• Hallo zusammen,


    ich habe mit "Deutschstunde" begonnen.
    Was mir am ersten Kapitel bereits gefällt, außer dem markanten ersten Satz Sie haben mir eine Strafarbeit aufgegeben., ist das innere Befinden von Siggi Jepsen, eingesperrt in seiner Stube. Den Blick nach draußen, die zugefrorene Elbe, treibende Eisschollen, die ein Brecher versucht zu lösen und mäanderförmige Strukturen auf dem Eis hinterlässt, die am Horizont immer schmaler werden ... Eingefroren wie das innere von Siggi Jespsen, der sich auch erst einen Weg durchbrechen muß um für den Aufsatz "Die Freuden der Pflicht" den passenden Anfang zu finden.


    Ein wunderbarer Stil. Spricht mich sehr an.


    Noch eine Frage:
    Hat schon jemand sein neues Buch "Landesbühne" gelesen?


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ja, habe das Buch "Landesbühne" letztes Wochenende gelesen, bin aber ein "vorbelasteter Kritiker", d.h. ich schätze die stille, zurückhaltende Erzählweise des Siegfried Lenz sehr.
    Die Handlung ist in einem Satz erzählt, eine Gruppe Gefängnisinsassen - nicht gerade die Schwerbrecher, eher am Leben gescheiterte Existenzen - nutzt den Besuch einer Theatergruppe, um in deren Bus zu fliehen und in einem Nachbarort die Rolle der Theaterleute einzunehmen, ehe sie wieder eingefangen werden.
    ABER - wie Lenz das erzählt, und welche Erkenntnisse er den Personen in den Mund legt, das ist entscheidend. "...oft genug ist mir Erzählen hier wie ein Trost vorgekommen..." Gilt das nicht oft für das Werk des S. Lenz.
    Oder: "Verzweiflung zu ertragen, Hoffnungslosigkeit auszuhalten, Entbehrungen zu überwinden, wer, wenn nicht die Phantasie, hilft uns dabei."

  • Hallo scardanelli,



    Ja, habe das Buch "Landesbühne" letztes Wochenende gelesen, bin aber ein "vorbelasteter Kritiker", d.h. ich schätze die stille, zurückhaltende Erzählweise des Siegfried Lenz sehr
    Die Handlung ist in einem Satz erzählt, eine Gruppe Gefängnisinsassen - nicht gerade die Schwerbrecher, eher am Leben gescheiterte Existenzen - nutzt den Besuch einer Theatergruppe, um in deren Bus zu fliehen und in einem Nachbarort die Rolle der Theaterleute einzunehmen, ehe sie wieder eingefangen werden.
    ABER - wie Lenz das erzählt, und welche Erkenntnisse er den Personen in den Mund legt, das ist entscheidend. "...oft genug ist mir Erzählen hier wie ein Trost vorgekommen..." Gilt das nicht oft für das Werk des S. Lenz.
    Oder: "Verzweiflung zu ertragen, Hoffnungslosigkeit auszuhalten, Entbehrungen zu überwinden, wer, wenn nicht die Phantasie, hilft uns dabei."


    wunderbare Sätze. Auch ich schätze Siegfried Lenz leise Erzählweise und seine Feinheit. Danke für deine Einschätzung.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    Siegfried Lenz wurde mit dem Premio Nonino Preis ausgezeichnet. Hier gehts zu seiner Dankesrede:


    Etwas über das Alter


    die Laudatio hielt Claudio Magris.


    die Begründung der Jury:
    Siegfried Lenz habe im Lauf seines kreativen Schaffens Themen der Gewalt und der Verfolgung mit distanziertem Blick und jeder Ideologie misstrauend aufgegriffen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ja, habe das Buch "Landesbühne" letztes Wochenende gelesen, bin aber ein "vorbelasteter Kritiker", d.h. ich schätze die stille, zurückhaltende Erzählweise des Siegfried Lenz sehr.
    Die Handlung ist in einem Satz erzählt, eine Gruppe Gefängnisinsassen - nicht gerade die Schwerbrecher, eher am Leben gescheiterte Existenzen - nutzt den Besuch einer Theatergruppe, um in deren Bus zu fliehen und in einem Nachbarort die Rolle der Theaterleute einzunehmen, ehe sie wieder eingefangen werden.
    ABER - wie Lenz das erzählt, und welche Erkenntnisse er den Personen in den Mund legt, das ist entscheidend. "...oft genug ist mir Erzählen hier wie ein Trost vorgekommen..." Gilt das nicht oft für das Werk des S. Lenz.
    Oder: "Verzweiflung zu ertragen, Hoffnungslosigkeit auszuhalten, Entbehrungen zu überwinden, wer, wenn nicht die Phantasie, hilft uns dabei."


    Hallo,


    "Landesbühne" habe ich nun auch gelesen und fand es sehr schön. Mich berührt jedesmal Siegfried Lenz stille melancholische Erzählweise, sie wärmt mir das Herz. In einem Interview las ich, dass ihm das Schreiben zunehmend schwer falle. Und wenn auch die Sturm und Drang Zeit des Autors vorbei ist (wie bei Hannes in Landesbühne) hoffe ich auf weitere kleine schöne Werke aus seiner Feder.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo ...


    Ich bin auch ein doller Lenz-Fan, hach was liebe ich diese etwas "wortkargen" (er kann die Nordlichter, die Friesen so gut fassen), aber dennoch so tiefen und zarten Pinselstriche von diesem Autor. Jüngst habe ich "So zärtlich war Suleyken" gelesen, masurische Geschichten. Selten habe ich so skurrile und überzeichneten Figuren gelesen :breitgrins:, die dennoch authentisch sind. Klasse gemacht :smile:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • Hallo ...


    Ich bin auch ein doller Lenz-Fan, hach was liebe ich diese etwas "wortkargen" (er kann die Nordlichter, die Friesen so gut fassen), aber dennoch so tiefen und zarten Pinselstriche von diesem Autor. Jüngst habe ich "So zärtlich war Suleyken" gelesen, masurische Geschichten. Selten habe ich so skurrile und überzeichneten Figuren gelesen :breitgrins:, die dennoch authentisch sind. Klasse gemacht :smile:


    LG
    Anita



    oja, ein großes Werk, seine masurischen Geschichten. Wer kann sich z.B. einem Hamilkar Schaß verschließen nur noch ein Kapitelchen *g*
    Kennst du bereits "Der Geist der Mirabelle: Geschichten aus Bollerup"? oder "Kummer an jütländischen Kaffeetafeln" ? Herrlich, sag ich dir :breitgrins:



    Edit:
    zu MRRs 90. Geburtstag schrieb Siegfried Lenz:
    Er ist der Streit


    S.L. ist ein Mensch mit einem großen Herz.



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Kennst du bereits "Der Geist der Mirabelle: Geschichten aus Bollerup"? oder "Kummer an jütländischen Kaffeetafeln" ? Herrlich, sag ich dir :breitgrins:


    Leider nicht, weil es bisher nicht in mein Beuteschema passte. Durch meinen hibbeligen Grundton lese ich nicht gerne "unruhige" Kürze, ich bevorzuge eigentlich immer lieber die Länge, Weite, Raum und Zeit. Da aber diese masurischen Geschichten alle miteinander verbunden sind, habe ich das nicht als ständigen Wechsel empfunden.


    "Der Geist der Mirabelle: Geschichten aus Bollerup" steht nun auch auf meiner Wunschliste :winken:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • "Unser Leben währet siebenzig Jahr, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahr, und es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen." :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Siegfried Lenz hat wieder geheiratet :-)


    Das hat sich schon länger angekündigt. Vor ein paar Jahren nach Schweigeminute habe ich ihn bei Beckmann gesehen, und da wurde schon davon erzählt, dass diese beste Freundin der Frau sich rührend um ihn kümmert. Und seine Generation ist ja als Mann ziemlich hilflos :zwinker:


    Nein, ich finde das gut, besser als nur auf den Tod zu warten :smile:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Ich habe vor kurzem Schweigeminute gelesen und fand es ganz nett. Was mich allerdings gestört hat: die immer wieder eingeflochtenen Anreden an die Lehrerin, die in der zweiten Person Imperfekt gehalten sind. Eigentlich logisch, wenn die Erzählung in der dritten Person Imperfekt ist. Mich haben diese sehr gestelzten grammatischen Formen aber ziemlich genervt. So würde sich doch heutzutage* kein junger Mann ausdrücken?


    * wobei nicht ganz klar ist, wann genau "heutzutage" ist. Zumindest aber zweite Hälfte des 20. Jhds.


    Viele Grüße
    thopas


  • Ich habe vor kurzem Schweigeminute gelesen und fand es ganz nett. Was mich allerdings gestört hat: die immer wieder eingeflochtenen Anreden an die Lehrerin, die in der zweiten Person Imperfekt gehalten sind. Eigentlich logisch, wenn die Erzählung in der dritten Person Imperfekt ist. Mich haben diese sehr gestelzten grammatischen Formen aber ziemlich genervt. So würde sich doch heutzutage* kein junger Mann ausdrücken?


    * wobei nicht ganz klar ist, wann genau "heutzutage" ist. Zumindest aber zweite Hälfte des 20. Jhds.


    Eben, es steht nirgendwo wann es spielt. In dem Interview, welches ich oben erwähnte, kam heraus, dass es eine tatsächliche Jugendliebe von Lenz sein könnte :zwinker:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • Ich habe vor kurzem Schweigeminute gelesen und fand es ganz nett.


    Ging mir genauso, ganz nett, mehr nicht.



    Was mich allerdings gestört hat: die immer wieder eingeflochtenen Anreden an die Lehrerin, die in der zweiten Person Imperfekt gehalten sind. Mich haben diese sehr gestelzten grammatischen Formen aber ziemlich genervt.


    Interessant! Ist mir gar nicht aufgefallen. Ich glaube, da kommt der alte Masure durch! Das Ostpreußische liebt das Imperfekt! Auch und gerade in der gesprochenen Sprache. Ich kenne das von meiner Großmutter. Das Perfekt kam in ihrer Rede praktisch nicht vor. Warum riefst du nicht an ? statt Warum hast du nicht angerufen?
    Das West- und besonders das Süddeutsche behilft sich ja mit dem Perfekt und kennt in der gesprochenen Sprache das Imperfekt kaum. Lenz hört man den ostpreußischen Singsang immer noch ein bisschen an.
    Man sagt, das Konversativste am Menschen sei der Magen. Ich glaube, die Grammatik hält sich auch ganz schön lange.

  • Interessant! Ist mir gar nicht aufgefallen. Ich glaube, da kommt der alte Masure durch! Das Ostpreußische liebt das Imperfekt! Auch und gerade in der gesprochenen Sprache. Ich kenne das von meiner Großmutter. Das Perfekt kam in ihrer Rede praktisch nicht vor. Warum riefst du nicht an ? statt Warum hast du nicht angerufen?
    Das West- und besonders das Süddeutsche behilft sich ja mit dem Perfekt und kennt in der gesprochenen Sprache das Imperfekt kaum. Lenz hört man den ostpreußischen Singsang immer noch ein bisschen an.
    Man sagt, das Konversativste am Menschen sei der Magen. Ich glaube, die Grammatik hält sich auch ganz schön lange.


    Danke für den Hinweis, daß das in Ostpreußen eher üblich ist. Mir als Süddeutsche stößt dieses Imperfekt tatsächlich als ziemlich unidiomatisch auf. Dann kann ich Lenz in Zukunft mit anderen (grammatischen) Erwartungen lesen :smile:.


    Viele Grüße
    thopas