Beiträge von Sir Thomas


    ... mir ging Olafur schon das ganze dritte Buch über gewaltig auf den Geist ...
    Aber gerade diese unkommentierte Darstellungsweise Olafurs macht ihn so schwer erträglich.



    mich hat Olafur sehr strapaziert; Unverständnis, Unmut, Ärger, nur ab und zu Mitleid. Das zehrt an den Nerven.


    Liebe Mitstreiter,


    unser Dichter Olafur bietet in der Tat keine Identifikationsmöglichkeiten. Aber ist diese Unmöglichkeit nicht ein Merkmal halbwegs gelungener Literatur? Sind die Figuren, die uns unverständlich bleiben, nicht letztlich die interessanteren? Da ich kein identifikatorischer Leser bin, haben mich die Zerrissenheit und Lebensunfähigkeit des Dichters jedenfalls weit mehr interessiert als all die geschilderten sozialen Verwerfungen.


    Aber wie es heisst es so schön im Kölner Karneval: Jeder Jeck ist (und liest) anders ... :zwinker:


    Es grüßt


    Tom


    Du meinst, der Schöpfer könne die Welt nicht bestehen lassen ohne dein idiotisches Mitleid. Du, der du ein Dichter bist, steig herab von diesem abscheulichen Kreuz! 3/Kapitel 13 ende


    Noch einmal zurück zu dieser bemerkenswerten Stelle. Ich habe ein wenig graben müssen, um zu finden, woran mich das erinnert. Dann hatte ich es endlich: Es gleicht der Verachtung, die Nietzsche dem christlichen Mitleidsethos entgegenbrachte (Mitleid ist für ihn Verneinung des Lebens) und der Schopenhauerschen Polemik, derzufolge Mitleid keine soziale Funktion im Sinne einer humanen Gesellschaft o.ä. erfülle, sondern vor allem ein Mittel der individuellen Entlastung bzw. Erlösung darstelle. Möglicherweise war Laxness ein Nietzsche-Kenner oder gar -anhänger. Was sagt der Biograf?

    da die Geschichte auffallend christliche Symbolik enthält, kam mir schon der Gedanke, dass es hier entweder um 1.Petrus 5,8 geht, dort tritt der Löwe als Widersacher auf, der jemanden versucht zu verschlingen. In Olafurs Fall also als Feind auftritt um seine Tochter zu verschlingen oder es könnte ein Wunschdenken Olafurs sein, dass der Löwe ein Sinnbild der Auferstehung sein könnte und sein Mädchen vom Totenbett aufstehen lässt.


    Du bist bibelfest, ja? :zwinker:



    Am Ende wars dann der Freund Örn Ulfar der zur Tür herein trat, auch so ein Todgeweihter ...


    ... und eine interessante Figur! Habe ich das eigentlich richtig verstanden, dass Ulfar gegen Ende des dritten Bands seine politischen Ideale verraten hat, indem er insgeheim mit den Wahren Isländern zusammenarbeitete?


    als der Dichter erschöpft am Sterbebett seiner kleinen Tochter saß und vor Müdigkeit nur noch versunken in der Welt der Symbole und Phantasien ist, sieht er einen Löwen [3/12]


    Der Löwe versinnbildlicht ja quer durch die Jahrhunderte verschiedene Deutungen und ist in verschiedenen Sagen zu finden ...


    Was könnte der Löwe im vorliegenden Fall bedeuten? Hast Du eine Idee?

    uih, das klingt ja nicht gut, Tom.


    Keine Sorge, Maria. Ich stehe in absoluter Nibelungentreue zu unserer nordischen Runde! Wenn ich eine Pause einlege, wird sie nicht länger als eine Woche dauern.



    Das grenzt für mich an Heuchelei, zumindest an Selbstbetrug.


    So hatte ich das bislang nicht bewertet. Aber es stimmt schon. Unser Dichter ist ein Mitleidender um des Mitleidens willen. Konkrete Folgen hat dieses Mitleiden für die Leidenden nicht. Heuchelei trifft es deshalb gut, wobei ich noch das Adjektiv "christlich" davorsetzen möchte.


    LG


    Tom

    Hallo miteinander!


    Ich habe den 3. Teil beendet. Er ist der bislang schwächste. Die Darstellung der sozialen und politischen Konflikte in der Besitzung Svidinsvik driftet zu oft ins Surreale oder Satirische ab und läuft zudem seltsam eigenständig neben der Schilderung der bedrückenden häuslichen Sphäre des Dichters her. Immerhin ist Laxness ein starkes Kapitel (12) gelungen: Zwei Männer (Götter auf den Wolken des Himmels ...) unterhalten sich über Gott, die Liebe, die Gerechtigkeit – und zwischen ihnen liegt ein todkrankes Kind (… die sterbende Menschheit ...). Als die Worte enden, stirbt das Kind des Dichters.


    Der Dichter selbst wird immer mehr zum Dostojewskischen Idioten, der konsequent gegen seine eigenen Interessen handelt und das damit begründet, er könne sich nicht von denen trennen, die es schwer haben (Kap. 20). Er erkennt, dass die Wirklichkeit, auf die es ankommt, nicht außerhalb von ihm ist, sondern in seinem eigenen Bewusstsein wohnt (Kap. 16). Die Wahrnehmung und Konstruktion der Außenwelt als irgendwie kohärentes Konstrukt unseres selbstreferentiellen Gehirns: Das war in den späten 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Sicherheit eine spannende These.


    Ich bin mir noch nicht sicher, wann ich den 4. und letzten Teil lesen werde.


    LG


    Tom


    Der 'wahren Isländer" war mir als Gedankentum schon etwas befremdlich, konnte es aber nicht mit dem Ausspruch des 1000jährigen Reiches bringen.


    In 3/5 kommt Licht ins dunkle Geraune. Petur Palsson, der umtriebige "Geschäftsführer", definiert den Nazi-Charakter der "Wahren Isländer": Die moderne Zeit, das ist Loyalität, das ist, ein Vaterland zu haben, für das man hungert und für das man ertrinkt, wenn das Wirtschaftsleben es erfordert. Die moderne Zeit, das ist, bereit zu sein, den letzten Blutstropfen für die Geschichte der Nation und für ihre Zukunftshoffnungen zu opfern. Die moderne Zeit, das ist, kein Russe zu sein.


    LG


    Tom


    Meist wird Sturmhöhe als Liebesroman gelesen, als Geschichte einer urgewaltigen Leidenschaft. Es gibt aber auch eine andere Lesart: Sturmhöhe erzählt eine Familiengeschichte, in deren Zentrum ein Geheimnis seine zerstörerische Kraft entfaltet.


    Es gibt viele mögliche Lesarten (wie auch die kürzlich beendete Leserunde zeigte). Meine ganz persönliche: "Sturmhöhe" zeigt schonungslos die Unfähigkeit der Gebildeten, sich mit der kaltschnäuzigen Brutalität eines Emporkömmlings angemessen auseinanderzusetzen. Letztlich kapituliert der Humanismus vor den mit List und Gewalt geschaffenen Fakten - ein sehr modernes, immergrünes Thema.


    LG


    Tom


    Das Feuer, das seine Gedichte verbrannte, sollte dies erwartungsgemäß symbolisieren, oder?


    Eine bessere "Erklärung" habe ich derzeit auch nicht, Maria.



    ich bin über den Begriff 1000jähriges Reich im 3/3. Kapitel gestolpert und habe das Gefühl, dass ich irgendetwas überlesen habe, aber das zurückblättern gab auch keinen Aufschluß.


    Das muss ich noch mal nachlesen. Wenn das eine Anspielung auf die Nazidiktatur sein soll, dann kann dieser Begriff eigentlich nur in das Umfeld der "Wahren Isländer" und deren Parolen gehören.


    Mir geht es übrigens wie Euch: Ich schleppe mich dahin mit dem Buch, es ermüdet mich derzeit schnell.


    :winken:


    Tom


    le Spleen de Paris von Baudelaire.


    Salut,


    das ist ja mal eines der weniger bekannten und gelesenen Baudelaire-Werke - zumindest in Deutschland. Ich besitze eine zweisprachige Ausgabe, leider noch ungelesen. Schönen Dank für die Erinnerung!


    Au revoir,


    Tom


    Er ... sah keinen anderen Ausweg mehr aus diesem schrecklichen Roman, als sich vom Arzt ermorden zu lassen...[/i]


    Wunderbarer Humor!



    ... den 2. Teil habe ich beendet und beginne am WE mit dem 3.Teil ...


    Bin ich Dir zu schnell? Ich versuche immer möglichst nichts vom Inhalt zu verraten, wenn ich schon aus dem 3. Teil berichte. Wenn es trotzdem nervt, halte ich mich zurück.


    :winken:


    Tom


    Ich bin zufällig durch Google auf dieser Seite gelandet ...


    Hallo Doria,


    was hast Du denn da gegoogelt?



    Ich bin aus Frankreich, will aber mein Deutsch durch das Schreiben verbessern ...


    Dein geschriebenes Deutsch ist gut. Bist Du bilingual?


    Bienvenue!


    Tom


    ... die traurige Gestalt, die uns dreiundzwanzigjährig in dem III. Buch präsentiert wird, schreckt mich eher ab.


    Im dritten Teil erfahren wir Interessantes über das Selbstverständnis unseres Dichters. In einer kurzen Rede vor den versammelten Arbeitern betont Olafur: Es ist viel schwieriger, ein Dichter zu sein und über die Welt zu schreiben, als ein Mensch zu sein und in der Welt zu leben. … Der Dichter ist das Gefühl der Welt, und im Dichter leiden alle anderen Menschen. … Der Dichter kann nicht von einem einzelnen Glücksfall … von diesem Schmerz geheilt werden, sondern nur duch eine bessere Welt. … Dichter zu sein, das bedeutet Gast zu sein an einer fernen Küste, bis man stirbt.


    Das hört sich für mich sehr messianisch an.


    Viele Seiten später dann diese Reflektion:
    Er sah, wie er sich selbst in zwei Hälften teilte: Der Freiheitsheld, der Wahnsinnige, der Bösewicht, der poetische Mensch blieb in einiger Entfernung zurück, und hervor trat der soziale, christliche, langweilige und unpoetische Mensch, … der demütige Bekenner des allgemein anerkannten Verhaltens.


    Wahnsinn als Preis für ein Poetenleben? Dass dem Künstler immer etwas Unbürgerliches, Unzuverlässiges und von der "normalen" Welt Trennendes anhaftet, hat schon Thomas Mann in "Tonio Kröger" thematisiert. Bei Laxness verdichtet sich diese Trennung zu einem künstlerischen Grundkonflikt. Sehr interessant! Mal sehen, ob noch weitere Einlassungen dieser Art folgen.


    ... sozialkritisch immer bissiger, das geht mehr in die Richtung, wie ich diesen Autor kenne.


    Er hat offensichtlich Zola gelesen. Mir behagt diese Richtung nicht. Der dritte Teil ist für mich deshalb auch der bislang schwächste.



    ... die traurige Gestalt, die uns dreiundzwanzigjährig in dem III. Buch präsentiert wird, schreckt mich eher ab.


    Hm, was erwartest Du von einem Dichter? :breitgrins:



    ... nur wenn es um Dichtung geht ist er lernfähig ...


    Das trifft es.


    Vielleicht habe ich morgen etwas mehr Zeit, mich zu unserem Dichter zu äußern. Heute Abend möchte ich nur noch unter die heiße Dusche und dann auf meine Couch.


    So long,


    Tom