Bücher die: - die Welt verändern!

  • Steffi hat in einem anderen Thread geschrieben:
    Haben diese Autoren ... die Gesellschaft ...verändert ? Ich denke schon - im Gegensatz zu dir glaube ich schon, dass Literatur die Menschen/Gesellschaft verändern kann!


    Hallo Steffi,


    ich stimme Dir zu. Das Thema, das ja schon einige Zeit in unserer anderen Diskussion mitläuft, halte ich für so interessant, dass es eine eigene Diskussion wert ist.


    Ich meine aber jetzt nicht Bücher wie „Mein Kampf“ (sorry Sandhofer), das als Buch meiner Meinung nach nichts verändert hat (das war der Autor) oder „Die Mao-Bibel“ oder „Die Traumdeutung“ von Freud (diese beiden haben sicher viel verändert), und auch keine wissenschaftlichen Werke, sondern reine Belletristik (Achtung Oberlehrer: Belletristik bezeichnet den nichtwissenschaftlichen Teil der Literatur, also die Unterhaltungsliteratur und die Dichtung im engeren Sinne)


    Hallo zusammen,


    Kennt Ihr Bücher, von denen ihr glaubt, dass sie die Welt (oder zumindest Euch – Veränderungen fangen ja oft klein an), verändert haben?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen!


    Belletristik, die die Welt verändert. Wenn Du die Welt 'da draussen' meinst, die Welt, in der Bush, Schröder, Wirtschaftsmanager und was weiss ich noch wer 'wirken', würde ich behaupten: Belletristik hat die Welt noch nie verändert. Leider :sauer: . Die Welt 'in meinem Kopf' und in den Köpfen ein paar anderer Kulturbeflissener: ja.


    'Theoretische' Bücher, wie die von Dir bereits genannten (die Liste wäre noch um einiges zu verlängern: Marx. Spengler, aber auch z.B. Physiker wie Newton, Galilei...): ja, ohne Frage.


    Was hat z.B. Homer verändert, ausser dass vielleicht ein paar Leute mehr wissen, wer Odysseus war?


    Ich weiss, ich weiss: der Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonasbecken kann einen Staudammbruch in China auslösen... Aber Konkret unseren Alltag beeinflussen kann Belletristik imho nicht. Sie verschönert meinen persönlichen Alltag - andere züchten dafür Fische oder Rosen... :schmetterling: :schmetterling:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen


    Ich bin sicher, jedes Buch verändert mich ein wenig, ein ganz klein wenig, wahrscheinlich verschwindent wenig. Aber immerhin!
    Da ich ein soziales Wesen bin, mit all seinen möglichen Interaktionen, bin ich wahrscheinlich auch in der Lage ein wenig, wahrscheinlich verschwindent wenig, die Welt zu verändern :smile:
    Der erste Flügelschlag eines Schmettelings im Amazonasbecken fand vielleicht vor unendlicher langer Zeit statt. Ich bin möglicherweise der millionste Falter in einer Reihe von Billionen Faltern, der einen Stups von seinem direkten Vorgänger bekommt und diesen weitergibt an den Schmetterling, der nach mir kommt.
    Und eines Tages flattert einer unserer Nachfahren über diesem gewaltigen Staudamm und denkt sich:"Schau an! Ohne Rainer wär´ ich jetzt nich´ hier!"
    Aber wir lassen den Staudamm heile!
    Und in irgend einem Forum heißt es dann:" Seht! Ihr mit euren Zitronenfaltern! Nix passiert! Wust´ ich doch!"


    :zwinker: :zwinker: :zwinker:


    Rainer :bang:

  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer,
    hallo Rainer!


    Zitat:
    Belletristik, die die Welt verändert. Wenn Du die Welt 'da draussen' meinst, die Welt, in der Bush, Schröder, Wirtschaftsmanager und was weiss ich noch wer 'wirken', würde ich behaupten: Belletristik hat die Welt noch nie verändert. Leider .


    Hallo Sandhofer,


    da ich Dich nur ungern als Diskussionspartner verlieren möchte, hoffe ich, dass Du mir nicht böse bist, wenn ich hier ausnahmsweise mal anderer Meinung bin als Du. Als Diskussionsgrundlage drei Thesen von mir:


    1. Bücher (im folgenden immer als Synonym für Belletristik gemeint) können, wenn auch selten, mit einem Paukenschlag die Welt verändern. Drei Beispiele:


    a) „Uncle Tom`s Cabin“ von Harriet Beecher Stowe, das erfolgreichste amerikanische Buch des 19. Jahrhunderts, hat, trotz rassistischer Darstellung der „Neger“, wesentlich zur Abschaffung der Sklaverei in den USA beigetragen.
    b) Die „Aufzeichnungen eines Jägers“ von Ivan Turgenjew, fünfundzwanzig Erzählungen aus der Welt der leibeigenen Bauern, hatten in Russland eine ähnliche Wirkung wie „Onkel Toms Hütte“ in Amerika. „Turgenjews hat mit diesem Buch dem russischen Volk vor Augen geführt, dass Leibeigene auch Menschen sind“ (Dieser Satz stammt nicht von mir, ich weiß aber die Quelle nicht mehr). Diese beiden Bücher sind fast zeitgleich entstanden und haben mehr (und ohne Blutvergießen) für die Ideale der franz. Revolution getan, als diese selbst.
    c) Die Romane der südafrikanischen Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer (z.B. Burger’s Daughter von 1979, aber auch andere) haben wesentlich zur Abschaffung des Apartheid-Systems in Südafrika beigetragen.


    2. Bücher bewirken über das Bewusstsein der Leser gesellschaftliche Veränderungen. Dazu sind aber oft längere Zeiträume und mehrere Bücher zum gleichen Thema erforderlich, so dass die Wirkung der Bücher nicht sofort ins Auge fällt. Ein Beispiel: Die Romane der 19. Jahrhunderts von Balzac („Die Frau von 30 Jahren“), Flaubert („Madame Bovary“), Tolstoij („Anna Karenina“) und Fontane („Effi Briest“) haben zusammen mit Ibsens Schauspielen (vor allem: „Nora“ und „Die Frau vom Meer“) die Voraussetzungen zur „Emanzipation der Frau“ geschaffen.
    3. (Ergänzend zu Rainers Beitrag) Bücher verändern einzelne Personen und somit natürlich im Laufe der Zeit auch die Gesellschaft in der diese Personen leben. Dies braucht lange Zeiträume, ist dann aber von Dauer, wogegen Änderungen die Leute wie Hitler, Stalin etc. bewirken zwar schnell geschehen, aber bald von der Zeit überholt werden.. Wer kennt heute noch die Grenzen von Alexanders Reich? Aber die Abschaffung der griech. Götter, durch Literaten wie Homer, war nicht mehr rückgängig zu machen. In diese Kategorie gehören Bücher wie Hesses „Siddharta“!


    Zitat:
    'Theoretische' Bücher, wie die von Dir bereits genannten (die Liste wäre noch um einiges zu verlängern: Marx. Spengler, aber auch z.B. Physiker wie Newton, Galilei...): ja, ohne Frage.


    Ich hatte absichtlich nur Bücher, des 20. Jahrhunderts genannt. Ansonsten hast Du recht. Hier steht für mich an vorderster Stelle: „Il Principe“ von Niccolo Machiavelli. Obwohl 1532 bereits erschienen, also 50 Jahre älter als Montaigne, beeinflusst der Toskaner bis heute Politiker und Wirtschaftsbosse.


    Ich freue mich auf eine spannende Diskussion!


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Hallo zusammen!


    "da ich Dich nur ungern als Diskussionspartner verlieren möchte, hoffe ich, dass Du mir nicht böse bist, wenn ich hier ausnahmsweise mal anderer Meinung bin als Du" - Keine Angst - ich bin aus dem Alter 'raus, wo man glaubt, dass nur EINE Meinung (die eigene natürlich!) richtig sein kann. :zwinker:


    Zu Deinem 1. und 2. Punkt: Es stellt sich mir hier die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Dass Belletristik die aktuellen Probleme widerspiegelt, ist m.E. unumgänglich, schliesslich lebt ein Autor nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum. Aber ich wüsste jetzt nicht, dass sich z.B. die Frauenrechtlerinnen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit "Effi Briest" unter dem Arm an die Laternenpfosten gekettet hätten. :zwinker:


    "Änderungen die Leute wie Hitler, Stalin etc. bewirken zwar schnell geschehen, aber bald von der Zeit überholt werden.." - 60 Jahre nach den beiden lassen sich in der heutigen Welt immer noch tiefe Spuren finden. :sauer: Selbst Alexander wirkt wohl bis heute weiter.


    Die griechischen Götter sind imho durch die Politiker jener Zeit abgeschafft worden, wenn Du willst auch noch durch Philosophen wie Sokrates oder Aristoteles.


    Nun, Ihr achtet auf den Schmetterlingsflügelschlag und habt damit sicher auch recht. Ich achte lieber auf den ungeheuren Wasserdruck im Staudamm. Denn hier kann ich sehen, begreifen und eingreifen (in beschränktem Mass). Literatur, die sich politischem Wirken verpflichtet fühlt, scheitert meistens als Literatur wie als Politik. Wer war der Vor-März? Wer war Heinrich Böll? (Hermann Hesse wäre eine separate Diskussion wert...)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer!


    Zitat:
    Zu Deinem 1. und 2. Punkt: Es stellt sich mir hier die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Dass Belletristik die aktuellen Probleme widerspiegelt, ist m.E. unumgänglich, schliesslich lebt ein Autor nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum. Aber ich wüsste jetzt nicht, dass sich z.B. die Frauenrechtlerinnen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit "Effi Briest" unter dem Arm an die Laternenpfosten gekettet hätten.


    Natürlich nicht, aber durch die Literatur (seit Beginn des 19. Jahrh.) war das gesellschaftliche Bewusstsein so weit vorbereitet, dass Frauenrechtlerinnen Ende 19. Jahrh./Angang 20. Jahrh. möglich wurden und waren. Wie ich schon sagte, fällt diese Wirkung der Bücher nicht sofort ins Auge.


    Zitat:
    Selbst Alexander wirkt wohl bis heute weiter.

    Wo? Wie?


    Zitat:
    Die griechischen Götter sind imho durch die Politiker jener Zeit abgeschafft worden, wenn Du willst auch noch durch Philosophen wie Sokrates oder Aristoteles.


    Aber auch hier gilt: dies war den Politikern und Philosophen nur möglich, weil die Literaten den Boden bereiteten.


    Grüsse


    Hubert


  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Wir werden letztlich keinen Konsens finden, fürchte ich. (Na, ja: 'Fürchten' ist der falsche Ausdruck - wir sind ja nicht zu einem Konsens verpflichtet...) Du glaubst daran, dass das Huhn 'Belletristik' zuerst war, ich glaube, dass dem Ei 'gesellschaftliches Bewusstsein' die Priorität gehört. Die 'Wahrheit' wird wohl ganz anders, noch komplexer aussehen...


    Alexander? Nun, nur schon z.B. als Vorbild des grossen Feldherren und Eroberers, das Leute wie Napoleon I. und A.H. inspiriert hat. Die Idee, dass die Region von Persien bis Indien zu Europa geschlagen werden müsste, die die Kolonisation der Engländer angetrieben hat, und die selbst George W. Bush noch im Kopf herumzugehen scheint. Verquickt mit anderen, z.t. auch biblischen Elementen natürlich. Aber das führt seeeehr weit ab vom den Themen eines literarischen Forums...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen !


    @sanhofer: ich wußte, du würdest das mit dem Huhn und dem Ei anführen - genau das frage ich mich auch, aber, anders als du, bin ich doch sehr positiv und mehr ein Anhänger der Hubert'schen Thesen.


    Ich kann aber beide Seiten verstehen, aber ohne empirische Forschung werden wir wohl kaum zu einem Konsens kommen, aber sonst wärs ja auch keine ordentliche Diskussion !


    Dass aber Bücher die eigene Persönlichkeit beeinflussen, steht doch außer Frage, oder ?


    Gruß von Steffi,


    die sich trotz Hitze in das Dachgeschoß zum PC begeben hat :eis:

  • Hallo zusammen!
    Hallo Steffi,


    warum, frage ich mich, ist diese Diskussion so schnell eingeschlafen? Warum ist (in einem Klassikerforum!) die Frage „was Moers von BB hält“ oder „wie lange die Pausen beim Lesen sind“ interessanter als die Frage „ob Bücher die Welt verändern“ oder doch zumindest unser Bewusstsein (führt das nicht zum gleichen Ergebnis?). Ich will deshalb die Frage noch mal neu stellen (Steffi, Dein Kampf gegen die Hitze soll nicht umsonst gewesen sein).


    Glaubt Ihr, das Bücher Eure Persönlichkeit beeinflussen? Euer Bewusstsein verändern? Wenn ja, gibt es Titel bei denen Euch das bewusst geworden ist?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen,


    ich bin davon überzeugt, dass Bücher mein Bewußtsein beeinflussen.
    Das erste Buch, das ich gelesen habe, und nach dem ich die Welt mit anderen Augen angesehen habe, war "Früchte des Zorns" von Steinbeck. Überhaupt hat Steinbeck in mir eine Sehnsucht geweckt, ein bißchen so zu sein, wie seine Außenseiter und Lebenskünstler, die er in "Wonniger Donnerstag" oder überhaupt in seinen Büchern über die Cannery Row beschrieben hat. Und so jetzt auch wieder mit Alexis Sorbas.


    Es ist nicht viel, was diese Bücher bewirkt haben, nur ein Nachdenken darüber, ob wirklich alles so sein muss, wie es eben ist. Eine Sehnsucht, vielleicht etwas zu verändern.

    Ich denke, weil Bücher zu einem kleinen Bruchteil mein Leben beeinflussen, und ich ein Teil der Welt bin (wenn auch nur ein winziges Sandkörnchen), dann gibt es doch im Endeffekt diese Bücher, die die Welt verändern, oder nicht? Auch wenn es bei jedem andere Bücher, andere Schriftsteller waren.
    :schmetterling:
    Ingrid

  • ich glaube auch, daß dies wie die frage nach der henne und dem ei ist.
    Haben die bibel und der koran die welt verändert, oder haben wir diese bücher, weil diese beiden religionen sich durchgesetzt haben?
    Alle akteure gesellschaftlicher prozesse sind adaptiv und interagierend, alles beeinflußt sich gegenseitig. Dies macht klare ursache-wirkung-beziehungen schwer zu identifizieren. Andererseits ermöglichen solche komplexen adaptiven systeme auch den genannten schmetterlingseffekt (reflektierte katharina blum nur den zeitgeist oder bewirkte böll etwas?).
    Bei der frage, ob literatur die persönlichkeit beeinflussen kann, bin ich skeptisch. Jeder therapeut würde die möglichkeit einer beeinflussung bejahen. Ein determinist würde sie verneinen und behaupten, literatur und ihre effekte bedienten nur die aktuellen wünsche und bedürfnisse des einzelnen.
    was soll man zB von jenen -angeblichen- extremfällen halten, bei denen menschen mit zuvor mindestens tadeligem oder gar kriminellem lebenslauf behaupten, nach der lektüre zB der bibel, ihr leben radikal verändert zu haben? (beispiel: GW bush) War die lektüre die ursache oder war die lektüre nur eher zufällig lose mit der änderung verbunden?
    gruß hafis

  • Hallo zusammen,


    die Frage, ob Bücher was verändern, hat doch mit der Frage nach Henne und Ei absolut nichts zu tun. Bei der Frage nach Henne und Ei geht es doch nur darum, was war zuerst – aber auch die Henne-Befürworter leugnen ja nicht,. dass Hennen aus Eier kommen und die Eier-Befürworter wissen, dass Eier von Hennen gelegt werden. Natürlich hat Böll mit „Katharina Blum“ den Zeitgeist getroffen, dass heißt aber doch nicht, dass er nicht (und gerade dadurch) etwas bewirkt hat. Ich kenne viele, die mit mir zusammen „Freedom for Mandela“ gesungen haben, die eigentlich nur durch die Bücher von Nadine Gordimer für die Probleme des Apartheid-Systems interessiert wurden und da das auf der ganzen Welt so war, wurde der Druck auf die südafrikanische Regierung so groß, dass sie Mandela schließlich freigeben mussten.


    Ob GWB durch die Bibel beeinflusst wurde oder noch beeinflusst ist, kann ich nicht beurteilen (da müsste man das Buch ja fast als gefährlich verbieten) ist mir auch ziemlich egal. Mir reicht es wenn Ingrid erzählt, dass sie durch Bücher von Steinbeck oder durch „Alexis Sorbas“ dazu angeregt wird, ihren Standpunkt zu überprüfen (das kann ich nachvollziehen, weil es mir genau so geht) um zu wissen, dass Bücher verändern!


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen!


    Hubert schrieb:


    Zitat

    die Frage, ob Bücher was verändern, hat doch mit der Frage nach Henne und Ei absolut nichts zu tun.


    Aber ja doch! Es geht doch darum, ob zuerst das gesellschaftliche Bewusstsein entsteht, unabhängig von einem Buch, und sich auch unabhängig von irgendeinem belletristischen Werk weiter entwickelt hätte (was ich behaupte), oder ob die Belletristik eine Bewegung überhaupt erst in Gang setzen kann (was, wie ich es verstehe, Huberts These ist). Dass nachher Hühner und Eier in einer nachgerade linearen Kette entstehen, leugnet ja keiner. Aber um sagen zu können «Dieses Buch hat die Welt geändert», muss dieses Buch ganz klar am Beginn einer Entwicklung stehen.


    Dass ich, was ich für das Ganze der Welt abstreite, natürlich auch für das Individuum abstreite, werdet Ihr wohl nicht bezweifelt haben. Wenn Ingrid schreibt:


    Zitat

    Das erste Buch, das ich gelesen habe, und nach dem ich die Welt mit anderen Augen angesehen habe, war "Früchte des Zorns" von Steinbeck. Überhaupt hat Steinbeck in mir eine Sehnsucht geweckt, ein bißchen so zu sein, wie seine Außenseiter und Lebenskünstler,


    dann müsste ich die Frage stellen, ob sie nicht schon vorher, durch andere, nicht-literarische Erlebnisse darauf hingerichtet worden ist: ein Urlaub, ein neuer Bekannter (oder ein alter, der sich soeben verändert hat), ein Todesfall.......


    Wenn Bücher ein Individuum ändern könnten, müsste dieser Effekt ja reproduzierbar sein. Das heisst, jeder, dem ich Bunyan zu lesen gebe, müsste sich bekehren; jeder de Sade-Leser sich abgelegene Schlösser mieten und allerlei junges Volk foltern...


    Merkwürdigerweise sind es oft die Autoren selber, die glauben, die Welt verändern zu können. Und - auf der anderen Seite - selbsternannte Volkserzieher und Zensoren, bis hin zu Diktatoren jeder Couleur, die dieses oder jenes Buch verbieten. Das erbittert dann ausgerechnet die Autoren am meisten, die am meisten an die gesellschaftliche Wirkung von Belletristik glauben...


    Ein typisches Beispiel: Es gibt jede Menge von Karl-May-Lesern, die angeben, durch 'ihren' Autor zu einem christlichen und/oder toleranten und/oder pazifistischen Denken hingeführt worden zu sein. Andererseits haben nicht nur Pädagogen und Theologen jahrzehntelang gegen seine schlechten Einfluss Sturm gelaufen, auch ein Klaus Mann tat es - mit dem Hinweis, dass auch Adolf Hitler ein fleissiger Karl-May-Leser sei. Die Prä-Disposition des Lesers scheint mir also doch den Einfluss des Autors bei weitem zu überwiegen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    ich habe lange darüber nachgedacht, was du geschrieben hast und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass du recht hast.


    Als ich damals diese Bücher gelesen habe, war die Zeit "reif" für eine solche Erkenntnis, bzw. war ich in der Verfassung, dass die Botschaft dieser Bücher bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen ist.


    Wahrscheinlich ist es so, dass ein Buch nur einen Leser beeinflussen kann, wenn dieser durch seine momentane Lage bzw. Verfassung dazu bereit ist.


    Liebe Grüße
    Ingrid

  • Hallo!


    Ingrid schrieb:

    Zitat

    Als ich damals diese Bücher gelesen habe, war die Zeit "reif" für eine solche Erkenntnis, bzw. war ich in der Verfassung, dass die Botschaft dieser Bücher bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen ist.


    Aber wärest du ohne die Bücher in der Lage gewesen, dies bewußt zu erkennen ? Hast du dein Verhalten nach der Lektüre geändert ? Hättest due es ohne die Bücher geändert ?


    Ich denke, es muß wirklich der "fruchtbare Boden" vorhanden sein aber gerade diese neuen Ideen, die ein Buch einem vermittelt, führen zu neuem Wissen und wieder neuen Ideen und neuen Büchern usw. Gerade sandhofers "Spinnennetz-Methode" zeigt doch, wie diese Mechanisemn funktionieren.


    Nach Koeppens Roman (und Huberts Hilfe) weiß ich nun mehr über das Nchkriegsdeutschland, somit mehr über die heutige Politik. Und, um Erich Fromm anzuführen, meine "Sein"-Seite wird immer größer ! Ich glaube, das war das Buch, dass mich am meisten beeinflußt hat. Es war wichtig, zu sehen, ich bin auf dem richtigen Weg, was sind die mir wichtigen Dinge im Leben und auch zu sehen, es gibt Menschen, die sind so ähnlich wie ich.


    Warum schreiben wir im Forum ? Aus Langeweile ? Nein, eben weil wir uns doch wünschen oder gemerkt haben, dass Bücher in uns etwas bewirken ! Und wenn sie in den Menschen etwas bewirken, können sie auch Außenwirkung haben, denn die Gesellschaft besteht aus Menschen ! Wissenschaftlich läßt sich das nicht nachweisen, da eben nicht reproduzierbar - und das finde ich auch gut so !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Zitat

    Aber wärest du ohne die Bücher in der Lage gewesen, dies bewußt zu erkennen ? Hast du dein Verhalten nach der Lektüre geändert ? Hättest due es ohne die Bücher geändert?


    Nach längerem Überlegen: Die Bücher haben mir den letzten Anstoss gegeben, mein Verhalten zu ändern, wahrscheinlich hätte ich es aber auch ohne sie getan. Vielleicht ein bißchen später, aber ich hätte es getan. Vor allem "Früchte des Zorns" war eigentlich eine Bestätigung meines Denkens.


    Es ist und bleibt eine Frage, die wahrscheinlich nicht richtig zu beantworten ist, ob Bücher uns bzw. die Welt beeinflussen oder nicht.


    Liebe Grüße
    Ingrid

  • Zitat von "Ingrid"

    Es ist und bleibt eine Frage, die wahrscheinlich nicht richtig zu beantworten ist, ob Bücher uns bzw. die Welt beeinflussen oder nicht.


    Die einfachste weise, eine veränderung objektiv festzustellen, liegt in der untersuchung, ob eine bestands- oder flußgröße im bruttoinlandsproduktes sich änderte.
    Harry potter hat aus einer sozialhilfeempfängerin eine millionärin gemacht. Die industrie hat mit diesem buch viel verdient und es wurden entsprechende arbeitsplätze geschaffen. Sicher eine änderung der welt.
    Ohne goethe gäbe es keine goethe-gesellschaften, keine goethe-museen etc..Dies ist neben der geldrechnung auch eine änderung menschlichen verhaltens. Ganz deutlich wird die änderung, wenn ein buch in einen bildungskanon aufgenommen wurde und sich nun die schüler damit beschäftigen müssen. Und ein bildungskanon transportiert eben auch die (wert-)vorstellungen, die die entscheidungen auf anderen gebieten entscheidend mitbeeinflussen. Insofern er transportiert, und nicht nur archivarisch abbildet, ist er einflußfaktor.
    Haben diese bücher nur die welt oder auch einzelpersonen verändert?
    Was soll man unter der veränderung einer person verstehen? Es müßte die gleiche person bei der gleichen entscheidungssituation sich nach der lektüre anders verhalten als davor. Wie kann man das überprüfen?


    Das kollektive verhalten der menschen wurde aber verändert (was nicht unbedingt eine änderung der einzelperson voraussetzt):
    Um diesen büchern diese wertschätzung zukommen zu lassen, mußte das kollektive verhalten der menschen sich ändern. Sie mußten also auf die idee kommen, goethe zu lesen und zu verehren bzw. harry potter zu kaufen. Natürlich wird goethe und potter nur von denen gemocht werden, die -eine tautologie- sie eben mögen (eine disposition dazu haben etc.). Das aber ist kein hinreichender grund, sie zu lesen. Tausende von büchern liegen in den regalen und wollen gelesen und verkauft werden. Es kämen aber niemals gleichzeitig hunderttausende auf die idee, in die buchhandlungen zu strömen und das bislang völlig unbekannte buch harry potter zu verlangen. Also müssen externale, außerhalb der person liegende faktoren für diesen entschluß mitentscheidend gesesen sein. Die einzelpersonen müssen also spezielle informationen über dieses buch erhalten, die zur kaufentscheidung führen.
    Diese informationen können zB werbung sein, die die disposition der kunden antizipieren (genre x läuft gut, also bieten wir hier was an). Diese disposition ist aber nicht gleichbleibend mit der zeit. Der geschmack ändert sich mit der zeit. Die verkäufer-schreiberseite wirft alles mögliche auf den markt (damit ist nicht nur der bestsellermarkt gemeint, sondern auch der markt des geschmacks der intellektuellen, der akademiker, der kritiker etc.), um diesen geschmack zu treffen. Irgendetwas wird sich besser verkaufen als das andere. Werbung wird die sichtbarkeit erhöhen, was dann dem buch gelegenheit gibt, auf eine der genannten weisen die welt zu verändern. Der markt wirft dem kunden also die unterschiedlichsten mittel zur bedürfnisbefriedigung zu. Aus diesem angebot werden sich dann die goethes und potters evolutionär herausentwickeln.
    Ist der geschmack nun vollkommen autonom von externen einflüssen (bildungskanon, vorbildfunktion anderer personen zB durch zuvor gelesene bücher)? Ich glaube nicht, bin mir aber nicht sicher. Sofern der geschmack in toto gewisse modewellen zeigt (literaturepochen), kann man vermuten, daß die lektüre von büchern zumindest als ein einflußfaktor das verhalten von personen, -und logisch damit auch die welt-, geändert hat.
    Eine auch nur ansatzweise abschließende antwort habe ich also nicht. der einfachheit halber würde ich sagen, daß personen/welt und bücher sich gegenseitig beeinflussen.
    gruß hafis

  • Hallo zusammen!


    Hallo Ingrid!


    Du hast geschrieben:


    Zitat

    Die Bücher haben mir den letzten Anstoss gegeben, mein Verhalten zu ändern, wahrscheinlich hätte ich es aber auch ohne sie getan. Vielleicht ein bißchen später, aber ich hätte es getan.


    Ich kann Dir nur zustimmen, ausser dass ich vielleicht sogar behaupten würde, ohne Bücher hättest Du die Veränderung eventuell auch früher durchgemacht. (Weil es ja ebenso gut sein kann, dass Du mit der Lektüre Deine Zeit 'verplempert' und dich nur vom 'Problem' abgelenkt hast.)


    Hallo Steffi!


    Eine Frage - Du hast geschrieben:


    Zitat

    Ich glaube, das war das Buch, dass mich am meisten beeinflußt hat.


    Meinst Du nun Koeppen oder Fromm?


    Zitat

    Warum schreiben wir im Forum ?


    Gute Frage...


    Zitat

    Aus Langeweile ?


    Hmmmmmmmmmm...


    Zitat

    Nein, eben weil wir uns doch wünschen oder gemerkt haben, dass Bücher in uns etwas bewirken !


    Ich weiss nun nicht, wen Du mit "wir" in diesem Satz meinst. Mich jedenfalls darfst Du nicht dazu zählen. Ich schreibe hier mit, weil ich gern mit Leuten diskutiere; weil ich immer wieder mal auf etwas hingewiesen werde, das ich noch nicht kenne; weil ich meine Eindrücke an denen anderer Leute prüfen kann.


    Ich weiss auch nicht, was Du mit "Bücher" meinst. Sachbücher (wie z.B. auch Fromm) hatten wir weiter oben im Thread mal ausgeschlossen. Bei Sachbüchern bejahe ich einen Einfluss auf uns und die Weltgeschichte sogar. (Auch Werke wie Bibel, Koran etc. zähle ich in diesem Zusammenhang unter die Sachbücher.)


    Belletristik aber lese ich nicht, um etwas zu lernen, mich zu verändern etc. - sondern einfach, weil es schön ist. Das muss für mich nicht einen wohlgeordneten Sinn und Zweck haben. :cool:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer,


    du hast es gesagt:


    Zitat

    Ich weiss nun nicht, wen Du mit "wir" in diesem Satz meinst. Mich jedenfalls darfst Du nicht dazu zählen. Ich schreibe hier mit, weil ich gern mit Leuten diskutiere; weil ich immer wieder mal auf etwas hingewiesen werde, das ich noch nicht kenne; weil ich meine Eindrücke an denen anderer Leute prüfen kann.


    Belletristik aber lese ich nicht, um etwas zu lernen, mich zu verändern etc. - sondern einfach, weil es schön ist. Das muss für mich nicht einen wohlgeordneten Sinn und Zweck haben.


    Gestattest du, dass ich mir dir anschließe? :zwinker:


    Ingrid

  • Hallo zusammen


    zunächst vielen Dank, dass Ihr dafür sorgt, dass diese Diskussion nicht einschläft. Aber trotzdem kann ich Eure Argumente nicht verstehen: Selbstverständlich, Ingrid, kann ein Buch nur einen Leser beeinflussen, der dazu bereit ist. Nie habe ich etwas anderes behauptet, oder auch nur in Erwägung gezogen. Jeder Arzt wird Dir bestätigen, dass die beste Medizin nichts nützt, wenn der Kranke nicht bereit ist, diese einzunehmen. Aber genau so klar ist, dass in vielen Fällen die Bereitschaft Gesund zu werden, auch nicht hilft, wenn die Medizin fehlt. Wobei ich natürlich genau weiß, dass die meisten Krankheiten auch von alleine heilen, aber eben nicht alle. Sandhofer meint aber etwas anderes:


    Aber um sagen zu können «Dieses Buch hat die Welt geändert», muss dieses Buch ganz klar am Beginn einer Entwicklung stehen.


    Eben nicht. Erstens, auch wenn ein Buch eine Entwicklung nur beschleunigt, hat es schon verändert und zweitens: es ist doch bekannt, dass eine Entwicklung auch wieder zum Halten kommen kann, wenn sie nicht neue Nahrung (z.B. Unterstützung durch Literatur etc.) bekommt.


    dann müsste ich die Frage stellen, ob sie nicht schon vorher, durch andere, nicht-literarische Erlebnisse darauf hingerichtet worden ist: ein Urlaub, ein neuer Bekannter (oder ein alter, der sich soeben verändert hat), ein Todesfall.......


    dann müsste ich die Frage stellen, ob der Urlaub, der neue oder alte Bekannte, ein Todesfall ... der Auslöser war, oder ob sie nicht vorher durch ein literarisches Erlebnis darauf hingerichtet worden ist?! – genau dies ist aber die Henne-Ei-Diskussion, die meiner Meinung nach für diese Diskussion überhaupt nichts bringt.


    Wenn Bücher ein Individuum ändern könnten, müsste dieser Effekt ja reproduzierbar sein. Das heisst, jeder, dem ich Bunyan zu lesen gebe, müsste sich bekehren; jeder de Sade-Leser sich abgelegene Schlösser mieten und allerlei junges Volk foltern


    Wenn die Frage lauten würde, ob jedes Buch jeden Menschen in gleicher Weise verändert, könnte man dieses Argument anführen. Diese Frage ist aber nicht gestellt.


    Die Prä-Disposition des Lesers scheint mir also doch den Einfluss des Autors bei weitem zu überwiegen.


    Damit hast Du ja indirekt zugegeben, dass ein Einfluss des Autors vorhanden ist, denn nur was vorhanden ist, kann übertroffen werden.


    Meinst Du nun Koeppen oder Fromm?


    Steffi hatte geschrieben: Und, um Erich Fromm anzuführen, meine "Sein"-Seite wird immer größer ! Ich glaube, das war das Buch, dass mich am meisten beeinflußt hat. – Deutlicher kann man sich eigentlich nicht ausdrücken.


    Auch Werke wie Bibel, Koran etc. zähle ich in diesem Zusammenhang unter die Sachbücher.)


    Die Bibel ist eine Sammlung von verschiedenen Büchern, die man literaturwissenschaftlich in verschiedene Gattungen einteilen kann: Mytische Sagen, erotische Lyrik, Aphorismen-Sammlung, Fantasy, usw. aber als Sachbuch kann man die Bibel wirklich nicht bezeichnen. Aber gerade an der Bibel lässt sich die Wirkung von Literatur wunderbar nachweisen.


    Sandhofer hat geschrieben und Ingrid hat sich dem angeschlossen:
    Belletristik aber lese ich nicht, um etwas zu lernen, mich zu verändern etc. - sondern einfach, weil es schön ist. Das muss für mich nicht einen wohlgeordneten Sinn und Zweck haben.


    Mit der Frage, ob Bücher was verändern, hat doch die Frage aus welcher Motivation ich heraus lese, noch weniger zu tun, als mit Hahn, Henne und Ei.
    Ich z.B. lebe nicht um zu sterben, sondern einfach weil das Leben, für mich, schön ist. Für mich müsste es darüber hinaus keinen anderen wohlgeordneten Sinn und Zweck haben. Deshalb kann ich aber doch nicht schließen, dass das Leben wirklich keinen Sinn und Zweck hat, und schon gar nicht, dass ich nicht sterblich bin. – Genau so wenig, kann man, wenn man nicht liest um sich zu verändern, daraus schließen, dass das Lesen nicht doch verändert.


    Übrigens, ich lese nicht weil es schön ist, da kenne ich schönere Sachen.


    Viele Grüße


    Hubert