Mai 2007 - Hölderlin: Hyperion

  • Hallo,



    Habe bisher ein Versfragment, das sich mit der Kindheit und Jugend beschäftigt und ein Fragment, in dem bereits Diotima, allerdings als "Melite" vorkommt, hinter mir. Hier merkt man doch, wie viel kompositorische und sprachliche Arbeit es brauchte, um den Hyperion zu schreiben.


    Letzteres Fragment befand sich in meiner Ausgabe auch und fand ich etwas verwirrend (aber das ist liegt wohl an der unvollständigen Natur von Fragmenten :zwinker:). Interessant ist allerdings, dass es bis auf die romantische Schwärmerei zu der Geliebten (die hier noch einen anderen Namen trägt) eigentlich keine direkte Handlungsparallele gibt.
    Das recht knappe Nachwort meiner Ausgabe geht leider nicht direkt auf den Hyperion ein, da mein Buch eine einbändige Werkausgabe ist und der Kommentator Hölderlins Werk auch nur recht allgemein bespricht. Schade.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Ich glaube, daß folgende Sätze das Prinzip allen Schreibens, Erzählens und Nachdenkens über sich selbst aussprechen:


    Warum erzähl ich dir und wiederhole mein Leiden und rege die ruhelose Jugend wieder auf in mir? Ists nicht genug, Einmal das Sterbliche durchwandert zu haben? [...] Darum, mein Bellarmin! weil jeder Atemzug des Lebens unserm Herzen wert bleibt.


    Wie schön... :herz:

  • Heute hab ich das Buch auch fertiggelesen. Am Ende nur noch sehr widerwillig, wegen des blühenden Schwulsts, der sich selbst himmelhoch redet. Trotzdem... im Kleinen und Feinen eine wunderbare Lektüre!


    Aber noch eine Unklarheit, die mich interessiert!
    Diotima schreibt(im Reclam S. 129) - "Dagegen denk ich um so lieber an die großen Geister der Vorwelt und wie sie geendet haben auf Erden, und die hohen spartanischen Frauen haben mein Herz gewonnen." Wen meint sie mit den "hohen spartanischen Frauen"?


    Danke, und
    lieben Gruß.

  • Aber noch eine Unklarheit, die mich interessiert!
    Diotima schreibt(im Reclam S. 129) - "Dagegen denk ich um so lieber an die großen Geister der Vorwelt und wie sie geendet haben auf Erden, und die hohen spartanischen Frauen haben mein Herz gewonnen." Wen meint sie mit den "hohen spartanischen Frauen"?


    Sparta hat ja fast ständig Krieg geführt. Es galt bei den Griechen als ehrlos, im kriegerischen Kampf den Schild zu verlierren bzw. wegzuwerfen. (Wegwerfen deshalb, weil man nur ohne Schild wirklich gut rennen [= aus dem Kampf fliehen] konnte!) Nun sollen die Spartanerinnen ihre Söhne in den Krieg geschickt haben mit dem Spruch: "Komm wieder heim mit dem Schild oder auf dem Schild!" (Letzeres war die Transportart für im Kampf ehrenvoll gefallene Krieger.)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Aha. Danke sehr! Nicht, daß ich dir nicht glaube, aber hast du auch eine Quelle? Auch das reizt mich, diese Sache einmal primärliterarisch zu lesen. Lieben Gruß.

  • Hi!


    Quelle? Nein, tut mir leid. So aus dem Ärmel geschüttelt nicht. Habe ich irgendwo unter "Allgemeinwissen" in meinen Hirn abgelegt.


    Der antike Dichter Archolochos rühmt sich in einem seiner Gedichte, er sei doch nicht blöd und das Leben sei ihm wichtiger gewesen als die Ehre - also habe er seinen Schild weggeworfen und sei um sein Leben gerannt. Aber mehr kann ich im Moment nicht aus meinen grauen Zellen herauskitzeln.


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Das Gedicht von Archilochos, das sandhofer angesprochen hat, kann man im Netz beispielsweise hier nachlesen (mit zwei deutschen Übersetzungen):
    http://www.vox-graeca-gottinge…xte/Archiloc/6dschild.htm


    Außerdem gibt es eine Stelle bei Horaz, wo er schildert, wie er nach der verlorenen Schlacht bei Philippi unrühmlich seinen Schild verloren hat (carm. 2, 7). Im Netz beispielsweise hier:
    http://www.gottwein.de/Lat/hor/horc207.php


    Dieses freimütige Bekenntnis ist deshalb bemerkenswert, weil Horaz ja an anderer Stelle (carm. 3, 2) die berühmten Worte <i>"Dulce et decorum est pro patria mori"</i> von sich gegeben hat. :breitgrins:


    Auf diese beiden Dinge spielt Wieland im Musarion an, wo er in einer Fußnote schreibt:


    "Horaz, der, ungeachtet seines 'Süß ist's und edel sterben fürs Vaterland' in einem andern Gesang offenherzig genug ist zu gestehen, daß er in der Schlacht bei Philippi sogar seinen kleinen runden Schild von sich geworfen habe, um dem schönen Tod fürs Vaterland desto hurtiger entlaufen zu können."


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo,


    habe nun alle Entwürfe und Bruchstücke zum Hyperion, die in meiner Ausgabe sind und auch von sandhofer unten in ihrer zeitlichen Reihenfolge dargestellt werden, gelesen:
    Was mir dabei auffiel:
    - Die männlichen Personen wechseln oft ihre Rollen, mal ist Adamas der jugendliche, nicht der väterliche Freund, dann ist Notaria der Vater von Diotima usw.
    - Ich bin ja nur ein Laie in solchen medizinischen Dingen und halte auch wenig von der psychoanalytischen Literatuanalyse, aber das Krankheitsbid des Manisch-Depressiven scheint doch bei Hyperion in allen Fassungen ein wenig hervorzuleuchten und hat vielleicht auch etwas mit Hölderlins Erkrankung zu tun. Oder hatte er mal wieder die Syphilis?


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • [...] und hat vielleicht auch etwas mit Hölderlins Erkrankung zu tun. Oder hatte er mal wieder die Syphilis?


    Gemäss Bertaux ja gar nichts. Aber diese These ist m.W. inzwischen auch schon wieder überholt. Es ist halt schon bei körperlichen Krankheiten sehr schwierig, die Beschreibungen und ärztlichen Diagnosen des 18./19. Jahrhunderts einer modernen Diagnose zuzuordnen, geschweige denn bei Geisteskrankheiten ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus