass mich (uns) die Jahreszeit jetzt so beschäftigt, vielleicht weil die Geschichte doch irgendwie - ja, wie ein Traum - im Raum schwebt ?


    Die letzten Seiten werde ich nochmals durchlesen (wo der letzte Tagtraum einsetzt).


    Und danke für den Hinweis auf die 5 Akte - da habe ich nicht darauf geachtet !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    als das Buch damals rauskam, haben es viele für einen Schlüsselroman gehalten und viele haben sich auch in dem Buch wiedererkannt. Ich glaube aber nicht, dass Koeppen das Buch als Schlüsselroman geschrieben hat. Trotzdem gibt es natürlich Ähnlichkeiten, die vielleicht nicht alle zufällig sind.

    Und was hälst du von den Namen: Knurrewahn, Keetenheuve, Frost-Forestier usw. ? Sie haben mich ziemlich irritiert, da ich einfach zuwenig Ahnung von der damaligen Politik/den Politikern habe


    Knurrewahn, der SPD-Vorsitzende im Roman hat sicher Ähnlichkeit mit Kurt Schumacher, auch der Name passt. Kurt Schumacher war bis 1933 Reichstagsabgeordneter, danach bis 1945 im Konzentrationslager. 1945 gehörte er zu den Gründern der SPD und wurde 1946 Parteivorsitzender. Er starb allerdings schon 1952.


    Keetenheuve, der Hauptdarsteller hat meiner Meinung nach kein direktes Vorbild in der Politik, obwohl viele, wegen der Literaturübersetzungen, ihn als Carlo Schmid sehen. Er hat aber viel mehr von Koeppen selbst, nicht nur die viel jüngere Ehefrau.


    Frost-Forestier, ist doch ein passender Name für einen eiskalten Geheimdienstmann. Für ihn hat möglicherweise Reinhard Gehlen Pate gestanden. Gehlen war bis 1945 Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“, Nach 1945 baute er für die Amerikaner! einen (deutschen) Nachrichtendienst (vor allem in der UdSSR) auf, die „Organisation Gehlen“. Später wurde diese Organisation in den BND (Bundesnachrichtendienst) umgewandelt und dem Bundeskanzler unterstellt. Gehlen war bis 1968 Chef des BND.


    Vielleicht hat noch jemand Tips ? Literatur von 1953 ??


    Warum muss es 1953 sein? Nicht dass es da nichts gebe, aber der eigentliche Beginn der Nachkriegsliteratur war 1951 mit ganz bedeutenden Werke von Böll, Arno Schmidt und Koeppen. Bei Interesse nenne ich gerne die Titel und würde bei Diskussionen auch mitmachen.


    Und beim Durchblättern bin ich auch zu der Überzeugung gekommen, Herbst ist es nicht :


    Na, dann sind wir ja wieder einer Meinung.


    Nachdem auch immer wieder Rosen und Rosenduft vorkommt - sie beschützen den Präsidenten in seinem Dornröschenschlaf –


    Der Kanzler Adenauer war ja auch tatsächlich ein großer Rosenzüchter.
    Btw: Du hast ja bei Deinen Interessen „alte Rosen“ angegeben. Normalerweise mögen Frauen doch lieber frische Rosen, oder meinst Du da alte Sorten? Und magst Du dann neue Sorten nicht? Bist Du gar eine richtige Rosenzüchterin?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert !


    Also, so eindeutig ist es für mich nicht, die letzte Tagtraumsequenz zu finden. Koeppen wechselt ja zwischen drei Ebenen: autarker Erzähler, innerer Monolog Keetenheuves und surreale Bilder. Würdest du den inneren Monolog und das Surreale zusammenfassen ? Für mich sind es Bilder, die über Keetenheuves Verständnis hinausgehen z.B. "Überall auf den Mauerstümpfen, in hohlen Fenstern, auf der geborstenen Säule aus des Sängers Fluch saßen die gefräßigen heraldischen Tiere ... ". Ich bin mir auch nicht sicher, ob Gerda und Lena nicht eine Figur sind, Gerda in der Wirklichkeit, Lena in Keetenheuves Wunschtraum ? Ich würde dann bereits ein paar Seiten vor dem Ende den Punkt ausmachen, an dem sein Traum anfängt: " Er nahm Lena und führte sie in die Ruinen."


    Phantastisch finde ich, wie sich wirklich das Ende zum Anfang schließt. Durch seine Vergewaltigungsgedanken hat er Schuld auf sich geladen, durch die Resignation vor dem Treibhausklima, seinen Wunsch, nach Guatemala zu gehen, durch seine Selbstmordgedanken ... Schuld nicht durch Taten sondern allein durch Gedanken ! Und dann der Anfangssatz " Er reiste im Schutz der Immunität, denn er war nicht auf frischer Tat ertappt worden." Der erste Absatz bekommt erst nach dem Roman einen Sinn ! Das hätte ich ohne dich nie gemerkt ! Koeppen spielt richtig mit der Realität !


    Danke für deine Erklärungen zu den Politikern ! Woher kennst du dich da so gut aus ? :smile:


    Und zu den Rosen : Ja, ich meine alte Rosensorten. Die wurden erst in den 1980ern wiederentdeckt und neu vermehrt. Als Alte Rosen werden im Grunde Rosen bezeichnet, die vor 1867 vorhanden waren (vor Einführung der ersten Teehybride) aber der Begriff verwischt sich etwas, da es auch ein bestimmter Rosenstil ist - also kann man da durchaus bis 1920/1930 gehen. Seit drei Jahren versuche ich, diese zu sammeln - naja, insoweit man bei einer hier in Deutschland erhältlichen Menge von ca. 500 - 600 und einem Garten, der Platz für vielleicht 40 Rosen bietet, von sammeln sprechen kann :zwinker: Und von den modernen Rosen im Stil der Alten Rosen gibts auch schöne und interessante ... Außerdem interessieren mich die Namen bzw. die Biografien zu den Namensgebern der Alten Rosen - da bastle ich gerade an einer webseite, aber erst brauche ich darüber viel Information ...


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi!


    Und danke für den Hinweis auf die 5 Akte - da habe ich nicht darauf geachtet !


    Der Roman „Das Treibhaus“ hat fünf Kapitel, die genau den fünf Akten eines klassischen Dramas entsprechen:


    1. Exposition (Vorgeschichte: Leben und Tod von Keetenheuves junger Ehefrau Elke; Vorstellung der Hauptfiguren: Keetenheuve, Frost-Forestier, Korodin; Einführung in Ort (Bonn) und Zeit (1953); Andeutung des Konflikts)
    2. Erregendes Moment: Meldung über Interview der engl. und franz. Generäle
    3. Möglichkeit zur Abwendung der Katastrophe: Angebot von Frost-Forestier ein Amt in Guatemala zu übernehmen
    4. Retardation (Verzögerung des Handlungsablaufs): Kino, Weinstube, Lena,
    5. Katastrophe: allerdings nur als Traum


    Kannst Du das nachvollziehen?


    Würdest du den inneren Monolog und das Surreale zusammenfassen ?


    In der letzten Tagtraumsequenz auf jeden Fall. Für mich gehen diese Bilder nicht über Keetenheuves Verständnis hinaus. Keetenheuve beschäftigt sich ja mit Dichtern wie Baudelaire etc., und da sollten ihm solche surrealen Bilder nicht fremd sein.


    Dass Gerda und Lena zwei Seiten (Wirklichkeit und Wunschbild) einer Person sein könnten, habe ich noch nicht in Erwägung gezogen, da muss ich noch mal drüber nachdenken. Unabhängig davon liegst Du aber mit Deinem Traumbeginn „Er nahm Lena und führte sie in die Ruinen.“, meiner Meinung nach nicht schlecht. Spätestens ab da, ist sicher keine reale Erzählung mehr zu erkennen. Ich persönlich habe den Beginn der letzten Traumsequenz noch einen Abschnitt vorher ausgemacht: „Sie kamen, Gerda, die Strenge, mit der Gitarre, Lena, der Mechanikerlehrling, ....“. Im vierten Kapitel steht:: „Er bat Lena, am nächsten Abend wieder in die Weinstube zu schauen“, aber, dass die Mädchen wirklich wiederkommen, davon kann doch nur ein älterer, weltfremder Politiker träumen.


    Tatsächlich und real sitzt der Abgeordnete nach der verlorenen Abstimmung im Bundestag in der Bonner Weinstube (die gibt es heute übrigens immer noch) und hat eine? Flasche Spätburgunder bestellt, weil er sich mit den Schoppen nicht aufhielt. Schon hier schweift er mit den Gedanken ab: vom „roten Burgundertraubenwein von der deutschen Ahr“ zum „deutschen Aar“... „Drohte ein Hoheitszeichen? Stand Erniedrigung bevor? (Finde ich einfach köstlich diese Gedankensprünge) und dann geht’s weiter: er trank und wartete und trank und wartete und ab da kommt er meiner Meinung nach ganz ins träumen (wer käme da nicht ins träumen nach einer? Flasche Spätburgunder) – Und sie kamen, Gerda, die Strenge ... und Lena ....


    Um es ganz deutlich zu machen schreibt Koeppen (der autarke Erzähler) in der Mitte dieses Absatzes (also ca in der Mitte zwischen Deinem und meinem Traumbeginn: „Keetenheuve träumte im Augenblick stärkere Träume.“


    Und spätestens ab da, kann ich keinen Rücksprung in die Wirklichkeit mehr finden, bis zum Romanende.


    Ist das für Dich nachvollziehbar? (Also ich meine jetzt exakt, das vergebliche Warten von Keetenheuve in der Weinstube und die durch erhöhten Weinverbrauch entstehenden surrealen Träume) ....


    Dein Rosenhobby finde ich sehr interessant. Unter den alten Rosen gibt es ja sicher auch echte Klassiker? Da ich Rosen liebe (allerdings alte und neue Sorten) freue ich mich schon auf Deine webseite.


    Liebe Grüße


    Hubert..


  • Hallo Hubert !


    Beaudelaire kenne ich nicht - hat er surrealistisches geschrieben ?


    Nachdem du die 5 Akte erwähnt hast, war mir das Muster gleich klar ! Verblüffend, wie Koeppen diese "Regeln" einhält !


    Dass die 2 Mädchen wieder - auf ihrer Runde - in die Weinstube kommen, halte ich schon für wahrscheinlich, zumal Lena, wenn sie denn real ist, Keetenheuve als Fürsprecher brauchen könnte. Allerdings könnte das auch ein Wunschtraum Keetenheuves sein, noch einmal gebraucht zu werden. Ein Hinweis wäre vielleicht am Ende des vorigen Abschnitts "Wie hießen seine Freunde in der Hauptstadt? Sie hießen Lena und Gerda."


    Also unter den genannten Aspekten würde ich zumindest für die Stelle "Keetenheuve träumte im Augenblick stärkere Träume." plädieren
    :zwinker:


    Bezüglich der Namen habe ich nochmal nach Musäus gesucht, irgendwie konnte ich mit dem Namen etwas anfangen - und siehe da, ein Professoer in Jena zu Goethes Zeiten, der sich gegen Ende seines Lebens mit seinem Garten beschäftigte ! Er bringt Volksmärchen heraus (Rübezahl) und außerdem schreibt er einen Roman im Stil von Don Quijote !


    "Für Deutschland ist es ein Novum, daß mit den Mitteln des Romans der Einfluß dieser Gattung auf die Verwirrung von angelesenen Idealen und Wirklichkeit gegeißelt wird; Musäus steht hier überhaupt am Anfang einer eigenständigen deutschen Romanentwicklung...Die didaktische Absicht des Romans ist klar: Warnung vor schwärmerischer Idealisierung und Realitätsverlust, "


    Paßt doch exakt, oder ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Beaudelaire kenne ich nicht - hat er surrealistisches geschrieben ?


    Dass Baudelaire surrealistisch geschrieben hätte, kann man nicht direkt sagen, weil es zu seiner Zeit diesen Begriff noch nicht gab. Der Gedichtzyklus: „Die Blumen des Bösen“, durch den Baudelaire bekannt wurde und heute noch bekannt ist und den Carlo Schmidt übersetzte und Keetenheuve im „Treibhaus“ übersetzt wurde von Baudelaire 1857 veröffentlicht.


    Der Begriff Surrealismus entstand aber erst 1924 als Andre Breton das „Manifest des Surrealismus“ verfasste und „La Revolution surrealiste“ gründete. Trotzdem hatte Beaudelaire einen großen Einfluß auf die Surrealisten (ebenso wie auf die Symbolisten,) und inspirierte nicht nur diese, sondern auch Rilke und die Rolling Stones.


    Ich persönlich mag Baudelaires Werk nicht besonders. Ist mir zu pessimistisch. Die Grundstimmung seiner Gedanken kannst Du vielleicht an dem folgenden Briefausschnitt erkennen:
    "Wie tief muss ein Mensch gesunken sein, wenn er sich glücklich schätzen
    kann! Ich bedaure Sie, und ich halte meinen Verdruss für feiner als Ihre
    Glückseligkeit. Sie waren also noch nie versucht, aus dem Leben zu
    scheiden, nur um einmal ein anderes Schauspiel zu erleben! Ich habe sehr
    gewichtige Gründe, denjenigen zu bedauern, der den Tod nicht liebt."



    Dass die 2 Mädchen wieder - auf ihrer Runde - in die Weinstube kommen, halte ich schon für wahrscheinlich, zumal Lena, wenn sie denn real ist,


    Die Frage, die dann aber auftaucht: Wenn die Mädchen kommen, warum fängt Keetenheuve an zu träumen? Meine Argumentation war ja: Keetenheuve wartet und niemand kommt und er trinkt und fängt an zu träumen.
    Kommen aber die Mädchen wirklich, besteht kein Grund mehr für den Traum?? Dann können sie sich ja zusammen Gedanken über Lenas Zukunft machen. Oder wie siehst Du das?


    Gruß


    Hubert

  • Hallo Hubert,


    danke für den kleinen Auszug aus Beaudelaires Brief !


    Ja, warum fängt er an zu träumen ? Weil es Lena nicht gibt und er sich eben eine neue Liebe oder eine Aufgabe, ewas Vertrautheit und eine Stärkung seines Ego wünscht ? Ich bin nach wie vor der Meinung - obwohl deine Argumente schlüssig sind - dass Gerda und Lena eine Person sind und er sich Lena eben nur erträumt. Ob sie nun tatsächlich ein zweites Mal in der Weinstube erscheinen ? Eindeutige Hinweise gibt es nicht, überhaupt finde ich es manchmal schwer zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden - allerdings macht das ja auch die Faszination aus.


    Gruß von Steffi

  • hallo hubert, steffi und co.
    inzwischen habe auch ich, angestachelt von eurer diskussion, den koeppen gelesen, und war sehr angetan von der sprache und erzählweise.das war für mich wieder einmal die bestätigung dafür, wie sinnvoll dieses klassikerforum ist, selbst für literaturwissenschaftler oder solche, die es werden wollen :zwinker:
    ihr habt ja eigentlich schon alles gesagt, nur zwei dinge wollte ich noch loswerden: 1. den übergang von realität und phantasie am ende des buches würde ich an der gleichen stelle festsetzen wie steffi.
    2. mich hat ein wenig gewundert, dass ihr gar nicht auf e. e. cummings eingegangen seid, von koeppen mehr mals erwähnt. aber vielleicht habe ich da eine zu anglozentristische sichtweise angeeignet...


    das gedicht, das mehrmals zitiert wird, hae ich mal rausgesucht:


    up into the silence the green


    up into the silence the green
    silence with a white earth in it


    you will (kiss me) go


    out into the morning the young
    morning with a warm world in it


    (kiss me) you will go


    on into the sunlight the fine
    sunlight with a firm day in it


    you will go (kiss me


    down into your memory and
    a memory and memory


    i) kiss me (will go)


    ee cummings


    äussern zu dem gedicht und dem zusammenhang möchte ich mich noch nicht, will mir erst mal selbst ein paar gedanken machen.


    Edward Estlin Cummings wurde 1894 in cambridge, mass. geboren und starb 1962 als der zweitmeistgelesene dichter der usa (nach robert frost). in seinen dichtungen experimentierte er mit form, ziechensetzung, rechtschreibung und satzbau. zwei seiner hauptthemen sind krieg und sex.
    ausserdem hat er am ende seines schaffens einige gedichte geschrieben, die 'weder anfang noch ende hatten' (das habe ich so gelesen, kann mir da jetzt nicht wirklihc etwas drunter vorstellen, aber auch das passt doch zu koeppen und dessen von hubert bereits erwähnten tendenz, den roman enden zu lassen, wo er beginnt?)


    lg, adia

  • Hallo adia !


    Tatsächlich habe ich E.E.Cummings total überlesen :sauer: Danke für deinen Hinweis ! Das Gedicht finde ich sehr schön und entspricht auch ein bißchen dem Lebensgefühl, das im "Treibhaus" vermittelt wird !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    vielen Dank für die spannende Diskussion mit Dir. Eine Antwort von mir steht ja noch aus:


    im Schlusssatz: „Der Abgeordnete war gänzlich unnütz, er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei“, sind drei literarische Zitate versteckt,
    Welche Zitate sind das ?


    :„Der Abgeordnete war gänzlich unnütz,...“


    bezieht sich auf eine Stelle aus „Tauben im Gras“, die kannst Du noch nicht kennen.


    „...er war sich selbst eine Last,...“


    zitiert den letzten Satz aus Büchners Erzählung „Lenz“:


    „... sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin.“


    und deutet eigentlich in Büchners folgendem Halbsatz, auf ein Weiterleben hin. Auf den „Lenz“ wird auch vorher im Roman schon angespielt, so dass klar ist, dass das Zitat nicht zufällig hier steht


    und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei“,


    In Schillers „Tell“ sagt Gertrud zu ihrem Gatten Stauffacher in der 2ten Szene des 1. Aktes: „Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen, Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.“


    Wenn Koeppen den Selbstmord Keetenheuves beschreiben wollte, hätte er meiner Meinung nach sicher eigene Worte gefunden. Deshalb denke ich, dass hier nur ein innerer Monolog des Abgeordneten, der ja in seiner Bücherwelt lebt und denkt, wiedergegeben wird.


    Sicher hast Du recht, Steffi, es ist bei Koeppen manchmal schwer zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, und ich bin überzeugt: ein gutes Buch lässt mehrere Deutungen zu, aber dass Keetenheuve nicht wirklich Selbstmord begeht, darüber sind wir uns doch einig?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo Adia,


    schön, dass Dir Koeppens Roman auch gefallen hat.


    . den übergang von realität und phantasie am ende des buches würde ich an der gleichen stelle festsetzen wie steffi.


    Da bin ich mir jetzt nicht sicher, welche Stelle Du meinst. Steffi hat ja zwei verschiedene Stellen genannt:


    1. Ich würde dann bereits ein paar Seiten vor dem Ende den Punkt ausmachen, an dem sein Traum anfängt: " Er nahm Lena und führte sie in die Ruinen."


    2. Also unter den genannten Aspekten würde ich zumindest für die Stelle "Keetenheuve träumte im Augenblick stärkere Träume." Plädieren


    Auf jeden Fall verstehe ich Dich aber so, dass Du mit Steffi und mir und gegen die herrschende Meinung davon aus gehst, dass Keetenheuve nicht wirklich aus dem Leben scheidet?


    mich hat ein wenig gewundert, dass ihr gar nicht auf e. e. cummings eingegangen seid


    Das kommt daher, dass wir das Buch ja nicht gemeinsam gelesen haben, sondern nur allgemein ein paar interessante Aspekte angesprochen haben. Sicher gäbe es zu diesem Roman noch vieles zu sagen z.B. die autobiografischen Beziehungen, die weiteren literarischen Anspielungen, die Stellung des Romans innerhalb der „Trilogie des Scheiterns“ und des Gesamtwerks von Koeppen, die Kritik Koeppens an der westdeutschen Restauration, an Parlamentarismus und Ideologien, die im Roman ausgetragene Auseinandersetzung mit Kierkegaard usw.


    Auf jeden Fall, Dir Adia, vielen Dank für Cummings Gedicht und den folgenden von Dir erwähnte Aspekt finde ich sehr spannend:
    ausserdem hat er am ende seines schaffens einige gedichte geschrieben, die 'weder anfang noch ende hatten' (das habe ich so gelesen, kann mir da jetzt nicht wirklich etwas drunter vorstellen, aber auch das passt doch zu koeppen und dessen von hubert bereits erwähnten tendenz, den roman enden zu lassen, wo er beginnt?)


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen


    ich habe mich an Huberts Tipp gehalten und erstmal "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen gelesen und nach anfänglichen Schwierigkeiten, Erzählstil und viele einführende Personen, hat mir der Roman viel Freude gemacht.


    Die Geschichte spielt im Nachkriegs-München und an diesem Tag darf der Leser teilnehmen an den Erlebnissen und den Problemen der Protagonisten, die wären:


    -Herr Schnakenbach der Lehrer und Chemiker, der an einer Schlafkrankheit leidet. Er hat sich das durch den Mißbrauch von Medikamenten zugezogen um dem "Barras" zu entgehen. Doch nun hat er wie der gewöhnliche Soldat seine eigenst persönliche Erinnerung an den Krieg, die physisch gesehen länger dauern wird, als beim Soldaten.


    -Philipp und Emilia. Ein Ehepaar das an diesem Tag nur getrennt ist, man erlebt sie nicht gemeinsam, aber gedanklich erfährt man eine Menge trauriges.


    -Alexander, Messalina, Hillegonda (die kleine Tochter), Emmi (das bigottische Kindermädchen)
    der Name Messalina paßt zu dem Verhalten der Frau.


    -Odysseus und Josef
    Tragisch


    -Clara, Washington, Heinz und Frau Behrend


    u.v.m.


    "Die Taube im Gras". Vögel als Metapher kommen in der Geschichte oft vor. Die Bezeichnung Taube am Anfang nur 1x, Emilia wird als Taube bezeichnet. Gegen Ende lüftet der Autor, woher er den Titel hat.


    Der Stil erinnerte mich sehr an James Joyce, auch die Thematik.


    danke für den Tipp.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich habe noch ein bißchen in der Geschichte Münchens der Nachkriegszeit gestöbert und habe diesen interessanten Link über die Amerikanische Bibliothek gefunden.


    Diese spielt auch in "Tauben im Gras" eine Rolle.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Ich möchte kurz berichten, dass ich nun auch Koeppens Roman " Der Tod in Rom" gelesen habe. Und obwohl ich dachte, es könnte nach dem Treibhaus nicht besser werden - ich bin restlos begeistert !!! Koeppen hat eine Intensität und Faszination erreicht, die ich bisher nur selten gelesen habe.


    Er beschreibt die seelischen Folgen des Nationalsozialismus anhand verschiedener Personen, von denen jede für eine Rolle steht:


    Der homosexuelle, extravagante Künstler Siegfried, der über seine Kunst versucht, mit seiner demütigenden nationalistischen Kindheit fertig zu werden.


    Der berühmte Dirigent und seine jüdische Frau, die, geflohen aus Deutschland und damit entwurzelt, ein unstetes Leben führen, zusammengehalten von Kunst und Sinnlichkeit.


    Der Mitläufer, dessen politische Karriere nach der Säuberung unvermindert weitergeht, der sich keiner Schuld bewußt den Mechanismen anpasst


    Der Soldat, ehemaliger SS-General, der jedoch nicht ideologisch getrieben sondern in einmaliger infantiler Weise von Macht und Kameradschaft abhängig ist


    Die überzeugte Nationalsozialistin, die auch nach dem Kriegsende immer noch an ihren Ideologien festhält


    Der ehrgeizige Karrieregeile, der alles tut, um seine Position in der Gesellschaft einzunehmen


    Der Priester, der versucht, sich mit Hilfe des Glaubens von der Realität zu distanzieren


    Die italienische Naive, die sinnlich lächelnd eine Art naiven Humanismus zu verkörpern scheint


    Diese Personen werden in oft mehreren parallelen Handlungen gezeigt und das alles vor dem Hintergrund eines humanistischen, sinnlichen, erotischen Rom. Gleichzeitig wird anhand erotischer Szenen die Prüderie und Entsetztheit der damaligen Gesellschaft gegenüber Sexualität gezeigt, während die blutigen Schrecknisse des Krieges hingenommen wurden. So ist z.B. die gewaltsame Sexszene Gottliebs mit Laura nicht etwa durch die Gewalt so entsetzlich sondern dadurch, dass er ein Massenmörder ist !


    Dass Stil und innere Monologe/Dialoge nicht hinter der psychologischen Schilderung zurückbleiben, versteht sich. :klatschen:


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    da Koeppen ja einen Vers aus dem dritten Gesang der „Göttlichen Komödie“ über seinen Roman „Tod in Rom“ gesetzt hat, hat es ja ganz gut gepasst, das Buch zu Dante zu lesen. Das zweite Motto, das Koeppen gewählt hat, ist der letzte Satz aus Thomas Manns „Der Tod in Venedig“. Vergleich mal diesen Satz mit dem Schlusssatz von „Der Tod in Rom“. Fast könnte man meinen: Koeppen hat den Roman nur geschrieben, um Manns Schlusssatz zu verbessern. :zwinker: Sind Dir noch andere Beziehungen zu Manns Novelle aufgefallen?


    Siegfried erinnert ja an eine andere Figur aus Thomas Manns Werken und Siegfrieds Bruder Dietrich erinnert manche an eine Figur aus Heinrich Manns Werk..


    Wenn Du Sartres „Fliegen“ kennst, sind Dir sicher die Anspielungen am Ende des 1. Teils aufgefallen?


    Hast Du mal drauf geachtet, zu welcher Zeit und mit welcher Zeitdauer die Romanhandlung spielt?


    Und ist Dir aufgefallen, dass die Handlung eigentlich nur ein „Innerer Dialog“ von Siegfried ist?


    Sorry, wenn ich Dich jetzt so mit Fragen überfalle, Du musst sie ja nicht beantworten.


    Gruß von Hubert