Februar 2006: Thomas Mann - Der Zauberberg

  • Hallo zusammen,


    so, das war ein schönes Lesewochenende :smile: Joachim ist mittlerweile zurückgekehrt und wieder entschwunden und bald wird Clawdia wieder auftauchen. Wo seid Ihr zwischenzeitlich?


    Gut gefallen hat mir der "Traum" von Hans während des Schneesturms; hat mich erinnert an "Die Zeitmaschine" mit den Eloi und den Morlocks.


    Die Sterbeszene fand ich sehr anrührend. Allerdings ist alle Rührung zunichte, wenn Frau Stöhr mit ihrer "Erotika" ankommt :breitgrins:


    Germa: Ja, dieser Besuch ähnelt dem von Hans aufs Haar. Hier hat sich auch sehr schön gezeigt, wie weit Hans sich von Denen da unten entfernt hat: er merkt ja nicht einmal, wie seltsam sein Verhalten auf James wirkt. Was mir zu dieser Szene aufgefallen ist: Wieviele Bewohner des Berghofs sind wohl wirklich krank und wieviele nur durch Anpassungsschwierigkeiten und des Hofrats düstere Prognosen hängengeblieben?


    elahub: Ach, das wäre schön, wenn mein Französisch ein ganzes Buch tragen würde :smile: Nein, es ist nur ein Dialog, der hier auf französisch gehalten wird.


    Zitat von "mombour"

    Übrigens verkörpert Settembrini die Vernunft und warnt HC vor Clawdia


    Ja, das ist mir auch eingefallen, als er Hans vor "dem Osten" warnt. Settembrini und Clawdia sind sicher Gegenpole.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Zitat

    Settembrini und Clawdia sind sicher Gegenpole.


    auch sind naphta und settembrini gegenpole, allerdings haben sie noch das geistige gemeinsam. wer ist der emotionale gegenpol zu clawdia?


    ich weiß nicht, eine der eindrücklichsten stellen im zauberberg bei mir ist das duell zwischen settembrini und naphta. ist naphtas selbstmord am ende die letzte große demütigung, die er settembrini zufügen kann? er führt aus, was settembrini nicht tun konnte?

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Hallo lebenszeichen,


    Naphta und Settembrini hätte ich eher als zwei Seiten der selben Medaille angesehen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Naphta seine gegensätzlichen Meinungen nicht vor allem aus der Lust an der Provokation vertritt.


    Ein emotionaler Gegenpol zu Clawdia? Hm, da würde mir nur Joachim einfallen. Aber so einfach ist die Sache wohl nicht :zwinker:


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • mag sein, dass naphta nur provoziert, aber erschießt man sich deswegen? außerdem setzt er wohl alles daran, settembrini in hans castorps achtung fallen zu lassen... zwei seiten einer medaille sind sie, eben die der geistigen medaille...

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Ich lese gerade das Kapitel Schnee.
    HC`s Kampf gegen den Schneesturm steht sehr im Gegensatz zu seinem letargischen Verhalten im Berghof. Hier kämpft er gegen die Müdigkeit und das Verlangen aufzugeben an. Gegen den Bann, den der Aufenthalt im Sanatorium auf ihn ausübte hat er sich in keinsterweise gestellt. Woher nimmt er plötzlich diese kämpferische Kraft?
    "Doch hielt Hans Castorp sich redlich und widerstand der Lockung, sich hinzulegen." Im Berghof widersteht er den Liegekuren nicht!


    Selbst in diesem düsteren Kapitel verzichtet Mann nicht auf Ironie.
    "... und Settembrini, wenn er mit seinem Hörnchen kommt, um nach mir zu sehen, findet mich hier mit Glasaugen hocken, eine Schneemütze schief auf dem Kopf." totlach


    Oder den Vergleich des lebensbedrohlichen Schneesturms mit den Diskussionen von Naphta und Settembrini:
    "Benommen und taumelig, zitterte er vor Trunkenheit und Exzitation, sehr ähnlich wie nach einem Kolloquium mit Naphta und Settembrini, nur ungleich stärker."


    Manjula: Mir geht es genauso: Das Buch gefällt mir sehr gut, aber an manchen Stellen komme ich auch nur in kleinen Häppchen voran.


    Lg
    Germa

  • Hallo zusammen,


    lebenszeichen: bei Naphtas Selbstmord bin ich noch nicht angelangt, ich werde mich dazu dann nochmal melden.


    Germa: ja, das Kapitel "Schnee" hat mir auch sehr gut gefallen. Da hat Hans doch tatsächlich mal ein bißchen Kampfgeist gezeigt :zwinker: Die Stelle mit dem Hörnchen hat mich auch zum Lachen gebracht.


    Was denkst Du - und natürlich auch alle anderen - über den Traum während des Sturms?


    Liebe Grüße
    Manjula

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  • Hallo!


    Zitat von "Manjula"


    Naphta und Settembrini hätte ich eher als zwei Seiten der selben Medaille angesehen.


    Wenn ich mich ungefragt mal einmischen darf: Man kann die beiden sehr gut als Vertreter zweier sehr unterschiedlicher philosophischer Strömungen der europäischen Geistesgeschichte verstehen. Während hier Settembrini immer für Aufklärung, Wissenschaft, Fortschritt argumentiert, steht Naphta für die "dunklere" Seite des Denkens, offen gegenüber Irrationalem mit einem deutlich negativeren Menschenbild. Das ist jetzt natürlich sehr verkürzt ausgedrückt.


    Was Thomas Mann hier exemplarisch liefert, ist eine geistige Auseinandersetzung, die es seit der Antike gibt, was meiner Meinung nach einer der großen Stärken des Romans ist.


    CK

  • Hallo zusammen,


    so, ich bin gestern mit dem Zauberberg fertig geworden. Ein bißchen muss ich das Ganze noch sacken lassen, aber hier mal meine ersten Eindrücke:


    - Naphtas Tod: Mir kommt es so vor, als habe er sich aufgrund seiner Krankheit den Tod hergewünscht und deshalb das Duell provoziert. Ein "gewöhnlicher" Selbstmord wäre für ihn wohl nicht in Frage gekommen, zum einen weil er ja Krankheit als das eigentlich Menschliche ansieht (im Kapitel "Operationes spirituales"); dass er die Krankheit nicht aushalten kann, steht ihm dann schlecht an. Zum anderen ist ja der Selbstmord eine Sünde; und wenn er auch kein typischer Katholik ist, kommt er dagegen vielleicht nicht an. Und schließlich wäre es sicher auch eine letzte Genugtuung für ihn gewesen, Settembrini vorzuführen, dass es mit seinem Pazifismus nicht weit her ist. Aber der hat ihm den Gefallen ja nicht getan.


    - Peeperkorn: Dass er als Charakter eingeführt wird, der nicht zu "geistiger und pädagogischer Konfusion" führen wird, fand ich sehr ironisch von Mann. Welche Rolle er allerdings spielt, darüber bin ich mir unschlüssig. Sein Tod gibt mir ebenfalls Rätsel auf. Was denkt Ihr darüber?


    - Terrorismus: dieser Begriff wird mal mit Joachim, mal mit Naphta in Verbindung gebracht. Bei dem zweiten kann ich es noch halbwegs verstehen, bei Joachim aber? Hatte der Begriff damals eine ganz andere Bedeutung als heute?


    - Der Schluss: hier wechselt die Tonart ja sehr abrupt. Fand ich aber passend, da die Menschen wohl damals genauso brutal aus ihrer Welt gerissen wurden.


    Noch zwei Stellen, die mich amüsiert haben:


    - Im Kapitel "Abgewiesener Angriff", als Tienappel bemerkt, dass "Frau Redisch Brüste besaß" :breitgrins:
    - Die "ganze Geweihsammlung" des Herrn Zutawski im Kapitel "Die große Gereiztheit"


    Im selben Kapitel gefällt mir auch die Schilderung des Herrn Wiedemann sehr gut, mit der Puschel, "nach der er mit der Hand schlug, fast weniger, um sie zu verjagen, als um sie ins Pendeln zu versetzen, damit sie ihn umso besser reize". Eine gute Beschreibung für fanatisches Verhalten.


    Mein Fazit: ein sehr lesenswertes Buch, und ich stimme dem Vorwort zu, dass man es zweimal lesen sollte (was ich mit einigem Abstand sicher tun werde). Ich bin gespannt auf Eure weiteren Eindrücke!


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Ich habe inzwischen auch das Kapitel Mynheer Peeperkorn beendet und fand es wunderbar ironisch. :breitgrins:
    Ganz im Sinne von Loriot: "Männer sind und Frauen auch. Gut, dass wir darüber gesprochen haben"


    Laut Interpretationen soll Th.Mann mit der Figur Peeperkorn Gerhard Hauptmann gemeint haben. Mochten die beiden sich nicht? Sah Mann in Hauptmann einen Literat der leeren Worte, der viel Wind um nichts machte?


    Ich habe auch eine Stelle gefunden, die nochmal besagt, dass die alte Stelle in HC Lunge vermutlich die unerfüllte Liebe zu Hippe ist und die frischen Stellen wegen Clawdia entstanden sind:
    "Denn außer den alten Narben von früher her, aus meiner Schulzeit, du weißt, ist da die frische Stelle, die Behrens gefunden hat und die mir das Fieber macht."


    Bin ich die letzte, die noch liest? Was ist mit Roland? Bist du noch dabei?


    Lg
    Germa

  • Hallo Germa,


    ja, Mynheer Peeperkorn ist eine köstliche Figur. Natürlich sehr überzeichnet, aber Personen, die zwar "wichtig" wirken, tatsächlich aber nichts zu sagen haben, kennt wohl jeder von uns :zwinker: .


    Zu Manns Verhältnis zu Hauptmann kann ich leider nichts sagen, würde mich aber auch sehr interessieren.


    An die, die schon fertig sind: was denkt Ihr denn über die Séance? Nach meinem Eindruck hat sich Mann hier über esoterische Auswüchse lustig gemacht, steckt Eurer Meinung nach mehr dahinter?


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Zitat von "Manjula"


    Zu Manns Verhältnis zu Hauptmann kann ich leider nichts sagen, würde mich aber auch sehr interessieren.


    Wenn mich nicht alles täuscht, so war Thomas Mann sehr befremdet und überrascht, dass Hauptmann ihm den Peeperkorn übel nahm! - Es wär nämlich eher als liebevolle Anerkennung/Bildnis gemeint - natürlich mit der Mann'schen Ironie, aber Hauptmann war eines der Idole, wenn man so will des frühen Thomas Mann; einer der alt ehrwürdigen, sozusagen.
    Hauptman hat ihm den Peeperkorn nie verziehen, auch Jahre später nicht. Und noch bei Nobelpreisvereiung (1929) wurde Mann nicht zuletzt wegen Hauptmann ausdrücklich für die Buddenbrooks geehrt, was ihn leicht verstimmt haben soll, da er selbst viel vom Zauberberg hielt, die Buddenbrooks sein erstes wirklich bekanntes Buch war und somit ihm der Eindruck verliehen wurde, er schaffe nicht mehr, die alte Qualität wiederzuerreichen - eine Angst, die ihn über viele (alle?) Jahre mehr oder weniger heimlich verfolgte.



    Grüsse
    alpha




    p.S. Ich hoffe, ich habe nicht zu viel durcheinandergebracht!

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Ich bin erst heute morgen mit dem Zauberberg fertig geworden. :redface:
    Mal genieße ich den schönen Stil und dann ärgere ich mich auch über gewissen Längen.
    Die "Geisterbeschwörung" z.B: Ich habe den Eindruck, dass dieser Einschub keine besondere Bedeutung hat, sondern dass Th.Mann während seiner langen Schreibphase an diesem Roman alle Bereiche eingebaut hat, die ihn interessierten. Vielleicht war es gerade "in" an Seancen teilzunehmen. Auch der Einschub, als HC sich mit der Medizin und Anatomie beschäftigte. Muss man das wirklich lesen, um die Gesamtwirkung des Romans zu erfassen? Ich denke nicht.
    Mir hätte der Roman um einiges besser gefallen, wenn Th.Mann diese Exkurse in extra Essays verarbeitet hätte. Die geistige Entwicklung HC`s wäre trotzdem zu sehen gewesen.


    :entsetzt: Oh, ihr werdet mich jetzt kritisieren, aber ich wollte doch mal meine Meinung kundtun.


    Sehr gut hat mir der Umgang mit der Zeit gefallen, die Charakterisierung der vielen Personen, die Entwicklung HC`s und der grandiose literarische Stil + Ironie.


    Ich werde den Zauberberg in ein paar Jahren sicherlich nocheimal lesen.


    Lg
    Germa

  • Hallo Germa,


    über den Sinn der "Geisterbeschwörung" bin ich mir auch nicht ganz im klaren. Sonderlich störend fand ich das Kapitel aber nicht.


    Zitat

    Sehr gut hat mir der Umgang mit der Zeit gefallen, die Charakterisierung der vielen Personen, die Entwicklung HC`s und der grandiose literarische Stil + Ironie.


    Da kann ich Dir nur zustimmen.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] &quot;Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden.&quot; [/size]

  • Hallo zusammen, habe dieses Forum per Zufall entdeckt und bin wie obengenannt bald am Schluss vom Berg.


    Es war z.T recht mühsam, die Freude kam danach, zum lesen und verstehen, doch habe alles im Forum hier gelesen und muss sagen, wow ich verstehe nun doch einiges mehr, was mir T.M. so alles erklärt im Buch.


    Habe auch die Buddenbrooks gelesen und muss sagen, der Zauberberg ist mit Abstand schwieriger zum verstehen.


    Habe mal von T.C. Boyle Willkommen in Wellville gelesen, das hat mich auch faszinert, so sehr, dass ich T.C. Boyle schon zweimal in Zürich gesehen habe, die Hand geschüttelt, diskutiert und Bücher signiert bekommen habe, was leider beim Mann nicht mehr möglich ist.


    Gruss an alle die das lesen!


    Hätte nochein Superzitat gehabt aber wo kann ich das reinschreiben?

    &quot;Es war eine Zeit starker , überwältigender inspiration. Es gab keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Dieser Roman musste geschrieben werden.&quot;
    <br />Italo Svevo

  • Leider muss ich feststellen, diese Runde ist aus. Und ich bin zu spät dazugekommen, obwohl ich in der gleichen Zeit das Buch gelesen habe.


    Naja "mann" kann nicht alles haben!


    Gruss Lukas

    &quot;Es war eine Zeit starker , überwältigender inspiration. Es gab keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Dieser Roman musste geschrieben werden.&quot;
    <br />Italo Svevo