William Faulkner

  • Hallo zusammen!


    Da es noch keinen Ordner für William Faulkner zu geben scheint, nehme ich mir die Freiheit heraus, einen neuen Thread zu eröffnen.


    Anlass ist meine aktuelle Lektüre von "Licht im August", mein zweiter Faulkner nach "Die Freistatt". Dieser Autor lässt mich erneut ziemlich ratlos zurück. Sein Stil ist modern, episch und angenehm zu lesen, was man von den Inhalten nicht immer behaupten kann. Die Handlungen und Denkweisen der Personen erscheinen mir oft wirr, motivationslos und triebgesteuert. Faulkner zeichnet ein Bild des ländlichen Amerika, in dem die Mehrheit der männlichen Bevölkerung sich wortkarg anschweigt, alttestamentarischen Erziehungsritualen huldigt, Frauen prüde verachtet und den lieben Gott mit einer an Dummheit grenzenden Bigotterie verehrt. Die Frauen sind ihren Männern devot ergeben, schweigen mindestens genauso gern und nehmen das Leben, wie es ist. Über allem schwebt eine latente Aggressivität und Gewaltbereitschaft sowie ein gesellschaftliches Klima, in dem Liberalität und Toleranz Fremdwörter sind.


    Das alles ist gut und interessant zu lesen, ermüdet aber auf Dauer - nicht zuletzt, weil es weit und breit keine Figuren im Faulkner-Universum gibt, mit der sich ein westeuropäischer Leser auch nur ansatzweise identifizieren könnte. Mich interessiert, ob es Euch evtl. ähnlich mit diesem Autor ergangen ist bzw. welche Faulkner-Lektüre Ihr neben den von mir genannten Werken empfehlen könnt.


    Einen schönen Restsonntag wünscht


    Tom

  • Hallo Thomas,


    ich selbst kenne noch nichts von Faulkner. "Licht im August" habe ich auch noch Regal ungelesen stehen. Ich kann mich erinnern, dass auch Steffi ihre Probleme mit dem Autor hat. Vielleicht meldet sie sich ja noch dazu.


    "Licht im August" habe ich mir gekauft, weil ich erfahren habe, dass Faulkner sich darin der Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms bedient und seine Geschichte durch Rückblenden durchbricht. Auf der anderen Seite hemmt mich der Gedanke an Gewaltbereitschaft die seine Romane durchziehen soll. Du hast das in deinem Beitrag bestätigt.


    Ich werde den Autor im Auge behalten und bin gespannt, ob sich noch jemand über ihn äußert.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • "Licht im August" habe ich mir gekauft, weil ich erfahren habe, dass Faulkner sich darin der Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms bedient und seine Geschichte durch Rückblenden durchbricht.


    Hallo Maria,


    Deine Informationen sind richtig. Nichtlineares Erzählen und der sog. "Bewusstseinsstrom" gehören zu den Techniken, die Faulkner in diesem Roman exzessiv anwendet. Meine Schwierigkeiten mit diesem Autor resultieren aber nicht aus dem Stil des Erzählens, sondern aus der Gleichgültigkeit und Kälte, die den Roman und dessen Figuren durchzieht. Einerseits ist das faszinierend, anderseits irritierend bis abstoßend - nichts zum Wohlfühlen also (aber das erwarte ich auch nicht unbedingt). Für mich ist und bleibt Faulkner einer der schwierigen Autoren, die lesens-, aber nicht unbedingt liebenswert sind.


    LG


    Tom

  • Ich hatte - es ist Jahre her - einige von Faulkners Kurzgeschichten gelesen. Den Band besitze ich immer noch, aber ich habe seither nie mehr etwas von ihm gelesen. Irgendwie habe / hatte ich Mühe, die Südstaaten-Atmosphäre dieser Texte zu verdauen. Vielleicht sollte ich wieder mal 'reinblättern.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    vor vielen Jahren las ich "Schall und Wahn". Das hat zwar - auch in der Übersetzung - eine schöne Sprache und dichte Atmosphäre, aber ich fand es ziemlich krude und kann auch nicht sagen, dass ich es verstanden habe.


    Nun habe ich auf dem SUB noch eine uralte rororo-Ausgabe von der "Wendemarke" (amer.: Pylon), aber wenn mich das nicht total vom Hocker haut, werde ich wohl nicht mehr so schnell was von Faulkner lesen.


    HG
    finsbury

  • Hallo Tom,


    ich habe "Die Freistatt" gelesen und hatte auch so meine Schwierigkeiten. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es Faulkner auch nicht darum geht, eine Identifikation mit seinen Figuren zu schaffen. Wir hatten ja damals eine Diskussion im Ordner "amerikanische Literatur" darüber. Mir fiel es schwer, eine gewisse Distanz zu wahren und die Figuren oder die Handlung als Sinnbilder zu werten, gerade wenn es auch um Gewalt geht. Vielleicht ist das die Sperrigkeit dieses Autors ?


    Gruß von Steffi

  • Nach 10 Seiten "Freistatt" pfefferte ich das Buch in die Ecke und will seitdem von Faulkner nichts mehr hören. Solche Verdikte sind zulässig.


    Es gibt Autoren, die mit dem Immunsystem des Lesers inkompatibel sind. (Bei mir ist es - neben Faulkner, den ich wieder mal gelesen und ungeniessbar gefunden habe, aber wieder mal testen müsste - Zola.) Solange man daraus nicht automatisch schliesst, dass der Autor per se schlecht ist ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Moin zusammen!


    Ich hab Anglistik/Amerikanistik studiert u einiges von Faulkner lesen müssen u zum größten Teil auch gern gelesen, allerdings von Mitstudenten u Freunden immer wieder auch negative Urteile gehört.


    Meine Empfehlung: The Hamlet (dtsch.: Das Dorf), der erste Teil der sog. Snopes-Trilogie. Im Vergleich zu "Light in August" und vor allem "The Sound and the Fury" ist das relativ straight erzählt, oft sehr komisch, insg. (nach meiner Wahrnehmung) warm, menschlich berührend u psychologisch interessant.. zerfällt in 4 Teile, gewissermaßen in 4 Novellen oder Kurzromane, einer davon (ich glaube, der zweite) ist evtl von Steinbecks Lenny in "Of Mice and Men" inspiriert, Hauptrolle darin spielt ein geistig Zurückgebliebener, der... aber ich will ja nicjht alles verraten, ne!? Ein anderer Teil (Spotted Horses) wurde schon mal mit Don Johnson verfilmt.. zur Vorbereitung evtl erst noch die short story "Barn Burning" (Brandstifter) lesen, da werden einige Snopes-Charaktere eingeführt.. überhaupt sind einige stories von Faulkner zugänglicher als die Romane, wurden nämlich z.T. aus kommerziellen Gründen für Magazine verfaßt.. sehr beeindruckend fand ich etwa "Wash" aus dem Themenkreis u quasi die Urzelle des stream-of-consciousness-Kloppers "Absalom, Absalom" (zum Einstieg sei letzterer ausdrücklich nicht empfohlen :)) .. Die übrigen Teile der Snopes-Trilogie lassen leider auch stark nach im Vergleich zu "The Hamlet"


    LG Konni

  • Hallo Konni,


    danke für die Empfehlung. "The Hamlet" wäre evtl. ein Grund, dass ich mich mit Faulkner nochmal beschäftige. Wenns mich packt, dann werde ich darauf zurückkommen !


    Mich würde interessieren, ob Faulkner nur für Europäer oder auch für die Amerikaner so ungeniessbar ist oder ob es dort eine andere, literarische Tradition gibt, die ihm mehr entgegenkommt. Irgendwoher sollte doch seine Bekanntheit kommen - oder ist es eben diese Unlesbarkeit ?


    Gruß von Steffi


  • Mich würde interessieren, ob Faulkner nur für Europäer oder auch für die Amerikaner so ungeniessbar ist oder ob es dort eine andere, literarische Tradition gibt, die ihm mehr entgegenkommt.


    Hallo Steffi,


    im Nachwort meiner neu übersetzten „Licht im August“-Ausgabe (Rowohlt) steht, dass Faulkner nach 1945 insbesondere von deutschen Schriftstellern wie Heinrich Böll oder Alfred Andersch enthusiastisch aufgenommen wurde. André Malraux schrieb nach dem Erscheinen der „Freistatt“ (19319, dass es sich bei diesem Roman um den Einbruch der griechischen Tragödie in den Kriminalroman handele. All das legt den vorsichtigen Schluß nahe, dass Faulkner für Europäer ein Schrifsteller für Schrifsteller war (ist).


    Zur Faulkner-Rezeption in Amerika kann ich nichts sagen. Mir erscheinenen seine Werke im Vergleich zu anderen gefeierten Autoren seiner Zeit (z.B. Scott Fitzgerald oder Hemingway) wie sperrige und zerstörerische Elefanten im Prozellanladen. Vielleicht haben sie diese mächtige Wirkung auch bei den zeitgenössichen Lesern erzielt.


    Viele Grüße


    Tom


  • Nach 10 Seiten "Freistatt" pfefferte ich das Buch in die Ecke und will seitdem von Faulkner nichts mehr hören.


    Von einem Freund gefragt, ob er beim Schreiben dieses Romans betrunken gewesen sei, soll Faulkner geantwortet haben: "Nicht immer."


    LG


    Tom

  • Parallel zur "Buddenbrook"-Leserunde habe ich "Absalom, Absalom!" (1985er Ausgabe mit der Übersetzung aus dem Jahr 1938!) aus dem Regal geklaubt, entstaubt und angelesen. Es geht um den geistig-moralischen Verfall einer Südstaatenfamilie (und des gesamten US-Südens) in den Jahrzehnten nach dem Sezessionskrieg. Kurzes Fazit nach dem ersten Kapitel: Sehr schöne, biblisch strenge Sprache, etwas anstrengend und verworren, aber sehr sehr lohnend! Faulkner ist auf dem besten Weg, neben Poe, Melville, Scott Fitzgerald und C. McCarthy zu meinem Lieblingsami zu werden.


    LG


    Tom

  • Moin.
    Also ich kann als Einstieg z.B. "Sartoris" empfehlen. Das ist ein frühes Werk, indem der Bewusstseinsstrom noch nicht fließt. Trotzdem zeigt sich Faulkner hier schon ganz - wie Sartre mal schrieb. Vorgeführt wird hier die ehemalige Südstaatenaristokratie in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg - das Setting ist geradezu klassisch. Faszinierend immer wieder, dass es ihm gelingt, die verschiedensten Milieus zu beschreiben, ob nun - wie hier - Pflanzeroberschicht oder White trash oder Stadtmenschen oder Schwarze. Ob es in Sartoris nun eine Identifaktionsmöglichkeit gibt, vermag ich gar nicht zu sagen - der junge Bayard bestimmt nicht, es sei denn, man ist selbst ein verzweifelter, traumatisierter, junger Mann, der zu Brutalität neigt. Vielleicht ja Horace Benbow - der wird aber so geschildert, dass man ihn nicht unbedingt gern hat.
    Außerdem natürlich die Kurzgeschichten: neulich fand ich in einer Wochenzeitung zufällig "Eine Rose für Miss Emily" abgedruckt, las es dann gleich noch mal und war sofort angefixt, mich ihm wieder ganz zuzuwenden. Die Geschichte ist natürlich krass! Aber, wer's mag ;-) In der Richtung noch weiter findet man "Rotes Laub" - das ist kein typischer Faulkner, aber einfach unglaublich. Typischer Faulkner wären dann eher der schon erwähnte "Wash" oder "Dürrer September".
    Bei den großen, bekannten Werken würde ich raten, bei "Schall und Wahn" (dem Klassiker zum stream-of-consciousness) mit dem zweiten Kapitel, also 02. Juni 1910 zu beginnen - das ist am verständlichsten und da gibt es auch eine Identifikationsmöglichkeit: Quentin ist einer der sympathischsten seines Figurenkreises.
    Also, ich bin Fan und hingerissen - es gibt keinen zweiten neben Faulkner.
    @Konni: Ganz großartig finde ich ja auch "Griff in den Staub" - hier zeigt er, wie zwei Kinder und eine alte Jungfrau die einzigen sind, die in dieser entsetzlichen Südstaaten-Kleinstadt-Lynchatmosphäre zu den notwendigen Handlungen fähig sind - aus der Perspektive des Kindes (!) - so ist das dann sogar spannend, da des Gesamte so einen Tom-Sawyer-Touch bekommt...


    Freundlich grüßend
    Jan


  • Also, ich bin Fan und hingerissen - es gibt keinen zweiten neben Faulkner.


    Hallo Jan,


    schön, dass sich hier noch ein weiterer Bewunderer findet, denn ich bin aufgrund meiner aktuellen "Absalom, Absalom!"-Lektüre dabei, Faulkner in der Hierarchie meiner Lieblingsautoren sehr weit oben anzusiedeln. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn nach meinem Faulkner-Erstling "Die Freistatt" (gelesen vor einigen Jahren) war ich keineswegs überzeugt von diesem Mann. "Licht im August" (vor einem Monat beendet) hat mich positiv überrascht und aufmerken lassen. "Schall und Wahn", "Das Dorf" und "Sartoris" stehen griffbereit im Regal, einige Kurzgeschichten aus dem Sammelband "Brandstifter" habe ich zwischendurch bereits gelesen. Das dürfte reichen, um einen guten Überblick zu bekommen. Leider liegen seine in Deutschland weniger bekannten und daher kaum gelesenen Werke wohl nur in veralteten Übersetzungen vor, was den Lesespaß manchmal ein wenig trübt und mich zu der Überlegung verleitet, die englischen Originale den Übersetzungen vorzuziehen. Das wäre dann aber leider eine erneute Investition ...


    Viele Grüße


    Tom

  • Hallo Tom,


    soweit ich weiß, gibt es gerade von "Light in August" eine neue Übersetzung. Die hab' ich zwar nicht, kann mich aber an eine Besprechung von Raddatz erinnern, in der er sich unter anderem darüber aufregt, dass wieder nicht berücksichtigt wurde, dass light auch ein Ausdruck für schwanger ist.
    Ihn ihm Original zu lesen, ist natürlich ein großes Unterfangen. Ist seine Sprache sowieso prächtig, kommen noch die Südstaaten- und Negro- Slang-Passagen dazu.
    http://www.usask.ca/english/faulkner/main/index.html
    8. April 1928 ist ganz typisch


    Hier ein anderes Beispiel dazu, wie schwer Übersetzen sein kann.
    Wie überträgt man Herrn Permaneder am besten ins Italienische ;-)
    http://www.axnet.it/forum/la-f…162699200b603b60a3df7&


  • soweit ich weiß, gibt es gerade von "Light in August" eine neue Übersetzung.


    Hallo Jan,


    genau diese Übersetzung habe ich gelesen. "Licht im August" war wohl immer der Roman, der im deutschsprachigen Raum noch am ehesten gelesen wurde. Deshalb die Neuübersetzung. Für viele Faulkner-Romane gibt es aber leider nur alte Übersetzungen. "Absalom ..." lese ich bspw. in der Übertragung aus dem Jahr 1938. Gott sei Dank ist es nicht so schlimm, wie ich zunächst befürchtete.


    Viele Grüße


    Tom


  • ... eine Besprechung von Raddatz, in der er sich unter anderem darüber aufregt, dass wieder nicht berücksichtigt wurde, dass light auch ein Ausdruck für schwanger ist.


    Der Herr Kritiker kann sich entspannen: "Licht" ist in diesem Fall die einzig richtige Übersetzung für "light": One afternoon in August, Faulkner and his wife Estelle were having a drink on the east gallery of Rowan Oak. Estelle looked across the grass to the bushes, bathed in the afternoon sunlight, and to the sunken garden in the shade beyond, and said, "Bill, does it ever seem to you that the light in August is different from any other time of the year?" A little while later, Faulkner rose, said, "That's it," and walked into the house. A few minutes later, he returned without explanation. He had gone to his worktable, struck out "Dark House," and substituted "Light in August." Later, Faulkner said he used that title because "in my country in August there's a peculiar quality to light and that's what that title means." (Blotner, Faulkner: A Biography, Rev. ed., pp. 280-81)


    Die Fundstelle: http://www.mcsr.olemiss.edu/~egjbp/faulkner/trivia.html#wl2


    LG


    Tom

  • Wenn es stimmt, dass Faulkner insbesondere für „Absalom, Absalom!“ der Literaturnobelpreis verliehen wurde, dann sind einige Bemerkungen zu diesem Werk sicher angebracht.


    Es geht um den Verfall einer Südstaatenfamilie (ein Dauersujet Faulkners) und um die Beantwortung der Frage, warum die aristokratisch-feudalistische Südstaatenkultur zwangsläufig in einem Bürgerkrieg untergehen musste. Die Geschichte wird aus mehreren Blickwinkeln erzählt. Faulkner ging es wohl darum, dem Leser vorzuführen, wie individuell und verzerrt Menschen die Vergangenheit durch mündliche Überlieferung rekonstruieren.


    Stilistisch ist der Roman ein alttestamentarisch klingendes Epos, dass in Vom-Winde-verweht-Kulissen spielt und eine beklemmende Atmosphäre des Untergangs und des Verfalls erzeugt (verlassene Herrenhäuser, dunkelfeuchte Zypressenwälder, schimmernde Magnolien, betörende Glycinien, tückische Sümpfe, schwüle Hitze …).


    Biblische Motive (wie die „Opferung“ des erstgeborenen Sohns oder der Einbruch von „Plagen“ über die amerikanischen Südstaaten während des Bürgerkriegs und danach) klingen immer wieder an. Auch der allgegenwärtige Rassenhass spielt – wie bei Faulkner üblich – eine große Rolle.


    Mein Fazit: eine sperrige, viel Geduld verlangende, aber sicherlich lohnende Lektüre.


    Viele Grüße


    Tom