Hallo zusammen,
und natürlich dürfen wir Marcel nicht alles glauben, was er schreibt.
so z.B.
Warum hatte sie mir nicht gesagt: Ich habe diese Neigung? Ich hätte nachgegeben, ich hätte ihr erlaubt, sie zu befriedigen, und würde sie noch in diesem Augenblick küssen
ja, sehr glaubwürdig! Aber es ist natürlich bequem für Marcel, sein besitzergreifendes Wesen nur auf Albertines Verschweigen ihres Doppellebens zurückzuführen. Hätte sie ihm tatsächlich offen über ihre Neigung berichtet, wäre er sicher genauso eifersüchtig, wenn nicht mehr. Aber so kann er die Verantwortung Albertine zuschieben.
Zu den Erinnerungen fand ich noch folgendes Zitat aufschlussreich:
ZitatWas wir empfinden, ist das einzige, was für uns existiert, wir aber projizieren es in die Vergangenheit, in die Zukunft, ohne uns durch die fiktiven Schranken des Todes aufhalten zu lassen.
Und tatsächlich lebt Marcel seit Albertines Flucht fast nur noch in seinen Empfindungen. Einflüsse von außen sind ganz geringfügig (Saint-Loups Besuch, Aimés Briefe) und nur insoweit interessant, als sie Marcels Gefühle beeinflussen. Er ist komplett in sich eingekapselt. Dass er seine Innenwelt als die tatsächliche und die "Außenwelt" als nicht real ansieht, zeigt sich darin, dass er den Tod als fiktiv bezeichnet.
Bei Aimés Mitteilungen habe ich mich wieder einmal gefragt, inwiefern wir eigentlich ein realistisches Bild von Albertine erhalten. Nicht nur, dass ich Aimé als nicht unbedingt vertrauenswürdig einstufe (schließlich sichert er sich mit interessanten Nachrichten sein "Urlaubsgeld"); zudem lässt uns ja (wie wir schon beim letzten Band festgestellt haben) Proust die Figur Albertine konsequent nur durch Marcels Augen sehen. Schon vor ihrem Tod hatte sie keine eigenständige Persönlichkeit.
Schön finde ich, dass Proust zwischen Marcels Um-sich-selbst-Kreisen immer wieder Humor durchblitzen lässt, z.B. als er von dem Mann erzählt, der zwar die Mondnächte im Wald längst vergessen hat, aber immer noch unter dem dadurch verursachten Rheuma leidet :zwinker:
Euch ein schönes Wochenende!
Manjula