Beiträge von Sir Thomas
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Ich habe das 6. Buch beendet und ermüde ein wenig aufgrund der thematisch ähnlichen Moritaten über Rachdurst, Mord- und Sinneslust. Habt Ihr schon die „nette Geschichte“ der Schwestern Progne und Philomela gelesen? Was für ein Sadismus, welch ein Horror!
Halten wir ein wenig inne. Was steckt hinter all den kunst- und lustvoll zelebrierten Schauertaten und Verwandlungen, diesem göttlichen Mummenschanz? Geht es darum, dem Leser einen Spiegel seiner Zeit vorzuhalten? Steckt dahinter gar ein wenig Moralismus? Ersteres halte ich für tragfähig; letzteres schließe ich aus.
Versetzen wir uns in die damalige Zeit (so gut es eben geht): Die Welt wandelt sich zu Zeiten des Kaisers Augustus vermutlich schneller als je zuvor. Noch ahnen die Römer nicht, was das Aufkommen des Christentums für ihr Imperium bedeutet, noch sind es „nur“ barbarische Stämme, die an den ausgedehnten Grenzen des Weltreichs für Unruhe sorgen (eine Tatsache, mit der Ovid an seinem Verbannungsort deutlich konfrontiert wurde).
Der Autor der „Metamorphosen“ scheint wie ein Seismograph zu spüren, dass die Grundfesten der römischen Kultur herausgefordert werden und dass Veränderungen bevorstehen, die weitreichender sein werden als je zuvor. Er hat gewiss nicht aus einer schriftstellerischen Laune heraus das Thema der Verwandlung aus der mythologischen Mottenkiste gezogen. Es scheint vielmehr, als wolle er der staatlichen Propaganda, die ein goldenes Zeitalter herangebrochen glaubte, das Negativbild permanenter Zerstörung, kosmischer Katastrophen und schleichender Dekadenzprozesse entgegensetzen. Dafür waren die Geschichten der Vergangenheit bestens geeignet, waren sie doch politisch unverdächtig und daher für den Autor ungefährlich.
Ich habe irgendwo gelesen, dass man die „Metamorphosen“ auch psychoanalytisch deuten könne. Nun, das mag sein, aber ich ziehe es vor, diese Interpretationsvariante nicht zu beachten. Denn was dabei herauskommt, kann man sehr deutlich anhand einiger Kafka-“Deutungen“ (die eher Deformationen sind) erfahren. (Aber das gehört nicht mehr zum Thema, sondern in einen eigenen Thread mit dem Titel „Die irrsinnigsten Kafka-Auslegungen).
Es grüßt
Tom
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Ransmayrs "Die letzte Welt", ein wirklich hervorragendes Buch ...Um dieses Buch schleiche ich seit geraumer Zeit wie die Katze um den heißen Brei. Was mich abschreckt: Von Ransmayrs "Morbus Kitahara" war ich nicht sehr angetan.
LG
Tom
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Recht gut in Erinnerung habe ich Mulischs Reportage des Eichmann-Prozesses "Strafsache 40/61". Von der "Entdeckung des Himmels" hat mich allein schon der Klappentext abgehalten ...
LG
Tom
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Kurzer Nachsatz:
Wenn ich die "Metamorphosen" mit den antiken Großepen Homers vergleiche, dann fehlt dem Römer Ovid jegliches Pathos. Nun erinnere ich mich wieder an das Vorwort meiner Metamorphosen-Ausgabe, in dem es heisst, Ovid habe das traditionelle Epos modernisiert, indem er zwar den Hexameter als episches Versmaß beibehielt, jedoch eine elegische Moll-Tonart anschlug. Damit erzielt er vermutlich genau das, was wir entweder als Distanz und Kälte oder als Trauer und Melancholie empfinden.
Apropos Homer: Ich werde mir im Laufe des Tages evtl. die Mühe machen, das Odysseus-Kapitel nachzulesen, in dem es um den Besuch des Helden in der Unterwelt geht. Mich interessiert, wieviel Homer in den ovidschen Schilderungen des Tartarus steckt.
So long
Tom
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Fast ein Drittel der Metamorphosen, also die erste Pentade, liegt jetzt hinter mir.Dort stehe ich auch.
Ehrlich? :zwinker: Ich meine, in nahezu jeder Geschichte lassen sich ironische Wendungen und Zuspitzungen ausmachen. Sie sind für mich der Hauptleseanreiz, jenes Gran Salz, das das Aufgetischte erst genießbar macht.*
Ja, das stimmt, nüchtern, fast stoisch (war Ovid Stoiker?), kühl und distanziert - beste Voraussetzungen für Ironie!
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*Ironie ist das Gran Salz, das …. ( Zitat von Goethe)"Distanziert" ist wohl die treffendste Beschreibung. Besonders aufgefallen ist mir diese Kälte zu Beginn des fünften Buchs. Das dort geschilderte Massakrieren ist ziemlich krass, wird aber so nüchtern serviert, dass man fast schon wieder schmunzeln könnte, aber eben nur fast.
Was bei mir hängen bleibt sind großartige Beschreibungen wie die des Tartarus im vierten Buch und die besonders ergreifenden Schicksale (z.B. Pyramus und Thisbe), die in der Literatur in Form von Variationen fortgewirkt haben.
Die Frage, ob Ovid Stoiker war, ist interessant. Leider weiß ich darauf keine Antwort. Hinweise diesbezüglich habe ich in der Sekundärliteratur nicht gefunden. Ich tendiere jedoch dahin, ihm aufgrund seiner Erzählweise stoische Einstellungen zuzuschreiben. Die weiteren Bücher unter diesem Aspekt zu lesen, könnte interessant sein.
Es grüßt
Tom
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... was vielleicht zu Ovids Verbannung beigetragen hat. Ich weiß leider (noch) zu wenig über die Gründe.SALVE!
Darüber gibt es mWn. keine gesicherten Erkenntnisse. Es gibt die Vermutung, Ovid habe etwas Pikantes aus dem Leben des Kaisers Augustus in Erfahrung gebracht. Die Verbannung sollte ihn zum Schweigen bringen bzw. als Warnung dienen. Möglich wäre es schon.
Bekannt ist, dass die "Metamorphosen" einige Spitzen gegen Augustus beinhalten. (Ich habe sie allerdings noch nicht gefunden oder schlicht überlesen). Auch das könnte ein Grund für die Verbannung sein.
VALE!
Tom
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Ich habe auch noch die Geschichte mit Aktäon gelesen, und erinnere mich, daß wir diese im Lateinunterricht übersetzt haben. Auch an Tiresias, Narziß und Echo erinnere ich mich (da hat sich mein Lateinlehrer wohl hauptsächlich aus dem dritten Buch bedient...);Wir mussten die Geschichte von Orpheus und Eurydike übersetzen. Die kommt aber wohl erst einige Bücher später, wenn ich richtig orientiert bin.
LG
Tom
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Im Grunde sind [die Götter] ... auf den Olymp projizierte, in ihren Lastern, Schwächen und Fehlern vergrößerte Menschen.Auch wenn er hier nicht gern gesehen ist, habe ich jetzt doch noch einmal bei Herrn Nietzsche persönlich nachgefragt. In "Menschliches Allzumenschliches" heißt es: "Die Griechen sahen über sich die homerischen Götter nicht als Herren und sich unter ihnen nicht als Knechte ... Sie sahen gleichsam nur das Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer eigenen Kaste, also ein Ideal, keinen Gegensatz des eigenen Wesens. Man fühlt sich miteinander verwandt ... Der Mensch denkt vornehm von sich, wenn er sich solche Götter gibt ..." (Drittes Hauptstück, Das religiöse Leben, Abschnitt 114)
Nun hat Nietzsche dies über die Griechen, und nicht über die Römer behauptet. Ich halte das jedoch für übertragbar. Was mich irritiert: Er hat diese antike Gottesidee positiv gewertet, um sie der "Sklavenmoral" des Christentums entgegen zu halten. Wenn wir jedoch berücksichtigen, was Du, Gontscharow, über die Schlechtigkeiten der antiken Götter zusammengetragen hast, lässt das interessante Schlüsse auf die damalige Moral zu.
LG
Tom
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Da ich gerade ein recht interessantes Buch mit dem Titel "1857 - Flaubert, Baudelaire, Stifter" lese, nutze ich diesen Ordner, um einen Teil der Ausführungen des Autors Wolfgang Matz zu Protokoll zu geben.
Worum geht es? Ausgangspunkt der Matzschen Thesen ist das Jahr 1857. In Paris erschienen mit wenigen Monaten Abstand zwei literarische Werke, die, zunächst skandalisiert, später als Jahrhundertbücher gefeiert wurden: Flauberts „Madame Bovary“ und Baudelaires „Blumen des Bösen“. Ein drittes Werk des Jahres 1857, Stifters „Nachsommer“, blieb jahrzehntelang weitgehend unbeachtet, gilt aber heute in seiner radikalen Artifizialität als zukunftweisend für die Moderne.
Das Jahr 1857 ist eine Geburtsstunde der modernen Literatur. Ausgehend von den tiefgreifenden technischen und sozialen Veränderungen des 19. Jahrhunderts standen Kunst und Literatur vor den Herausforderungen des bürgerlichen Zeitalters. Die neue Gesellschaft verlangte vom Künstler nicht mehr als ein wenig Dekor für die Salons und eine angenehme Bettlektüre. Wie der Künstler die veränderte Realität erfährt, für sich deutet und in Kunst verwandelt, waren essentielle Fragen, auf die Flaubert, Baudelaire und Stifter jeweils eigene Antworten gaben.
In diesem Ordner interessiert uns Baudelaire. Hier eine kurze Zusammenfassung der Thesen von W. Matz:
Ausgangspunkt der Baudelaireschen Ästhetik ist die Ablehnung der zeitgenössischen, bürgerlichen Oberflächlichkeit, vor allem der modernen Weiblichkeit, die für ihn “auf Stöckelschuhen” daherkam. Diese “fahlen Rosen” entsprachen nicht dem “(blut)roten Ideal” des Dichters.
Baudelaire nimmt eine Umwertung der Werte vor: Er feiert die exotische, durch Leiden beschädigte Schönheit, stilisiert Frauen zu Engeln des Bösen und spielt geschickt, zum Teil auch pervers, mit den Ängsten seiner Zeitgenossen vor diversen Krankheiten, die das Lotterleben des 19. Jahrhunderts mit sich brachte (B. selbst hatte Syphilis).
Baudelaire lebte das großstädtische Leben eines Dandys und stilisierte sich zum letzten großen Dichter eines (längst vergangenen) heroischen Zeitalters. Mit seinen “Blumen …” hat die Poesie noch ein letztes Mal die Vollkommenenheit des Klassischen erreicht. Den Skandal rund um das Buch hat der Autor bewusst provoziert; er war aber zutiefst gekränkt durch die gerichtliche Verurteilung eines Teils der Verse – hatte er doch immer mit einem Freispruch à la Flaubert gerechnet.
Fazit: Mit Abstand das Beste, was ich bisher über Baudelaire gelesen habe (und ich gestehe gern, dass die die oben erwähnte Sartre-Abhandlung nicht kenne).
Viele Grüße
Tom
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Drachentöterei ist ja sonst eigentlich immer etwas langweilig und kindisch und eine rein männliche Domäne.Nun ja, ich habe meinen ersten und bislang einzigen Drachen mit sieben erschlagen; insofern hast Du mit "kindisch" sicher recht. Langweilig war es übrigens nicht ... :breitgrins:
LG
Tom
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Die Überleitung vom zweiten zum dritten Buch erscheint mir sehr raffiniert, irgendwie modern!Das gilt auch für die Überleitung vom dritten zum vierten Buch.
Das dritte Buch hat mir ausgesprochen gut gefallen. Die Bacchus-Geschichte ist wirklich gnadenlos! In was für einem rachsüchtigen und brutalen Kosmos haben die Römer gelebt! Denn ich nehme an, dass Ovid den Geist seiner Zeit so "realistisch" wie möglich einfängt und wiedergibt. Frei nach Nietzsche stelle ich mir die Frage: Was waren das für Menschen, die sich solche Götter gaben?
Im vierten Buch folgen mehrere kurze Erzählungen, von denen ich die über Pyramus und Thisbe am meisten genossen habe. Nun weiß ich endlich, wo Richard Wagner seine morbide Vorstellung vom Liebestod (Tristan und Isolde) "abgekupfert" hat! :breitgrins:
Insgesamt macht mir die Lektüre mittlerweile sehr viel Freude; die Anfangsschwierigkeiten sind überwunden.
LG
Tom
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Eigentlich wollte ich es nur als Nachschlagewerk zu Hause stehen haben ...Darauf muss man erstmal kommen! Ich habe den Schwab immer als Lesebuch, und nicht als Nachschlagewerk gesehen. Hätte ich mehr darin gelesen, würden mir vermutlich die "Metamorphosen" Ovids etwas leichter fallen ...
Aber dank Deines Tipps kann ich ja schnell mal im Schwab nachschlagen!
LG
Tom
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Tizian erweist sich als wahre Fundgrube:
http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20100528013116
http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20101004230400
http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20080828111545
http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20050521071721
http://de.wikipedia.org/w/inde…etimestamp=20090928071536
LG
Tom
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[img width=120 height=120]http://www.mlahanas.de/Greeks/…ages3/EuropaVallotton.jpg[/img] ... Flatternd bauscht sich im Wind ihr Gewand.
Soviel zur künstlerischen Freiheit, die das flatternde Gewand mal eben beiseite lässt ... :zwinker:
So endet das zweite Buch - mitten in Europas Entführungsgeschichte. Habt ihr eine Ahnung warum ? Soll das ein cliffhanger sein?Warum nicht? Ovids Erzählweise hat für mich etwas Atemloses; mit Einleitungen und Überleitungen hält er sich gar nicht erst auf. Was mir auffällt: Die Abfolge der Geschichten hat etwas scheinbar Zufälliges und Wahlloses. In meinem Vorwort wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Zusammenstellung der Bücher nach bestimmten Themen erfolgte, wie z.B. "Verfehlungen der Götter" oder "Rache der Götter". Das erklärt natürlich nicht, warum die Bücher teilweise derart abrupt enden.
Ich bin jetzt mitten im dritten Buch und habe als letzte Geschichte "Narcissus und Echo" gelesen. Besonders gefallen hat mir der Drachentöter Cadmus (zu Beginn des dritten Buchs). Das Erschlagen irgendwelcher Ungeheuer durch irgendwelche Helden scheint ein grundlegendes Thema der mythologischen und später der phantastischen Literatur zu sein. Beowulf und Siegfried fallen mir spontan ein, aber auch in Grimms Märchensammlung taucht dieses Motiv auf (ich erinnere mich leider nicht, in welchem Märchen).
Einen guten Start in die Woche wünscht
Tom
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Ich habe vorhin noch das zweite Buch zuende gelesen. Faszinierend fand ich die Beschreibung der Göttin des Neides... Gibt es in deiner Ausgabe eine Anmerkung dazu, Tom?Leider nein. Die spärlichen Anmerkungen in meiner Ausgabe sind nicht sehr hilfreich.
Invidia ist, glaube ich, keine klassische Gottheit, sondern eine Personifikation des Neides, ob es da Vorlagen gibt, weiß ich nicht.
Die spätere allegorische Darstellung des Neides als eine der sieben Todsünden entspricht jedenfalls der Invidia von Ovid - eine alte ausgemergelte Frau mit Schlange.Hier eine Darstellung von Callot: http://en.wikipedia.org/wiki/F…en_Deadly_Sins_-_Envy.JPG
LG
Tom
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Erstaunlich, welche Vielfalt an mythologisch vermitteltem Wissen über Entstehung und Geschichte der Welt auf diesen wenigen Seiten schon vor dem Leser ausgebreitet wird!AVE!
Es ist schon ein ordentliches Feuerwerk, mit dem wir es hier zu tun haben. Das Erstaunliche für mich: Der Dichter beherrscht die Menge des Stoffs absolut souverän; er ist der allwissende Schöpfer und Lenker, so wie Flaubert ihn in einem Brief aus dem Jahr 1852 gefordert hat: "Der Autor muss für sein Werk das sein, was Gott im Universum ist: überall anwesend, aber unsichtbar."
Mein Lektürefortschritt stockt ein wenig. Ich hoffe, am Wochenende das dritte Buch lesen zu können.
VALE
Tom
PS: Rubens' "Juno und Argus" sind in der Tat bizarr, Gontscharow. Gibt es irgendwo eine Fundstelle für "Jupiter und Kallisto"? Es ist sicher interessant, die Kunstgeschichte nach Motiven zu durchforsten, die auf die "Metamorphosen" zurückgehen. Ein Projekt für die Rente ... :breitgrins:
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Wenn es auch Wichtigeres (den Inhalt) gibt: Schönes Layout.Unbedingt. Es erfüllt die Anforderung, zugunsten der Inhalte dezent in den Hintergrund zu treten. Kurz: Das neue Desgin ist schlicht hervorragend!
LG
Tom
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Wo hastn Du das eingestellt? Ich hab' mir vorhin einen Wolf gesucht. :breitgrins:Ich hab's überhaupt nicht eingestellt; plötzlich waren die Lesezeichen wieder da. :smile:
Cheers!
Tom
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