Lest ihr nach einem Klassikerkanon?

  • Zitat von "sandhofer"


    Arno Schmidt, ja. Der nun seinerseits eine Art Anti-Kanon führte.


    Eher eine Kanon-Erweiterung als ein Anti-Kanon, denn die Lektüre von Goethe/Schiller/Lessing usw. hat er als selbstverständlich vorausgesetzt. Gegen das Lesen der allgemein anerkannten Klassiker hatte er doch nie etwas einzuwenden; klar, er hat einige Werke verrissen, wie etwa Stifters "Witiko", aber das führte nicht dazu, daß er Stifter grundsätzlich für nicht lesenswert hielt. Und seine Vorliebe für Fouqué führte nicht dazu, daß er die anderen Romantiker vernachlässigt hätte: Tieck, Hoffmann und Brentano hielt er für künstlerisch bedeutender als Fouqué und dementsprechend natürlich auch für sehr lesenswert. Novalis, Arnim und Hauff schätzte er geringer, aber auch da hatte ich nie den Eindruck, daß er einem vom Lesen dieser Autoren abhalten wollte, ganz im Gegenteil. Jean Paul hielt er ebenfalls für sehr lesenwert oder auch Herder, Wieland und Klopstock (Gelehrtenrepublik), das sind alles bekannte Namen, auch jemanden wie Brockes findet man heutzutage in Kanonlisten.


    Schöne Grüße,
    Wolf


  • Selbst schon eine Art Klassiker ist das Büchlein "Eine Bibliothek der Weltliteratur" von Hermann Hesse:


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    Das Buch ist gestern mit der Post eingetroffen und ich habe es gleich einmal gelesen. 43 Seiten sind ja wirklich schnell gelesen :zwinker:
    Viele der genannten Bücher kannte ich zumindest dem Namen nach, einige davon habe ich selber gelesen, aber einige Autoren und ihre Werke sind mir komplett unbekannt. Auf alle Fälle war es sehr schön zu sehen welche Bücher 1927auf dem Kanon der Weltliteratur gestanden sind.


    Katrin

  • Das Buch ist gestern mit der Post eingetroffen und ich habe es gleich einmal gelesen. 43 Seiten sind ja wirklich schnell gelesen :zwinker:
    Viele der genannten Bücher kannte ich zumindest dem Namen nach, einige davon habe ich selber gelesen, aber einige Autoren und ihre Werke sind mir komplett unbekannt. Auf alle Fälle war es sehr schön zu sehen welche Bücher 1927auf dem Kanon der Weltliteratur gestanden sind.


    Katrin


    Hesse neigt hier etwas zum Pathos, aber schon der erste Absatz über "Bildung" ist es wert das Buch zu haben.


    Aber auch das gehört zur Diskussion um den Literaturkanon:


    "Man kann gegen den Wandel der Welt die ewige Literatur setzen. Man kann gegen den lauen Genuß das wunderbare Büchervergnügen verschreiben. Man kann aus vielen Büchern einige auswählen. Aber man sollte es nicht befehlen. Und man darf nicht so tun, als hielte man mit fünf deutschen Pflichtwerken die Zerstreuung des Wissens und die Popularisierung der Kultur auf. Jeder Kanon ist eine befohlene Auswahl aus einem apokalyptischen Überfluß. Immer mehr Indizien sprechen dafür, daß Könige und Deutschlehrer die Bibliothek von Alexandria in Brand gesteckt haben."


    aus: http://www.zeit.de/1997/25/kanonsch.txt.19970613.xml

  • Also ich orientiere mich durchaus an Listen zu lesenswerten Klassikern, aber ich folge ihnen nur soweit, wie mich das jeweilige Buch auch interessiert.

  • Das Buch ist gestern mit der Post eingetroffen und ich habe es gleich einmal gelesen. 43 Seiten sind ja wirklich schnell gelesen :zwinker:
    Viele der genannten Bücher kannte ich zumindest dem Namen nach, einige davon habe ich selber gelesen, aber einige Autoren und ihre Werke sind mir komplett unbekannt. Auf alle Fälle war es sehr schön zu sehen welche Bücher 1927auf dem Kanon der Weltliteratur gestanden sind.


    Katrin


    Das habe ich auch gelesen! Es hat ein paar hübsche Hinweise, die woanders eher nicht so vorkommen (zB die Baghavad Gita), aber ich finde es manchmal etwas verstaubt. Klar, HH hat hier auch seine persönlichen Vorlieben berücksichtigt und war in gewisser Weise auch ein Kind seiner Zeit, aber nachdem das ja auch schon eine Zeit her ist, ist es für mich kein repräsentativer, kanonischer Durchschnitt.


    Aber gut, ich habe auch eine kritische Einstellung zum Kanon, es gibt Bücher, "die man gelesen haben muss", die mich einfach gar nicht interessieren und ja, ich bin ja nicht einmal ein großer Goethe/Schiller-Fan, obwohl ich dafür die Germanisten-Steinigung erhalten müsste.. :breitgrins: Dafür gibt es zwei Epochen, die mich vermehrt reizen, nämlich die Romantik und die klassische Moderne (insbesondere Dekadenzliteratur), da habe ich dann auch mehr gelesen, als der Kanon "vorgibt" und werde auch weiterhin lieber Zeug aus diesen Zeiten lesen, als mich durch Herder zu quälen. Und ich bin kein großer Lyrik-Fan, da finde ich eigentlich nur Expressionismus und Dadaismus erträglich, was dann eigentlich auch wieder große Teile meiner "Lieblingsepochen" ausschließt.. :zwinker:


    Man sieht: es geht bei mir drunter und drüber und das finde ich eigentlich auch gut so.

    ... this is nat language at any sinse of the world.

  • Das Thema ist uralt. Ich krame es dennoch hervor :breitgrins:


    Ich war mal wieder auf der suche nach einem Kanon und da fiel mir Liste auf
    http://www.literaturtipps.de/t…ss-ich-gelesen-haben.html


    Scheint sehr professionell gemacht. Allerdings ist mir beim durchblättern des 19. Jahrhunderts aufgefallen, dass Dostojewski mit ein und demselben Werk doppelt vertreten ist. Einmal als Schuld und Sühne und ein zweites mal als Verbrechen und Strafe.


    Was meint ihr. Absicht?


  • ... Allerdings ist mir beim durchblättern des 19. Jahrhunderts aufgefallen, dass Dostojewski mit ein und demselben Werk doppelt vertreten ist. Einmal als Schuld und Sühne und ein zweites mal als Verbrechen und Strafe.


    Was meint ihr. Absicht?


    Ich glaube nicht, dass das Absicht ist. Vielleicht haben einfach mehrere Personen die Liste zusammengestellt: Der eine kennt den Roman unter dem einen, der andere unter dem "aktuellen" Titel und keiner hat es gemerkt. Wäre jetzt meine Idee.


    Gruß, Gina

  • Ich sehe Kanons nur als grobe Anregung und Orientierung, und bin ausserdem zu alt um "erzogen" zu werden. Ich finde so etwas eher für jüngere Leute interessant, die sich relativ flott einen Überblick verschaffen wollen oder müssen,was es so gibt und wie die Literaturgeschichte verlaufen ist.


    Aber diesen Kanon hier finde ich sehr unausgewogen und undifferenziert.


    Was fast komplett fehlt ist Lyrik, aber dafür braucht man wohl eine extra Liste. Dito allgemeinverständliche religiöse und philosophische Texte, ist teilweise ausserhalb der erzählenden Literatur aber gehört für mich dazu.
    Was auch weitgehend fehlt ist Humor und phantastische/spekulative Literatur jeglicher Art. Das ist besonders unverständlich da sonstige Unterhaltungsliteratur im 19. und 20. Jahrhundert gut repräsentiert ist, was ich auch nicht falsch finde.


    Ich meine, die Antike kommt zu kurz. Da gehört auf jeden Fall noch ein Aischylos-Drama rein, das könnte man sich ja vielleicht auch anschauen statt es zu lesen. Auch etwas aus römischer Zeit,vielleicht Ovid, aber nicht unbedingt die Metamorphosen. Letztlich kenne ich mich da zu wenig aus für definitive Empfehlungen. Was ich da auch bringen würde wäre der Gilgamesh-Epos, ausgewählte Kapitel aus dem alten Testament (ist heute ja nicht mehr selbstverständlich dass jeder das im Religionsuntericht hatte) und mindestens ein Text aus Indien oder dem fernen Osten. Eben für einen breiteren Horizont, als wir ihn in der Jugend hatten.


    Das mitteleuropäische Mittelalter findet auf der Liste nicht statt, geht gar nicht. Minimum wäre hier IMHO in Übersetzung das Hildebrandslied und die Merseburger Zaubersprüche (als älteste erhaltene Fragmente in annähernd deutscher Sprachen), das Niebelungenlied (wegen der Bekanntheit und Wirkung), irgendwas von Cretien de Troyes, ein bischen Walther von der Vogelweide (wegen schön, den auch ruhig mal im Original) dazu vielleicht Tristan und Isolde von Strassburger (auch schön). Der Parzival von Wolfram von Eschenbach wäre vielleicht wünschenswert, ist aber genausowenig realistisch wie z.B der gesammte Proust oder "Krieg und Frieden".


    Gut wären noch mindestens Auszüge aus der Edda und aus den Keltischen Sagenzyklen, wüsste aber jetzt gar nicht in welches Jahrhundert ich das Einordne.


    Im 14. Jahrhundert fehlt ausserdem Petrarca. Kulturgeschichtlich einfach ein Muss.
    Im 16. Jahrhundert würde ich noch den Artus-Roman von Thomas Malory reinbringen, einfach als relativ gut zu lesende und literaturgeschichtlich einflussreiche Zusammenfassung des Stoffs.


    Das 19. und 20. Jahrhundert sind mir zu umfangreich und zu beliebig, enthalten zu viel Mammut-Werke, die die meisten sowiso nicht zu Ende lesen werden, und der Kanon ist viel zu euro- und USA-zentrisch. Da vernünftige Gegenvorschläge auszuarbeiten wäre allerdings eine Endlos-Aufgabe, und hier kommt es denke ich auch mehr als bei älterer Literatur darauf an, was einen (literarisch und sonst auch) interessiert. Je kürzer der zeitliche Abstand, desto schwieriger ist es einen allgemeinverbindlichen Kanon aufzustellen. Was mit persönlich sehr fehlt sing George Orwell, Aldous Huxley, irgendein früher Fantasy-Roman, japanische Literatur, ein Sartre-Drama (Existenzialismus in eingängiger Form) und alles was ich mangels Lesevorschlägen überhaupt noch nicht entdeckt habe. Und, wenn es "Im Westen nichts neues" sein muss, gehöhren auch Borchert und das Tagebuch der Anne Frank dazu, wobei ich fast dafür wäre alle 3 wegzulassen.

  • Nachtrag:
    Ich denke, wenn ich konkret in der Position wäre, einem jungen Menschen Ratschläge zu erteilen, würde ich versuchen, ihr oder ihm besonders Antike, Mittelalter, ein bischen Klassik/Romantik und die frühe Moderne nahezubringen. Nach 1950 würde ich denjenigen mal schön selber recherchieren lassen, nach dem Motto erst Grundlagen schaffen, dann auf das eigene Urteilsvermögen vertrauen. Wir sind da eh noch zu nah dran für abschließende Urteile.