Der Rezensentenmob im Internet

  • Hallo zusammen,


    bei Telepolis ist unter dem Titel User-generated Nonsense ein ziemlich kurioser Artikel über "Literaturbesprechungen von Laien im Web 2.0" erschienen: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30206/1.html


    Grundtenor des Artikels: Es ist alles ganz furchtbar und Rettung ist nicht in Sicht. :breitgrins:


    In dem Artikel stehen Sätze wie diese:


    "Der Rezensentenmob, zu dem die Laien im Web immer wieder werden, durchbricht die Schranken."


    "Von Politik und Verwaltungen, Hochschulen und Wissenschaften sowie Plattformen und Medien darf man sich momentan nicht zu viel versprechen; noch durchblicken sie nicht das ganze Ausmaß der Misere"


    Ich sehe mit einigem Erstaunen, daß man sich über Internet-Rezensionen von Laien derart erregen kann, daß man von einer "Kulturkrise" spricht und davon, daß dies "den ganzen Wahnsinn einer Generation" offenbare und überdies "wesentliche Errungenschaften des Rechtsstaats auf die Dauer zerstören" könne.


    Zwar heißt es am Ende: der "Verfasser ist Germanist und Philosoph und arbeitet als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz", aber auch das ist ja keine Entschuldigung für einen derartig wirren und widersprüchlichen Artikel. ;-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Zwar heißt es am Ende: der "Verfasser ist Germanist und Philosoph und arbeitet als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz", aber auch das ist ja keine Entschuldigung für einen derartig wirren und widersprüchlichen Artikel. ;-)


    Er ist aber auch Autor - u.a. von Handyromanen ... (Ob ich ihn jetzt gemobbt habe, weil ich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen seinem Artikel als Wissenschafter (ist es das?) und seiner sekundären Tätigkeit als Autor suggeriere? :smile: )


    Wo er Recht hat, hat er allerdings Recht. Die Verwechslung von Autor und Figur stelle ich ebenso regelmässig in Literaturforen fest, wie die Tatsache, dass Literatur generell und gerne nur mit dem Bauch rezipiert wird in denselben. Ersteres war aber schon immer so - ich kenne auch (studierte!) Philosophen, die (z.B.) in wissenschaftlichen Artikeln die in Thomas Morus' Utopia von den Figuren dargelegten Ideen 1:1 als die des Autors interpretieren. Und letzteres scheint mir auch nichts Neues zu sein. Neu wäre also allenfalls, dass diese (Laien-)Ansichten mit Web 2.0 (was war eigentlich Web 1.0?) breiter kommuniziert werden können als früher, wo man sich allenfalls in Briefen an Freunde und Freundinnen ausdrückte.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

    Einmal editiert, zuletzt von sandhofer ()

  • Es ist in diesem Genre wie fast überall: Wir leben in einem Zeitalter der Inkompetenz. Kaum einer kennt noch die Grundlagen seines Jobs - und so sieht das Ergebnis dann meist aus: Furchtbarer Dilettantismus allenthalben...

  • Wir leben in einem Zeitalter der Inkompetenz. Kaum einer kennt noch die Grundlagen seines Jobs


    Bei denen, die Oliver Bendel kritisiert, handelt es sich ja nicht um Profis. Das ist ja - wenn ich ihn richtig verstehe - gerade der Kritikpunkt Bendels: zu viele Amateure, die sich zu wichtig nehmen bzw. genommern werden. Er kritisiert ja erst in zweiter Linie Leute à la Heidenreich, die die Massstäbe der Amateure quasi-professionell in den Medien veredelt haben. (Die allerdings auch.)

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  • Zitat von "sandhofer"


    Er ist aber auch Autor - u.a. von Handyromanen ...


    Ach ja, das ist der mit "Lucy Luder" und Konsorten.



    http://www.zeit.de/online/2009/12/handyroman-japan?page=all


    :breitgrins:


    Zitat von "sandhofer"


    Wo er Recht hat, hat er allerdings Recht. Die Verwechslung von Autor und Figur stelle ich ebenso regelmässig in Literaturforen fest, wie die Tatsache, dass Literatur generell und gerne nur mit dem Bauch rezipiert wird in denselben.


    Ja, sowas kommt vor. :-) Aber derartige Meinungsäußerungen können trotzdem dabei helfen, daß ein Leser die Bücher findet, die ihm gefallen. Die Textsorte "Rezension im Internet" wird hauptsächlich als Kaufentscheidung genutzt, und das ist gerade bei Unterhaltungsliteratur eher eine emotionale als eine rationale Entscheidung. Ein potentieller Käufer muß einfach nur einschätzen können, ob er und der Rezensent ungefähr denselben Geschmack haben. Das kann auch dann funktionieren, wenn beide nur Bauchentscheidungen treffen.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Aber derartige Meinungsäußerungen können trotzdem dabei helfen, daß ein Leser die Bücher findet, die ihm gefallen. Die Textsorte "Rezension im Internet" wird hauptsächlich als Kaufentscheidung genutzt, und das ist gerade bei Unterhaltungsliteratur eher eine emotionale als eine rationale Entscheidung. Ein potentieller Käufer muß einfach nur einschätzen können, ob er und der Rezensent ungefähr denselben Geschmack haben. Das kann auch dann funktionieren, wenn beide nur Bauchentscheidungen treffen.


    Ich persönlich halte zwar von der Qualität dieser Art von "Kritik" nur wenig, finde sie aber trotzdem legitim. Vor allem der von den Professionellen praktisch komplett vernachlässigte Bereich der Unterhaltungsliteratur wird sehr stark über diese Art von Kritik propagiert, da ja diese Bücher wohl eh nur auf den Bauch des Lesers / der Leserin zielen.

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  • Eher schmunzelnd habe ich diesen Artikel gelesen.


    Objektiv würde mich mal die Anzahl der Schlagwörter interessieren, die darin vorkommen - ob das auch mit der besseren Auffindbarkeit im Web 2.0 (welch aussagekräftiger Begriff) zusammenhängt ? Subjektiv sage ich, warum soll denn nur professionellen Lesern eine Rezension erlaubt sein ? Wobei wiedermal auch nicht klar ist, welcher Leser denn nun professionell genug ist. Meinungsfreiheit nicht für alle sondern nur für, tja, für wen eigentlich ?


    Den meisten Rezensionen merkt man doch an, aus welcher Richtung argumentiert wird und somit kann man sich ganz schnell seine eigene Meinung bilden. Ich verstehe gar nicht, warum sich der Herr so aufregt ?!


    Gruß von Steffi


  • (was war eigentlich Web 1.0?)


    Web 2.0 ist das interaktive Web. Sprich Mitmach-Web. Web 1.0 war der Zeitraum, als jeder Inhalte auf seiner eigenen Webseite publizierte. Scherzhaft gibt es auch den Begriff Web 0.5, der den Zeitraum vor AOL und dem großen Angebot an pornographischen Inhalten beschreibt, sprich als das Internet kein Massenmedium war, sondern einem elitären Kreis vorenthalten.


    Letztendlich ist Web-Zwo-Null ein Buzzword ohne viel dahinter. Sehr gerne von Aufschneidern ohne viel dahinter verwendet.


    "Kritiker gibt es, deren jeder vermeint, bei ihm stände es, was gut und was schlecht sein solle, indem er seine Kindertrompete für die Posaune der Farma hält." schreibt Schopenhauer. An anderer Stelle beschimpft er, wenn ich es recht erinnere, den Kritiker auch als feigen Hundsfott. Scheint also kein neues Phänomen zu sein, dass sich ein Autor über Kritiker ärgert.


    Davon abgesehen flösst es mir großen Respekt ein, dass der studierte Philosoph/Germanist die "Fachsprache, die wie die natürliche Sprache über Jahre erlernt werden muss" auch im Bereich der Wirtschaftsinformatik derart drauf hat, dass es zum Professor langt. Auch wenn seine Ausführungen darüber, wie das Internet reguliert sein müsste, von Verständnisproblemen zeugen. Anstatt juristische Fachbegriffe zu pauken, sollte sich der Mann mal die Realität anschaun. Und sich über die Massen der Anwender und also den nicht zu bewältigenden Aufwand klar werden.


    Web 0.5 war sicher im Durchschnitt qualitativ hochwertiger, nur eben mit viel viel weniger Angebot und für Otto Normalbürger sowieso unbezahlbar. Heute ist Internet glücklicherweise fast so etwas alltägliches wie Telefon. Durchschnitt hin oder her, heute gibt es mehr qualitativ hochwertige Angebote. Alles dank der Popularität und der damit verbundenen günstigen Preise, was beides letztendlich sicher nicht hochgeistigen Inhalten geschuldet ist. Heute ist eben Medienkompetenz notwendig, damals war es ein Privileg.


    Nebenbei hat der Autor das Thema Amazon nur aus seinem Blickwinkel betrachtet, dem des in der Ehre verletzten Autors. Ich habe dort schon Kommentare gelesen, die waren irgendwann nicht mehr vorhanden. Und das war meiner Ansicht nach keine Schmähkritik. Hier schreiben also nicht nur Amateure und Talentlose, sondern viel schlimmer, der Händler hat Kontrolle über die Kritik seiner Waren.

  • Scherzhaft gibt es auch den Begriff Web 0.5, der den Zeitraum vor AOL und dem großen Angebot an pornographischen Inhalten beschreibt, [...]


    Dann muss ich noch Web-ein-Viertel gekannt haben. Pornografie gab's übrigens schon lange vor AOL im Web ... :zwinker:

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  • Hallo,


    ich habe leider erst heute euren Artikel und den dazugehörigen Artikel des Herrn Professors gelesen.


    Teilweise musste ich schmunzeln, teilweise war ich erschüttert. Ich denke niemand hier im Forum, und auch die wenigsten Leute außerhalb verstehen den Sinn von "Amazon-Kunden-Rezensionen" falsch. Besonders bei "Trivialliteratur" ist es doch häufig so, dass man von Freunden und Bekannten Empfehlungen bekommt, die meist nur aus einem "Das Buch hat mir gefallen." bestehen. Und genauso laufen doch die "Besprechungen" bei Amazon (u.ä.) ab. Um vielleicht beim stöbern auf für sich selbst interessante Bücher zu stoßen.
    Aber die Leser von Fachbüchern und Klassikern/Weltliteratur stöbern ja nicht, sondern suchen gezielt nach Titeln, deren Thematik sie schon vorher kennen. Rezensionen sind dafür, finde ich, eigentlich überflüssig.


    Man sieht, dass Professoren mit der Zeit ein wenig schrullig werden, so gibt es Informatik- und Elektrotechnikprofs, die es nicht schaffen ein Mikrophon an zuschalten; und mal ehrlich, sooo schwer ist das nicht.



    Noch kurz meine Bemerkung zum Thema Blogs. Früher, als ich noch täglich im Internet war und die Zeit noch langsamer verging, habe ich täglich immer wieder in den gleichen Blogs (berufsblogs) gelesen. Professor Bendel beklagt die Anonymität. Oft bin ich auf Blogs gestoßen, in denen Leute ihr kompletten "Seelenleben" und alle dazugehörigen Probleme offenbart haben.Diesen ist besonders das Mitgefühl anderer Personen wichtig, und diesen anderen Personen ist egal, wer genau dort schreibt.



    Gerade durch das Web 2.0 können kleine Verlage und (noch?) unbekannte Autoren eine große Öffentlichkeit/Leserschaft erreichen, aber auch von einem vielleicht noch viel größerem Rezensentenmob ignoriert werden. Das ist Vorteil und Nachteil des Internets zugleich, man kann nie das Ende finden, es wird also niemals langweilig im "Universum Internet", was allerdings zu Folge haben wird nicht alles sehen/hören/lesen/riechen/schmecken/tasten zu können.



    liebe Grüße
    Robinson



    PS: Wolf: Dein letzter Satz ist super und sollte eigentlich eingerahmt werden. ;-)

  • Der gute Herr ist vor allem ein Wichtigmacher, bestenfalls ein Kasperle mit akademischen Würden. Da ist die Kultur des Abendlandes schon wieder im Tief- und Sinkflug, weil Lieschen Müller sich enthusiasmiert über Coelho auf Amazon äußert.


    Wenn nun irgendwer über irgendwas redet ist das Ergebnis häufig ein bescheiden zu nennendes. Da muss die in Frage stehende Person weder obgenanntes Lieschen sein noch der erörterte Gegenstand etwas mit Literatur zu tun haben. Der Unterschied zu früher besteht schlicht darin, dass man anno dazumal die dubiosen Äußerungen von mehr oder weniger schwer Illuminierten in Studentenkneipen (oder anderen öffentlichen Besäufnisanstalten) zu hören bekam, während man heute einzig eine Suchmaschine mit den entsprechenden Eingaben fütten muss.


    Im übrigen finde ich gerade Amazon-Kritiken erhellend: Denn unabhängig davon, ob der Rezensent sich in Lob oder Tadel ergeht, vermag man zwischen den Zeilen sehr gut zu lesen. Und weiß genau, dass ein Buch, von dem xy sich begeistert zeigt, ein Fall für die Papiermülltonne ist. Oder vice versa.


    Der Artikel jedenfalls strotzt nur so vor Gemeinplätzen und Binsenweisheiten. Im übrigen ist das vom Handyromanschreiberling so angeprangerte Prinzip der Häufigkeit des Gefundenwerdens durch zweifelhafte Seiten seit Ewigkeiten im akademischen Bereich en vogue: Da wird für die Erlangung einer Dozentur ein sehr ähnliches Prinzip zugrunde gelegt: Zahl der Veröffentlichungen - und wie häufig man von anderen "Würdenträgern" zitiert wird. Letzteres lässt sich am besten dadurch erreichen, dass eine sehr leicht zu widerlegende Behauptung aufstellt, worauf sich üblicherweise der Rest des Fachpersonals mit Freuden auf diesen "Lapsus" stürzt. Den einen das Gefühl des Triumphes, dem anderen seine benötigten Erwähnungen.


    Im übrigen finde ich Blogs, in denen wenigstens irgendeine Meinung vertreten wird, so schlecht nicht; über eine solche könnte immerhin eine Diskussion möglich sein. Die meisten aber huldigen dem Listen- und Zitierwahn: Gelesen im Mai, gekauft im April, auf dem "SUB", welchen man "abzubauen" (und diese Anleihe an der Welt der Bauwirtschaft hat etwas Treffendes) geneigt sei, ruhen noch eine kaum zu bestimmende Anzahl von Werken --- was aber vom Konsumierten verstanden wurde, wie es einzuordnen sei, ob und warum man dieses gut oder schlecht gefunden habe - darauf wartet man in der Regel vergebens. Hingegen wird zitiert: Von Lichtenberg bis Bohlen - und der Heranwachsende mit jungfräulicher Pinnwand braucht nicht nur den katholischen Wochenboten für Zitate zu bemühen.



    Es ist in diesem Genre wie fast überall: Wir leben in einem Zeitalter der Inkompetenz. Kaum einer kennt noch die Grundlagen seines Jobs - und so sieht das Ergebnis dann meist aus: Furchtbarer Dilettantismus allenthalben...


    Warst du nicht jener, der der "Probe des ersten Satzes" das Wort redete - und der, auf diese Weise armiert und ausgestattet mit einem wahrlich fundamentalen Instrumentarium zur Beurteilung der Literatur, ein wenig Vorsicht und Zurückhaltung an den Tag legen sollte bezüglich eines allüberall auszumachenden Dilettantismus, einer weltumspannender Inkompetenz?


    Grüße


    s.

  • Hallo zusammen


    Ich finde den Artikel in seiner Hauptintension in Ordnung, denn es stimmt schon: Viele Blogger geben kein Impressum an, weil sie genau wissen, dass manche ihrer Artikel schon fast an Rufmord grenzen. Und dass viele Geschäftsinhaber damit Geld verdienen, ist mir auch bekannt, kenne da einige und hab das auch schon bekrittelt, besonders wenn jemand nicht mal den Mumm hat, sein Impressum anzugeben.


  • Ich finde den Artikel in seiner Hauptintension in Ordnung, denn es stimmt schon: Viele Blogger geben kein Impressum an, weil sie genau wissen, dass manche ihrer Artikel schon fast an Rufmord grenzen. Und dass viele Geschäftsinhaber damit Geld verdienen, ist mir auch bekannt, kenne da einige und hab das auch schon bekrittelt, besonders wenn jemand nicht mal den Mumm hat, sein Impressum anzugeben.


    Ich halte es für ein Gerücht, dass es so viele Blogs (HPs etc.) gäbe, deren literarische Wertungen an "Rufmord" grenzen würden.


    Zur Anonymität im Internet: Diese halte ich für wichtig, auch hier im Forum (oder in anderen Foren) firmieren die wenigsten mit ihrem eigenen Namen. Deshalb ist man nicht freundlicher oder unfreundlicher, jedenfalls wäre mir ein solcher Zusammenhang noch nicht aufgefallen. Foren, das Netz haben diesbezüglich auch eine gewisse Selbstreinigungskraft, die vor Auswüchsen schützt. Und dass es immer wieder Leute gibt, die im Schutze (vermeintlicher) Anonymität ihre mangelnden Selbstwertgefühle ausleben, lässt sich nicht verhindern (oder aber man versieht jeden sich im Netz Befindlichen mit einer Art persönlichen Signatur, Name, Anschrift etc. Wovor mir aber eher graut.)


    Ich finde es also durchaus nicht tragisch, wenn Blogs anonym sind (im übrigen interessiert _mich_ der Name eines Betreibers nicht die Bohne, will ich mit jemanden in Kontakt treten, kann ich das ohnehin über Email tun - und besteht eine solche Möglichkeit nicht, dann wünscht der Betreiber eine solche Kontaktnahme eben nicht). Vergreift sich jemand permanent im Ton, gibt es ohnehin Möglichkeiten, denjenigen auszuforschen.


    Ich kenne nun einige Blogs literarischen Inhalts - aber kein einziges, das auch nur im entferntesten "Rufmord" an irgendwelchen Autoren betreiben würde. Dass man als Schriftsteller (der häufig sein Innerstes zu oben kehrt - und der freiwillig diese Selbstentblößung begeht) mit Kritik rechnen muss, versteht sich von selbst. Auch dass diese oft nicht freundlich ist.


    Und dann gibt es viele Blogs (Webseiten), die sich mit Literatur zu beschäftigen vorgeben, deren Schreiber aber von derselben einen - vorsichtig formuliert - eingeschränkten Begriff zu haben scheinen. Da sind die pensionierten Oberstudienräte, die früher das Zeitungsleserbriefschreiben zu ihrer Passion machten (oder Verlage mit ihren neuesten Erkenntnissen zu Goethe, Schiller etc. behelligen) und die ihre Ergüsse nun online stellen. Oder esoterische Hausfrauen, die den "Kleinen Prinzen" für ein philosophisches Werk halten und Coelho einen Altar errichten. Dann pubertierende Jugendliche, die sich im Steppenwolf wiedererkennen und alsbald eine Huldigungshomepage für Hermann Hesse basteln. Und vieles mehr (die für mich Langweiligsten sind jene, die bloß Bücherlisten erstellen ohne jeglichen Kommentar: Da kann ich mir dann gleich auch einen Bibliothekskatalog zu Gemüte führen.) - Wenn ich auch mit all dem nicht viel anfangen kann und entsprechende Seiten meide - was daran ach so furchtbar sein oder gar den Niedergang der Kultur in seiner Gefolgschaft haben soll, will sich mir einfach nicht erschließen. Und wenn der Gymnasiallehrer a. D. oder das 15jährige Mädchen auf ihre Anonymität bedacht sind und als Bücherelfe1994 oder Professor_Unrat im Impressum stehen: Wen stört's?


    Grüße


    s.

  • Hi,



    Ich halte es für ein Gerücht, dass es so viele Blogs (HPs etc.) gäbe, deren literarische Wertungen an "Rufmord" grenzen würden.


    Stimmt. Das ist einfach nur dummes Zeug.


    Zitat

    Zur Anonymität im Internet: Diese halte ich für wichtig, auch hier im Forum (oder in anderen Foren) firmieren die wenigsten mit ihrem eigenen Namen.


    das ist wohl eine Frage der Online-Sozialisation. Und der Faulheit, es wäre mir viel zu anstrengend, ein Pseudonym zu benutzen. Und mir immer zu überlegen, was ich denn jetzt schreiben kann, ohne dass Rückschlüsse auf mich möglich wären.


    Zitat

    Ich finde es also durchaus nicht tragisch, wenn Blogs anonym sind


    Jein. Wie immer halt: ’s kommt drauf an.


    Zitat

    Und dann gibt es viele Blogs (Webseiten), die sich mit Literatur zu beschäftigen vorgeben, deren Schreiber aber von derselben einen - vorsichtig formuliert - eingeschränkten Begriff zu haben scheinen.


    Man muss nur mal im Literatur-Thread bei Spiegel Online mitlesen. Das Grauen, das Grauen. Ganz und gar fürchterlich. Aber natürlich kein Grund, sich sonderlich aufzuregen. Wenn in meiner Stammkneipe am Nebentisch zufällig mal über Literatur geredet wird, dann lächel ich halt freundlich und halte meinen Mund. So what?


    Zitat

    Wen stört's?


    Eben.

  • Hallo!


    Nochmals zu den Blogs und Anonymität (und damit schon halb off topic): Ich habe in all den Jahren kein einziges gelesen, das andere Menschen beleidigt oder gar Rufmord betrieben hätte. (Vielleicht bewege ich mich intuitiv in einer besonders zivilisierten Ecke des Internets.) Die einzige Fehden, die ich erlebt habe, fanden zwischen (im Impressum mit vollem Namen und Adresse zu findenden) Journalisten statt, also nicht im Schutze der Anonymität. Nur auf antville gab es einen Blogbetreiber (der auch in vielen Blogs postete), welcher mit provokativ ins rechte Lager verweisenden Beiträgen nach Aufmerksamkeit gierte, dessen Identität dann aber aufgedeckt wurde, worauf das Gegreine und Gejammere groß war nebst der Bitte, dieses nicht seinem Arbeitgeber zu hinterbringen (wie das alles geendet hat weiß ich aufgrund fundamentalen Desinteresses nicht zu berichten). Trotzdem war dies der einzige mir bekannte Fall, wo jemand die Anonymität dazu benutzte, ein wenig über die Stränge zu schlagen.


    Ich bin auch kein doktrinärer Verfechter der Anonymität; hingegen sollte es jedem frei stehen, sich für oder gegen eine Namensnennung zu entscheiden. Das Argument für eine Impressumpflicht (wegen leichterer möglicher Strafverfolgung bei Übertreten irgendwelcher Gesetze) halte ich für schwachsinnig; es stellt alle Leute unter Generalverdacht, ebenso könnte man jeden Bürger verpflichten, sich ein riesiges Schild mit Name und Adresse beim Verlassen des Hauses umzuhängen, weil er dann bei prospektivem Banküberfall oder Mord leichter zu verfolgen ist.


    Ich bewege mich viel im Netz, aber ich kenne keine einzige Seite, die (vor allem in literarischer Hinsicht) auch nur entfernt beleidigen würde (außer man zählt dazu Feststellungen, dass xy nicht schreiben könne und besser eine Karriere als Heizungsinstallateur eingeschlagen hätte. Das sollte jedem unbenommen bleiben - und ist häufig auch gut begründbar. Ich habe in diesem Forum etwa über Jenny Zoe dergleichen geäußert und meine dies im Zweifelsfall auch belegen zu können. Den Rufmord betrieb die Autorin selbst mit ihrem "Blütenstaubzimmer"). Dass alle Technologien in irgendeiner Form auch missbräuchlich verwendet werden können, liegt auf der Hand (man wollte etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Private das Auto verbieten, weil dadurch Banküberfälle zu sehr erleichtert würden). Und so würden die Innenminister aller Länder die Kinderpornographie erfinden (wenn es sie denn nicht schon gäbe), um für ihre Maßnahmen einen zureichenden Grund zu haben: Denn wer gegen dieselben ist kann nur ein potentieller Kinderschänder sein.



    das ist wohl eine Frage der Online-Sozialisation. Und der Faulheit, es wäre mir viel zu anstrengend, ein Pseudonym zu benutzen. Und mir immer zu überlegen, was ich denn jetzt schreiben kann, ohne dass Rückschlüsse auf mich möglich wären.


    Ich finde es nicht "anstrengend" ein Pseudonym zu benutzen, hab mir dies aber zur Gewohnheit gemacht (auch aus Faulheit: Ich will nicht gefragt werden, warum ich da oder dort dies und jenes geschrieben habe - und so nebenher verwurste ich im Schreiben auch so manche Halb- und Viertelbekanntschaft, vor der ich mich wegen des Geschriebenen zu rechtfertigen wenig Lust hätte); andererseits würde wohl jemand, der diese Mühe nicht scheute, mich ausfindig machen können (so kennen zumindest zwei der Forenteilnehmer meine Identität).


    Grüße


    s.

  • Letzlich stellt das Web höhere Anforderungen an die Leser, als an die Schreiber.


    In allen Künsten, wie in den Wissenschaften ist die sinnliche Rezeption schon längst im Hintergrund. Die Literatur ist da eher eine Ausnahme, die Abstraktion besetzt hier zum Glück nur einen kleinen Raum, noch ist in den meisten Fällen der Inhalt und nicht die Form ausschlaggebend. Wenn Literatur dann Gegenstand von gefühlsmäßiger und diletantischer Aneignung und Beurteilung ist, ist das m.E. eher ein gutes Zeichen, und wer wird sich denn wundern, dass das Internet auch ein Betätigungsfeld für Psychopathen ist. Inkompetenz findet sich auch immer häufiger in den Buchbesprechungen der Printmedien und Fernsehsender. Wer sich manch Mal durch Sachbücher über nichtliterarische Themen wühlt und die entsprechenden Rezensionen oder die Sendung Bookmark kennt wird mir wahrscheinlich auch zustimmen.


  • ebenso könnte man jeden Bürger verpflichten, sich ein riesiges Schild mit Name und Adresse beim Verlassen des Hauses umzuhängen, weil er dann bei prospektivem Banküberfall oder Mord leichter zu verfolgen ist.


    Google mal nach "Ausweispflicht" ;-)


    Zitat

    Ich finde es nicht "anstrengend" ein Pseudonym zu benutzen,


    Kommt drauf an. Wenn ich ein Pseudonym benutze, damit niemand wissen soll, dass ich Giesbert Damaschke heiße und in München wohne - dann müsste ich mich schon verdammt anstrengen, um mich nicht zu verplappern. Btw - es gab deshalb noch nie Ärger, bis auf zwei Mal. Einmal wurde ich anonym wg. angeblicher Verbreitung faschistischen Gedankenguts oder so angezeigt, daraus wurde ein interessantes Telefonat mit den Münchner "Cybercops", einmal wurde ich vom KMV wg. der Verunglimpfung des Andekens Verstorbener angezeigt, das verlief aber im Sande.


    Aber mir ist das grosso modo wurscht, wie sich jemand im Netz nennt.