Mai 2006: Herodot - 9 Bücher der Geschichte

  • Hallo zusammen!


    Herodot wurde etwa 484 v.u.Z. in Halikarnassos (heute Bodrum) an der Westküste von Kleinasien geboren, gestorben um 420 v.u.Z. Er studierte auf mehreren großen Reisen die politische Geschichte, Geographie und Völkerkunde. (Quelle) Herodot gilt als der Vater der Geschichtsschreibung.


    Im folgenden einige Links: [list]Das schwarze Netz
    Nochmals die Quelle obigen Zitats
    Wikipedia ist unterdessen Standard - spare ich mir also
    Aber last but not least die Notizen von Dr. Christian Köllerer - aka xenophanes :zwinker: .[/list:u]Ergänzungen und Kommentare sind erwünscht!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo allerseits,


    hiermit sei die Leserunde eröffnet.
    Zur Textgrundlage und Übersetzung:
    Ich lese die vollständige Ausgabe in der Übersetzung von Heinrich Stein, bearbeitet und ergänzt von Wolfgang Stammler, Phaidon-Verlag Essen 1990.


    Parallel dazu habe ich begonnen:
    Albert Schlögl: Herodot (Rowohlt Bildbiographie).
    Am Anfang etwas verwirrend, aber ganz nett geschrieben.


    Außerdem habe ich mir eine Geschichte der Antike und zwei historische Bildatlanten hingelegt. Manchmal wird es vielleicht ganz hilfreich sein, zwischen Dichtung und Wahrheit (sofern wir sie überhaupt kennen) unterscheiden zu können.


    Ich wünsche uns viel Spaß.


    Glück auf (der langen Lesereise)!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo zusammen,


    ich lese die Tusculum-Ausgabe, leider mehrheitlich die rechte Seite der zweisprachigen Ausgabe und leider nur ausgeliehen :sauer: Im 2. Band hat es Anmerkungen, Namensverzeichnis, Zeittafel und Stammbäume. Ausserdem noch eine Übersicht "Plan und Aufbau des Werkes", was vielleicht noch hilfreich sein könnte, da Herodot viele Exkurse einschiebt.
    Ob die Lektüre wirklich so lang wird, bin ich nicht sicher, es liest sich erstaunlich flüssig!


    Das Proömium stellt schon klar, worum es hauptsächlich gehen wird: um Krieg. Kurz und bündig.


    In den ersten Abschnitten wurde mir klar, warum das Verb "rauben" schon früh im Anfängerwortschatz auftaucht :breitgrins:


    Guten Start wünscht
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Manchmal wird es vielleicht ganz hilfreich sein, zwischen Dichtung und Warheit (sofern wir sie überhaupt kennen) unterscheiden zu können.


    Genau das war meine erste Frage: Ist Herodot ein Geschichtsschreiber oder ein Geschichtenschreiber? Ich glaube, es war Cicero, der ihn den Vater der Geschichtsschreibung nannte. Soviel ich bisher gelesen habe, legt Herodot tatsächlich Wert auf eigene "Feldforschung" - jedenfalls im Rahmen des damals möglichen. Und er unterscheidet offenbar penibel zwischen "Hörensagen" und "Selbergesehen/gehört". Aber mythologische Genealogien waren offenbar in jener Zeit an der Tagesordnung und scheinen ihn nicht weiter zu stören.


    Grüsse


    Sandhofer
    der eine Ausgabe von 1898 liest ..

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    bin im Moment sehr im Berufsstress und werde nur am Wochenende ein wenig beginnen können, da ich auch dann einen Berg Arbeiten da liegen habe.


    Maja, scheint mir auch so, als läse sich Herodot recht flüssig, aber es liegen noch viele Seiten und Abenteuer vor uns ...


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    danke, sandhofer, für die links. Hier ein paar spezielle links zu (für mich )interessanten Aspekten:


    Zur Schreibweise und Geschichtsauffassung im Unterschied zu Thukydides:
    http://www.uni-essen.de/sesam/geschichte/griechen/weiss1.htm
    Zur Wichtigkeit der Mythologie in Herodots Historien:
    http://www.historicum.net/sehepunkte/2005/02/6301.html (ausführliche Rezension eines entsprechenden Sachbuchs)
    Zu Herodots geographischem und astronomischen Weltbild:
    http://www.sternwarte-reckling…e/astronomie/erdkugel.pdf



    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Ich bin bereits ein Stück vorwärts gekommen. Zwar anfangs etwas verwirrt durch die Namen von Personen und Landschaften, die ich ohne Karte nicht immer einordnen kann. Schliesslich habe ich mir allerdings gesagt, dass auch Herodot ohne Landkarten gearbeitet hat, ich mich also genau in der Situation des Autors und seiner zeitgenössischen Leser befinde :smile: .


    Interessant finde ich, dass Herodot nicht einfach Geschichte(n) erzählt, sondern mit seiner Geschichtsschreibung offenbar auch etwas beweisen will, nämlich dass die Gottheit den Übermütigen schlussendlich immer aufs menschliche Mass, das Leiden, zurückstutzt.


    Im Ganzen liest sich der Text äusserst süffig, finde ich. Was meint Ihr?


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Ich habe mir auch das von xenophones empfohlene Werk Reinhold Bichler / Robert Rollinger: Herodot (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) angeschafft; es liegt aber zugegebenermassen noch eingeschweisst bei mir herum.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Zuerst mal Danke für Eure Links, ich muss nur noch die Zeit finden, die Texte zu lesen. Auch bei Herodot scheint mir die Gefahr gross, sich wieder in Sekundärliteratur zu verlieren, und dagegen kämpfe ich nun wirklich an!


    Zitat von "Sandhofer"

    Zwar anfangs etwas verwirrt durch die Namen von Personen und Landschaften, die ich ohne Karte nicht immer einordnen kann.

    Kam mir ein wenig vor wie in der Bibel die ganzen Stammbäume!


    Ich glaube, er versteht sich schon mehr als Geschichtsschreiber. Zum Beispiel, dass die Frauenraube ohne Zeus und Verwandlungen stattfinden, und er sogar erwägt, die Frauen seien wohl nicht ganz unfreiwillig mitgegangen, zeigt doch eine gewisse Distanz zu den Mythen.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo!


    Zitat von "sandhofer"


    Genau das war meine erste Frage: Ist Herodot ein Geschichtsschreiber oder ein Geschichtenschreiber?


    Was mich bei Herodot am meisten fasziniert: Man kann bei ihm direkt den Übergang von mythologischen Erklärungsmustern zu rationalen beobachten. Das Buch ist deshalb ein Glücksfall der Geistesgeschichte, da man hier direkt diesen Paradigmenwechsel beobachten kann. Bei Thukydides ist er dann schon abgeschlossen.


    CK

  • Hallo zusammen,


    angefangen habe ich nun auch und bin aber nur bis I, 33 gedrungen.


    Dazu eine Frage betreffs der Ausgaben, damit wir uns zielgenau "unterhalten" können. Habt ihr auch die Einteilung nach den neun Musen und darin die kleinen durchnummerierten Absätze? So hat mein erstes Buch, Kleio, die Geschichtsmuse, 216 Abschnitte.


    Laut KLL erfolgte die Benennung nach den Musen nachträglich: Weiß jemand von euch, wann,wer und warum dieser darauf kam? Mit der Kleio kann ich ja schon etwas anfangen, und das erste Buch beginnt ja mit großem historischem Atem (@ Maja: Ich fühlte mich auch an das Alte Testament erinnert), aber ich bin schon gespannt, wie z.B. Terpsichore, die Muse der Chorlyrik und des Tanzes, sich im Buchinhalt wiederspiegelt.



    Herodot schreibt wirklich gut lesbar, aber ich neige doch dazu, die meisten Anmerkungen und Orte nachzuschlagen, so dass es ein wenig mühselig von dannen geht.


    Zitat von "Maja"


    Ich glaube, er versteht sich schon mehr als Geschichtsschreiber. Zum Beispiel, dass die Frauenraube ohne Zeus und Verwandlungen stattfinden, und er sogar erwägt, die Frauen seien wohl nicht ganz unfreiwillig mitgegangen, zeigt doch eine gewisse Distanz zu den Mythen.



    Zitat von "xenophanes"


    Man kann bei ihm direkt den Übergang von mythologischen Erklärungsmustern zu rationalen beobachten. Das Buch ist deshalb ein Glücksfall der Geistesgeschichte, da man hier direkt diesen Paradigmenwechsel beobachten kann.


    Das kann man wirklich gut sehen. In den von mir bisher gelesenen Stücken spielen zwar Orakel und Teile von Mythen eine große Rolle, aber nicht das Eingreifen der Götter selbst. So sieht es ein wenig aus, als wäre Herodot wie ein sehr früher Legendenforscher vorgegangen. Er sucht in den Sagen nach den menschlichen Hintergründen und wahrem historischen Geschehen.


    Interessant finde ich auch, dass Taktik und kluge politische List von ihm mit großem zustimmenden Behagen wiedergegeben werden. Wie Thrasybul mit Alyattes verfährt (I, 21-22) und Kroisos davon abgehalten wird, die Inseln anzugreifen (I, 27), das sind schon kleine Kabinettstückchen.


    Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    Die Benennung der Bücher nach den Musen fehlt bei mir, die Bücher sind mit griech. Buchstaben gekennzeichnet.

    Zitat von "finsbury"

    Interessant finde ich auch, dass Taktik und kluge politische List von ihm mit großem zustimmenden Behagen wiedergegeben werden. .... das sind schon kleine Kabinettstückchen.

    Witzig auch in I 60, wo er betont, dass die Athener sonst eigentlich schlau seien, aber dann doch auf die List von Peisistratos hereinfallen.

    Von I 59-60 werden quasi in einem "Exkurs im Exkurs" die Griechen vorgestellt. Nach welchen Gesichtspunkten wurden wohl die Episoden aus der Vorgeschichte ausgewählt? Alles solche, in denen ein Orakel eine Rolle spielt?
    Wenn ich richtig gelesen habe, haben wir Ende 62 nun 3 offene Orakel:
    aus 53: ein grosses Reich werde zerstört werden, wenn Kroisos gegen die Perser ins Feld ziehe
    aus 55 das mit den Maultieren, die Könige werden.
    aus 62 das mit den Thunfischen.
    In 66 dann ein falsch interpretiertes Orakel (zu Ende erzählt). So entstehen grosse Spannungsbögen, man fragt sich, ob und wann sich die anderen 3 Orakel auflösen werden.


    Zitat von "finsbury"

    Er sucht in den Sagen nach den menschlichen Hintergründen und wahrem historischen Geschehen.

    z.B. in I 65, wo er zwei Versionen berichtet, woher Lykurg die Gesetze nach Sparta gebracht haben soll.
    Übrigens sind Herodots Sagen auch eine Quelle für Thomas Manns Joseph-Romane. Schon im 3. Kapitel wird er namentlich erwähnt: Dem Herodot erklärten ägyptische Priester, die geschriebene Geschichte ihres Landes reiche 11340 Jahre vor seine Ära zurück,...
    aber so weit sind wir noch nicht.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Die Benennung der Bücher nach den Musen fehlt bei mir, die Bücher sind mit griech. Buchstaben gekennzeichnet.


    M.W. ist die Einteilung in Bücher und deren Benennung nach den Musen von späteren (griechischen) Herausgebern vorgenommen worden. Ich sehe auch nicht, dass der Name der Muse einen speziellen Zusammenhang mit dem Inhalt des jeweiligen Buches hätte. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass mehr nach der Papiermenge als nach inhaltlichen Gesichtspunkten abgetrennt wurde.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    anscheinend sind ein paar Statements dem Ausfall zum Opfer gefallen.


    Komme nur langsam voran, weil der Beruf mich auch am Wochenende in festen Fängen hält. Wenn ich dann endlich mal abends noch ein halbes Stündchen Zeit habe, bin ich ehrlich gesagt zu faul, mit Anmerkungen und historischem Weltatlas zu lesen. Dann muss es eben etwas weniger Anspruchsvolles sein.


    Dennoch: Es macht Spaß, Herodot zu lesen. Wie bei allen griechischen Klassikern, vielleicht mit Ausnahme von Hesiod, fällt mir diese erfrischende Modernität auf: Man kann sich dann kaum vorstellen, dass es später noch ein Mittelalter mit seiner eingeschränkten Weltsicht geben
    konnte. Die Götter kommen mir bei den Griechen oft nur wie eine Metapher vor: So richtig geglaubt haben wohl die wenigsten an ihre Existenz.
    Und Herodot hält sie sich ja ziemlich vom Leibe. Bis auf die Orakel spieln sie auch weiterhin keine Rolle.
    Bin jetzt bis I,91 gekommen und habe eine Verständnisfrage: In I, 68 wird Lichas von den Spartanern verstoßen, obwohl er Orestes' Grab gefunden hat. Dann sammelt er die Gebeine ein, bringt sie nach Sparta und schon ist alles wieder gut. Frage: Wieso wurde er erst verstoßen? War das ein Trick, um das Vertrauen des Schmieds zu gewinnen?


    In der Hoffnung um Aufklärung


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "sandhofer"

    Und manchmal habe ich den Eindruck, dass mehr nach der Papiermenge als nach inhaltlichen Gesichtspunkten abgetrennt wurde.


    Ist das nicht in der antiken Literatur überhaupt so: Ende Papyrusrolle = Ende Buch?


    Zitat von "finsbury"

    In I, 68 wird Lichas von den Spartanern verstoßen, ... Frage: Wieso wurde er erst verstoßen?


    Kann es mir mit Originaltext und Wörterbuch so erklären, dass sie ihm vorwerfen, er habe das nur erfunden.


    Ein Beispiel für Herodots quellenkritische Haltung scheint mir Ende 75 zu sein, wo er zur Geschichte der Flussumleitung kommentiert "Das glaube ich aber nicht; wie hätten sie sonst beim Rückmarsch über den Strom kommen können?"


    Zitat von "finsbury"

    Die Götter kommen mir bei den Griechen oft nur wie eine Metapher vor


    Aber bei Homer mischen sie doch noch tüchtig mit, im Gegensatz zu hier!?


    Bei 69 biegt die Geschichte nach dem griechischen Exkurs wieder in die Geschichte der Lyder ein, die wir 56 verlassen haben.


    Zwischendurch bin ich auch zu bequem, mitzuschreiben was jetzt wo und wer wer ist (dass die einen bei den andern dann jeweils anders heissen, macht die Sache auch nicht übersichtlicher!). Doch ich habe den Einduck, dass ich so nur drüberhinweglese und alles gleich wieder verwechsle und vergesse. Ich glaube, die ganze Sache mit den Exursen und Exkursen in Exkursen kann man nur geniessen, wenn man auch den Überblick behält.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Maja"

    Kann es mir mit Originaltext und Wörterbuch so erklären, dass sie ihm vorwerfen, er habe das nur erfunden.


    Danke, Maja, das klingt einsichtig. Da ist man eben doch im Vorteil, wenn man die Originalsprache versteht. Bei Altgriechisch muss ich nun wirklich aufstecken.

    Zitat von "Maja"


    Aber bei Homer mischen sie doch noch tüchtig mit, im Gegensatz zu hier!?


    Da hast du natürlich Recht, den habe ich übersehen, weil ich mich gerade mit den Dramatikern beschäftige. Bei Sophokles ist nicht mehr viel naiver Götterglaube zu entdecken.
    In der Ilias dagegen mischen die Götter derartig tüchtig mit, dass sie bei mir schon den metaphysischen Charakter verloren haben. Mit ihren Zankereien und Liebschaften sind sie nur allzu menschlich.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,
    lest Ihr noch? :winken:


    Ich habe mich durch die ersten Schlachten gekämpft und zuerst mal tüchtig Kyros und Kroisos und Lyder und Perser verwechselt. Sympathisch ist, dass Ende 76 die Schlacht in einem Satz erledigt wird:Die Schlacht war fürchterlich und auf beiden Seiten gab es grosse Verluste.
    Dann kommen einige Raffinessen mit verschiedenen Erzählsträngen, mit all den Intrigen und Verrätereien. Die gleiche Zeit wird zweimal erzählt, aus verschiedener Perspektive, während Kroisos' Boten noch die Zeichendeuter befragen, wird er selbst schon überfallen.
    Anfang 75 übrigens noch ein Hinweis darauf, dass Herodot sein Werk wohl geplant, und nicht einfach drauflosgeschrieben hat:Den Grund dafür werde ich in späteren Berichten nennen.


    Lesefreundliche Auffahrt wünscht
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    lest Ihr noch? :winken:


    Eigentlich schon. Ich habe jetzt gerade die Stelle hinter mir, wo Herodot, wohl aus Berichten der ägyptischen Priester, die afrikanische Küste schildert bzw. die daselbige Bevölkerung. Die Stelle also, mit der ich Herodot bisher immer in Gedanken verbunden habe. Ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass Herodot auch hier durchaus distanziert berichtet - es also ziemlich sicher ist, dass er selber diese Geschichten nicht geglaubt hat.


    Interessant auch die Phönizier. Obwohl die damals im Mittelmeerraum ziemlich wichtig gewesen sein müssen, spielen sie kaum eine Rolle in Herodots Berichten. Zufall, Absicht?


    Zitat von "Maja"

    Dann kommen einige Raffinessen mit verschiedenen Erzählsträngen,


    Ich habe in den letzten Monaten wieder einmal mit aller Deutlichkeit erfahren, dass diese Technik, die für mich immer äusserst "romantisch" war, offenbar eine lange Tradition hat. Gerade (ich sage mal: ) aufklärerische Autoren (Herodot, Burton, Montaigne) scheinen dazu zu neigen.


    Zitat von "Maja"

    Anfang 75 übrigens noch ein Hinweis darauf, dass Herodot sein Werk wohl geplant, und nicht einfach drauflosgeschrieben hat:Den Grund dafür werde ich in späteren Berichten nennen.


    Er hat sich aber m.W. nicht immer daran gehalten. Ein Zeichen, dass er nicht wirklich "fertig" wurde oder ein Zeichen, dass er eben doch nur ungefähr vorausdachte?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    tja, lesen wir noch?
    Klar! Aber ich dachte mir ja bereits am Anfang, dass das wohl ein längeres Unternehmen wird.


    Die anekdotische Schreibweise und der "Anspruch", ein historisch-geografisches Werk zu schreiben, verhindern den großen Spannungsbogen, der einen in der - auch klassischen -Belletristik vorantreibt.
    Bei mir ist zusätzlich noch die Großkampfzeit im Job, der mir für konzentriertes Lesen wenig Zeit lässt.
    Aber das alles soll uns nicht verdrießen, mir jedenfalls gefällt Herodots Schreibweise wirklich!
    Die Geschichte von Astyages und Kyros ist sehr interessant, ein Beispiel einerseits für diese typischen Orakeltragödien der Griechen und andererseits für die Rachekreisläufe der frühen und auch heute noch vieler orientalischer und Mittelmeerkulturen. HArpagos hintergeht Astyages, wird dafür grausam von demselben bestraft und rächt sich weiderum an ihm, indem er Kyros zur Macht verhilft. Herodot stellt schon dabei heraus, dass durch diese private Rachegeschichte ein ganzes Volk, die Meder, versklavt wurde. Ein sehr moderner oder aufklärerischer (gute Bezeichnung für Herodot, sandhofer!) Kommentar!
    Nun bin ich gerade bei den Sitten der Perser und ihrer Götterwelt.
    Einen interessanten Aspekt bei der Interpretion der Herodotischen Weltsicht habe ich in der Romo- Biografie von Albert Schlögl gefunden.
    Herodot ist Karer (Urbevölkerung des südwestlichen Anatoliens) mit dorischem Einschlag und empfindet die in Kleinasein benachbarten Ionier aufgrund von Konflikten bie der griechischen Kolonisation Kleinasiens als Feinde. Deshalb neigt er wohl dazu, karisch und dorischstämmige historische Persönlichkeiten zu überhöhen (z.B. Artemisia) und ionische etwas abzuwerten. Bis auf Athen, das auch ursprünglich wohl ionisch ist, von dem Herodot aber behauptet, das wolle es verleugnen.
    Nun, der Lauf der Lektüre wird zeigen, ob das stimmt.
    Bei der Besiedelungsgeschichte des Peloponnes werden die dorischen Spartaner jedenfalls schon recht positiv geschildert (56 ff).


    Ich wünsche euch ein schönes langes Lesewochenende, muss selber leider arbeiten :sauer:
    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    bin jetzt mit dem ersten Buch (Kleio) fertig.


    Bei der Schilderung Babylons (I, 181/82) hat mir gefallen, wie sich langsam die Lektüre der alten Literaurdenkmäler vernetzt. Die Turmhöhe, die Herodot angesichts des babylonischen Tempels schildert, erinnert schon sehr an den Turmbau von Babylon aus der Bibel. Die Frau, die im obersten Tempel allein schlafen muss, damit der Gott sie besuchen kann, findet sich meiner Erinnerung nach auch im Gilgamesch-Epos.


    Weiterhin angetan bin ich von der "aufklärerischen" Denkweise Herodots:


    So preist er die Sitte der Babylonier, die jungen Frauen auf einem gemeinsamen Markt zu verheiraten (195), wobei die schönen für einen hohen Preis zu kaufen sind, bei den hässlichen aber von dem Preisgeld der schönen etwas dazugegeben wird, so dass sie ebenfalls eine gute Chance auf Versorgung haben. Das klingt zwar etwas merkwürdig, war aber zu damaligen Zeiten vielleicht wirklich eine Möglichkeit, alle jungen Frauen zu versorgen. Wie die dann allerdings von ihren Ehemännern behandelt wurden, darüber wissen wir (Gott sei Dank?!) nichts.


    Ähnliches Mitleid mit den Unansehnlichen zeigt Herodot bei der Beschreibung der Sitte der gleichen Babylonier, dass jede Frau sich einmal in ihrem Leben anlässlich irgendwelcher religiösen Riten einem Fremden "hingeben" muss (I,199).


    Nun gehts also im zweiten Buch nach Ägypten: Bin schon gespannt, habe aber bis zum nächsten Wochenende weiterhin wenig Zeit für die aufwändige Herodot-Lektüre.
    Wie weit seid ihr?


    Schönes Pfingswochenende


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    So preist er die Sitte der Babylonier, die jungen Frauen auf einem gemeinsamen Markt zu verheiraten (195), [...]


    Ähnliches Mitleid mit den Unansehnlichen zeigt Herodot bei der Beschreibung der Sitte der gleichen Babylonier, dass jede Frau sich einmal in ihrem Leben anlässlich irgendwelcher religiösen Riten einem Fremden "hingeben" muss (I,199).


    Es ist ja interessant, wie offenbar schon zu Herodots Zeiten die Maxime gegolten haben muss Sex sells.


    Neben körperlichen Deformationen sind es jedenfalls immer wieder die Sexualpraktiken und -riten, die Herodot bei fremden Völkern und Zeiten schildert. :smile:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus