Ich kann mit stolz sagen, dass nun meine erste, von mir in die Wege geleitete, Leserunde vonstatten gehen wird.
Ich denke es sei wahrscheinlich am Besten wenn wir pro Geschichte einen kleinen Zeitraum vorgeben würden, z.B. 4 Tage, und danach kann man dann sich vollkommen der nächsten widmen. Am Ende könnte man ja auch noch ein Resümee machen, in dem man die Einzelnen Geschichten miteinander vergleicht.
Ich lese, wie schon erwähnt, die kritische Ausgabe...
Aber nun: "Let the games begin!" :breitgrins:
Juli 2006 - Kafka: Ein Hungerkünstler
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Ich finde den Interpretationsansatz bei Wikipedia ganz gelungen, wir könnten das ja mal als Startpunkt nehmen:
ZitatDeutung des Titels
Wessen "Erstes Leid" wird hier geschildert? Der Künstler hat schon oft gelitten, wenn er das Trapez verlassen musste. Spürt er plötzlich selbst das Alter mit Schrecken und will deshalb ein 2. Trapez sozusagen als Gegenmittel? Oder ist es das erste Leid des Impresarios im Umgang mit dem Künstler, dem er sehr nahe steht, der aber mit zunehmendem Alter für ihn wertlos wird?
[Bearbeiten]Biografische Deutung
Die kurze Erzählung entstand im Frühjahr 1922 und erschien zunächst im Herbst 1922 in der Zeitschrift Genius. Kafka hat die Erzählung nicht hoch eingeschätzt und bezeichnete sie als "widerliche kleine Geschichte". Trotzdem integrierte er sie 1924 in seinen letzten Erzählband "Ein Hungerkünstler". Soweit man als Leser hier bewerten darf, muss man Kafka Recht geben. Die Geschichte hat nicht die Eindringlichkeit und Vielschichtigkeit der beiden anderen Künstlergeschichten des Bandes. Es fehlt ihr an Tiefe; so, als versuchte jemand anderes im Stil Kafkas zu schreiben und erreichte dies fast.
Die Geschichte ist auch eine Aussage über Kafkas Lebensrhythmus. Das Verweilen in der Trapezkuppel entspricht den Phasen des Schreibens, das zwangsläufige Heruntersteigen den Anforderungen, die der verhasste Alltag an ihn stellt. In dem überaus fürsorglichen Impresario soll der Freund Max Brod zu erkennen sein. Der Freund wird in der Erzählung als Geschäftsverbindung definiert. Er sieht die Zeichen des Verfalls (Kafkas Krankheit) und zweifelt am weiteren künstlerischen Schaffen.
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Entschuldigt, dass ich jetzt erst zu euch stoße :redface:, aber irgendwie sind die Ferien sehr hektisch :zwinker:
Meiner Meinung nach wird dem Trapezkünstler unbewusst klar, dass ihm der Kontakt zu anderen Menschen fehlt. Diesen fehlenden Kontakt versucht er nun mit weiterer Arbeit, die ihn aber niemals "ausfüllen" kann, zu kompensieren. Die Folge wird sein, dass der Trapezkünstler immer unglücklicher werden wird, dies könnte zu Unkonzentriertheit und schließlich zum tragischen Ende führen (eine Art Burn-out-Syndrom).
Den Interpretationsansatz über Kafkas Biographie finde ich auch sehr gut. Es sind für mich wirklich Parallelen zum Leben Kafkas und der Beziehung zu Max Brod zu erkennen.
mfg Robinson
P.S.: Das ist meine allererste Leserunde, ich muss also noch viel lernen.
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Meiner Meinung nach wird dem Trapezkünstler unbewusst klar, dass ihm der Kontakt zu anderen Menschen fehlt. Diesen fehlenden Kontakt versucht er nun mit weiterer Arbeit, die ihn aber niemals "ausfüllen" kann, zu kompensieren. Die Folge wird sein, dass der Trapezkünstler immer unglücklicher werden wird, dies könnte zu Unkonzentriertheit und schließlich zum tragischen Ende führen (eine Art Burn-out-Syndrom).Das ist sicherlich ein interressanter Ansatz, ich denke seine Arbeit erlebt der Trapezekünstler als Sucht. Er weiß, dass sie ihn in den Abgrund bzw. seiner völligen Isolation treibt, kann aber dennoch nich aufhören damit.
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Ja, stimmt. Er erlebt es als Sucht und wie bei jeder Sucht führt sie zu Isolation und letztendlich in den Abgrund.
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Da keiner mehr was zum Trapezkünstler sagt, mache ich einfach mal mit der nächsten Geschichte weiter:
Ich habe in den letzten Tagen mehrmals die Geschichte "Eine kleine Frau" gelesen, aber irgendwie verstehe ich rein gar nichts. Auch wikipedia (<-link) konnte mir nicht weiterhelfen.
Mir scheint es irgendwie als ob der Erzähler alles gesagte nur über längere Zeit immmer wieder geträumt hat und es sich für ihn nun als Realität darstellt. Was meint ihr zu der Geschichte?
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Hallo Robinson,
also, dass du sagst, dass dir die Geschichte wie eine Art Traum erscheint, kann ich gut nachvollziehen. Das wird oft über Kafkas Werk gesagt.
Gleich zu Anfang kommen zwei sehr kafkaeske Motvie vor. Zuerst wird die Kleidung der kleinen Frau beschrieben. (wie auch im Process,Schloß) Dies spiegelt ihren Charakter, vor allem aber ihre Abhängigkeit wider. Allerdings habe ich schon da wirkliche Probleme die Beschreibung der Kleider zu deuten. Ich denke sie soll hiermit als eine, trotz ihrer ärmlichen und einfachen Herkunft, freien, unabhängigen Frau dargestellt werden.
Das zweite, für Kafka typische, Motiv zu Anfang der Geschichte ist die Hand, welche beschrieben wird. Das Motiv kommt ähnlich, wenn ich mich nicht täusche, im Process vor. Hier muss ich leider passen, die Beschreibung der Hand weiß ich nicht zu deuten.
Ich muss sagen, ich bin auch kurz vor der Resignation gewesen beim Lesen. Die Geschichte ist sehr schwehr zu interpretieren. Am Ende bin ich auf zwei Interpretationsansätze gekommen.
Spontan fiel mir Kafkas Vater ein, der, wie die kleine Frau, so viel an Kafka auszusetzen hat.
Mein zweiter Ansatz wäre Faschismus, bzw. als biografische Deutung Antisemitismus. Wer sagt denn, dass der Erzähler wirklich die Ursache des Leidens ist? Es ist genauso möglich, dass der Erzähler der Sündenbock der Frau darstellt. Es ist immer leichter die Schuld bei Anderen zu suchen, jedoch traut sie es keinem Anderen an, sie will mit hinterlistigen Methoden die Öffentlichkeit auf ihre Seite bekommen, genau wie Faschisten.
Ich hoffe du bzw. ihr (ich hoffe, dass sich noch ein paar mehr Leute beteiligen) könnt mit meinen Ideen etwas anfangen und noch ein wenig ausbauen.
Gruß Jonas -
Kafkas Vater... Ja, vielleicht zum Teil zumindest, die Biographie kann ja überall, (zumindest hinein-)gelesen werden.
Ansonsten sind es ja relativ klassische Projektionen, Selbstschuldgefühle, welche Kafka keineswegs fremd waren. - Und eine Situation, die doch irgendwie vergleichbar ist mit jener im Prozess, nur dass die Sachlage hier wie "umgekehrt" ist: Der Prozess läuft nicht, aber es bestehen Schuldgefühle und ein Schuldbewusstsein und die Schuld wird ausführlich diskutiert...
p.S. Habe momentan nur den Beginn der Geschichte und den letzten Abschnitt gelesen, bin zu unruhig, die ganze Geschichte vollständig zu würdigen
Es grüsst
alpha -
Ich konnte mich nun heute endlich überwinden die Erzählung erneut zu lesen und zwar mit dem Gedanken an Kafkas Vater im Hinterkopf.
Das fand ich auch an manchen Stellen bestätigt, allerdings ist es mir fraglich, warum der Vater als Frau dargestellt sein sollte.
Vielleicht ist es ja wirklich so, dass Kafka alle seine Schuldgefühle in die Erzählung hineingeschrieben hat. Allerdings wurde er laut wikipedia von Mitschülern und Kollegen als guter Schüler bzw. juristisches Vorbild gesehen. Vielleicht ist Kafka selbst unbewusst die kleine Frau und er klagt sich selbst für die unbegründeten Schuldgefühle an. (das klingt jetzt alles sehr seltsam, aber so schwirrte mir das gerade durch den Kopf ) -
Zitat
Vielleicht ist Kafka selbst unbewusst die kleine Frau und er klagt sich selbst für die unbegründeten Schuldgefühle an.
Womit du zu einem ähnlichen Ansatz kommst, wie die von mir vorgeschlagenen Selbstschuldgefühle...Kafka hatte oft das Gefühl, weder der Arbeit noch dem Schriftstellertum vollständig gerecht zu werden und das obwohl er ein sehr geschätzter Mitarbeiter/Jurist war und dafür auch Lob erhielt. - Und sein literarisches Werk lässt sich ja auch durchaus sehen, auch wenn er immer und immerwieder Mängel darin sah, fast nie mit sich zufrieden war und die "Flickarbeit" nicht ausstehen konnte!
Grüsse
alpha -
Eben die von dir oben aufgeführten Dinge hab ich auch gelesen und bin so zu den Selbstschuldgefühlen gekommen. Das muss schlimm sein, wenn man mit seiner eigenen Arbeit als einziger nicht zufrieden ist.
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Schlimm? - Normal, sozusagen...
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Man muss aber auch einfach mal sagen können:"Fertig!" :smile:
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So, ich hab jetzt endlich mal den "Hungerkünstler" und "Josephine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse" gelesen.
zum Hungerkünstler kann ich nur soviel sagen: Er will die Beachtung und Bewunderung des Publikums, Hungern ist für ihn eine Kunstform, es beleidigt ihn, wenn sich Wachen wegdrehen um ihn essen zu lassen. Das Hungern wird ihm zur Sucht. Erst als er am Ende einsam und verlassen in seinem Käfig liegt ist er frei, denn nun kann er ungestört hungern. Kurz vor seinemTode teilt er dem Aufseher den Grund für das ewige hungern mit: er hat nie die richtige speise gefunden.
Josephine:
Ist scheinbar eine gute Sängerin, aber die Mäuse gestehen sich heimlich ein, das ihr Singen höchstens ein Pfeifen ist, das sowieso alle können. Trotzdem gehen sie zu den Versammlungen, da das scheinbar ihr Gemeinschaftsgefühl stärkt.
Am Ende verschwindet Josephine und es wird die Aussage gemacht, dass sie sehr schnell vergessen sein wird.Zur Deutung kann ich nicht viel sagen, also zitiere ich einfach mal wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/E…3%BCnstler#Eine_Deutung_4.Zitat1. Abschnitt
Diese relativ breit angelegte ausführliche Erzählung behandelt (ähnlich wie "Der Hungerkünstler") das Verhältnis einer Künstlerpersönlichkeit zu ihrem Publikum. Sie ist damit auch eine Reflexion Kafkas über sein eigenes Künstlertum. Obwohl man zunächst nicht glauben mag, dass Kafka sich selbst in der Person dieser skurrilen, unangenehmen Sängerin Josefine darstellt, sind doch deutliche Bezüge vorhanden. So z.B. Josefines Wunsch, von der sonstigen Arbeit freigestellt zu werden, um sich ganz der Kunst widmen zu können, auch ein großes Problem in Kafkas Leben.
Die Erzählung wird jedoch nicht aus der Sicht der Sängerin, sondern der des Mäusevolkes, also des Publikums, vorgetragen. Gegen das Volk mit seinem schweren Leben erscheint die Sängerin von realitätsferner Primadonnenmanier. So identifiziert sich der Leser mit der Sicht des Mäusevolkes auch in der Frage der Arbeitbefreiung.
2. Abschnitt
Andererseits hat Josephine eine sehr wichtige Funktion für das Mäusevolk. "Dieses (Josefines) Pfeifen.... kommt fast wie eine Botschaft des Volkes zu dem einzelnen "..fast wie die armselige Existenz unseres Volkes mitten im Tumult der feindlichen Welt. ".. als dürfte sich der Ruhelose einmal nach seiner Lust im großen warmen Bett des Volkes dehnen und strecken." Josefines Gesang vermittelt - unabhängig von ihrer eigenen Intention - ein starkes Gefühl von Schutz, Geborgenheit und Ruhe. Und das ist in diesem unruhig huschenden, von enormer Population vorangetriebenen, gefährdeten Mäusevolk ein großes Bedürfnis. Ein deutlicher Bezug ist hier zum jüdische Volk hergestellt.
Dem künstlerischen Schaffen wird hier eine große positive Wirkung zugeschrieben. Kafka dürfte aber wohl kaum die Wirkung seines eigenen Schaffens auf seine Leser so erwarten. Oder war das die Wirkung seines Schreibens auf ihn selbst?
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Leider kein Materialienthread erstellt? Leserunde eingeschlafen?