Februar 2010: Th. Mann: Die Geschichten Jaakobs (Joseph I)

  • Ich lese übrigens die neuere Ausgabe des gesamten Romans in einem Band, mit über 1300 Seiten. Es würde mich interessieren, wie viel Seiten der Zyklus in der Taschenbuchausgabe hat.


    Ich lese die Fischer-Taschenbuchausgabe in vier Bänden:


    I. Die Geschichten Jaakobs: 383 Seiten
    II. Der junge Joseph: 271 S.
    III. Joseph in Ägypten: 599 S.
    IV. Joseph der Ernährer: 541 S.


    Mach also summa summarum stolze 1'794 Seiten. Das deine Ausgabe weniger Seiten aufweist liegt wohl am unterschiedlichen Format.


    Gruss


    riff-raff


  • Du meinst, Geschäftssinn hält die Libido in Schach?


    In einem gewissen Sinne schon ... Man könnte dann von Sublimierung sprechen.


    Aber eine Sublimierung wie T. M. sie in folgenden Sätzen schildert finde ich etwas gar ulkig:


    Er war ein wartend Liebender; er durfte noch nicht fruchtbar sein mit Rahel; und wie schon oft in der Welt eine solche Hemmung und Stauung der Wünsche und Kräfte ihren Ausweg in grossen Geistestaten gefunden hat, so fand sie hier, in ähnlich verblümter Übertragung, ihren Behelf in der Blüte eines der Sympathie und Pflege des Leidenden unterstellten natürlichen Lebens.


    Mit anderen Worten: Weil Jaakob sich gezwungen sieht, seinen Trieb im Zaum zu halten, vermehren sich seine ihm unterstellten Schafe nur um so mehr ... :rollen:


    Gruss


    riff-raff

  • Apropos Joseph und Keuschheit ... - Ich füge hier noch einen Link zu einem älteren Bericht (2006) des Deutschlandfunks ein.


    Es handelt sich um eine ziemlich ausführliche Rezension zum Buch von Jan Assmann: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. Unter anderem wird auch kurz darauf eingegangen, dass der alttestamentliche Urtext mehr Gewicht auf Joseph und seine Gesetztestreue legt, während eine spätere, christliche, Lesart des Textes in Joseph vor allem den keuschen und allen Versuchungen standhaltenden Helden sieht. Etwas, zu dem der "homoerotische Entsagungskünstler" Thomas Mann eine besondere Affinität gehabt haben soll.


    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/574454/


    Ich finde den Bericht sehr lohnend, auch wenn ich nicht denke, dass ich Jan Assmanns Buch lesen werde.


    Schönen Abend allerseits


    riff-raff

  • Aha, danke für deine vorzügliche Unterstützung riff-raff. :winken:


    Ich habe wohl etwas unaufmerksam gelesen, an dein Zitat kann ich erinnern :sauer: Es erklärt einiges, was TM bewog die Fährnisse der Sexualität in dieser Geschichte zu vermeiden.


    Wenn wir gerade bei der Libido sind-Langsam verliere ich etwas die Lust (am Roman). Der Beginn von "Der junge Joseph ist mehr Theologie als Gechichte. Wenn sich dass nicht ändert, wird es mir schwerfallen weiter zu lesen.

  • riff raff, auch von mir vielen Dank! Du stöberst interessante Seiten für uns auf.


    Bei mir geht es sehr langsam voran. Bin noch nicht mal mit I,1 fertig. Im Moment komme ich nur abends kurz zum Lesen, und dann fallen mir leider die Augen über dem Buch zu. Ich finde es im Moment noch ein bisschen bildungslastig und sinnlos ermüdend, wenn die Namen der Götter, Herrscher und Regionen immer in den unterschiedlichen Sprachen der im vorderen Orient damals angesiedelten Völker variantenreich verwendet werden.
    Das Geschehen kommt in diesem ersten Kapitel kaum in Fahrt. Ich nehme an, es dient klassicherweise dazu, Personencaharaktere, -konstellationen (Jaakob, Joseph und seine Brüder), Leitmotivik (Brunnen) und ironisch vielfach gebrochenen Umgang mit dem Mythos im Bewusstsein des Lesers nachhaltig zu installieren.


    finsbury

  • Hallo Finsbury,


    ich bin mit I, 8 fertig und kann, wie Du, nur abends kurz lesen. Es tut mir sehr Leid. Als ich das erste Mal die Tetralogie gelesen habe, konnte mir mehr Freizeit erlauben, und das Werk wirkt besser, wenn man nicht zu langsam weiter kommen soll.


    Viele Grüße
    wanderer

  • Hallo,


    @ wanderer, was meinst du mit I,8? Nummerierst du die Unterkapitel durch? "Die Geschichten Jaakobs" haben sieben Hauptstücke, die können es also nicht sein.


    Ich bin im dritten Hauptstück "Die Geschichte Dinas" und dort mit dem Abschnitt "Der Vertrag" fertig. Endlich kommt Thomas Mann ins Erzählen! Nun geht es auch schneller vorwärts, so hoffe ich.
    Dieses mythologische Gemisch, was er uns da serviert, ist oft informativ, manchmal für mich auch nervig und hin und wieder überraschend, so, wenn er Esau als Pan darstellt.
    Den Gottesleitertraum bereitet Mann wie ein Zwischending aus Führung durch das alte Babylon und Assur und eine Berliner Abendrevue der Zwanziger Jahre auf. Man erwartete geradezu noch, die Girls vor Gott die Treppenstufen heruntertanzen zu sehen.
    Auffällig ist auch die Montagetechnik. Sonst neigt Mann ja, wenn ich mich recht erinnere, zum linearen Erzählen, hier aber springt er gerne zwischen den Handlungszeiten hin und her, aber nach Dinas Geschichte scheint es dann linear weiterzugehen.
    Was mich ärgert, ist das oft abgetrennte Genitiv-s. Ist das in euren Ausgaben auch so oder nur ein Lektoratsfehler bei mir. Ich lese die einbändige Hardcover-Wiederveröffentlichung aus dem S. Fischer-Verlag von 2007.


    Ein schönes Wochenende
    finsbury

  • Den Gottesleitertraum bereitet Mann wie ein Zwischending aus Führung durch das alte Babylon und Assur und eine Berliner Abendrevue der Zwanziger Jahre auf. Man erwartete geradezu noch, die Girls vor Gott die Treppenstufen heruntertanzen zu sehen.


    Gefällt mir, wie du das beschreibst.


    Ich lese die gleiche Ausgabe wie du und merke, es ist eine neue Lesebrille und Hanteltraining fällig.

  • Hallo Finsbury,


    ja, ich habe die Unterkapitel durchnummeriert, weil ich bis jetzt habe die Ausgabe des Werks noch nicht bekommen und lese eine veraltete Ausgabe. Also ich bin nur im ersten Hauptstück. Ich hoffe diese Woche, die Bücher zu erhalten und besser und schneller lesen zu können.


    Schönes Wochenende Dir auch!
    wanderer

  • Hallo Finsbury,



    Was mich ärgert, ist das oft abgetrennte Genitiv-s. Ist das in euren Ausgaben auch so oder nur ein Lektoratsfehler bei mir. Ich lese die einbändige Hardcover-Wiederveröffentlichung aus dem S. Fischer-Verlag von 2007.


    Das ist in meiner Ausgabe aus den 60-er Jahren genauso. Ich denke, dass Thomas Mann so geschrieben hat, denn ich kenne das auch aus seinen Essays und Tagebüchern. Ich habe den Verdacht, dass vieles, was man heute für schlechtes Deutsch hält - wie der sogenannte "Deppen-Apostroph", den Mann beim Genitiv ja nur in Verbindung mit Eigennamen verwendet oder Anglizismen - in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zum guten Stil gehörten.

  • Hallo zusammen,


    ich bin mit dem ersten Hauptstück fertig und habe mit dem zweiten begonnen. Das erste fand ich durch den Erzählstil, die Handlungsarmut und die vielen meist fremden Namen ziemlich ermüdend. Abends nach einem geistig anstrengenden Arbeitstag habe ich mich oft zum Weiterlesen zwingen müssen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Ich hoffe, dass es jetzt besser wird. :smile:


    Viele Grüße,
    Zola

  • Ich habe den Verdacht, dass vieles, was man heute für schlechtes Deutsch hält - wie der sogenannte "Deppen-Apostroph", den Mann beim Genitiv ja nur in Verbindung mit Eigennamen verwendet oder Anglizismen - in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zum guten Stil gehörten.


    Er galt zumindest nicht als falsch. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    zum Genitiv-s: Es verwundert mich einfach, wenn ein auch morphologisch und semantisch so gebildeter Schriftsteller wie Mann dieses Apostroph-s so verwendet, wenn auch, da hast du Recht, Zola, nur bei Eigennamen, aber das gilt ja für die sog. "Deppen-Apostroph-" Verwender auch.


    Wie dem auch sei, es macht nun seit Jaakobs Begegnung mit Esau deutlich mehr Spaß, der in Fluss gekommenen Geschichte zu folgen.


    Dinas Geschichte ist ja wirklich grausig, und in der Tat wird Dina hier - wie ihr weiter unten schriebet - auf geradezu empörende Weise, wenn man nicht die ironische Brechung des patriarchalischen Tons berücksichtigen würde, abgefertigt. Nun ist aber auch der von seinen Trieben überwältigte Sichem nur ein Movens der Handlung und ebenfalls nicht gerade ein erleuchtet agierender Kopf.


    Ich glaube aber schon, dass Mann, der ja nicht gerade ein Verehrer des weiblichen Geschlechtes war, eine diebische Freude daran hatte, im Gewande des auctorialen,dennoch sich ironisch in erzväterlich-beduinischen Sprachstil hüllenden Erzähler die Frauen ihr Fett abbekommen zu lassen, indem er von "Weibertross", "Lärvchen", "Frätzchen", der "blödgesichtigen Lea" usw. spricht.


    Aber auch Jaakob kommt nicht sympathisch daher: Seine vorwegnehmende Unterwürfigkeit, Schmeichelei, Heuchelei, sein frömmelndes Verhalten und larmoyante Sprechweise - manchmal denke ich, dass Mann doch eine Menge Klischees bedient, die im Antisemitismus verwendet wurden und z.T. leider immer noch werden.
    Da der Roman ja ausdrücklich dazu dienen sollte, den Nazis die Verwendung des Mythos zu entreißen und diesen in einen Zusammenhang zu stellen, auf den sich das vernunftgebundene Bürgertum berufen kann, halte ich diese Schilderungsweise für problematisch.


    finsbury

  • zum Genitiv-s: Es verwundert mich einfach, wenn ein auch morphologisch und semantisch so gebildeter Schriftsteller wie Mann dieses Apostroph-s so verwendet, wenn auch, da hast du Recht, Zola, nur bei Eigennamen, aber das gilt ja für die sog. "Deppen-Apostroph-" Verwender auch.


    Der Deppenapostroph wird m.M.n. überschätzt. Also - der Deppencharakter davon. Mann führt eigentlich nur weiter, was er in den ersten 25 Jahren seines Lebens gelernt hat, so, wie auch heute so mancher (ich inbegriffen) Teile oder das Ganze der jüngsten Rechtschreibereform beiseite lassen. Ein kurzer Blick in Wikipedia sagt uns nämlich:


    Die Verwendung von Apostrophen ist insbesondere vor dem Genitiv-s keine neue Erscheinung. Bis zum 19. Jahrhundert war diese Schreibweise üblich.


    Der Duden missbilligte diese Verwendung des Apostrophs zunächst nur: Bei Genitiven sei es „nicht erforderlich“, einen Apostroph zu setzen. Erst in der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 wurde diese Verwendungsweise für normwidrig erklärt. In allen Epochen des 20. Jahrhunderts sind Fälle des nunmehr fehlerhaften Apostrophgebrauchs belegt. Wer vor 1901 schreiben gelernt hatte, verwendete häufig weiterhin den Apostroph. So setzte auch Thomas Mann regelmäßig den Genitiv-Apostroph: Baron Harry’s, Johnny’s, Amra’s.


    Zudem ist er heute in bestimmten Situationen bereits wieder toleriert. Nochmals Wikipedia:


    Falsche Apostrophe sind in folgenden Fällen anzutreffen:


    * Beim Genitiv: Die häufigste Form der Apostrophitis ist das abgetrennte Genitiv-s, der sogenannte (angel)sächsische Genitiv, wie bei Opa’s Pfeife, Schuster’s Rappen oder Deutschland’s Hauptstadt. Nach den alten deutschen Rechtschreibregeln war diese Schreibweise generell falsch. Nach der neuen deutschen Rechtschreibung gilt sie für solche Fälle als richtig, in denen der Apostroph die Grundform eines Personennamens verdeutlicht, z. B. bei Andrea’s Friseursalon, Willi’s Würstchenbude oder Mozart’s Sonaten.


    Also: Der Deppenapostroph ist eigentlich gar keiner, sondern war - bevor ein paar irre geleitete Akademiker anders entschieden haben - normal und korrekt. Aber sag das mal jemand den selbsternannten Sprachschützern um Sick und Co. :rollen:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • , z. B. bei Andrea’s Friseursalon, Willi’s Würstchenbude oder Mozart’s Sonaten. [/color][/b]


    Also: Der Deppenapostroph ist eigentlich gar keiner, sondern war - bevor ein paar irre geleitete Akademiker anders entschieden haben - normal und korrekt. Aber sag das mal jemand den selbsternannten Sprachschützern um Sick und Co. :rollen:


    Morphologisch sollte das Apostroph-s zeigen, dass hier ein anderes Wort, zumeist das Pronomen "es", nur angedeutet wird: Da lebt sich's gut;
    wenn's uns gefällt ... . Dagegen ist das Genitiv-s eine ganz normale Flektionsendung: Wenn man das weitertreibt, kann man bald auch die ander'en Flektion'sendung'en abtrennen:


    Ich finde daher, dass hier eine Verwechslung von grammatischer Bedeutung und lässlicher Rechtschreibnorm stattfindet, ähnlich, wie wenn man dafür eintritt, den Unterschied zwischen dass und das aufzugeben.


    Das hat nicht's mit Herr' n Sick zu tun!


    fin'sbury

  • Morphologisch sollte das Apostroph-s zeigen, dass hier ein anderes Wort, zumeist das Pronomen "es", nur angedeutet wird: Da lebt sich's gut;
    wenn's uns gefällt ... . Dagegen ist das Genitiv-s eine ganz normale Flektionsendung: Wenn man das weitertreibt, kann man bald auch die ander'en Flektion'sendung'en abtrennen:


    Ich finde daher, dass hier eine Verwechslung von grammatischer Bedeutung und lässlicher Rechtschreibnorm stattfindet, ähnlich, wie wenn man dafür eintritt, den Unterschied zwischen dass und das aufzugeben.


    Das hat nicht's mit Herr' n Sick zu tun!


    Damit wärst Du dort, wo Ende des 18. Jahrhunderts der Grammatiker Adelung schon war. Der hat nämlich - zur Verdeutlichung des Stammes eines Eigennamens - vorgeschlagen, Genitiv- wie Dativendungen mit Apostroph vom Stamm zu trennen:


    "[...] nämlich bei eigenen Nahmen, das s des Genitivs und n des Datives durch einen Apostroph von dem Worte selbst zu trennen, und zwar in der Absicht, um den Ton zu sichern. Catos, Ciceros, Bendan, könnten leich[t] Catós, Cicerós, Bendán gelesen werden. [...] Beides wird vermieden, wenn man Cato’s, Cicero’s, Benda’n schreibt." (Adelung, Johann Christoph 1782: Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen)


    Jacob Grimm hat diesen Apostroph dann als überflüssig betrachtet (aber er hat auch konsequente Kleinschreibung verwendet!), Konrad Duden ist ihm in Bezug auf den Apostroph gefolgt. "Offiziell" verboten, wurde er, wie gesagt, erst 1901. Der Deppenapostroph folgt also einer bestimmten, wenn auch andern, Logik und ist eine altehrwürdige Erscheinung. Ich vermute, Mann wusst sehr wohl, was er tat, wenn er ihn benutzte. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus