Oktober 2008 - Homer: Die Odyssee


  • Statt zügig Ordnung zu schaffen, d.h. die Freier aus dem Palast zu werfen, den Wind für Odysseus wehen zu lassen, lässt sie den kleinen Telemachos zappeln, wie einen Frosch im Milchkrug. Alles nur der Spannung wegen, alles nur Homer zuliebe, dass er sein Epos verfassen kann. Die Sterblichen als Spielzeug , damit sich die Götter nicht langweilen. Dabei machen sie sich gegenseitig genug Verdruss um umtriebig zu sein. Vielleicht zweifelt die Glutäugige ja auch an der Herkunft von Telemachos und will ihn auf die Probe stellen. Sie versichert ihn zwar ihrer Unterstützung und steigt auf sein Schiff, (dabei bringen Frauen an Bord Unglück) lässt aber die Möglichkeit des Scheiterns offen. Gefragt ist also Mut und der ernsthafte Wille das Vorhaben auszuführen. Auf die Hilfe der Götter ist eben kein Verlass. Damals nicht, heute nicht. Ob das mal gut geht ?


    Mit der Frage nach den Zuständigkeiten und der Rolle der Götter bei Homer wirfst du einen wichtigen Punkt auf, der von den Wissenschaftlern schon lange hitzig diskutiert wird. Ich habe dazu einen sehr interessanten Artikel im Internet gefunden, den man meiner Meinung nach gut als Aufhänger für weiterführende Diskussionen verwenden kann: http://www.scienzz.de/magazin/art10065.html.


    Zu der Stelle, die Lost angesprochen hat: Ich würde das Pferd andersrum aufzäumen. Dadurch, dass sie ihm nicht aktiv hilft, leistet sie ihm viel größere Unterstützung, da er in sich selbst die Kraft finden soll mit den Freiern fertig zu werden. Athene weckt das in ihm schlummernde Potenzial.

  • @ Lost: Athene will Telemachos Mut und Tatkraft verleihen oder stärken, damit er selbst etwas unternimmt. Hilfe zur Selbsthilfe könnte man sagen.


    Edit: Upps, da war Telemachos schneller.


    Fünfter Gesang
    Endlich Odysseus!
    Erstmal war ich überrascht: Noch ein Rat der Götter? Aber dann habe ich nochmal im ersten Gesang nachgelesen und gemerkt, dass die erste Beratung gar nicht zuende war. Athene hat den Vorschlag gemacht, Hermes zu Kalypso zu schicken, ist dann aber ohne abzuwarten gleich nach Ithaka gegangen.


    Zwischen der Schönheit der Insel, die eingehend geschildert wird, und Odysseus‘ Traurigkeit ist ein Widerspruch. Die Sehnsucht nach der eigenen Heimat ist natürlich der Grund für Odysseus‘ Traurigkeit. Im 1. Gesang drückt Athene es fast übertrieben aus: Odysseus möchte wenigstens noch einmal den Rauch aus den Häusern seiner Insel aufsteigen sehen (gar nicht selbst Ithaka betreten) und dann sterben.


    Kalypso meint, Zeus gebiete ihr Odysseus freizulassen, weil die Götter generell nichts von einer Verbindung zwischen einer Unsterblichen und einem Sterblichen halten. Aber davon haben die Götter nichts gesagt, glaube ich.
    Kalypso meint auch, Odysseus schütze die Angst vor den (normalen) Gefahren der Seereise auf einem selbstgebauten Floß nur vor, aber in Wirklichkeit habe er sie im Verdacht, sie wolle seine Fahrt scheitern lassen. Odysseus sagt nichts dazu, aber in der Götterversammlung heißt es, Kalypso lasse Odysseus nicht fort. Also wird wohl stimmen, was Kalypso sagt. Natürlich fehlen ihm auch die Materialien und Geräte für den Bau eines Floßes. Odysseus weiß aber auch, dass der Groll Poseidons wegen der Blendung Polyphems noch nicht besänftigt ist. Kalypso weiß anscheinend nichts vom Groll Poseidons auf Odysseus.


    Siebzehn Tage und Nächte schläft Odysseus nicht, weil er den Kurs halten muss - eine kleine dichterische Freiheit.


    Die Landung auf der Insel Scheria gestaltet sich dann so schwierig, dass Odysseus alles verliert, einschließlich der Kleidung. Nackt wie ein neugeborenes Kind erreicht er die Insel und muss in einem Blätterhaufen schlafen. Dafür hat Homer eine schöne Analogie: Genauso bewahrt man auch über Nacht das Feuer auf, damit es nicht ausgeht.

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  • Der Anfang des 5.Buches ist eine tolle Passage. Man stelle sich Odysseus vor: Er gerät nach vielen Mühen auf eine traumhafte Insel, wird von einer wunderschönen Göttin begehrt und könnte von ihr sogar unsterblich gemacht werden. Hört sich an wie das Paradies. Odysseus aber sitzt weninend am Streit und will nicht mit der Göttin das Nachtlager teilen(eigentlich unvorstellbar) :zwinker:.



    Die Unwilligkeit Odysseus' kommt daher, dass ihm die Göttin in ihrer zeitentrückten Unsterblichkeit einfach keine Freude machen kann. Er möchte sein Leben mit seinesgleichen, also mit Menschen, verbringen, weil die Momente des gemeinsamen Glücks durch die zeitliche Beschränkung und wegen des Wissens um ihre Vergänglichkeit umso kostbarer werden. Für Kalypso ist die Zeit mit Odysseus nur ein winziger Abschnitt ihres unendlichen Lebens, den sie früher oder später sowieso wieder vergessen würde. Odysseus ist aber nur wenig Zeit gegeben und diese möchte er mit der Frau erleben, für die diese Beziehung etwas besonderes ist.


    Der Dichter will uns also, in meinen Augen, sagen: Nutze dein Leben dazu, deine Gefühle mit denen auszukosten, die dir wirklich am Herzen liegen.

  • Deine Deutung hat was, Telemachos. Aber ganz verstehe ich es nicht, denn Kalypso bietet Odysseus an, ihm die Unsterblichkeit zu verleihen. Dann würde er werden wie sie. Hmm. Aber dann würde er sich auch von Grund auf ändern und müsste sein bisheriges Leben verlassen. Möchte er vielleicht genau der bleiben, der er ist. Ist es das?


  • Deine Deutung hat was, Telemachos. Aber ganz verstehe ich es nicht, denn Kalypso bietet Odysseus an, ihm die Unsterblichkeit zu verleihen. Dann würde er werden wie sie. Hmm. Aber dann würde er sich auch von Grund auf ändern und müsste sein bisheriges Leben verlassen. Möchte er vielleicht genau der bleiben, der er ist. Ist es das?


    Kalypso denkt, sie könnte ihn mit der Unsterblichkeit ködern, aber er will davon ja gar nichts wissen. Ein ewiges Leben interessiert ihn unter den gegebenen Umständen gar nicht, seine Sehnsucht verlangt nach Penelope und Ithaka. Wenn er annehmen würde, dann würde seine Sehnsucht ja, im wahrsten Sinne des Wortes, unendlich verlängert werden. Es ist wie Athene sagt: Lieber noch einmal die Heimat sehen und sterben als ewig fern der Heimat leben. Kalypso kann sich in ihrer Unsterblichkeit die Wichtigkeit und die Stärke der Gefühle eines Sterblichen nicht vorstellen.

  • @ Telemachos


    Vielleicht solltest Du hier mal direkt den Kurs von Frau Vandiver empfehlen.
    Bei der Wiedergabe ihrer Erklärungen gerätst Du nämlich öfter in's Straucheln und selbst in Erklräungsnot. :zwinker:

  • @ Achim: Die "Götterei" finde ich schwer verständlich. Dem Ägisth hatten die Götter durch Hermes sagen lassen, er solle Klytämnestra in Ruhe lassen, er hat sich demnach eindeutig durch seine eigene Schuld ins Unglück gebracht. - Im 3. Gesang heißt es dann wieder: "Aber da schnürte die Schickung der Götter ihn ein ins Verderben." (III, 269) (den Sänger, der in Agamemnons Auftrag auf Klytämnestra aufpassen soll). Merkwürdig.
    Ich weiß sowieso nicht, wie ich die ganze Götterei verstehen soll: Gibt es das nur in literarischen Texten? In manchen grimmschen Märchen wandelt der liebe Gott auf Erden und Feen erfüllen Wünsche, aber im Alltag glaubte man das auch im 19. Jahrhundert nicht. Oder kam es auch im Alltag der antiken Griechen vor, dass z. B. jemand morgens seiner Frau sagte: "Heute nacht hat mir Zeus einen Traum geschickt, und ich soll dasunddas tun? Oder dass jemand ernsthaft glaubte, ein Gott habe die Gestalt eines anderen Griechen angenommen?


    Nautilus,


    Finde die Rolle der Götter auch schwer zu verstehen. In meiner Ilias-Ausgabe (Artemis und Winkler) habe ich aber einiges im Kommentar gefunden. Darin schreibt Ludwig Voit, man habe nicht zu Unrecht die homerische Götterwelt mit der Hofgesellschaft des absoluten Fürsten verglichen. Wie diese habe auch die Götterwelt ein Doppelgesicht: "Der Kavalier, der Intrigen gegen andere spinnt, mit dem er sich doch zugleich durch die Regel höfischer Sitte und Konvention verbunden weiss, der sein Leben in leichtfertigem Genuss alles Schönen ...mit seinesgleichen hinbringt, wird unnahbar, ganz Würde und Majestät, sobald er dem Untertan gegenübertritt."


    Der Autor meint, die homerische Götter seien nichts als gesteigerte Menschen mit ihren Tugenden und Schwächen. Sie spielen mit dem Schicksal der sterblichen Menschen, wie es ihnen gefällt. Interessant dann auch das Verhältnis von Göttern und Schicksal: Voit meint dazu, "über göttlicher Willkür steht das Schicksal, das einem jedem gesetzt ist." Auch die Götter können dieses nicht ändern (so z.B. die Tatsache, dass Achilles in der Ilias ein früher Tod bestimmt ist). Aber der Gang des Lebens ist dann doch wieder göttlicher Einwirkung unterworfen. Da stellt sich dann für mich die Frage, inwieweit der Mensch sich in diesem Rahmen für oder gegen etwas entscheiden kann. Oder steht er allem völlig machtlos gegenüber? In der Ilias gelingt es dem einen oder anderen Helden gelegentlich fast, sein Schicksal zu ändern. Aber eben nur fast - die Götter greifen dann doch ein, gewissermassen als "Hüter des Schicksals".


    Achim

  • Was ich gerade arg fnde: Der trojanische Krieg war anscheinend vollkommen umsonst.


    Helena weilt wieder in Sparta und Menelaos hat sie wieder akzeptiert. Warum um Himmels willen haben sich dann zahlreiche Männer bei Troja um diese Frau geprügelt wenn dann sowieso wieder alles so ist wie vorher?


    Warum mischen sich die Götter überhaupt in die Angelegenheiten der Menschen ein? Ist es ihnen so fad im Olymp, dass sie ganze Existenzen einfach zerstören?


    Odysseus bin ich noch nicht begegnet, weile gerade mitten im vierten Gesang.


    Katrin

  • @ Telemachos:

    Zitat

    seine Sehnsucht verlangt nach Penelope und Ithaka.


    Ja, das ist auf jeden Fall der Kern der Sache.


    @ Achim: Vielen Dank! Ich sollte mal ein Buch über die Griechen und Homers Epen lesen.


    @ Jaqui, zur Sinnlosigkeit des trojanischen Krieges: Volle Zustimmung, wenn es sich um einen realen Krieg gehandelt hat. Zehn verschwendete Jahre für alle Beteiligten. Wirklich komisch, dass das die Zeitgenossen Homers anscheinend nicht gesehen haben.


    6. Gesang
    Warum wird so viel Wesens darum gemacht, dass Nausikaa im heiratsfähigen Alter ist? Soll in diesem Gesang Odysseus‘ Wirkung auf Frauen vorgeführt werden? Vielleicht auch. Nausikaa staunt lange, als sie Odysseus sieht, und sofort fällt ihr ein, dass die Nachbarn sich über ihn und sich selbst das Maul zerreißen würden, wenn sie gemeinsam in die Stadt kämen und zu Antinoos‘ Haus gingen.
    Odysseus kommt nach sieben Jahren, die er bei Kalypso verbracht hat, wieder mit Menschen in Kontakt und nach fast zwanzig Jahren auf Schiffen und in Heerlagern und in Schlachten, steht er kurz davor, wieder eine menschliche Gesellschaft mit Familien, Heirat etc. zu sehen. Vorher gab es höchstens mal mit „Beutefrauen“ wie Briseis und Chryseis (ich weiß gar nicht mehr, ob Odysseus in der „Ilias“ auch eine abkriegt). Hier erfahren wir mit allerlei Details, wie ein ganz gewöhnlicher Waschtag bei Familie Alkinoos abläuft, nicht weil das für den ursprünglichen Leserkreis der „Odyssee“ so spannend war, sondern weil es für Odysseus so ungewohnt ist. So denke ich mir das jedenfalls.


    Odysseus verwandelt sich durch ein Bad, eine Salbung und ein Gewand aus dem wilden Abenteurer wieder in einen zivilisierten Menschen.
    Auch kann er nach sieben Jahren seine berühmte Beredsamkeit wieder ausprobieren, und sie ist noch immer da. Im nächsten Gesang wird er dann wohl endgültig wieder in eine menschliche Gemeinschaft aufgenommen, wenn auch erst noch als Gast.


    Odysseus zu Nausikaa:
    „Gibt es doch nichts, das besser und vortrefflicher wäre,
    als wenn Mann und Frau einträchtigen Sinnes den Hausstand
    führen, zu neidvollem Kummer den Feinden, zu ehrlicher Freude
    aber den Lieben; den höchsten Genuß empfinden sie selber.
    (Sechster Gesang, Homer-W Bd. 2, 96)


    Das könnte auch in Schillers „Glocke“ so stehen, aber dem Heimkehrer Odysseus nimmt man die Sehnsucht danach ab. :elch:


    Weiß jemand, warum in diesem Gesang ein paar Verse über den Olymp als Wohnung der Götter stehen (ca. VI, 40)?

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  • Ich kann jedem der sich für die Ilias und Odyssee interessiert wärmstens die Kurse „Iliad of Homer & Odyssey of Homer“ von Prof. Elizabeth Vandiver, erschienen bei „The Teaching Company“ empfehlen. Da hab ich jedenfalls die meisten Informationen her.


    Was ich gerade arg fnde: Der trojanische Krieg war anscheinend vollkommen umsonst.


    Helena weilt wieder in Sparta und Menelaos hat sie wieder akzeptiert. Warum um Himmels willen haben sich dann zahlreiche Männer bei Troja um diese Frau geprügelt wenn dann sowieso wieder alles so ist wie vorher?



    @ Jaqui, zur Sinnlosigkeit des trojanischen Krieges: Volle Zustimmung, wenn es sich um einen realen Krieg gehandelt hat. Zehn verschwendete Jahre für alle Beteiligten. Wirklich komisch, dass das die Zeitgenossen Homers anscheinend nicht gesehen haben.


    Naja, zunächst mal ist es ja eine Selbstverständlichkeit daß es sich in einer Kriegergesellschaft kein König gefallen läßt, wenn man ihm seine Frau wegnimmt. Wir reden hier ja nicht über irgendwelche Lebensabschnittspartner von Patchwork-Familien. :breitgrins:


    Darüber hinaus gibt es aber (vor allem für die übrigen Griechen) zwei Hauptgründe für den Krieg:


    1.) Time und Kleos, was man ungefähr mit „Ruhm und Ehre“ übersetzen kann.
    2.) Verletzung der Xenia, was man ungefähr mit „Gastfreundschaft“ übersetzen kann.


    Sowohl in der Ilias als auch in der Odyssee geht es um beides, wobei Time und Kleos das zentrale Hauptthema in der Ilias ist, Xenia in der Odyssee. Deshalb hier kurz etwas über Xenia:


    Xenia war bei den Griechen nicht nur das, was wir heute unter „Gastfreundschaft“ verstehen, sondern die heilige und ritualisierte Beziehung zwischen Gastgeber und Gast, die nicht auf Freiwilligkeit basierte sondern Pflicht war. Das Wort „Xenos“ hat, je nach Kontext, die Bedeutung „Fremder“, „Gast“, „Gastgeber“, „Freund“ und „Ausländer“.
    Xenia lief ungefähr so ab:
    Wenn ein Fremder auf Reisen in einen Ort kam, ging er zum Haus desjenigen, der ungefähr seinem eigenen sozialen Status entsprach. Ein Königssohn ging zum Palast, ein Handwerker zum Haus des Handwerkers etc. Dort hat ihm der „Gastgeber“ sein Gepäck (und seine Waffen) abgenommen, ihm zu Trinken und Essen gegeben, ein Bad gerichtet etc. Erst wenn die Grundbedürfnisse des „Gastes“ gestillt waren hat er ihn gefragt wer er ist und woher er kommt (einerseits aus Höflichkeit, andererseits aber auch um zu vermeiden, daß er ihm die Gastfreundschaft verweigert wenn es sich um jemanden handeln sollte dem der Gastgeber eigentlich nicht wohl gesonnen war). Nachdem der Gast versorgt war und Obdach erhalten hatte bekam er zum Abschied ein Gastgeschenk mit auf den Weg und gab selber eins, wenn er es konnte.
    Damit waren Gastgeber und Gast lebenslang in (formaler) Freundschaft verbunden, die auch in die nachfolgenden Generationen vererbt wurde. En schönes Bespiel dafür findet sich in der Ilias im sechsten Buch, wo der Trojaner Glaukos im Kampf auf den Griechen Diomedes trifft, und beide darauf verzichten sich zu bekämpfen, sich statt dessen in Freundschaft die Hände reichen und Rüstungen tauschen weil ihre Familien aufgrund von Xenia seit Generationen freundschaftlich verbunden sind.


    In einer Welt ohne Hotels, Polizei, moderne Kommunikations- und Transportmittel etc., wo schon die Nachbarstadt Ausland war, war Xenia für die Griechen nicht ganz unwichtig. Damit ein solches Konzept aber funktioniert, war es von großer Bedeutung, daß weder der Gastgeber noch der Gast dieses Verhältnis verletzten. Das bedeutet, daß Xenia auf einem sehr starken Pflichtgefühl basierte, und daß schwere Sanktionen bei Verletzung von Xenia verhängt wurden. Zeus selbst war der Hüter der Xenia („Zeus Xenios“), wer also die Xenia verletzte beleidigte damit automatisch Zeus, was in der Regel nicht gut ausgehen kann.


    Paris war Gast bei Menelaos und als solcher hat er die Regeln der Xenia mißachtet, als er Helena entführte. Neben all den anderen Gründen (v.a. Time und Kleos) war eben diese Verletzung der Xenia ein Grund für den Krieg, denn es war für die Griechen Pflicht, diesen Frevel zu rächen.


    Wichtiger als in der Ilias ist das Konzept der Xenia in der Odyssee.


  • Die "Götterei" finde ich schwer verständlich. [...] Ich weiß sowieso nicht, wie ich die ganze Götterei verstehen soll: Gibt es das nur in literarischen Texten? In manchen grimmschen Märchen wandelt der liebe Gott auf Erden und Feen erfüllen Wünsche, aber im Alltag glaubte man das auch im 19. Jahrhundert nicht. Oder kam es auch im Alltag der antiken Griechen vor, dass z. B. jemand morgens seiner Frau sagte: "Heute nacht hat mir Zeus einen Traum geschickt, und ich soll dasunddas tun? Oder dass jemand ernsthaft glaubte, ein Gott habe die Gestalt eines anderen Griechen angenommen?


    Jein. Die Griechen glaubten an eine Abfolge von Zeitaltern, beginnend mit dem Goldenen Zeitalter (noch vor Zeus) als Menschen und Götter zusammen lebten, bis hin zum Eisernen Zeitalter, in dem sie selbst lebten. Der direkte Kontakt zu den Göttern nahm dabei von Zeitalter zu Zeitalter ab. Die Helden der Ilias und der Odyssee entstammen dem Heroischen Zeitalter, der dem Eisernen vorausging, deshalb gab es da auch mehr direkten Kontakt mit den Göttern.
    Menschen wie Achilles, mit einem göttlichen und einem menschlichen Elternteil gehören damit der Vergangenheit an. Ebenso Menschen wie Hektor, der im zwölften Buch der Ilias das Tor der Griechen mit einem Stein zerschmettert, den zwei der heutigen Männer nicht einmal hochheben könnten.
    Früher war eben alles besser, uns bleibt die Degeneration. :cry:

  • Schweitzer: Ich stelle ja nicht den Krieg als solchen in Frage - die Gründe kann ich nachvollziehen. Nur den Ausgang. Am Ende ist alles beim alten - zumindest bei Helena und Menealos, nur mit ein paar Toten mehr. Das ist für mich fraglich.


    Denn wenn es kein realer Krieg war, dann frage ich mich, was Homer uns damit sagen wollte?


    Katrin

  • Abgesehen davon,daß der Ausgang von Kriegen grundsätzlich ungewiß ist verstehe ich wirklich nicht, was Du damit meinst, daß "am Ende alles beim alten" war. Das würde ja heißen, daß am Ende Helena bei Paris wäre. Gerade durch den Krieg ist am Ende eben nicht alles beim alten.


    Was Homer uns in der Ilias sagen will sprengt vielleicht den Rahmen dieser Buchbesprechung. Hauptthema der Ilias ist der Tod.

  • Die Vorstellung, dass Athene weniger aus Spieltrieb, denn aus mütterlichen (oder weiblichen) Gefühlen Telemachos sanft in die richtige Richtung schuppst lässt sich natürlich kaum widerlegen. Vergesst aber nicht, dass Athene nicht nur eine glutäugige Schöne, sondern auch ein intrigantes Luder ist. Blickt man auf den ersten Gesang zurück, könnte man verstehen, wenn sie ein Auge auf den attraktiven Jüngling geworfen hat. Hysterischer Zorn gehört aber auch zu ihr und mit ihrer Macht ist nicht zu spaßen.


    Ich möchte betonen, dass ich mich hier auf eigene Gedanken beschränke, die mir bei der Lektüre kommen und die Hekatompen von fachkundigen Interpretationen nicht hinzuziehe. Es ist bestimmt interessant aus der O. die Lebensweise und die Mythenwelt der alten Griechen zu rekonstruieren, doch ein wesentlicher Gehalt ist die Zeitlosigkeit der berühmten Epen, solange man sie bildhaft liest.


    Euch zu folgen, besonders wenn man selbst bald eine Irrfahrt antreten muss und noch nicht den richtigen Text hat, ist nicht leicht. Man könnte meinen, Odysseus ist mit einem Speedboot durchs Mittelmeer gerast. Da ich den „Martin“ zur Seite gelegt habe, folge ich langsam dem 3. Gesang in der Versübersetzung von F.G. Jünger.


    Es geht darum Poseidon zu überzeugen seinen nachtragenden Schabernack mit Odysseus zu mildern und aus Nestor einige Einzelheiten über das mögliche Verbleiben von Telemachos Vater heraus zu kitzeln. Homer will uns weiß machen, das ließe sich bei einem kleinen Strandpicknick bewerkstelligen, was er Altphilologen, weshalb heißen die auch sonst so, vielleicht auch plausibel machen kann. Ließt man jedoch zwischen den Zeilen, dann spielt sich da was ganz anderes ab:


    Gutes erflehte sie so und erfüllte selbst alle Bitten
    [so über Athene zu Poseidon]
    Gab Telemachos dann den schönen, gehenkelten Becher
    Und auch der liebe Sohn des Odysseus brachte die Spende
    Als nun das Fleisch gebraten und von den Spießen gezogen.


    Metaphern, alles Metaphern


    Glaubt ihr wirklich einer der bedeutendsten unsterblichen Götter ließe sich von Athene mit ein paar Grillwürstchen seine Flausen austreiben? Bei diesen Augen! Und Odysseus ist schließlich kein kleiner Fisch! Was sich hier abspielt ist nicht ein Picknick sondern eine Orgie und zwar eine, die Homer noch nicht ein Mal andeuten will. Und ich lasse es lieber bei einer Andeutung, bevor ich noch die rote Karte sehe.
    Mir scheint Nestor war auch nicht gerade begeistert als das Schiff an seiner Insel anlegte. Auf der einen Seite war er bestrebt im halbwegs guten Einvernehmen mit dem Erderschütterer zu bleiben, auf der anderen konnte er auch nicht Athene vor den Kopf stoßen. Er saß, wie man so schön sagt, zwischen zwei Stühlen. Was sich dann so abspielte, dürfte den, sagen wir höflich, ergrauten Helden auch nicht gerade begeistert haben. Als dann nach der Strandpartie der abgeschlaffte Telemachos begann Nestos auszufragen (und die Götter hören alles) war er erst Recht in Schwierigkeiten. Um sich Zeit zu verschaffen antwortet er mit einem langatmigen Geschwafel: Alte Kriegsgeschichten, Kreti und Pleti und ein wenig Komplimente für die Göttin und ihren Schützling, sicher ist sicher. Der muss sich auch schon wieder die Geschichte von Aigisthos anhören, damit nicht vergisst was er nach alter Sitte zu tun hat, wenn er erst Haare auf der Brust hat.
    Das darf er sich dann noch Mal anhören, nach einem Komasaufen, so verstehe ich das wenigstens was Homer schildert. Nestor muss dabei aber den Gedanken bekommen haben sich auf die Seite der beiden Reisenden zu schlagen. Er sorgt dafür, dass Telmachos ohne seine Aufpasserin in seinem Haus übernachtet, opfert für Athene ein Rind (die ist dann beschäftigt), was Homer hier nicht metaphorisch in Einzelheiten beschreibt und macht Telemachos deutlich, dass Menelaos ihm besser weiter helfen kann.


    Da wären wir bei Gesang 4, den ich frühestens ab Montag anstimmen kann, auch auf einer Insel.
    -------------------
    Jaqui:


    Der Krieg !


    Verallgemeinert handelt es sich bei dem Kriegsanlass für den Trojanischen Krieg um Diebstahl. Wenn hinterher das „Eigentum“ wieder beim rechtmäßigen Besitzer landet, dann bedeutet das ein Sieg für die allgemeine Gesellschaftsbasis die gestärkt ist. Wir können natürlich über die Angemessenheit der Mittel nachdenken, aber eine zehnjährige Dauer, hat man bestimmt nicht von Anfang an vorausgesehen. Der Krieg hatte natürlich dramatische Folgen. So musste sich das Volk der Trojaner und Äneas immerhin eine neue Heimat suchen.


    ------------------


    Wie schon gesagt: Ihr seit schnell. Nächste Woche weile ich im Hades ohne Kontakt zur oberen Welt und falls ihr weiter so voran prescht, werde ich nicht mehr folgen können und einsame Pfade wandeln müssen.


  • Glaubt ihr wirklich einer der bedeutendsten unsterblichen Götter ließe sich von Athene mit ein paar Grillwürstchen seine Flausen austreiben? Bei diesen Augen! Und Odysseus ist schließlich kein kleiner Fisch! Was sich hier abspielt ist nicht ein Picknick sondern eine Orgie und zwar eine, die Homer noch nicht ein Mal andeuten will.


    Aua.

  • Schweitzer: Mit "Alles beim alten" meinte ich schlicht und ergreifend, dass Helena wieder zu Menealos zurück gekehrt ist. Also war der Krieg meiner Ansicht nach vollkommen unnötig. Anders wäre es, wenn Helena bei Paris geblieben wäre oder sonst ein Ausgang. So sind sie aber einfach zur "Ausgangssituation" zurück gegangen.


    Lost: Ich bin auch erst im vierten Gesang.


    Katrin

  • Ok:
    Das Kind einer Mutter wird entführt.
    Die Polizei spürt die Gangster auf und befreit nach einem Schußwechsel unter schweren Verlusten das Kind.
    Kind und Mutter sind wieder vereint.


    Fazit: Die Befreiungsaktion der Polizei war sinnlos, da jetzt schließlich wieder alles beim alten ist.


  • @ Telemachos


    Vielleicht solltest Du hier mal direkt den Kurs von Frau Vandiver empfehlen.
    Bei der Wiedergabe ihrer Erklärungen gerätst Du nämlich öfter in's Straucheln und selbst in Erklräungsnot. :zwinker:


    Vielleicht solltest du keine vorschnellen Schlüsse ziehen, denn den "Kurs" von Frau Vandiver habe ich nicht gelesen. Ergo gebe ich auch nicht ihre Ideen wieder, sondern meine eigenen.

  • Selbstverständlich gibst Du Deine eigenen Ideen wieder.
    Daß es in der Gesellschaft Griechenlands keinen Platz für unverheiratete Wittwen gab ist z.B. eine erstaunlich gute Idee von Dir. Andere würden da nicht so einfach von selbst daufkommen.
    Und daß jemand der Vandivers Vorlesung gehört hat genau sagen kann, welche Erklärungen Vandivers Du nicht richtig verstanden hast und welche Du durcheinandergeworfen hast ist purer Zufall.


  • Selbstverständlich gibst Du Deine eigenen Ideen wieder.
    Daß es in der Gesellschaft Griechenlands keinen Platz für unverheiratete Wittwen gab ist z.B. eine erstaunlich gute Idee von Dir. Andere würden da nicht so einfach von selbst daufkommen.
    Und daß jemand der Vandivers Vorlesung gehört hat genau sagen kann, welche Erklärungen Vandivers Du nicht richtig verstanden hast und welche Du durcheinandergeworfen hast ist purer Zufall.


    Die Odyssee führt zu einer lebhaften Debatte, das ist schön. Nur könnte jemand diese geheimnisvolle Vandivers Vorlesung ein wenig dem außenstehenden Publikum erläutern ? Im Moment wirkt es auf mich wie ein Privatgespräch unter Eingeweihten.