Von Manns „Buddenbrooks“ zu Koeppens „Tauben im Gras“: Die Neurosen der Bourgeoisie im Spiegel der deutschsprachigen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
So, liebe Klassikfreunde, lautet der Titel einer Unterrichtsreihe im Deutsch-Leistungskurs meiner Cousine, die derzeit (nach einer Phase der Irrungen und Wirrungen) im Alter von 23 Jahren ihr Abitur nachholt (löblich, sehr löblich).
Die Schüler haben die Aufgabe, bis zu den Sommerferien eine zehn Titel umfassende Leseliste zu erstellen mit themenrelevanten deutschsprachigen (Roman)Werken zwischen 1900 und 1950, wobei die "Budenbrooks" und "Tauben im Gras" als Anfangs- und Endpunkt gesetzt sind. Nach den Ferien werden dann wohl die einzelnen Bücher in Form von Gruppenreferaten beackert, vorgestellt und besprochen. So weit, so gut.
Gestern Abend hat das eigentlich recht aufgeweckte Gör nicht etwa das Internet, sondern den „alten und verstaubten Bücheronkel“ konsultiert, um sich den einen oder anderen Rat abzuholen. Der hat sich gewichtig in seinem Sessel zurechtgesetzt, eine Zigarette in Asche verwandelt und dann aufgezählt:
Kafka. Natürlich darf Kafka nicht fehlen. Nimm den „Process“ und „Das Schloss“ in die Liste auf.
Döblin, ja Döblin. „Berlin Alexanderplatz“. Ist zwar ein Proletarierdrama, aber wichtig.
Hesse? Mein Gott, der „Steppenwolf“! Gehört er unbedingt dazu? Oder doch eher „Unterm Rad“? Ratlosigkeit ...
Thomas Mann. Der hat ja nicht nur „Die Buddenbrooks“ verzapft, sondern auch den „Zauberberg“, „Der Tod in Venedig“ und „Doktor Faustus“ – also Werke, die mit den Befindlichkeiten des Bürgertums spielen. Eine gute Wahl, aber zuviel Thomas Mann, ist das gut für die zu erstellende Liste?
In Österreich gab (und gibt) es auch gute Autoren. Also los: Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ und von Doderers „Strudlhofstiege“ gehören schon auf die Liste. Moment noch: Joseph Roth darf uns nicht durch die Lappen gehen. Der „Radetzkymarsch“ ist schon Pflicht. War´s das schon? Vertagen wir Österreich ...
Die Schweiz. Klein, aber fein. Robert Walser, am besten „Jakob von Gunten“, oder doch besser den „Gehülfen“ oder die „Geschwister Tanner“? Was machen wir mit Friedrich Glauser? Gott sei Dank sind Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt auszuschließen (2. Hälfte des 20. Jahrhunderts).
Ich will euch nicht weiter langweilen. Meine Cousine ist schließlich halbwegs beglückt nach Hause gefahren – nicht zuletzt, weil sie gesehen hat, dass sie (fast) keines der o.g. Bücher wird kaufen müssen. Der „Bücheronkel“ hat sie ja (fast) alle, wie schön!
Erst als sie gegangen war, ließ ich mir den Titel der Unterrichtsreihe (den Zettel hatte das Mädel liegen lassen) noch einmal durch den Kopf gehen. Auf welche Ideen die heutigen Deutschlehrer kommen! Erstaunlich.
Wer Lust hat, mag meine Zusammenstellung kommentieren oder ergänzen. Meine Cousine wird´s danken!
Liebe Grüße
Sir Thomas