Juli 2010 - Lautréamont: Die Gesänge des Maldoror

  • Hallo Zusammen.


    Den Termin habe ich gestern Abend spät noch gecancelt, deshalb konnte ich nun doch heute beginnen. Ich stecke im ersten Gesang bis: Ich nehme mir vor, …


    Inhaltlich fällt mir eine Ähnlichkeit mit Wilber auf, also in der Aussage. Entweder sehe ich nur noch Wilber, oder Wilber hat tatsächlich alles auf einen Punkt gebracht, den gemeinsamen Nenner gefunden. Ich sehe das Atman-Projekt im Streben nach „Ruhm“ und Anerkennung, den „Durst nach Unendlichkeit“, die menschlichen Triebe und seine archaischen Instinkte, die er in der modernen Welt nicht unter Kontrolle bringt. Darüber hinaus kam das Bild der Großen Mutter ins Spiel, mit ihren „Sühneopfern“.


    Heißt das Strophen? In der Strophe Ich werde in wenigen Zeilen darlegen, … erzählt Lautréamont Conrads „Herz der Finsternis“ in Kurzform.


    Eindeutig surrealistisch, um zum Literarischen Stilmittel zu kommen, ist die Strophe: Beim Schein des Mondes, … Ich finde insgesamt den Stil nicht verstörend oder gar gruselig, meiner misanthropischen Neigung passt er sich gut an. Auch ist es ja nicht im Einzelnen zu deuten, sondern im Allgemeinen mit krassen Bildern. Ja, ich bin positiv überrascht, dass mir das Buch anscheinend doch liegt.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Ich bin noch zu Beginn des Vorworts, S. 16. Der Text beginnt auf S. 67. Bis jetzt ein paar recht dürre biografische Fakten über Isidore Ducasse.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Ich bin noch zu Beginn des Vorworts, S. 16. Der Text beginnt auf S. 67. Bis jetzt ein paar recht dürre biografische Fakten über Isidore Ducasse.


    Fehlt dem o. g. TB in gänzlicher Länge :sauer: Steht denn gar nichts interessantes drin? Falls doch erhelle unsere Geister :breitgrins:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo,


    ich habe die ersten Seiten gelesen und ich bin erstaunt wie konkret er die Dinge beim Namen nennt. Bei den dargstellten Misshandlungen des Jungen musste ich schlucken - Stephen King lässt grüßen.


    Ansonsten komme ich sehr gut mit dem Buch zurecht, aber ich denke ich muss mich erst mal einlesen.


    Katrin

  • Hallo liebe Mitleser,


    ich bin mitten in der 9. Strophe des ersten Gesanges, also ca. gleich weit wie Anita.
    Auf der ersten Seite dachte ich noch: Oh mein Gott, welch ein Pathos. Es war mir fast zu theatralisch, mit welcher Überzeugung der Autor ankündigt, dass sein Werk den Leser bestimmt völlig verstören wird - aber es geht dann ja tatsächlich ganz schön zur Sache, und vor 150 Jahren muss das Buch noch um ein Vielfaches krasser gewirkt haben (ähnlich wie der Weiße Hai in den 1970ern, während er heute im Sonntagnachmittagsprogramm läuft :zwinker: ).


    Der Text erzeugt starke Bilder im Kopf, und mit Tabubrüchen spart Lautréamont auch nicht.



    In der Strophe Ich werde in wenigen Zeilen darlegen, … erzählt Lautréamont Conrads „Herz der Finsternis“ in Kurzform.


    Jaja, da ist er wieder, unser lieber Mr. Kurtz! :breitgrins:


    Übrigens: hat jemand von euch "The Dark Knight" gesehen und musste bei der Strophe Mein ganzes Leben lang sah ich die Menschen mit engen Schultern ... auch ganz stark an diesen Herrn hier denken? :entsetzt:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

    Einmal editiert, zuletzt von Bluebell ()

  • Ganz zu kurz aus dem Vorwort zu meiner Ausgabe (Flammarion). (Den Autor werde ich noch nachreichen, ich habe das Buch nicht dabei.)


    Werke, die Ducasse (aka Comte de Lautréamont) verehrte:



    [li]Goethe: Faust (es steht nicht, ob I oder II oder beide)[/li]
    [li]Byron: Manfred (müsste ich mal wieder lesen)[/li]
    [li]Mickiewicz: Konrad [Wallenrot] (von Mickiewicz kenne ich gar nichts)[/li]


    Daneben legt der Autor des Vorworts Wert auf die literarischen Kenntnisse von Ducasse, darauf, dass er ein Epos mit einem negativen Helden schreiben wollte (also sich wohl auch an Miltons Paradise Lost orientierte).

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  • Fehlt dem o. g. TB in gänzlicher Länge :sauer: Steht denn gar nichts interessantes drin? Falls doch erhelle unsere Geister :breitgrins:


    [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4200.msg42564.html#msg42564]Guckst Du hier :)[/url]


    Ich bin jetzt zwar mit dem Vorwort fertig und im ersten Buch. Allerdings noch in der ersten Fassung; ich vermute, bei Euch ist nur die zweite vorhanden, oder? Und im ersten Buch habe ich erst den ersten Abschnitt gelesen, von daher kann ich zum Werk selber immer noch nichts sagen. :smile:

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  • In Byrons "Manfred" kann man hier ein wenig lesen.

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo ihr.


    Ich bin mit dem 1. Gesang durch und habe soeben den zweiten begonnen. Der Stil bleibt der gleiche. Hm, "Das Buch der 1000 Bücher" schreibt von "absurder Komik". Wo und Wie finde ich die? :breitgrins: Bei aller Liebe ich kann aus diesem Zynismus keine Komik entnehmen. Seht ihr Beispiele?
    Und dann muss ich gestehen, dass bei mir fast die Puste raus ist, diese theatralische Menschheitsanklage :rollen:, hält man das 250 Seiten aus? Oder habt ihr einen anderen Zugang? Verratet mir diesen dann bitte ...


    LG
    Anita

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  • Hallo Anita,


    ich bin auch schon mit dem 1. Gesang durch und wollte mich soeben mal an einer vorsichtigen Zwischenbilanz versuchen - und da sehe ich, dass deine Eindrücke ja ganz ähnlich sind wie meine! Zum Glück, denn ich hielt mich schon für einen ganz fürchterlichen Banausen. :breitgrins:


    Also dieses Buch gehört definitiv zum Seltsamsten, was ich jemals gelesen habe. Auch wenn immer wieder einzelne Stellen auftauchen, die mir gefallen, fehlt mir der Zugang zum "Gesamtkonzept" leider völlig. In ganz schlechten Momenten habe ich sogar eher das Gefühl, die Tagebucheintragungen eines eingerauchten 17jährigen Gruftis zu lesen als einen literarischen Klassiker ... und die Komik scheint mir, sofern vorhanden, dann doch eher unfreiwillig. :clown:


    Dass sich der Erzähler an Dingen erfreut, die einen normalen Menschen ängstigen, während er bei "schönen" Anblicken (Kind in der Wiege) traurig wird - na gut, das mag damals ein Novum gewesen sein, aber hat das Zeug zum Schocker heute auch längst verloren. Wie die Hexen bei Macbeth ("schön ist hässlich, hässlich schön") ... :zwinker:


    Naja, es gibt aber wie gesagt auch lichte Momente, so fühlte ich mich in der Strophe Eine Familie sitzt um eine Lampe ... ganz stark (und gar nicht schlecht) an den Erlkönig erinnert.
    Dass die nächste Strophe dann mit "Er, der nicht weinen kann [...], bemerkte, dass er sich in Norwegen befand" beginnt, war wiederum für ein verwirrtes :schulterzuck: gut.


    Wenn die nächsten 4 Gesänge wirklich auch in dieser Tonart weitergehen, ohne dass sich irgendwas herauskristallisiert, frage ich mich aber schon, wozu das Ganze eigentlich. Aber mal sehen ...

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."


  • Dass sich der Erzähler an Dingen erfreut, die einen normalen Menschen ängstigen, während er bei "schönen" Anblicken (Kind in der Wiege) traurig wird - na gut, das mag damals ein Novum gewesen sein, aber hat das Zeug zum Schocker heute auch längst verloren.


    Und war es das früher wirklich, also ein Novum?
    Selber nicht gelesen, aber de Sade muss ziemlich grauslich gewesen sein. Auch die Hexenprozesse nahmen erst Ende des 18. Jh. ihr Ende. Überhaupt war man früher körperlich brutaler als heute, oder? Mir scheint es, dass man heute psychisch grausamer ist. Aber ich bin alles andere als eine Historikerin :breitgrins:


    Literarisch wurden solche Texte wohl zensiert, aber spiegeln sie nicht doch einen gewissen Zeitgeist? Ich mein, Stephen King habe ich als Jugendliche auch gelesen :zwinker:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo,


    leider kann ich nicht wirklich mitreden. Bei uns ist das Wetter so herrlich, dass ich die ganze Zeit nur draußen bin und leider sehr wenig zum Lesen komme, aber eure Eindrück lassem Böses ahnen. Ich werde am Wochenende versuchen weiter zu kommen.


    Katrin

  • Ich kann - jedenfalls in der Urversion, die ich gerade lese - Eure Eindrücke nicht teilen. Schwarze Romantik: ja. Es ist schwierig, zwischen dem Erzähler Lautréamont und einem zweiten Erzähler, Maldoror, zu unterscheiden: ja. Aber das Buch erinnert mich an Jean Pauls Giannozzo (den Ducasse gekannt haben könnte) und die Nachtwachen von Bonaventura. Ich bin - jedenfalls in dieser Erstfassung - weit von de Sade entfernt.

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  • Danke für diese zwei "Leckerbissen", du bist mir ein unerschöpflicher Quell :smile: Ja, ich denke, mir fehlt der Vergleich, denn mit Conrad kann man dieses Werk mitnichten vergleichen.


    LG
    Anita

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  • Hallo Zusammen.


    Ja, „Schwarze Romantik“, die Kehrseite der Romantik!


    Ich habe vor zwei Jahren anhand von Safranskis Buch: „Romantik, Eine deutsche Affäre“ im Groben die deutsche Romantik nachgelesen. Die Bewegründe dieser Epoche sagten mir sehr zu: „Die Welt wurde zum Kunstwerk“ oder „Die Ironie zog ein: Ironie als lächelnder Respekt vor dem Unbegreiflichen, und dadurch die Vermeidung vor dogmatischen, aufgeklärter Anmaßung und Starre/Rationalität.“
    ABER ich konnte mit den Werken von Novalis, Hoffmann, Eichendorff und Tieck schwerlich nichts anfangen. Bei der Lektüre kräuselten sich sämtliche Nackenhaare bei mir. Welch ein Pathos, ja es tut mir Leid, welch ein Kitsch, theatralisch bis zum Letzten, die Realität gänzlich ausgeschaltet.
    Ganz zum Schluss als Safranski auf heutige Romantik hinweist, im „Zauberberg“ beispielsweise der „Schneesturm“ oder auch bei Hesse, ja das war dann meins.


    Bei der „Schwarzen Romantik“ habe ich nun das gleiche Phänomen: Ich mag die Theorie, ich mag die Motive, die Ansichten, das Denken, aber wieder die Theatralik nicht, es schüttelt mich, das ist nicht meins. Ich werde es mal mit Bonaventuras „Nachtwachen“ versuchen, aber bei Lautréamont werde ich nur noch hier und da hineinblicken, komplett durchlesen wäre eine absolute Strafe für mich.


    LG
    Anita


    Ach ja edit: Im 2. Gesang fiel mir diese Anspielung auf Lohengrin auf, der ahnungslos sich in Lebensgefahr befand, dann in der Umsetzung zum Jungen, Mädchen und dem Kind auf: unschuldig, ahnungslos und in Gefahr. :zwinker:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

    Einmal editiert, zuletzt von Anita ()

  • sandhofer:
    Im Taschenbuch stehen Fußnoten bzgl. Urversion.
    Deinen Vergleichen (Gianozzo, Nachtwachen, Ducasse ...) kann ich mangels Leseerfahrung leider nicht folgen.


    Anita:
    Novalis und Konsorten hatten es mir als Teenager ein Zeitlang recht angetan, aber als ich später wieder einmal einen Blick hineingeworfen habe, war es mir (zumindest in der damaligen Situation) auch zu dick aufgetragen.
    Einerseits schade, dass du nicht mehr weiterliest, aber ich habe selber auch noch nicht entschieden, wie ich weitermache ... aufhören möchte ich eigentlich (noch) nicht, dazu reizt es mich dann doch noch zu stark, aber oberste Priorität hat das Buch bei mir auch nicht mehr. Ich glaube, dass ich in kleinen Häppchen weitermachen werde ... und vielleicht geht mir der Knopf ja noch auf. :zwinker:

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  • Dass man Eichendorff und Tieck als Kitsch abtut - nun gut. (Der wirklich gute Tieck, das ist der alte Tieck, der eigentlich schon Realist ist und nicht mehr Romantiker - das will ich sogar zugeben.) Novalis und E.T.A. Hoffmann sind alles andere als Kitsch. Zu Hesse hingegen fällt mir nur ein:


    Welch ein Pathos, ja es tut mir Leid, welch ein Kitsch, theatralisch bis zum Letzten, die Realität gänzlich ausgeschaltet.


    Zum Vergleich mit de Sade: Ducasse hat ihn wohl kaum gekannt. Aber eines ist den beiden gleich: Die Überzeugung, dass der Mensch im Grunde genommen schlecht ist.


    Anita: Du wirst die Nachtwachen von Bonaventura nicht mögen ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich habe nun auch ein Stück weiter gelesen und mir geht es wie Bluebell. Aufgeben will ich nicht, weiterlesen im Grunde aber auch nicht wirklich. Ich denke, ich schiebe mal ein anderes Buch dazwischen und lese den Lautréamont in kleinen Happen nach und nach weiter (vielleicht sogar fertig). Kann ich derzeit noch nicht sagen, da ich erst in der Mitte des ersten Gesangs bin und ich das ganze "Der Leser wird geschockt sein", "Ich weiß nicht ob ich das Buch überhaupt schreiben hätte sollen" schon jetzt nicht mehr lesen kann.


    Geschockt bin ich eigentlich kein Bisschen und derzeit kann ich auch noch nicht nachvollziehen warum er sich so permament gegen Gott wendet und Satan verehrt.


    Katrin