November 2006: Marco Polo

  • Hallo!



    Da Marco Polo nur ein Buch geschrieben (bzw. diktiert) hat, beschränke ich mich im Titel mal auf den Namen des Autors. Die Leserunde startet offziell morgen; ich werde vielleicht noch heute abend ins Buch linsen.


    Das ist jetzt aber schon frech, dass du meine Leserunde eröffnest :smile:


    Ich habe heute langsam mit der Lektüre begonnen. Als Einstieg gleich mal ein Zitat aus der Britannica, dass die chaotische Quellenlage rund um Marco Polos Buch beleuchtet:


    Since all this happened long before the invention of printing, professional scribes or amateurs made dozens of copies of the book, as well as free translations and adaptions - ofting adding to or substracting from the text with little or no respect for authenticity. There were also many unfamilar names that rarely passed unharmed from one copy to another; as a result, modern commentators throw up their hands in despair when confronted with the task of reconstruction. In fact an authentic and original copy of "Il milione" does not exist; there are some 140 different manuscript versions of the text, in a dozen different languages and dialects - an immensely complex and controversial body of material representing one of the most obdurate philological problems inherited from the Middle Ages.


    Der Artikel enthält auch eine Karte mit der Reiseroute, die ich benutzen werde.


    Ansonsten sind die ersten Abschnitte sehr gut lesbar. In meiner Ausgabe werden geographische Namen etc. im Anschluss an die Abschnitte in kursiver Schrift erläutert, was sehr bequem ist. Habe allerdings auch einen Atlas aus dem Regal gezogen.


    CK

  • Das ist jetzt aber schon frech, dass du meine Leserunde eröffnest :smile:


    Entschuldige, das geschah gewohnheitsmässig, da es in andern Foren meist doch an mir als Administrator hängen geblieben ist. Hab's jetzt aber korrigiert. :zwinker:


    Damit aber nix verloren geht: Hier mein ursprüngliches Eröffnungsposting:


    Hallo zusammen!


    Da Marco Polo nur ein Buch geschrieben (bzw. diktiert) hat, beschränke ich mich im Titel mal auf den Namen des Autors. Die Leserunde startet offziell morgen; ich werde vielleicht noch heute abend ins Buch linsen.


    Grüsse


    Sandhofer


    :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich habe heute auch begonnen mein Buch zu lesen.


    Was mir am Anfang mal überhaupt nicht gefallen hat, ist, dass es im ersten Buch, Kapitel 1 so eine Art Zusammenfassung gibt. Da kam bei mir immer wieder die Frage hoch, warum soll ich noch das Buch lesen, wenn ich die Kurzfassung in den ersten 20 Seiten bekomme.


    Ich bin nun im ersten Buch bei Kapitel 7. Bisher ist es ganz nett zu lesen, auch wenn es mich noch nicht umhaut. Es sind eben Beschreibungen der Gegenden, in denen er gewesen ist. Und die sind noch nicht sehr berauschend. Was ich faszinierend fand, war die Bemerkung über die Arche Noah, die am Berg Ararat gelandet sein soll. Ich finde das lustig, dass Polo so ein Detail in seinem Buch erwähnt.


    Was ich sehr gut finde, ist, dass bei fast jedem Kapitel am Schluss eine Erklärung der Orte ist, wie sie heute heißen und so. Außerdem finde ich es angenehm, dass gleich erklärt wird, welche Orte Polo wirklich besucht haben kann und welche sich auf dieser Route eigentlich nicht ausgehen konnten.


    Ich bin schon gespannt wie es weiter geht beim Lesen.


    Katrin

  • Hallo zusammen!


    Was mir am Anfang mal überhaupt nicht gefallen hat, ist, dass es im ersten Buch, Kapitel 1 so eine Art Zusammenfassung gibt. Da kam bei mir immer wieder die Frage hoch, warum soll ich noch das Buch lesen, wenn ich die Kurzfassung in den ersten 20 Seiten bekomme.


    Vielleicht will Marco Polo von Anfang an klar stellen, worum es geht: Keine Fiktion, sondern ein Sachbuch. Keine Autobiografie sondern eigentlich ein Reiseführer für Kaufleute.


    Im übrigen bin ich in etwa gleich weit gekommen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Vielleicht will Marco Polo von Anfang an klar stellen, worum es geht: Keine Fiktion, sondern ein Sachbuch. Keine Autobiografie sondern eigentlich ein Reiseführer für Kaufleute.


    okay, verstehe ich. Aber muss er deswegen gleich eine Zusammenfassung seines Buches geben? Ich meine nicht.


    Katrin

  • Hallo!


    Warum nicht? Ich meine: Wir erfahren ja nichts wirklich Substantielles - ausser, dass Messer Polo wieder nach Hause gekommen ist. Was, da er das Buch ja später in der Gefangenschaft diktiert hat, anzunehmen war ...


    Ausserdem will ich bei einem Reiseführer ja wissen, ob nun Wien oder Berlin geschildert werden. War wohl auch so was wie ein Inhaltsverzeichnis.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • okay, verstehe ich. Aber muss er deswegen gleich eine Zusammenfassung seines Buches geben? Ich meine nicht.


    Ich denke, man muss das Buch im historischen Kontext bewerten. Sandhofer wies schon darauf hin, dass es damals keine Inhaltsverzeichnisse im modernen Sinn gab. Es gab auch keine Buchumschläge etc. im heutigen Sinn, so dass so eine Einleitung durchaus Sinn macht.
    Ich finde sie im Gegenteil sogar besonders interessant: Viele Bücher dieser Zeit sind vergleichsweise "chaotisch" organisiert, also aus moderner Sicht vergleichsweise schlecht struktuiert. Da ragt so ein einleitendes Kapitel eigentlich sogar positiv heraus und spricht für ein ungewöhnlich strukturierte Vorgehensweise Marco Polos.


    CK

  • Hallo!


    Bin habe inzwischen bis Kapitel 29 gelesen und heute parallel dazu die rororo monographie über Marco Polo von Otto Emersleben begonnen. Es handelt sich um einen kritischen Kommentar der Reisebeschreibung, die zumindest bis Seite 50 den Text erläuternd folgt. Durchaus brauchbar meiner Meinung nach und schön illustriert.


    Hier der Link:


    http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499504731/notizen-21


    CK

  • Hallo!


    Dann bist Du wohl ein bisschen weiter als ich. Ich habe gerade in Persien erfahren, dass sich die "Feueranbeter" (meint er die Parsen?) von den 3 Hl. Königen ableiten. Da ich dies in der Form noch nie gehört habe, frage ich mich schon, woher Polo seine Information gehabt haben will.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • sandhofer: Der Stein, den die Weisen wegwerfen dürfte dann wohl der "Stein der Weisen" sein. Ich habe diese Geschichte auch noch nie so gehört. Aber sie hört sich sehr faszinierend an.


    Ich bin gerade bei Kapitel 24 und ich habe einige interessante Dinge erfahren. Besonders interessant finde ich das Ende des Kapitels 18. Dort wird über die Trauer gesprochen und dann heißt es:

    Zitat

    auch gibt es Leute hier, die aus solchem Wehklagen ein Gewerbe machen und dafür bezhalt werden, wenn sie über den Leichnam von Verwandten und Bekannten schreien.


    Das hat mich an eine Geschichte erinnert, die ich mal gelesen habe. Ich glaube es war Brecht, aber ich weiß es nicht mehr genau. Die handelte von einem Mann, der immer auf Beerdigungen ging, obwohl er die Leute nicht gekannt hat.


    Bisher gefällt mir das Buch sehr, was mich ein bisschen stört sind die vielen Beschreibungen der Gegend und wo man genau ist. Sicher ist das interessant, aber ich würde lieber mehr über den Khan lesen und über den Palast.


    Katrin

  • Hallo!


    Das hat mich an eine Geschichte erinnert, die ich mal gelesen habe. Ich glaube es war Brecht, aber ich weiß es nicht mehr genau. Die handelte von einem Mann, der immer auf Beerdigungen ging, obwohl er die Leute nicht gekannt hat.


    Heinrich Böll: Es wird etwas geschehen ?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin wieder ein Stück weiter. Interessant finde ich, wie Polo seine Landschaft "zusammennäht". Distanzangaben von hier nach da, dann von da nach dort sind das eine; Hinweise darauf, dass man von hier nun Richtung Südost nach Indien käme, man jetzt aber Nordost gehe, ein anderes. Und so nebenbei der "Cliffhanger", dass Indien dann an seinem Platz schon noch folgen werde.


    Die Ehesitten fremder Völker scheinen auch von jeher interessant gewesen zu sein ... :zwinker:


    Orientiert sich Polo an Herodot? Gewisse Passagen erinneren mich an das, was Herodot über die Völker Nordafrikas in Ägypten erfahren haben will: eine krude Mischung aus offensichtlicher Fiktion und möglichen Fakten.


    Grüsse


    Sandhofer

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  • Hallo zusammen!


    Marco Polo hat wohl auch sehr viele Spätere bedient, bzw. diese sich bei ihm. Was würden Begriffe wie "Samarkand" oder "Xanadu" in uns auslösen, wenn sie nicht durch Polo an die spätere Romantik weitergereicht worden wären, und von dort an die heutige (Pseudo-[?*])Romantik, aka Phantasy.


    Grüsse


    Sandhofer


    * Ob tatsächlich "pseudo", wäre natürlich separat zu untersuchen bzw. diskutieren ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Ich bin inzwischen knapp bei der Hälfte angelangt (2. Buch, 18. Kapitel) und bin über den Abwechslungsreichtum des Buches erfreut. Mit dem Beginn des zweiten Buches geht eine Art Tempowechsel einher: Von der schnellen Abfolge der einzelnen Reisestationen zu einer "monographischen" Beschreibung des Reiches von Kublai Khan.


    Für ein Buch des Spätmittelalters geht Marco Polo dabei doch sehr systematisch vor. Er beschreibt Städte und Gebäude, Rituale und das Hofleben, sowie historische Ereignisse wie eine niedergeschlagene Rebellion. Letztere kommen bis jetzt wohl etwas zu kurz. Nach dem bisher Gelesenen überrascht es mich nicht mehr, dass diese Beschreibungen für die gebildeten Europäer des Spätmittelalters unglaubwürdig klangen.


    Besonders "hübsch" fand ich die Geschichte über die Assassinen (I, 23) mit dem vorgegaukelten islamischen Paradies. Das erinnert doch stark an die aktuelle Taktik der Rekrutierung von Selbstmordattentätern, auch wenn man das heute weniger durch Demonstration und mehr durch Demagogie durchführt :breitgrins:


    In diesen Themenkreis gehört auch des Khans Umgang mit den Sarazenen (II, 8). Er läßt unter anderem das Schächten verbieten. Angesichts des Bundesverfassungsgerichts-Urteils zum Thema von letzter Woche, ist das eine schöne Veranschaulichung wie hartnäckig sich Konflikte über religiöse Gebräuche halten.



    Was würden Begriffe wie "Samarkand" oder "Xanadu" in uns auslösen, wenn sie nicht durch Polo an die spätere Romantik weitergereicht worden wären, und von dort an die heutige (Pseudo-[?*])Romantik, aka Phantasy.


    Allerdings. Ich werde wohl in absehbarer Zeit mal eine Zentralasien-Reise unternehmen müssen, bei der Lektüre bekam ich große Lust dazu :smile:


    CK

  • Hallo zusammen!


    Ich bin inzwischen knapp bei der Hälfte angelangt (2. Buch, 18. Kapitel)


    Da bin ich auch ungefähr. Allerdings ist meine Ausgabe nicht in Bücher eingeteilt; ich bin somit bei Kapitel CXLVI ...


    Für ein Buch des Spätmittelalters geht Marco Polo dabei doch sehr systematisch vor.


    Wobei sein Standpunkt - im Positiven wie im Negativen - doch sehr merkantil ist. Ich habe immer das Gefühl, ein Handbuch für junge Handelsreisende zu lesen. Wohl auch dadurch bedingt ist er aber sehr offen; Religionen beschreibt er*), er kritisiert sie nicht und macht sie auch nicht herunter. Gewöhnungsbedürftig finde ich allerdings jedesmal den Begriff "Heiden" für die Buddhisten. :smile:


    Besonders "hübsch" fand ich die Geschichte über die Assassinen (I, 23) mit dem vorgegaukelten islamischen Paradies. Das erinnert doch stark an die aktuelle Taktik der Rekrutierung von Selbstmordattentätern, auch wenn man das heute weniger durch Demonstration und mehr durch Demagogie durchführt :breitgrins:


    Ideologisch müssen die Assassinen, auch wenn sie vorweigend in einem innermuslimischen Konflikt "eingesetzt" wurden, wohl einem letztlich ähnlich fatalen Fundamentalismus gehuldigt haben. Im übrigen meine ich mich zu erinnern, dass Gibbon (The History of the Decline and Fall of the Roman Empire) diese Geschichte auch erzählt, wohl in Anlehnung an Polo. Gibbon hat ihm offenbar geglaubt. Nun: Si non è vero, è ben trovato ...


    Grüsse


    Sandhofer


    *) Um genau zu sein: er schildert gewisse Phänomene; verstanden hat er wohl nichts ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus