Dezember 2007 - Chamisso: Peter Schlemihl

  • Hiermit eröffne ich also die Leserunde zur wundersamen Geschichte.


    Es frappiert mich, dass das Fehlen eines Schattens als dermassen auffallend geschildert wird! - Ich meine, wer achtet sich schon aktiv darauf?
    Aber andererseits kann man nicht wirklich Mitleid haben, da er ja beim Handelsabschluss eigentlich genau wusste, mit wem er es zu tun hatte, nur dass er verblendet wurde durch den Reiz des Goldes.


    Nur ist mir noch nicht ganz klar, als Metapher für was der Schatten verwendet wird oder ob er nicht als "reine" Metapher betrachtet werden darf, sondern als eine "wundersame" Mischung aus verschiedenem.


    Wie erklärt ihr euch, dass der graue Mann so unbemerkbar scheint, dass er nur Peter Schlemihl auffällt und nicht mal seinem Diener, als er nach ihm sucht und mit ihm spricht?

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen!


    Viel Spass bei der Leserunde! :winken:


    Habt Ihr noch Materialien zu diesem Text? Ich würde mich sehr darüber freuen! :smile:


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Hiermit eröffne ich also die Leserunde zur wundersamen Geschichte.


    Es frappiert mich, dass das Fehlen eines Schattens als dermassen auffallend geschildert wird! - Ich meine, wer achtet sich schon aktiv darauf?


    Stell dir mal vor, DU gehst mittags über einen Marktplatz ohne Schatten. :wink:
    Meinst du, das fällt niemand auf?
    Meinst du, du bist dadurch nicht gebrandmarkt?
    Oder mag ja sein, das fällt heutzutage niemand mehr auf. :wink:
    Im Jahre 1814 oder wann immer das genau spielt, würde es ein wenig anders gewesen sein.



    Zitat


    Aber andererseits kann man nicht wirklich Mitleid haben,


    Och, wir machen doch alle mal Fehler. :breitgrins:



    Zitat


    da er ja beim Handelsabschluss eigentlich genau wusste, mit wem er es zu tun hatte, nur dass er verblendet wurde durch den Reiz des Goldes.


    Mag sein, dass seine Motive etwas vielschichtiger sind.
    Schlemihl ist Außenseiter, so schon am Anfang gekennzeichnet durch sein beiseite gestellt werden im Garten des reichen Herrn John.
    Inwieweit das Thema das Juden (der Name hat jüdische Wurzeln) als Außenseiter eine Rolle spielt, weiß ich nicht.



    Zitat


    Nur ist mir noch nicht ganz klar, als Metapher für was der Schatten verwendet wird oder ob er nicht als "reine" Metapher betrachtet werden darf, sondern als eine "wundersame" Mischung aus verschiedenem.


    Es ist zwar keine reine Märchen-Novelle, aber Märchen-Motive werden schon verwendet.
    Das Thema des Paktes, mit wem auch immer – mag sein der Graue Mann ist der Teufel – das ist alt. Man verkauft etwas, das man unbedingt braucht, bspw. seine Seele – oder eben, unüberlegt, etwas scheinbar so Unwichtiges wie den Schatten – und bekommt etwas, das nichts nutzt, weil man mit dem Verkauf einen so wesentlichen Teil seines Lebens gegeben hat, dass dieses nicht mehr lebenswert ist.


    Zitat


    Wie erklärt ihr euch, dass der graue Mann so unbemerkbar scheint, dass er nur Peter Schlemihl auffällt und nicht mal seinem Diener, als er nach ihm sucht und mit ihm spricht


    ... und wie, dass er mal eben Fernrohre, Teppiche etcetera aus der Manteltasche zaubert ? :wink:


    Wir sollten den Hang zu Wahrscheinlichkeiten mal ein wenig beiseite lassen, und das "Wundersame" als das nehmen, was es ist.


    Es ist ein Werk der Romantik. :winken:


    Es ist zwar lokal festgelegt – Beginn ist in Hamburg – aber ein wesentliches Kennzeichen dieser Art Literatur ist allemal der Einbruch des Wunderbaren in die Normalität.
    Im Alltag tun sich Risse auf.


    Frohe Tage !
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Wir sollten den Hang zu Wahrscheinlichkeiten mal ein wenig beiseite lassen, und das "Wundersame" als das nehmen, was es ist.


    [...]aber ein wesentliches Kennzeichen dieser Art Literatur ist allemal der Einbruch des Wunderbaren in die Normalität.
    Im Alltag tun sich Risse auf.


    Ja, so... Meine naive Frage liest sich wohl noch naiver, als sie gemeint war: Ich wollte nicht nach einer "rationalen" Erklärung nachfragen, sondern vielmehr nach einer Bedeutung innerhalb der Geschichte; z.B. das Aussenseitermotiv. Kommt mir gerade in den Sinn: Dieser Einbruch in die Realität, z.b. in "La peau de chagrin" von Balzac.


    Mir scheint, die Geschichte scheint mir liebevoll erzählt, was mir sehr gut gefällt. Demnächst mehr.



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hier wäre also der Platz, wo wir Materialien zu posten hätten...
    Mal sehen, ob sich solche ansammeln werden. :zwinker:

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  • Ja, so... Meine naive Frage liest sich wohl noch naiver, als sie gemeint war: Ich wollte nicht nach einer "rationalen" Erklärung nachfragen, sondern vielmehr nach einer Bedeutung innerhalb der Geschichte; z.B. das Aussenseitermotiv. Kommt mir gerade in den Sinn: Dieser Einbruch in die Realität, z.b. in "La peau de chagrin" von Balzac.


    Gebongt, hatte ich missverstanden.


    Ja, nun:
    erstmal, er muss dem Grauen Mann ja irgendwas verkaufen.
    Weils zur Geschichte gehört :wink:


    Ich schreib ein wenig ab aus dem Kommentar meiner Ausgabe:
    Da wird aus einem Brief von Chamisso an seinen Bruder Hippolyte zitiert.
    „Schlemihl ... ist ein Hebräischer Name und bedeutet Gottlieb, Theophil oder aimé de Dieu.Dies ist in der gewöhnlichen Sprache der Juden die Benennung von ungeschickten oder unglücklichen Leuten, denen nichts in der Welt gelingt. Ein Schlemihl bricht sich den Finger in der Westentache ab, er fällt auf den Rücken und bricht das Nasenbein, er kommt immer zur Unzeit. Schlemihl, dessen Name sprichwörtlich geworden, ist eine Person, von der der talmud folgende Geschichte erzählt: Er hatte Umgang mit der Frau eines Rabbi, läßt sich dabei ertappen und wird getödtet. Die Erläuterung stellt das Unglück dieses Schlemihl ins Licht, der so theuer das, was jedem anderen hingeht, bezahlen muss ...“


    Schlemihl ist ohne seinen Schatten kein richtiger, vollwertiger Mensch mehr.
    Er ist außerhalb jeder Gesellschaft gestellt.
    Seine Liebe zerbricht.


    Mag sein, Chamisso thematisiert damit auch seine eigene Lage als Heimatloser, er war ja Angehöriger einer Emigrantenfamilie aus Frankreich. Und wohl nicht gerade bürgerlich etabliert.


    Ich weiß ja nicht, wie weit du schon gelesen hast.
    Auf die Gefahr hin, dir vorzugreifen:
    der Graue Mann kommt wieder. Und bietet Sch. den Rückkauf des Schattens an.
    Gegen seine Seele.
    Die Wiederherstellung der irdischen Reputation gegen das Seelenheil.
    Die Szene gefiel mir übrigens abgründig gut. :wink:


    An Balzacs „Chagrinleder“ hatte ich auch gedacht, und natürlich an das Faust-Motiv.
    Es gibt auch eine hübsche Novelle von Stevenson, „Der Flaschenteufel“.


    Es wäre interessant, sich über das Motiv „Schatten“ ein wenig näher zu informieren, die Ikonographie gewissermaßen, es gibt bspw. die Redewendung „über den eigenen Schatten springen“, oder „jemandes Schatten sein“.


    Ich konstruier mal:
    Abgesehen von dem finanziellen Vorteil; möchte Schlemihl durch den Verkauf des Schattens Altlasten abwerfen? Sich außerhalb bürgerlicher Normen stellen, denen er eh nicht entspricht?
    Weg mit dem Schatten, der wie Pech an ihm klebt?


    Soweit von mir für die Weihnachtstage
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Ja, die Szene ist wunderschön und scheint mir viel "natürlicher" als sein "besinnungsloser" Verkauf seines Schattens; nun ist ihm vollends bewusst, um was es sich handelt und dass er grundsätzlich kein Glück hat mit seinen Geschäften. Er verhandelt, er versagt sich sein scheinbares Glück zu Beginn usw.
    Ich bin weiterhin noch etwas iritiert, wie mühelos er seinen Schatten verkaufte zu Beginn. Ich meine: Natürlich habe ich mir auch noch nie Gedanken gemacht, wieviel mir mein Schatten wert wäre, aber wenn jemand mir diesen abkaufen möchte, so würde ich ihn doch in erster Linie mit Spott begegnen - und vielleicht aus Leichtsinn, d.h. im Scherz einwilligen - allerdings kann einem der Scherz auch wieder vergehen, wenn man einen grauen Mann vor sich hat, der Zelte und Pferde zur Tasche herauszieht...


    Stimmt, jemandem treu sein wie sein Schatten oder sowas gibt's doch auch?


    Aber im Prinzip weiss man nicht so recht, ob Schlemihl selbst seinen Schatten vermisst oder ob er ganz froh ist, ihn nicht mehr zu haben (die Theorie, dass er etwas abstreifen wollte bzw. sich herausstellen aus den Normen) oder ob es ihm schlicht gleichgültig ist, ober er etwas verkauft hat, was ihm nichts wert schien, solange er es besass und dessen Wert er erst entdeckte, als es ihm fehlte und er von aussen auf diesen Mangel hingewiesen wurde? - Ich neige zu dieser letzteren Meinung und diese Situation wiederum hätte etwas beispielhaftes und er wäre kein Einzelfall...



    Grüsse
    alpha, der seinen Schatten in Zukunft besser zu schätzen gelobt

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  • Ich bin weiterhin noch etwas iritiert, wie mühelos er seinen Schatten verkaufte zu Beginn.


    Ich denke mal, diese Mühelosigkeit, besser: Leichtfertigkeit ist beabsichtigt.


    Zitat


    Ich meine: Natürlich habe ich mir auch noch nie Gedanken gemacht, wieviel mir mein Schatten wert wäre,


    Dann musst du es ja auch Schlemihl abnehmen ... :wink:


    Zitat


    aber wenn jemand mir diesen abkaufen möchte, so würde ich ihn doch in erster Linie mit Spott begegnen - und vielleicht aus Leichtsinn, d.h. im Scherz einwilligen - allerdings kann einem der Scherz auch wieder vergehen, wenn man einen grauen Mann vor sich hat, der Zelte und Pferde zur Tasche herauszieht...


    Eben. Wer sowas gesehen hat, glaubt dann auch, dass es möglich ist, den eigenen Schatten zu verkaufen.


    Zitat


    Aber im Prinzip weiss man nicht so recht, ob Schlemihl selbst seinen Schatten vermisst oder ob er ganz froh ist, ihn nicht mehr zu haben (die Theorie, dass er etwas abstreifen wollte bzw. sich herausstellen aus den Normen) oder ob es ihm schlicht gleichgültig ist, ober er etwas verkauft hat, was ihm nichts wert schien, solange er es besass und dessen Wert er erst entdeckte, als es ihm fehlte und er von aussen auf diesen Mangel hingewiesen wurde? - Ich neige zu dieser letzteren Meinung und diese Situation wiederum hätte etwas beispielhaftes und er wäre kein Einzelfall...


    So seh ich das auch.


    Übrigens scheint mir ein wesentliches Motiv der Neid der Besitzlosen zu sein ...


    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Übrigens scheint mir ein wesentliches Motiv der Neid der Besitzlosen zu sein ...



    Du aber, mein Freund, willst du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld.


    Einerseits Neid, ja, aber war Schlemihl neidisch auf Herrn John und wollte deshalb den Beutel? - Eigentlich ja nicht, sonst hätte es eine Szene gegeben, in der Schlemihl protzig auftritt etc. - Aber Schlemihl selbst steht sowieso insgesamt wie ausserhalb der Gesellschaft und Geschichte. - Typisch auch, dass er als erstes die Pflanzen studiert und sich erst dann an die Fauna macht - das Studium der Menschen ist ihm wohl in seinem schattenlosen Zustand sowieso fast ganz verbaut.


    Zwei andere mir liebe Stellen:
    Merken Sie sichs, Schlemihl, was man Anfangs mit Gutem nicht will, das muss man am Ende doch gezwungen.


    Lieber Freund, wer leichtsinnig nur den Fuss aus der geraden Strasse setzt, der wird unversehens in andere Pfade abgeführt, die abwärts undimmer abwärtsihn ziehen; er sieht dann umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muss unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern.


    Und andererseits zeigt die Geschichte ja doch das Gegenteil davon, das finde ich faszinierend.


    Die wundersame Geschichte... - Würde heute jemand sowas schreiben, würde man wohl eher davon sprechen, er übertreibe ein wenig: Zuerst der Schatten-Beutel-Tausch, dann den Teufel zum Teufel gejagdt, Siebenmeilenstiefel, mit welchen aber doch nicht alles erreichbar ist (auch eine mir sehr wichtige Stelle!) und schlussendlich Schlemihls Gelehrsamkeit und der kleine Pudel. - Aber wie die Lage liegt, empfinde ich sie nicht nur als wundersam, sondern auch als wundervoll!



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann