November 2006: Marco Polo


  • Wobei sein Standpunkt - im Positiven wie im Negativen - doch sehr merkantil ist. Ich habe immer das Gefühl, ein Handbuch für junge Handelsreisende zu lesen. Wohl auch dadurch bedingt ist er aber sehr offen; Religionen beschreibt er*), er kritisiert sie nicht und macht sie auch nicht herunter. Gewöhnungsbedürftig finde ich allerdings jedesmal den Begriff "Heiden" für die Buddhisten. :smile:


    In meiner Übersetzung heißen sie "Götzenanbeter". Es besteht der begründende Verdacht, dass viel Löbliches über das Christentum nachher von Editoren eingefügt worden ist, darunter auch die Legenden im 1. Buch, die laut meiner Ausgabe nicht in jeder Ausgabe abgedruckt sind (Über die heiligen drei Könige).



    Ideologisch müssen die Assassinen, auch wenn sie vorweigend in einem innermuslimischen Konflikt "eingesetzt" wurden, wohl einem letztlich ähnlich fatalen Fundamentalismus gehuldigt haben. Im übrigen meine ich mich zu erinnern, dass Gibbon (The History of the Decline and Fall of the Roman Empire) diese Geschichte auch erzählt, wohl in Anlehnung an Polo. Gibbon hat ihm offenbar geglaubt. Nun: Si non è vero, è ben trovato ...


    Glaube nicht, dass die Geschichte in dieser Form wahr ist.


    CK

  • Hallo zusammen!


    Nun habe ich China verlassen und kehre auf dem Seeweg über Java und Indien zurück.


    Im grossen und ganzen könnte man Polo wohl wirklich noch als Reiseführer durch diese Landstriche benützen. Nur drei oder vier Dinge sind mir aufgefallen, die einen tatsächlich am Wahrheitsgehalt des Berichts zweifeln lassen können:


    - Polo erzählt, er sei eine Zeitlang als Gouverneur für den Grosskhan tätig gewesen. In den Akten des betreffenden Landes wird aber kein Fremder erwähnt.
    - Polo, bzw. sein Vater und sein Onkel sollen eine Stadt "erobert" haben, indem sie die Truppen des Grosskhan den Bau und Einsatz von Katapulten lehrten. Die betreffende Schlacht hat aber stattgefunden, bevor die drei Polo in China waren, und als "Erfinder" der Katapulte werden in den dortigen Büchern Männer mit eindeutig muselmanischen Namen erwähnt.
    - Weder die chinesische Schrift noch die Chinesische Mauer werden erwähnt. Mag sein, er hat eine völlig andere Schrift als "normal" vorausgesetzt und die Mauer an einer Stelle getroffen, wo sie nicht soo eindrücklich wirkte ...


    Sind der Gouverneur und die Katapulte Einfügungen späterer Zeit oder hat Polo tatsächlich geflunkert?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich bin im zweiten Buch, Kapitel 7 und ich bin überrascht wie leicht er zu lesen ist. Es macht sehr viel Spaß seinen Schilderungen zu folgen und auch die ganzen Beschreibungen sind sehr ghut gelungen.


    Dass Kublai den Menschen das "Paradies" zeigt und ihnen sagt, dass sie das alles haben können, wenn sie ihm gehorchen finde ich doch etwas serh arg. Aber das war anscheinend die Taktik, die es ja heute noch gibt.


    Was mir als sehr unwahrscheinliche Zahl erscheint: Die vier Frauen des Herrschers, deren Söhne als Nachfolger gelten, sollen einen Hofstaat von jeweils 10.000 Leuten gehabt haben? Das wären alleine 40.000 Menschen nur für die vier anerkannten Frauen des Khan. Das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor. Was meint ihr zu dieser Zahl?


    Katrin

  • Hallo zusammen!


    Dass Kublai den Menschen das "Paradies" zeigt und ihnen sagt, dass sie das alles haben können, wenn sie ihm gehorchen finde ich doch etwas serh arg.


    Nicht Kublai. Marco Polo spricht hier von Hassan-i Sabbah, dem Oberhaupt der Sekte der Assassinen.


    Was mir als sehr unwahrscheinliche Zahl erscheint: Die vier Frauen des Herrschers, deren Söhne als Nachfolger gelten, sollen einen Hofstaat von jeweils 10.000 Leuten gehabt haben? Das wären alleine 40.000 Menschen nur für die vier anerkannten Frauen des Khan. Das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor. Was meint ihr zu dieser Zahl?


    Nun, Leute wird diese Gegend genug gehabt haben, dass diese Zahl tatsächlich hätte erreicht werden können. Aber zu jener Zeit wurde wohl noch oft und gerne nach dem archaischen Prinzip "eins, zwei, drei, viel" gezählt ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Nun, Leute wird diese Gegend genug gehabt haben, dass diese Zahl tatsächlich hätte erreicht werden können. Aber zu jener Zeit wurde wohl noch oft und gerne nach dem archaischen Prinzip "eins, zwei, drei, viel" gezählt ...


    Ja, das ist durchaus möglich. Denn wenn man die nächsten Kapitel liest, schreibt Polo immer von 10.000 Menschen, egal in welchem Zusammenhang. Wirklich ernst nehmen kann man die Zahlen dann anscheinend doch nicht.


    Katrin

  • Hallo,


    ich wollte mal nachfragen, wie weit ihr zur Zeit seid?


    Ich bin noch immer im zweiten Buch, Kapitel 26.
    Das Kapitel über das Geld habe ich sehr interessant gefunden. Aufschlussreich auch, dass das ein Beweis ist, dass Marco Polo wirklich in China war.


    Irgendwie komme ich zur Zeit nicht zum Lesen. Ich habe so viele andere Dinge zu tun, aber ich werde schauen, dass ich heute noch ein Stückchen weiter komme, denn ich finde das Buch sehr interessant.


    Katrin

  • Hallo zusammen!


    Ich bin fertig; zum Schluss ist das Buch nur so durchgeflutscht, und ehe ich es gewahr wurde, war's auch schon aus.


    Kennt jemand den sog. Alexanderroman? In meinem Nachwort wird immer wieder darauf Bezug genommen. Da ich die Schreibe des Milione doch als sehr statisch empfand und ständig an die alten griechischen Historiker erinnert wurde, vermute ich hier mal ein Bindeglied zwischen Antike und Polos Mittelalter.


    Ich werde sicher noch mitdiskutieren und auch noch ein paar abschliessende Zeilen verfassen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Du bist schon fertig? Ich komme irgendwie nicht zum Lesen, manchmal ist das Buch aber auch so lähmend, dass ich es einfach weglege.


    Ich muss mich jetzt aber mal aufregen.
    Marco Polo schreibt, dass in Tibet die Mädchen vor der Ehe viel "Erfahrung" sammeln mussten. Daher wurden die Frauen einfach den Männern gegeben, die vorbei kamen. :grmpf:
    Ich finde das ja echt unerhört und Polo hat auch einmal geschrieben, dass dies ein Missbrauch ist. Ich sehe das ähnlich. Was sind das denn bitte schön für Sitten und Gebräuche?


    Ich könnte mich stundenlang über so was aufregen.

  • Hallo!



    Kennt jemand den sog. Alexanderroman? In meinem Nachwort wird immer wieder darauf Bezug genommen.


    Habe einiges über ihn gelesen, aber ihn selbst noch nicht.


    Mal sehen, wie weit ich am Wochenende komme. Ich will auch noch "Viel Lärm um Nichts" noch mal lesen, da ich mir das in einer Woche im Burgtheater ansehen werde.


    Jaqui: Das Frauen oft schäbig behandelt wurden (und in machen Weltgegend noch werden) ist ja leider nicht wirklich neu ...


    CK


  • Jaqui: Das Frauen oft schäbig behandelt wurden (und in machen Weltgegend noch werden) ist ja leider nicht wirklich neu ...


    Das ist ja leider wirklich Realität. Trotzdem könnte ich mich stundenlang über so was einfach nur ärgern.


    Ich bin mittlerweile weiter gekommen und habe das 2. Buch beendet und bin im 3. Buch bei Kapitel 20 gelandet.


    Katrin


  • Ich bin nur mit dem zweiten Buch fertig. Drittes folgt eventuell erst nächstes Wochenende. Freitag ist hier in Wien ja erfreulicherweise Lesetag (Feiertag).


    Ja, solche Feiertage sind schon was schönes. Frei hätte ich auch, aber sicher keine Zeit zum Lesen, denn ich muss Geburtstag feiern gehen. :klatschen:


    Katrin

  • Hallo zusammen!


    Vor allem den Schluss fand ich etwas merkwürdig. Nicht, weil das Buch so abrupt abrach, sondern weil die Repetition von Schlachtenszenen mit z.T. sogar denselben Beschreibungen ("Es war ein schlechter Tag für beide Seiten...") auf mich den Eindruck eines Schreiben auf Vorrat machte. Hier schienen mir Lücken zu sein, die nicht (mehr?) geschlossen wurden.


    Habe einiges über ihn gelesen, aber ihn selbst noch nicht.


    Gut, dann sind wir in etwa gleich weit. Ich habe ihn bei der WBG nicht gefunden, ist dem so?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Der Schluss war insofern eigenartig, da das letzte Kapitel nicht dabei ist. Es steht nur: Das Schlusskapitel findet sich nur in der alten italienischen Crusca-Ausgabe.


    Das hätte ich aber auch gerne gelesen.


    Katrin

  • Hallo!


    Meine Ausgabe - nach den beiden ältesten überlieferten Handschriften - wird dahingehend kommentiert, dass kein wirklicher Schluss auf uns gekommen ist. Der ist nun also entweder schon sehr, sehr früh verloren gegangen oder er wurde nie verfasst. Vielleicht, weil Polo und sein Schreiber auseinandergerissen wurden in der Gefangenschaft oder gar freigelassen ...


    Auf mich machte der Schluss den Eindruck, dass der Schreiber - quasi auf Vorrat - noch ein paar Schlachten geschildert hat, um mit seiner Schreibtechnik zu glänzen. Diese Schlachten aber stehen m.M.n. nicht mehr in grossem Zusammenhang mit dem Rest.


    Spätere Handschriften weisen dann - parallel zum Prolog - einen Epilog auf. Doch auch im christlich gegen die Sarazenen und Heiden eifernden Sinn wurden Änderungen vorgenommen. :sauer:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus