Karl May - ein Klassiker?

  • Mir durchaus bewusst, mich jetzt unmöglich zu machen, so stelle mir doch oft die Frage, kann man Karl May als Klassiker der deutschen Literatur bezeichnen?


    Sein Alterswerk stellt doch Aspekte einer durchaus ernst zunehmenden Literatur da. Gerade die Karl-May-Gesellschaft, die im Jahre 1969 gegründet wurde und es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass das Alterswerk Karl Mays in die Gattung der deutschen Hochliteratur aufgenommen wird. Ob dies nach über 35 Jahren gelungen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Zweifel sind jedoch angebracht.


    Letztlich sind aber die Werke Karl Mays wie "Am Jenseits", "Im Reiche des silberne Löwen III/IV" und "Ardistan und Dschinnistan", natürlich in der Originalfassung, Arbeiten des Autors, die mit dem üblichen Geschichten um Old Shatterhand und Winnetou nichts gemein haben.


    Wie seht ihr das? Eure Meinung würde mich sehr interessieren.


    Gruß Leila

  • Ich hatte einen langen Beitrag verfasst und dann war er weg :sauer:


    Nun denn, in Kurzfassung:


    Karl May ist sicher ein Klassiker, wenn man nur nach der Zeit geht. Sein Werk wird demnächst hundert Jahre alt und immer noch gerne gelesen.


    Um (noch einmal) das Motto dieses Forum zu zitieren:


    Zitat

    Ein Klassiker ist ein Buch, das nie aufhört zu sagen, was es sagen möchte.


    Ob Mays Werk diesem Anspruch genügt, weiß ich nicht. Ich weiß nämlich nicht, was Mays Bücher aussagen, abgesehen von gutmenschlichen Mahnungen an das "wahre Christentum" und einer allerdings revolutionären Realitätsflucht auf Seiten des Autors.


    Ich habe nichts von Mays Spätwerk gelesen, aber immerhin etwa 50 Bände seines knapp 80-bändigen Gesamtwerkes. Aus dieser Warte sage ich:


    May schreibt wirklich gutes Deutsch.
    Er schreibt auch phantasievoll, ich konnte mit immer gut vorstellen, wo ich gerade war, wie die Menschen aussahen und was geschah.
    May spricht anscheinend mit seinen Geschichten etwas in uns an, von dem ich glaube, dass es noch eine Weile da sein und immer wieder erklingen wird. Aber wie lange noch?


    Als kurze Antwort auf deine Frage:
    Für mich ist May ein Klassiker der Unterhaltungs- und Trivialliteratur. Kein Klassiker der anspruchsvolleren Literatur.


    LG
    Nightfever

  • Hallo Nightfever,


    wenn Du mit den knapp 80 Bänden die grünen "Gesammelten Werke" aus dem Karl-May-Verlag meinst, hast Du leider Karl May nicht im Orirginaltext gelesen. Die Bücher aus dem KMV wurden stark bearbeitet.


    Mir geht es auch ausschließlich um das Alterswerk Mays und seinem literarischen Anspruch, den Arno Schmidt sehr hoch einschätzte und zur Hochliteratur gehörend wissen will.


    Gerade die Traumsequenzen im "Silberlöwen III/IV" sind mit das beste was Karl May geschrieben hat und ist nach Aufffasung von Literaturkennern unerreicht und von einer unvergleichlich hohen literarischen Qualität.


    Ich bin deshalb der Meinung, dass das Alterswerk Mays keine Klassiker der Unterhaltungs- und Triviallitertur und durchaus mit den Klassikern der deutschen Literatur vergleichbar sind. Nur, das muß ich zugeben, steht sich Karl May eben mit seinen Kolportage- und Abenteuerromane da selbst im Wege.


    Gruß Leila

  • Ich habe vier verschiedene Ausgaben:


    Tosa Verlag ("ungekürzte Ausgabe")


    Joachim Schmid Verlag (Karl May Verlag) Bamberg


    Ueberreuter ("ungekürzte Ausgabe") Taschenbücher


    und broschierte(?) Taschenbücher von Ueberreuter mit Karl May Verlag


    Drei davon sind grün... bei manchen steht "ungekürzt" dabei, bei anderen nicht...


    Vielleicht muss ich mir doch noch einmal etwas aus seinem Spätwerk vornehmen. Die Traumsequenzen mal mit den Erinnerungen in "Stiller" vergleichen ;-)


    LG
    Nightfever

  • Hallo Nightfever,


    den Vergleich mit "Stiller" kann ich als Leseerfahrung nicht anbieten.


    Aber vielleicht liest du einmal von Karl May "Im Reiche des silbernen Löwen I-IV". Die vier Bände schrieb May zwischen 1893/ 1897 und 1903 und bietet die volle Bandbreite der literarischer Entwicklung des Autors.


    Die Bände I+II enthalten mit das schlechteste was der Schriftsteller jemals geschrieben hat, während die Bände III+IV Mays literarische Meisterleistung ist. Auf jedem Fall ist es sehr wichtig, die 4 Bände in der Originalfassung zu lesen, das heißt die Fehsenfeld-Ausgaben, die als Reprint erschienen sind oder die Bände 26-29 der "Gesammelten Werke" des Karl-May-Verlages. Es sollte aber dann die neueste Auflage sein, da die Bände "rückbearbeitet" wurden und so ziemlich dem Originaltext entsprechen.


    Gruß Leila

  • Hallo,


    Ich habe vor in meiner Jugend viel von Karl May gelesen und mich später mit dem Phänomen "May" beschäftigt. Meine Meinung zu dem Thema


    Karl May war ein hochbegabter Geschichtenerzähler; gleichzeitig war er ein schlechter Schriftsteller. Der größte Teil seiner Romane und Erzählungen sind von keinerlei Sachkenntnis getrübt. Dass man ihm jemals hat glauben können, dass er alles, was in seinen Büchern steht, selbst erlebt hat, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Weltkenntnis der Deutschen in der Wilhelminischen Zeit... Während seiner Orientreise brach das mühsam aufgebaute Old Shatterhand-Ideal zusammen. Was er danach geschrieben hat (das sogenannte "Spätwerk") ist zwar psychologisch faszinierend, aber m.E. zu ungeformt, um als "Hochliteratur" gelten zu dürfen. Es reicht nicht mal an den so sehr überschätzten Kafka heran...


    (Jetzt mache ich mich aber schnell aus dem Staub :breitgrins: )


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Mit Karl May ist es wohl so ähnlich wie mit Arno Schmidt, die einen mögen den Phantasten aus Sachsen, die anderen nicht. Dazwischen gibt es nichts.


    Vielleicht wollte deshalb Arno Schmidt eine Lanze für Mays Spätwerk brechen, um ihm den Weg in die Hochliteratur zu ebnen, wie es seit 1969 auch die Karl-May-Gesellschaft vergebens versucht. Es wird wohl nie gelingen und letztlich steht sich vielleicht Karl May da selbst im Weg, wenn man bedenkt was er so alles vor 1900 geschrieben hat.


    Gruß Leila

  • Hallo zusammen!


    Noch ein/e alte/r Bekannte/r, wenn ich mich nicht irre ...


    Zitat von "Leila Parker"

    und letztlich steht sich vielleicht Karl May da selbst im Weg, wenn man bedenkt was er so alles vor 1900 geschrieben hat.


    Letztlich steht ihm da im Weg die germanische Überheblichkeit, die jedem Autor, der uns nicht mit belehrendem Zeigefinger und seiner Besser-Moral kommt (à la späterer Böll ...), als trivial und ergo nicht-Klassiker-fähig einstuft. May (und ich liebe und bevorzuge den frühen May, nicht seine mystisch-mühsamen Spätwerke, in denen allenfalls einzelne Perlen im Mist glänzen!) hätte ihmo das Zeug gehabt, ein deutscher Balzac zu werden. Der ja bekanntlich auch mit Trivialschinken angefangen hat, der auch dasselbe Personal immer wieder auftauchen lässt, der - wo sich May einen Doktor-Titel anmasste - sich das adlige "de" angemasst hat, der dazu - was May nicht tat - sein Geld am Spieltisch ausgab ... Doch die Franzosen sind stolz auf 'ihren' Balzac. Die Germanen meinen sich rechtfertigen zu müssen für May ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Leila


    Zitat von "Leila Parker"

    Mit Karl May ist es wohl so ähnlich wie mit Arno Schmidt, die einen mögen den Phantasten aus Sachsen, die anderen nicht. Dazwischen gibt es nichts.


    Hallo Leila,


    Gerade dafür bin ich ein Gegenbeispiel. Ich mag Karl May sehr, finde es nur schade, dass er nicht mehr aus seinem Talent machen konnte. Er hat seine Schriftstellerlaufbahn aber auch unter denkbar schlechten Voraussetzungen begonnen. Ich kann also Mays Lebensleistung anerkennen, ohne seine Werke zur Hochliteratur rechnen zu müssen. Und lesen kann man alles, was gefällt. Deine Frage war übrigens nicht: Gefällt Euch May?, sondern: Ist May ein Klassiker der deutschen Literatur? und letzteres würde ich eher mit Nein beantworten.


    sandhofer: Was meinst Du mit dem "frühen May"? Die Schwänke und Dorfgeschichten? Die Fortsetzungsromane? Arno Schmidt hat übrigens auch die Fortsetzungsromane gerne gelesen und z.B. (wenn ich mich richtig erinnere) seiner Frau an langen Winterabenden daraus vorgelesen.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald,


    oft entwickelt sich ein Thread in eine andere Richtung wie ursprünglich beabsichtigt.


    Aber beide Meinungen sind für mich interessant, deine und die von Sandhofer, der mit wenigen Sätzen eingentlich es mit Karl May auf den Punkt bringt.


    Wie aber man auch Karl May beurteilt, ein Klassiker der deutschen Abenteuerliteratur ist er für mich gewiß und die Burteilung seines Alterswerkes nach wie vor umstritten. Die Beiträge in diesem Forum machen es deutlich.


    Gruß Leila

  • Also entschuldigung, aber Karl May mit Balzac vergleichen ??
    IMHO hätte May niemals das Niveau eines Balzac erreichen können.
    Da liegen Welten dazwischen, was Psychologie und vor allem Zeitgeschichte anbelangt. Von Balzac lernst du nicht nur viel (immer noch aktuelles) über die Psyche des Menschen und gewinnst einen Einblick in die französische Gesellschaft des (frühen) 19. Jahrhunderts. Selbst sein Frühwerk waren meist historische Romane und haben somit immer noch einen recht hohen Wert.
    Karl May lehrt uns folgendes: Der Deutsche ist am schlausten, durchschaut alles, findet immer einen Ausweg aus jedem Problem, dann kommt der Europäer (ich glaube Engländer sind überdurchschnittlich dumme Europäer ?), dann Eingeborene (Indianer, Afrikaner), die mit dem Helden befreundet sind und ganz am Ende die "normalen" Eingeborenen, die sich immer ziemlich doof anstellen. Das ist mir schon als Kind aufgefallen. Eben der Einfluß des Wilhelminischen Weltbilds.
    Die Ausdrucksweise Mays ist sicherlich nicht schlecht, aber den Romanen fehlt für mich Wahrheitsgehalt und Tiefgang.


    Dass May Adolf Hitlers Lieblingsschriftsteller waer, lag wohl nicht nur am Niveau, sondern auch am vermittelten Weltbild.


    Ein Vergleich mit Alexandre Dumas würde ich noch eher gelten lassen. Beide Autoren schrieben phantasievolle Klassiker der Trivialliteratur.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola,


    Was Du sagst, stimmt. Es stimmt aber auch, dass May <b>gegen</b> Rassismus und <b>für</b> Völkerverständigung gepredigt hat. Nicht nur "Et in terra pax" ("Und Friede auf Erden", subversive Literatur gegen das damalige Engagement deutscher Truppen in China zur Zeit des Boxeraufstandes), sondern auch schon in den berühmten Reiseerzählungen findet man immer wieder die Aussage (die auch in den Erzählungen illustriert wird), dass es "Gute" und "Schlechte" in allen Völkern gibt.


    Man kann wohl die unterschiedlichsten Ideologien in Mays Werk nachweisen, je nachdem, auf welche Zitate man sich stützt. Der Mann war nicht so gradlinig und volkstümlich, wie er von manchen gerne gesehen wird, sondern voller Widersprüche. Weshalb man über ihn auch so trefflich streiten kann.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Zola"

    Also entschuldigung, aber Karl May mit Balzac vergleichen ??
    IMHO hätte May niemals das Niveau eines Balzac erreichen können.


    Wenn er nicht, wie ein anderer bekannter May-Leser (nämlich Ernst Bloch) mal festgestellt hat, ein armer, verwirrter Prolet gewesen wäre. Wenn, wenn, wenn ... Wenn das wilhelminische Deutschland ein kulturelles Zentrum gehabt hätte, wie es Frankreich unabhängig von jeder Regierungsform in Paris hatte - ein Zentrum, wo May bei den grossen Literaten seiner Zeit hätte "zur Schule gehen" können ... Wenn dieses Deutschland nicht ebenso verklemmt gewesen wäre wie sein viktorianisch-englisches Gegenstück ...


    Im übrigen kann ich mich nur Harald anschliessen. May ist mehr als nur ein Chamäleon, was seine Aussagen zu diesem und zu jenem angeht.


    Last but not least: Wer Karl May nur aus den Bänden des Karl-May-Verlages und seiner Lizenznehmer kennt, hat mit ziemlicher Sicherheit einen stillschweigend bearbeiteten May gelesen. Und "bearbeiten" hiess in einer bestimmten Epoche der deutschen Geschichte halt auch "an den herrschenden Zeitgeist anpassen". Vieles, was man heute so May vorwirft, sollte man seinen Bearbeitern vorwerfen - von denen zumindest einer sich recht heftig der Nazi-Ideologie verschrieben hatte.


    Auf der andern Seite bin ich, wie vielleicht bemerkt worden ist, auch weit davon entfernt, Balzac einen Platz unter den ganz grossen Romanciers (selbst mit der Einschränkung: des 19. Jahrhunderts) zu geben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Bulkington!


    Zitat von "Bulkington"

    Ich sei, gewährt mir die Bitte, in [diesem] Eurem Bunde der Dritte


    Keine Angst, ich hatte Dich nicht vergessen ... :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Folgt man der Argumentation von Sandhofer und diese sind sehr einleuchtend und prägnant, so kann man Karl May als eine der seltsamsten Erscheinungen in der deutschen Literatur betrachten.


    Trotzdem mag ich diesen Schriftsteller, auch wenn mir ein mitleidiges Lächeln entgegenkommt, wenn ich in meinem Bekanntenkreis den Namen Karl May in den Munde nehme.


    Interessant aber auch, schon nach wenigen Sätzen über Karl May folgt dann der Name Arno Schmidt und nicht selten der Hans Wollschlägers.


    Hans Wollschläger? Ich denke, darüber werden wir auch einmal diskutieren müssen.


    Grüsse Leila

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Leila Parker"

    Folgt man der Argumentation von Sandhofer und diese sind sehr einleuchtend und prägnant, so kann man Karl May als eine der seltsamsten Erscheinungen in der deutschen Literatur betrachten.


    Nicht nur der deutschen ...


    Zitat von "Leila Parker"

    Hans Wollschläger? Ich denke, darüber werden wir auch einmal diskutieren müssen.


    Nun ja ...


    Zitat von "Nightfever"

    Ich habe vier verschiedene Ausgaben:
    Tosa Verlag ("ungekürzte Ausgabe")
    Joachim Schmid Verlag (Karl May Verlag) Bamberg
    Ueberreuter ("ungekürzte Ausgabe") Taschenbücher
    und broschierte(?) Taschenbücher von Ueberreuter mit Karl May Verlag
    Drei davon sind grün... bei manchen steht "ungekürzt" dabei, bei anderen nicht...


    Tosa und Ueberreuter sind Lizenznehmer des Karl-May-Verlags, und "ungekürzt" ist immer im Verhältnis zur Ausgabe des Lizenzgebers zu verstehen. Der allerdings hat (zum Teil bis heute) praktisch alle May-Texte mehr oder weniger stark überarbeitet auf den Markt gebracht. Der Original-May ist oft noch kruder und versponnener. :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Um diesen uralten Thread mal aufzugreifen: Ob May ein "Klassiker" ist, hängt von der Definition dieses Begriffs ab (im Goetheschen Sinne sicher nicht). Ich lese gerade Mays "Waldröschen" als Bahnlektüre in der Version der Erstausgabe (Reprint "Edition Leipzig"), bin gerade mit dem ersten Band durch (von sechsen insgesamt) und fühle mich damit prächtig unterhalten. Das Alterswerk Mays mag zwar ambitionierter sein, aber es liest sich teilweise doch arg bemüht, ohne dass man das Gefühl hat, dass May wirkliche literarische Höhen erreicht. Da ist mir der Kolportage-May dann doch lieber, und immerhin war sein "Waldröschen" der meist gelesene Kolportageroman des 19. Jahrhunderts, so dass man aus ihm möglicherweise mehr über die Seele des deutschen Volkes im 19. Jahrhunderts erfahren kann als aus vielen "echten" Klassikern.