Grimmelshausen: Simplicissimus


  • Moin, Moin!


    Wurde schon erwähnt, daß es vom "neuen" Simplicissimus eine <a href="http://www.ndrkultur.de/feuilleton/hoerbuecher/nhsimplicissimus100.html">Hörbuchausgabe</a> gibt? <a href="http://www.news.de/medien/855028609/die-rettung-eines-klassikers/1/">Eingelesen</a> vom Schauspieler Felix von Manteuffel.


    Das könnte die Lesung aus dem Hessischen Rundfunk sein. Eine Folge daraus hat mich auf den neuen S. aufmerksam gemacht. Radio hören ist teuer :zwinker:

  • Die Bezeichnung "Übersetzung" für Kaisers Version scheint einen ganz einfachen Hintergrund zu haben. Wenn mein Gesprächstpartner, der bei einer Lesung anwesend war, gut zugehört hat, dann bezog sich Kaiser auf die gebrächlichen "Übersetzungsübungen aus dem Mittelhochdeutschen", die in den ersten Germanistiksemestern angeboten werden. Ich selbst habe keine Ahnung, ob das so ist. Eine besondere Schwierigkeit für den "Übersetzer waren die Entscheidungen, welche Wörter man aus dem MHD übernimmt und welche nicht. Wie die Diskussion hier zeigt, kannn man da unterschiedlicher Meinung, ohne gleich ein Stutzer und Lackaffe zu sein. :zwinker:


    "Lackaffe" hätte ich eigentlich mit der Einführung des Automobils in Zusammenhang gebracht.

  • So, ich bin in den letzten Wochen kaum zum Lesen gekommen und habe den Simplicissimus Deutsch erst jetzt, nach 6 Wochen(!) abgeschlossen. Insgesamt hat mir Kaisers Übersetzung gut gefallen. Das Problem ist nur: Der Roman selbst hat mich nicht gerade umgehauen. Man sollte der vollmundigen Verlagswerbung und auch den Rezensenten nicht blindlings glauben. Der Roman ist mäßig komisch (eigentlich gar nicht), hat erhebliche Längen und über die Realität des 30jährigen Krieges erfährt man relativ wenig und das meiste auch eher indirekt.


    Dass die Kriegshandlungen, Plünderungen oder Massaker relativ wenig Raum einnehmen und mitunter nur am Rand erwähnt werden (am deutlichsten noch im 1. Buch) ist natürlich ein Indiz, dass der Krieg und seine Folgen Alltag war. Relativ breiten Raum nehmen dagegen allerlei allegorische Wundererzähungen ein, die eine eher schlichte Moral predigen (Alles ist eitel, nichts ist beständig, das Glück ist eine launische Buhlschaft, der einfältig-närrische Blick auf die Welt zeigt sie in ihrer wahren Gestalt, Ruhe und Sicherheit bietet nur Gott etc.).


    Kurz: Der Roman ist eher historisch interessant als eine zeitgenössische Lektüre. Und das führt dann natürlich zu dem Schluss, dass die Übersetzung letztlich doch ein Irrtum ist - denn als Roman, der für die Entwicklung der deutschen Literatur von großer Bedeutung ist und dessen Wert in seiner Historizität liegt, sollte das Buch dann auch in einer möglichst originalen, also historischen Sprache gelesen werden.


    Das rasch dazu.

  • endlich sagt das mal jemand. Ich stimme dem Beitrag von Giesbert da voll und ganz zu.
    Ich habe schon mehrere dt. Pikaroromane der Barockzeit gelesen: Beer, Daniel Speer, Riemer und eben auch Grimmelshausen; die heraugehobene Stellung, die man literaturhistorisch Grimmelshausen zubilligt blieb mir immer ein Stück weit unbegreiflich. Es stimmt zwar, dass Der Simplex S. die Welle der dt. Pikaroromane auslöste; das bedeutet aber nicht, dass er die anderen Werke qualitativ überragt. Die meisten dieser Romane halte ich für unterhaltsam, interessant und lesenswert für all diejenigen, die diese Literaturepoche näher kennenlernen wollen oder liebgewonnen haben, und insofern lohnenswert. Den Simplicissmus aber zu einer zwingenden Lektüre und einem Stück Weltliteratur zu stilisieren, den Autor gar neben Cervantes zu stellen scheint mir ziemlich übertrieben. Man muß sich damit abfinden, dass die dt. Literatur des 17. Jhrds, so liebenswert sie sich in einzelnen Werken darstellt, doch hoffnungslos hinter den Literaturen der anderen europäischen Sprachen (England; Frankreich, Italen, Spanien) hinterherhinkt. Verglichen damit wirkt das doch alles recht primitiv, was ja durchaus auch seinen Charme haben kann.
    Ich glaube auch ahnen zu können, was die Germanistik des 19. Jahrhunderts dazu veranlasste dieses Werk so zu feiern. Die dt. Literatur ist ja nicht gerade reich gesegnet mit wirklich wichtigen und qualitativ herausragenden Werken vor der 2. Hälfte des 18. Jhrds. Der Simplicissmus bot sich da an, um die eigene Vergangenheit aufzupolieren, wobei er dann wohl auch gleich mißgedeutet wurde als dt. Originalwerk, einsam entgegenstehend dem Zeittrend der Nachahmung franz. Vorbilder,- der Bedarf an und das Bedürfniss nach Zeugnissen einer glorreichen deutschen (das besonders) Vergangenheit war damals ja groß, und als erstem Entwicklungsroman, was völlig absurd ist - der Hauptheld ist alles andere als ein sukzessive sich entwickelndes Individuum, mehr schon eine je nach Bedarf im Laufe des Romans die unterschiedlichsten der Dramaturgie geschuldeten Positionen einehmende Spielfigur in Händen des Autors.
    Einmal in den Kanon gehoben verblieb er darin und fristet dort seitdem ein recht geruhsames Dasein, da weitestgehend ungelesen und wenn dann nur im Rahmen germanistischer Seminare.


  • Den Simplicissmus aber zu einer zwingenden Lektüre und einem Stück Weltliteratur zu stilisieren, den Autor gar neben Cervantes zu stellen scheint mir ziemlich übertrieben. ... Einmal in den Kanon gehoben verblieb er darin und fristet dort seitdem ein recht geruhsames Dasein ...


    Interessante Sichtweise - und eine "Revision" der gängigen Lesart. Hast Du eine Erklärung dafür, warum die Wertschätzung für Grimmelshausen nach wie vor ungebrochen ist?


    LG


    Tom

  • Fragen wir doch mal Günter Grass und Wolfgang Koeppen, die jeweils große Stücke auf Grimmelshausen halten, ob sie bei ihrer Einschätzung nur gedankenlos die überkommenen Wertungen der Literaturgeschichtsschreibung wiederholt haben. :zwinker:

  • @SirThomas:
    Allgemein wertgeschätzt werden Autoren oft aus den unterschiedlichsten Gründen; in seltenen, ausgesprochen glücklichen Fällen sogar wegen ihrer literarischen Qualität. :zwinker:
    Ich fürchte allerdings, dass bei aller Wertschätzung Grimmelshausens auf ihn die berühmte Bemerkung Lessings über Klopstock leider recht gut zutrifft.


    Juvavist:
    Was Autoren veranlasst sich lobend über andere Autoren zu äußern hat mitunter auch strategische Gründe. Denn mal ehrlich, einen direkten Einfluß auf die Schreibweise von Koeppen/Grass hat der Text von Grimmelshausen wohl nicht. Was für sie wahrscheinlich an Grimmelshausen interessant sein mag ist das explizit Antiklassische: derbere Sprache, Fabulierlust, Figur aus der "Unterschicht". Das ist aber nicht spezifisch Grimmelshausen, sondern gilt allgemein für die Gattung des Schelmenromans und auch für eine ganze Reihe anderer Texte z.B. Schwankbücher des 16/17 Jhrds. Der "Simplicissimus" als promintentestem Beispiel einer anderen Schreibhaltung dient dann dazu sich gegenüber den Zeitgenossen zu positionieren und das eigene Schreiben abzugrenzen.
    Schriftsteller sind keine Germanisten (zum Glück); in den meisten Fällen werden sie aus dieser Epoche, was Prosa anlangt, auch nur den Simplicissimus gelesen haben. Bei Koeppen bin ich mir da sogar ziemlich sicher. Ich habe mir seinen Aufsatz über G., der sich in seiner Werkausgabe findet, noch mal vorgenommen und ich muß sagen da findet sich schon manches recht Fragwürdige:
    "Grimmelshausen kam aus dem Volk, sprach mit dem Volk, durch das Volk, schöpfte wie Luther Kraft und Klang aus der Rede des Volkes"
    Hier lebt das alte "Grimmelshausen"-bild des 19 Jhrd wieder auf, das den Autor für nationale (Nazis) und ideologische (Kommunisten) Vereinnahmungen so lohnenswert machte; es wird hier eine Unmittelbarkeit behauptet, -Grimmelshausen als jemand der aus der Tiefe des Volkes heraufstieg und wie ein Getriebener sozusagen im Alleingang den Realismus erfand-,die so nicht zutrifft. G steht in einer literarischen Tradition, die er zugeben bereichert; der Text ist auch kein Augenzeugenbericht über den 30jährigen Krieg, denn selbst viele Kriegszenen im Roman sind aus litera. Quellen (Moscherosch z.b.) übernommenes Material, das G. in sein Werk einarbeitet - also nicht etwa die Schilderung von direkt Erlebtem. Er ist vielmehr ein großer Kompilator, - auch die meisten narrativen schwankhaften Episoden hat er nicht selbst erfunden, sondern schöpft sie aus den unterschiedlichsten Quellen.
    Besonders witzig ist, dass zwei Zitate, die Koeppen an zentrale Stelle seines Aufsatzes setzt, um den Leser mit der Formulierungskraft des Autors zu beeindrucken, nun gerade aus dem letzten Kapitel des 5. Buches stammen, das nahezu die wörtliche Übernahme einer dt. Übersetzung eines spanischen Textes des 16.Jhrd. von Antonio de Guevera darstellt. Da rächt sich die Unkenntnis Koeppens von den literarischen Gepflogenheiten des 17.Jhrds. :zwinker:

  • Er ist vielmehr ein großer Kompilator,


    Eben. Deshalb ist der Index, dem Kaiser seiner Übersetzung beigibt, ein wenig albern. Es werde versucht "die enzyklopädische Dimension dieses Weltbuches ein Stück weit zu erschließen". Das suggeriert sowas wie überbordende Fülle, Welthaltigkeit, "Realismus", das "pralle Leben". Davon findet sich so gut wie nichts im Roman. G. hat hier was gemopst, da was kopiert und dies und das zusammengeklebt.


    (Klingt jetzt vielleicht negativer, als es gemeint ist ;-))

  • Hallo Giesbert,


    ist die 50€ Erfolgsausgabe auch fadengeheftet? Ich hatte unlängst nämlich mit einer anderen Erfolgsausgabe Pech, auch bei Eichborn wird neuerdings geklebt... und ehe ich meine sauerverdienten Groschen in den Orbit schieße, dachte ich, ich frag Dich mal.


    Liebe Grüße :winken:
    Poppea


  • ist die 50€ Erfolgsausgabe auch fadengeheftet?


    Ich blick da gerade zwar nicht mehr ganz durch, aber das dazu: Herausgebracht hat die neue Übersezung "Die andere Bibliothek" vom Eichborn-Verlag, und diese kostete Band 1 und 2 ursprünglich mal 65 € zusammen und war natürlich gute Fadenbindung, wie immer.
    So, jetzt sieht es so aus, als ob es die andere Bibliothek nicht mehr gäbe, hm. Also Eichborn an sich hat geklebte Bücher. Ich würde fast davon ausgehen, dass diese Ausgabe geklebt ist. Die Büchergilde hatte den neuen Simplicissimus auch mal im Sortement, scheint aber auch schon vergriffen zu sein.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Danke Anita! Nu wees ick Bescheid, Puppe!


    :zwinker:


    Die kostet jetzt mal eben zwischen 85€ und 120€, da ist zwar ein Angebot für 50€ aber dem Braten trau ich nicht.... Na ja, hol ich es mir aus der Bibliothek, das kann mir nicht schaden. Ist wahrscheinlich eh kein Immer-wieder-lese-Buch.


  • ist die 50€ Erfolgsausgabe auch fadengeheftet?


    Ich hätte jetzt spontan gesagt: klar, die ist fadengeheftet. Ist sie aber gar nicht, das wirkt nur so, wird wohl geklebt sein. Allerdings sehr stabil, da fallen keine Seiten raus und werden auch nicht locker. Sie hat ein Lesebändchen und einen Schutzumschlag und einen festen Pappeinband (oder so etwas ähnliches). Gut gesetzt ist sie auch. Imho eine solide Ausgabe.

  • Wenn die Klebetechnik bei Büchern ähnliche Fortschritte wie beim kleben von Metallen gemacht hat, dann ist sie haltbarer als die Fadenbindung. Eine alte, etablierte Technik muss nicht immer die beste Technik sein. vermissen darf man sie natürlich trotzdem.


  • Wenn die Klebetechnik bei Büchern ähnliche Fortschritte wie beim kleben von Metallen gemacht hat, dann ist sie haltbarer als die Fadenbindung. Eine alte, etablierte Technik muss nicht immer die beste Technik sein.


    Ja, ich weiß, darüber habe ich mal einen Bericht gesehen. ABER man kann die geklebten Bücher nie so aufklappen wie eine Fadenbindung :sauer: TB knicke ich ja grundsätzlich den Rücken durch, aber so manch dicker Schinken heute, lässt sich kaum noch gemütlich lesen. Geklebt, da ist eben kein Platz mehr, da fehlt einfach die Flexibilität, die so ein Faden noch hatte :breitgrins:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;

  • Ja, ich weiß, darüber habe ich mal einen Bericht gesehen. ABER man kann die geklebten Bücher nie so aufklappen wie eine Fadenbindung :sauer: TB knicke ich ja grundsätzlich den Rücken durch, aber so manch dicker Schinken heute, lässt sich kaum noch gemütlich lesen. Geklebt, da ist eben kein Platz mehr, da fehlt einfach die Flexibilität, die so ein Faden noch hatte :breitgrins:


    Neu gekaufte Bücher klappt man genau in der Mitte auf, legt sie auf den Boden und springt so auf das Buch, dass beide Füße gleichzeitig auftreffen. Der linke Fuß auf die linke Seite, der rechte auf die rechte. Entstehen Schäden an der Klebung wird reklamiert, wenn nicht, lässt sich das Buch immer gut aufschlagen. Zierliche Menschen sollten Unterstützung anfordern.


  • Neu gekaufte Bücher klappt man genau in der Mitte auf, legt sie auf den Boden und springt so auf das Buch, dass beide Füße gleichzeitig auftreffen. Der linke Fuß auf die linke Seite, der rechte auf die rechte. Entstehen Schäden an der Klebung wird reklamiert, wenn nicht, lässt sich das Buch immer gut aufschlagen. Zierliche Menschen sollten Unterstützung anfordern.


    Autsch! :entsetzt:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Neu gekaufte Bücher klappt man genau in der Mitte auf, legt sie auf den Boden und springt so auf das Buch, dass beide Füße gleichzeitig auftreffen. Der linke Fuß auf die linke Seite, der rechte auf die rechte. Entstehen Schäden an der Klebung wird reklamiert, wenn nicht, lässt sich das Buch immer gut aufschlagen. Zierliche Menschen sollten Unterstützung anfordern.


    Boah bist du brutal :breitgrins: Das würde ich ja niiie mit meinen Büchern machen :grmpf: :breitgrins:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in &quot;Also sprach Zarathustra&quot;


  • Zierliche Menschen sollten Unterstützung anfordern.


    Das dürfte überflüssig sein :redface:


    :rollen:
    Poppea


    P.S. Anita hat Recht: Sie bleiben nicht offen liegen. Außerdem bin ich für das Bewährte. Ich habe hier 100 Jahre alte Bücher, bei denen nix wackelt oder fehlt und na dann gibt es hier noch die, hm, nun eben, die anderen... denen ich nicht traue. :zwinker: