Mai 2006: Herodot - 9 Bücher der Geschichte

  • Hallo Maja und alle,


    ja, du hast Recht, man sollte Herodot zügiger lesen, dann sind die Zusammenhänge klarer! Aber es fällt mir manches Mal schwer, weil ich immer nachvollziehen will, wovon er geografisch gerade redet. Ich bin im Moment im vierten Buch, bei den Skythen, und habe einige Zeit gebraucht, mich durch die geografischen Angaben zu arbeiten. Eigentlich ein sehr interessantes Gebiet, die nördliche Schwarzmeerküste - heutige Ukraine - mit ihren ganzen Flüssen, Halbinseln und Binnenmeeren und Seen ... .
    Zu Herodots Technik des Gliederns kann ich auch nur bemerken, dass er das sehr strukturiert macht, wie du auch durch die Abschlusssätze zeigst. Im IV,30 bemerkt er sogar selbst, dass er jetzt abschweife, wobei er das auch als Absicht seines Werkes angibt.


    In den letzten Wochen habe ich mit Herodot pausiert, weil ich mich mit Alexander von Humboldt beschäftigt habe: Daraus haben sich für mich viele Bezüge begeben: Beide werden als Väter der Geografie bezeichnet und haben diese Wissenschaft um neue Herangehensweisen bereichert: die möglichst unvoreingenommene Untersuchung und der universale Anspruch ihres Forschens: Beide wollten möglichst viele Aspekte der von ihnen untersuchten Länder behandeln.
    Auch sind beide ihrer Zeit weit voraus in ihren jeweiligen humanistischen Ansprüchen (natürlich jeweils vor dem Hintergrund ihrer Zeit).


    Zuletzt habe ich bei Herodot die Gewohnheiten der Skythen mit ihren besiegten Feinden (IV, 62-66)nachgelesen. Da dreht sich einem ja wirklich der Magen um! Inwieweit das allerdings auf der Wahrheit beruhte, mag dahin gestellt bleiben.


    Zitat von "Maja"

    Die späteren Abschnitte, die in der Renaissance eingeteilt und nummeriert wurden, zerstückeln den Text viel stärker.


    Falls das die Gliederung ist, nach der ich auch die Textstellen angebe, finde ich das nicht: Mir ist sie eine gute Orientierungshilfe. Woher hast du übrigens die Informationen zur Überlieferungsgeschichte?


    Bis denn
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen, hallo finsbury,

    Zitat von "finsbury"

    Falls das die Gliederung ist, nach der ich auch die Textstellen angebe, finde ich das nicht: Mir ist sie eine gute Orientierungshilfe. Woher hast du übrigens die Informationen zur Überlieferungsgeschichte?


    Ja, eine Orientierungshilfe, v.a. auch zum Austausch, sind die Abschnitte. Doch am Anfang habe ich mich dazu verleiten lassen, zu jedem Abschnittlein etwas zu notieren, was dem Lesefluss nicht sehr förderlich war.
    Die Infos zur Überlieferung habe ich aus:
    Torry J. Luce: Die Griechischen Historiker (Artemis und Winkler 1998)
    Ein flüssig zu lesendes Buch, in dessen 2. Hälfte dann noch Thukydides vorgestellt wird. Über weite Strecken erzählt er einfach Herodot nach.
    Informativer finde ich: James Romm: Herodotus, bin allerdings erst auf Seite 20. Er spricht sich z.B. dafür aus, das Werk nicht zu stark auf seinen "Wahrheitsgehalt" hin zu befragen. Die Trennung zwischen Fiction und Non-Fiction existierte damals noch nicht, und das Werk gehört zu beidem.


    Herzliche Grüsse und schönes (Lese-) Wochenende,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Ich glaube, es ist schon wichtig, Herodot nicht zu schnell und nicht zu langsam zu lesen :zwinker:. Die später hinzugefügte Gliederung habe ich persönlich weder als hilfreich noch als störend empfunden - meistens habe ich sie ignoriert :breitgrins:.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!



    Ich glaube, es ist schon wichtig, Herodot nicht zu schnell und nicht zu langsam zu lesen :zwinker:. Die später hinzugefügte Gliederung habe ich persönlich weder als hilfreich noch als störend empfunden - meistens habe ich sie ignoriert :breitgrins:.


    Und ich glaube schließlich, es ist wichtig, Herodot öfters zu lesen :zwinker:



    CK

  • Hallo zusammen,


    und dranbleiben sollte man!
    Heute habe ich zwar nur sechs Seiten geschafft, aber es fällt leichter, sich wieder einzufinden, wenn keine lange Pause dazwischen ist. Herodot rekurriert sehr häufig auf schon eingeführtes mythologisches oder historisches Personal und nach längerer Pause suche ich mir einen Wolf, bis ich wieder heraushabe, welcher Vaterbruder oder Königsenkel usw. nochmal gemeint war.
    Beim derzeitigen Abschnitt, Dareios' Eroberungszug an der Nordwestküste des Schwarzen Meeres, fällt mir wieder auf, wie ungeheuer wichtig für die Alten die Flüsse waren: nicht nur als Schifffahrtswege, Trinkwasser - und Nahrungsmittelversorger, sondern auch als Orientierungshilfe in den steppenartigen Gebieten des Mittel- und Schwarzmeerraumes. Kein Wunder, dass sie in der Mythologie göttlichen Charakter hatten!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    nur ganz kurz: Bin immer noch im vierten Buch bei den Skythen.


    Dabei fällt mir auf, dass dieses Volk die gleiche Taktik gegen Dareios verwendet wie die Russen gegen Napoleon: Immer weiterer Rückzug in ihre "unendlichen Weiten" unter Hinterlassung verwüsteter Felder. Außerdem haben die Schlingel noch einen weiteren guten Trick drauf: Sie locken die Perser in die Länder ihrer Nachbarn, die sich nicht mit ihnen gegen Dareios verbünden wollten. Den Guerilla-Krieg haben sie darüberhinaus auch erfunden oder zumindest weiter gepflegt: Aus dem Hinterhalt überfallen sie immer wieder die erschöpften Truppen der Perser. Ein echter Zermürbungskrieg!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,
    Ich hüpfe mit Dareios durch Raum und Zeit, nebst Exkursen gibt es auch immer wieder Rückblenden, mal ist Dareios König und dann wieder nicht mehr - als ob die Zuhörer/Leser absichtlich verwirrt werden sollten.
    Ein Motto für das ganze Werk scheint mir die Äusserung des sterbenden Kambyses in III 65,3:Es liegt eben nicht in der Macht des Menschen, eine Schicksalsfügung abzuwenden."
    Obwohl ich mittlerweile begriffen habe, dass man bei Herodot nicht nach dem Wahrheitsgehalt fragen soll, fand ich die Geschichte von den Löwen, die nur einmal im Leben ein Junges haben sollen, too much. Wie sollte es da überhaupt noch Löwen geben und woher???
    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo,


    mal wieder ein Lebenszeichen in der Herodot-Runde: Bin im 5. Buch, 52. Abschnitt:
    Langsam entwickelt sich der hellenisch- persische Konflikt hin zu den Kriegen. Interessant, wie Herodot hier im antiken Sinne weltpolitische Auswirkungen an Besitz- und Machtinteressen egomaner Kleinmachthaber knüpft. Weil Dareios Histiaios und Aristagoras nicht in ihren Interessen entgegenkommt, versuchen diese, die Interessen anderer, z.B. der Vertriebenen von Naxos, dann die Inselbevölkerung selbst, schließlich die Spartaner für ihre Interessen einzuspannen: kleinliche Intrigen mit letztlich ungeheuren Auswirkungen!


    In der Monografie von Albert Schlögl zu Herodot wurde mir übrigens bestätigt, dass Herodot schon sehr weit weg war von dem überkommenen Götterglauben: Er versucht meist, zu den theologischen alternativ auch logische Erklärungen für Erscheinungen und Ereignisse zu finden, z.B. für die Entstehung der Peneios-Schlucht (VII, 129). In den vierziger Jahren des 5. Jahrhunderts, als Herodot im Perikleischen Athen weilte, hatte er wohl auch Kontakt zu dem Philosophen Protagoras, der sich von dem überkommenen Götterglauben lossagte. So weit geht Herodot wohl nicht, aber eine gewisse distanzierte Betrachtungsweise kommt in seinem Werk meiner Ansicht nach häufig zum Ausdruck.


    @ Maja, liest du noch?


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    In den vierziger Jahren des 5. Jahrhunderts, als Herodot im Perikleischen Athen weilte, hatte er wohl auch Kontakt zu dem Philosophen Protagoras, der sich von dem überkommenen Götterglauben lossagte. So weit geht Herodot wohl nicht, aber eine gewisse distanzierte Betrachtungsweise kommt in seinem Werk meiner Ansicht nach häufig zum Ausdruck.


    Er hat auf mich schon einen äusserst distanzierten Eindruck gemacht. All die Göttergeschichten zwar referiert, aber doch recht kommentarlos stehen lassen. Vielleicht mit Ausnahme all der Genealogien. Auf der andern Seite aber - mangels anderer Zeitrechnung - wohl auch oft nur ein Hilfsmittel, um ungefähre Zeiträume angeben zu können.


    Also doch eher Unglauben gezeigt, wenn auch nicht ostentativ?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Also soweit ich mich erinnere, kommt es doch relativ oft vor, dass er entweder explizit sagt, er habe etwas von irgendjemand gehört, oder sich sogar immer wieder einmal vom Berichteten distanziert.


    Genau diesen Zitier-Trick meinte ich. :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Wieso denn "Trick"?


    Er wird die Verantwortung für den Inhalt los. Bei einem so heiklen Thema wie dem Glauben keine schlechte Idee. Dennoch hat er referiert, was wahrscheinlich noch ein guter Teil seines Publikums glaubte. Auch keine schlechte Idee.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    Er wird die Verantwortung für den Inhalt los. Bei einem so heiklen Thema wie dem Glauben keine schlechte Idee. Dennoch hat er referiert, was wahrscheinlich noch ein guter Teil seines Publikums glaubte. Auch keine schlechte Idee.


    Grüsse


    Sandhofer


    Genau. So macht man es, um sich unauffällig aus überkommenen Werte- und Weltanschauungssystemen zu verabschieden. Herodot wäre sicherlich auch ein guter Diplomat gewesen. :breitgrins:


    HG
    finsbury

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  • Hallo!



    Er wird die Verantwortung für den Inhalt los. Bei einem so heiklen Thema wie dem Glauben keine schlechte Idee. Dennoch hat er referiert, was wahrscheinlich noch ein guter Teil seines Publikums glaubte. Auch keine schlechte Idee.


    Nachdem sich nun überraschend 10 Menschen für einen Altgriechisch-Kurs hier angemeldet haben, werde ich meinem Ziel, Herodot und Co. irgendwann im Original lesen zu können, wieder einen kleinen Schritt näher kommen :smile:


    CK

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "finsbury"

    @ Maja, liest du noch?

    Ja, wenn ich nicht gerade überarbeitet oder im Urlaub bin. Habe die Skythen fertig, aber weiss nicht viel zu schreiben dazu, sorry.

    Zitat von "xenophanes"

    Nachdem sich nun überraschend 10 Menschen für einen Altgriechisch-Kurs hier angemeldet haben,...


    Wo? Ich bin auch seit einiger Zeit dran, diese Bildungslücke zu stopfen!
    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    und wieder ein Stückchen weiter ist die Schnecke gekrochen ... . Bin nun in VI, 37 und rücke dem eigentlichen Thema des Werks, den Perserkriegen, immer näher. Der ionische Aufstand ist nun fast niedergeschlagen und im nächsten Buch geht's dann wohl los mit dem ersten Feldzug des Dareios gegen die Perser. Das 5. und 6. Buch finde ich besonders anstrengend zu lesen, weil viele kleine Tyrrannen und Städte immer wieder wichtige Rollen spielen und ich deshalb ständig vor- und zurückschlagen muss. Das nervt, deshalb lese ich noch zögerlicher und vergesse daher noch mehr Namen, weshalb ich dann ... :grmpf:.
    Währenddessen habe ich wieder interessante Sachen aus meiner begleitenden Lektüre in Schlögls Herodot -Monografie gefunden. Die Abweichungen und später nachgeholten Ergänzungen resulutieren nicht nur aus der mündlichen Entstehung und möglichen Konglomeration kleinerer Vorträge, sondern vor allem aus dem Problem, das bereits Geschriebenes kaum zu korrigieren war. Die Papyrrusrollen, die Herodot wahrscheinlich beschriftete, waren einzeln ca. drei Meter lang und erst bei Beginn einer neuen Rolle konnte er Vergessenes nachholen oder Falsches korrigieren. Radiergummi und TippEx gab's nicht und auch nicht Einzelseiten wie bei uns, die man austauschen konnte :zwinker:.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    mal wieder etwas zur sporadischen Leserunde mit mir selbst :zwinker:!


    Habe nun das sechste Buch durch und bin bass erstaunt, dass Herodot nach dieser laaangen Vorgeschichte zu den Perserkriegen die Schlacht bei Marathon dann in nur zwei Abschnitten abhandelt. Ich hatte gedacht, dass beide Perserkriege der Schwerpunkt seines Buches seien, aber anscheinend ist es der Xerxes-Feldzug, auf dem sein Hauptaugenmerk liegt.


    Die Lektüre des schmalen Rowohlt-Bändchens habe ich nun immerhin abgeschlossen und mich darüber amüsiert, dass sich wohl einige Generationen von Historikern darüber die "Köppe eingehauen" haben, ob nun Herodot ein seriöser Vater der Geschichte war oder doch eher der Ahnvater des Lügenbarons.
    Mir kommt es ein bisschen lächerlich vor, wenn man ein zweieinhalbtausend Jahre altes Werk an unseren modernen Maßstäben misst.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Habe nun das sechste Buch durch und bin bass erstaunt, dass Herodot nach dieser laaangen Vorgeschichte zu den Perserkriegen die Schlacht bei Marathon dann in nur zwei Abschnitten abhandelt.


    Mir vermittelte es den Eindruck, dass Herodot - im Gegensatz zu Thukydides, dem General - an Militärischem weniger interessiert ist als an (sagen wir:) Kulturhistorischem.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus