Tschechow (Cechov) Übersetzungen.

  • Hallo,


    ich besitze nun schon viele lange Jahre die Tschechow Werkausgabe vom Rütten & Loening Verlag - Berlin. Herausgegeben wurde diese Werkausgabe Tschechows von Gerhard Dick und Wolf Düwel. In der DDR damals als sechsbändige Werkausgabe erschienen. Übersetzer unter anderem - Gerhard Dick, Wolf Düwel, Ada Knipper, Hertha von Schulz und Georg Schwarz. Ich war mit diesen Übersetzungen und dieser Ausgabe immer höchst zufrieden und trotzdem meine Frage:
    Gibt es überhaupt - DIE Werkausgabe? Gibt es eine insgesamt bessere Werkausgabe als diese, doch damals allseits anerkannte, mit viel Lob auch in der BRD bedachte und hochwertige Tschechow Ausgabe?


    Welche Erfahrungen machtet ihr mit euren Werkausgaben?
    (Und wie steht ihr heute, oder gerade heute zu Tschechow. Ich mag diesen stillen, bescheidenen und doch so großen Sprachkünstler nach wie vor mehr als Dostojewski, oder Tolstoi. Aber die Geschmäcker... :smile:)


    Liebe Grüße,


    Peter

  • Hallo zusammen!


    Ich habe den Thread mal hierhin verschoben. Damit kann dieser Thread fürs Problem der Übersetzungen genutzt werden. Zum Autor Anton Pawlowitsch Tschechow / Anton Pavlovič Čechov ( :zwinker: :smile: )können wir [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,571.0.html]== > hier <==[/url] diskutieren. OK?


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo vielleicht kann mir jemand weiterhelfen.
    Ich möchte mir eine Sammlung der Dramen von Cechov zulegen und kann mich nicht so richtig entscheiden. Entscheidend wäre für mich, dass die Übersetzung gut im Sinne von möglichst nah am Original ist.


    Mit einem Freund, der Russisch kann (aber kein Deutsch), habe ich mich schon unterhalten, und er beklagte die schlechte Qualität der englischen Übersetzungen. Aber auch die deutschen sind ja sehr unterschiedlich. Bspw. fand mein Russisch sprechender Freund (ein echter Cechov Kenner) den letzten Satz von Onkel Vanja in der Fassung von Thomas Brasch ("Wenn du wüsstest, wie weh mir das alles tut") gar nicht gut, da nicht sehr originalgetreu. Die Fassung im Reclam Heft "Mein Kind, wie schwer mir zumute ist! Ach, wenn du wüsstest wie schwer" sei viel besser und enger am Original (wobei ich sagen muss, dass ich diese deutschen Sätze wiederum ins Englische übersetzen musste, da ich mich mit meinem Freund nur auf Englisch unterhalten kann.)


    Im Internet wird immer wieder die Diogenes Übersetzung von Urban sehr gelobt. Von daher: Kann mir jemand sagen, ob diese gut im Sinne der Nähe zum Original ist? Und was ist von der Ausgabe bei Winkler Weltliteratur (Patmos Verlag) zu halten?
    Wäre für einen Tipp sehr dankbar.
    Beste Grüße
    R. B.

  • Die Anfrage liegt ja nun schon ein wenig zurück. Da ich aber gerade etwas zu Peter Urban schreiben wollte, hänge ich es einfach mal hier an. Ich lese derzeit Turgenjews Aufzeichnungen eines Jägers in der Übersetzung von Peter Urban. Urban wird ja gemeinhin als Übersetzer gepriesen. Eines muss ich sagen: Ganz sicher sind seine Übersetzungen nah am Original. So sehr, dass er sehr viele Begriffe überhaupt nicht übersetzt, was ich zunehmend mühsam finde. Häufig muss ich im Apparat nachschlagen, was ein Begriff bedeutet, mitunter wird es aber auch gar nicht erklärt. Da frage ich nun mich und die hier versammelte Forengemeinde: Ist das Sinn einer Übersetzung? Sicher: ein gut Teil der Atmosphäre kommt dabei besser rüber. Aber die Dienstbezeichnungen der agrikultururellen hierarchischen Struktur, die Dorfämter, die Stufen der orthodoxen Geistlichkeit - all diese Begriffe sagen mir zumeist nichts und es hilft mir gar nicht, wenn sie dort im russischen Original stehen bleiben.


    Wie geht es Euch mit solchen Übersetzungen? Schätzt Ihr diesen touch des Originalen oder bevorzugt Ihr die Verwendung übersetzter Begriffe?

  • Aber die Dienstbezeichnungen der agrikultururellen hierarchischen Struktur, die Dorfämter, die Stufen der orthodoxen Geistlichkeit - all diese Begriffe sagen mir zumeist nichts und es hilft mir gar nicht, wenn sie dort im russischen Original stehen bleiben.


    Die Frage ist: Sagen sie einem etwas in einer Übersetzung, die ja auch nur annähernd sein kann, weil es gewisse Dinge im deutschen Sprachraum so nicht gibt, oder wohl auch nicht in der römisch-katholischen Kirche?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Die Frage ist: Sagen sie einem etwas in einer Übersetzung, die ja auch nur annähernd sein kann, weil es gewisse Dinge im deutschen Sprachraum so nicht gibt, oder wohl auch nicht in der römisch-katholischen Kirche?


    Manche Begriffe gibt es so sicher nicht. Man müsste dann Umschreibungen wählen (etwa Vorsteher statt Starost, Kutsche statt Telega, Gutsherr statt Barin, Hilfsgeistlicher o.ä.). Dann könnte man für die Interessierten eine Endnote setzen und den Originalbegriff nennen und erklären. Somit wäre der philologischen Genauigkeit Genüge getan, zugleich aber wäre es Leserfreundlicher als die Verwendung von sperrigen Originalbegriffen.

  • Und damit sind wir schon mitten in der Diskussion um die beste Art des Übersetzens. Kultur-/Sprachspezifische Fachbegriffe mit einer Umschreibung übersetzen, wenn es den bezeichneteten Gegenstand in der Zielsprache gar nicht gibt? Mit dem Risiko, dass der Leser sich etwas anderes, vielleicht gar etwas völlig Falsches vorstellt? Oder den Fachbegriff Fachbegriff sein lassen? Im Wissen, dass der Leser sich vielleicht nicht genau vorstellen kann, was mit dem Originalbegriff gemeint ist? Beides hat sein Pro und sein Contra; beides ist wohl nicht ideal.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Und damit sind wir schon mitten in der Diskussion um die beste Art des Übersetzens. Kultur-/Sprachspezifische Fachbegriffe mit einer Umschreibung übersetzen, wenn es den bezeichneteten Gegenstand in der Zielsprache gar nicht gibt? Mit dem Risiko, dass der Leser sich etwas anderes, vielleicht gar etwas völlig Falsches vorstellt? Oder den Fachbegriff Fachbegriff sein lassen? Im Wissen, dass der Leser sich vielleicht nicht genau vorstellen kann, was mit dem Originalbegriff gemeint ist? Beides hat sein Pro und sein Contra; beides ist wohl nicht ideal.


    Ja, die Diskussion zeigt, dass Übersetzung immer auch Verlust bedeutet - an Genauigkeit, an konkretem Inhalt, an Nuancen.


    Aber Deine Aussage, der Leser könne sich nicht genau vorstellen, was gemeint sei, oder er stelle sich etwas völlig Falsches vor, kann ich nicht recht teilen. Als Beispiel: Wenn ich mit einem Begriff wie der 'Telega' konfrontiert werde, kann ich mir gar nichts vorstellen. Das Wort kenne ich nicht. Ich muss dann im Endnotenverzeichnis nachblättern. Da dieses in meiner Ausgabe (Manesse) nach Kapiteln angeordnet ist und mit jedem Kapitel die Zählung neu beginnt, muss ich erst nach dem Kapitel suchen, dann die Fußnote finden und nachlesen, was eine Telega ist. Das unterbricht mich in der Lektüre. Hätte der Übersetzer hier 'Kutsche' geschrieben, hätte ich ohne Bildverlust weiterlesen können. Sicher hätte ich mir die Kutsche möglicherweise nicht konkret genug vorgestellt, aber immerhin wäre ein Bild dagesessen. Bei 'Telega' war natürlich kein Bild da.

  • Ja, die Diskussion zeigt, dass Übersetzung immer auch Verlust bedeutet - an Genauigkeit, an konkretem Inhalt, an Nuancen.


    Interessante Diskussion!


    Wenn es auf Nuancen ankommt (insbesondere auf die von sandhofer angesprochenen), wird der Übersetzer im Idealfall zum "Kultur-Erklärer". Am Beispiel zweier Übersetzungen des Don Quijote kann man sehr schön studieren, was Übersetzerfleiß und -phantasie erreichen können. Mir liegen die Übersetzungen von Ludwig Braunfels aus dem 19. Jahrhundert und die aktuelle von Susanne Lange vor. Braunfels macht im Titel den „ingenioso hidalgo“ zum „geistreichen Ritter“ – was kompletter Blödsinn ist, weil ein spanischer Hidalgo des frühen 17. Jahrhunderts alles andere war als ein Ritter, wie wir ihn aus der mittelalterlichen Epik (z.B. Hartmann v. Aue) kennen.


    Susanne Lange lässt es bei dem spanischen „Hidalgo“. Sie übersetzt uns diesen Begriff nicht und erklärt ihn stattdessen (in Form einer Anmerkung sowie einer ausführlichen Erläuterung im Nachwort). Wir lernen etwas über die leicht heruntergekommene und alles andere als immer wohlsituierte Variante des niederen spanischen Adels im 16./17. Jahrhundert und begreifen, wie groß der Unterschied zu einem „Ritter“ ist.


    Wenn man dann aber etwas nachdenkt, kann man zu dem Schluß gelangen, dass der „Ritter“ in der Braunfels-Übersetzung so schlecht nicht gewählt ist, denn in diesem Begriff schwingt mehr ein Stilideal als eine tatsächliche Daseinsform mit – was wiederum dem „Geist“ des Don Q. ziemlich angemessen scheint.


    Übersetzungen sind ein spannendes Thema, und ich bin froh, dass auch bewährte Klassikerübersetzungen von Zeit zu Zeit unter die Lupe genommen werden. Zumindest bei dem einen oder anderen „Großwerk“ der Literatur kann das recht erhellend sein.


  • Übersetzungen sind ein spannendes Thema, und ich bin froh, dass auch bewährte Klassikerübersetzungen von Zeit zu Zeit unter die Lupe genommen werden. Zumindest bei dem einen oder anderen „Großwerk“ der Literatur kann das recht erhellend sein.


    Auch ein interessanter Punkt: Während Übersetzungen von Zeit zu Zeit unter die Lupe genommen werden und neue, zeitgenössischere Übertragungen auf den Markt kommen, bleibt das Original ja unverändert. Mich würde mal interessieren, ob ein Spanier das Werk heute ebenso einfach lesen kann wie wir die neue Übersetzung.