Beiträge von JHNewman

    Die Geschichte taucht auch in meiner eigenen Kafka-Biographie auf, von Ronald Hayman. Allerdings heißt es dort nicht, dass Kafka eine neue Puppe besorgt (und einen Brief darin versteckt hätte), nur dass er im Namen der Puppe Reiseberichte schrieb.

    Dass Kafka eine neue Puppe besorgt habe, berichtet wohl Max Brod in seiner Version der Geschichte. Stach meint aber, das sei unwahrscheinlich - weil Kafka zu dem Zeitpunkt, zu dem er das lt. Brod getan hätte, bereits in Zehlendorf wohnte. Es ist nicht wahrscheinlich, dass er den Kontakt zu dem Mädchen aus dem Steglitzer Park für mehrere Monate - und dann noch über eine räumlich größere Distanz - aufrecht erhalten hat. Kumpfmüller stützt sich offenbar stärker auf die Version aus Dora Diamants Erinnerungen, derzufolge es Kafka in den Briefen, die er dem Mädchen vorlas, vor allem darum ging, dem Mädchen langsam klar werden zu lassen, dass die Puppe nicht mehr zurückkommt

    Ein weiteres Kafka-Kuriosum ist die Geschichte der "Puppenbriefe".

    Danach soll Kafka etwa ein Jahr vor seinem Tod in Berlin einem Mädchen begegnet sein, das seine Lieblingspuppe verloren hatte. Um das Kind zu trösten, behauptete Kafka, die Puppe habe verreisen müssen und werde dem Mädchen schreiben. Fortan schrieb Kafka selbst für das Mädchen eine Anzahl Briefe, die angeblich von der Puppe stammten und von der Reise berichteten.

    Die Briefe sind niemals aufgetaucht. Dora Diamant soll die Geschichte nach Kafkas Tod irgendjemandem erzählt haben - nichts Genaues weiß man nicht. Siehe hier bei Mimikama , wo auch eine sehr niedliche Illustration zu der Geschichte zu sehen ist.

    Ich habe gerade Michael Kumpfmüllers sehr schönen Roman 'Die Herrlichkeit des Lebens' über die Liebe zwischen Kafka und Dora Diamant gelesen. Darin wird auch diese Episode erzählt.


    Nun habe ich bei Reiner Stach nachgelesen (der eine dreibändige Kafka-Biographie verfasst hat - ein wirkliches Meisterwerk, bisher habe ich allerdings nur die ersten beiden Bände gelesen...) Stach berichtete diese Episode ebenfalls, in Bd. 3, S. 587f.


    Die Briefe sind nicht erhalten, weil weder die Briefe Kafkas an Dora Diamant wie noch ein großer Teil der Materialien aus dieser Zeit erhalten sind. Ein Teil der Sachen wurde von der Gestapo beschlagnahmt und gilt seither als verschollen. Offenbar hat Kafka diese Puppenbriefe dem Mädchen auch gar nicht ausgehändigt, sondern nur vorgelesen - es konnte noch gar nicht selbst lesen. Gleichwohl hat Dora diese Episode in ihren Erinnerungen aufgezeichnet, sie aber auch zuvor schon Max Brod berichtet.Bei Max Brod findet sich die Geschichte auch, allerdings in einer etwas abweichenden Form.


    Stach hält die Sache für authentisch, denn sie passt sehr gut zu dem, was wir sonst über Kafka wissen. Sein Humor, auch seine Freude am Spiel, ebenso die Parallele zu etwa den Hebel'schen Erzählungen, die Kafka geliebt und gemeinsam mit Dora Diamant gelesen hat, sprechen für die Authentizität.

    Ich habe wieder zu Olga Tokarczuk gegriffen: Ur und andere Zeiten.

    Ein hinreißendes Buch, sehr zugänglich und überhaupt nicht schwer zu lesen.

    Besonders für Einsteigerinnen und Einsteiger in das Werk zu empfehlen (falls man sich durch die Dicke von 'Jakobsbücher' oder die fehlende Handlung von 'Unrast' verunsichert fühlt...)

    Lese gerade „Die rechtschaffenen Mörder“. Der altmodisch-betuliche Ton gefällt mir ind wirkt irgendwie beruhigend auf mich.

    Ha, warte mal ab, ab Teil zwei ändert sich der Ton...
    Ich habe das Buch jetzt einmal von vorne nach hinten gelesen - der legendenhafte Ton, den Schulze sich hier von Joseph Roth borgt, hat mir auch ganz gut gefallen, allerdings hatte ich ein leichtes Unbehagen dabei, denn mir erschien das etwas zu betulich. Als dann Teil zwei und Teil drei dazukamen, konnte ich das einordnen.

    Mittlerweile habe ich das Buch noch einmal teilweise rückwärts gelesen, also Teil drei zuerst, dananch Teil zwei. Denn ich wollte diesem raffinierten Erzähler Schulze etwas mehr auf die Spur kommen. Er legt ja Fährten und nimmt später Handlungsstränge auf, die man nicht so richtig beachtet hat. Und vor allem erscheint dann der gesamte erste Teil noch einmal in einem neuen Licht. Man kann diesem Kerl eben einfach nicht trauen.


    Ich bin auf Deine Eindrücke gepsannt. Vor allem sind m. E. sehr gute Überlegungen zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen drin. Und meine große Frage ist auch: ist Durs Grünbein das Vorbild für Ilja Gräbendorf? Und mir scheinen auch die Fälle von Susanne Dagen und Uwe Tellkamp irgendwie durch das Buch zu geistern. Viele Ansatzpunkte...

    Ich habe das Buch von Ian Pears vor vielen Jahren gelesen und erinnere mich vage daran, dass es mir je länger je besser gefiel... Einen Bedarf nach einer Re-Lektüre sehe ich bei mir allerdings nicht. Was hat Dich bewogen, das Buch jetzt noch einmal zu lesen?

    Bei uns läuft es so: der Buchhändler musste schließen, aber er hat die Kunden via Zeitungsanzeige und sozialen Medien informiert, dass er weiterhin erreichbar ist. Der Laden ist von 9 bis 18 Uhr besetzt, um Bestellungen anzunehmen und telefonisch erreichbar zu sein. Man kann seine Bücher auch nach wie vor im Laden abholen - es wurden ein paar Hygienemaßnahmen umgesetzt (Abstand halten, einzeln eintreten, Zahlung möglichst per Karte, sonst extra Tellerchen für Bargeld etc.). Das Ordnungsamt ist damit zufrieden und in der letzten Woche hat er Umsätze wie im Weihnachtsgeschäft gemacht. Das wird sicher runtergehen, aber im Moment scheint es so, dass die Menschen den Laden weiter unterstützen. Mein Buchhändler meinte, dass er überleben kann, sofern der Umsatz in den nächsten Wochen etwa bis auf die Hälfte sinkt. Drunter wird's dann wohl schwierig.


    Andere Buchhandlungen scheinen anders zu agieren und sind mehr oder weniger 'weg'. Einige bieten einen Telefondienst nur für wenige Stunden des Tages an und verweisen sonst auf den Onlineshop.


    Eine gute Nachricht ist ja auch, dass Amazon die Belieferung mit Büchern eingeschränkt hat und sich auf andere Produkte konzentriert. Man bekommt also sein Buch in diesen Tagen schneller und zuverlässiger über den lokalen Buchhändler als über Amazon.

    Vor einigen Wochen gelesen: "Der zweite Schlaf" von Robert Harris. Der Roman beschreibt ein England in ferner Zukunft, das auf eine apokalyptische Katastrophe zurückblickt. Die Ursache dieser Katastrophe kennt niemand, aber es entwickelt sich eine Spekulation, dass auch ein Virus dafür verantwortlich gewesen sein könnte.


    Ansonsten natürlich auch: Tod in Venedig. :-)

    Ich habe jetzt mit Leif Randts "Allegro Pastell" den dritten Roman der Liste gelesen.


    Eigentlich wollte ich das nur der Vollständigkeit halber tun und hatte nicht viel von dem Buch erwartet. Das scheußliche Cover trug zu meiner niedrigen Erwartungshaltung bei. Aber wie habe ich mich getäuscht... Bereits das erste Kapitel fand ich elektrisierend gut. Und so ging es dann auch weiter. In dem Buch passiert eigentlich überhaupt nichts, man fährt hin und her, schreibt sich Messages oder E-Mails, telefoniert, hat Sex, geht auf Parties, geht Essen (sehr wichtig!), macht Sport, reist. Das Leben der beiden Hauptfiguren ist finanziell gut ausgestattet, kultiviert, die Probleme sind Probleme auf hohem Niveau.


    Was an dem Roman begeistert, ist der Ton des Erzählers. Er bleibt dicht dran an seinen Figuren, ist immer in ihrem Kopf. Die beiden sind wirklich nicht sympathisch, Tanja ist eine ziemliche Zicke, Jerome eher etwas passiv, nicht besonders ambitioniert, ein bisschen Typ Langweiler. Trotzdem passen die beiden ganz gut zusammen, weil sie jeweils das bieten, was der andere sucht und will. Bis zu einem gewissen Punkt. Und als sie merken, dass sie damit eigentlich ganz gut gefahren wären, ist es für die Beziehung schon wieder zu spät. Beide sind ständig dabei, sich und ihre Umwelt zu analysieren, zu bewerten, sich in irgendeiner Weise zu optimieren, zu inszenieren oder zu performen. Sie sind ständig ihre eigenen Zuschauer, weniger im Bezug auf Selbstdarstellung, eher im Hinblick auf Selbstanalyse. Diese Überreflektierte ist zugleich ein unglaublicher Hemmschuh. Alles ist irgendwie geplant und kontrolliert, daher bleibt alles im moderaten Bereich, eben in Pastelltönen. Wirklich grelle Farben gibt es nicht. Echte Bedürfnisse auch nicht. Große Gefühle ebenfalls nicht. Der Sex ist so okay, dass man den Eindruck hat, er könnte irgendwann mal richtig gut werden. Also reicht es. Häufig vorkommende Begriffe zur Beschreibung von Erfahrungen sind "easy" und "nice".


    Die Stärke des Romans ist, dass er diese Sprache darstellt, ohne selbst zu ihrem Opfer zu werden. Er hält eine angenehme Distanz zu dem, was er erzählt, ohne es einfach nur bloßzustellen. Wahrscheinlich bleibt man deshalb auch dran an der Handlung, obwohl die Figuren wirklich keine Menschen sind, die man gerne kennenlernen würde. (Und gleichwohl hat man das Gefühl, dass man viele davon schon kennt...)


    Eine andere: Als Jerome und seine Freundin von der Schwangerschaft erfahren, machen sie einen Ausflug in den Rheingau, natürlich mit einem SUV - aber immerhin elektrisch. Sie wollen einfach mal ein bisschen testweise auf Familie machen und in ein klassisches Ausflugslokal gehen - wo man Schnitzel mit Kroketten isst und so. Auf der Terrasse des Lokals angekommen, stellen sie fest, dass dort nur "weiße, heterosexuelle Menschen sind". Das ist ihnen zu viel, deshalb gehen sie wieder. Der Roman macht aber klar: natürlich ist ihnen das nicht zu viel, genau in diese Kategorie gehören sie ja selbst. Aber es widerspricht dem Selbstbild, das sie von sich haben möchten, einfach am Sonntagnachmittag in einem Ausflugslokal im Rheingau zu sitzen - wie andere auch.


    Das Buch bleibt über die ganzen 280 Seiten unterkühlt - oder besser: lauwarm. Wirkliche Hitze gibt es nicht. Und obwohl die beiden Hauptfiguren ein eigentlich recht flottes Leben führen (eben im Allegro), bleibt es letztlich blass - eben Pastell. Der Titel ist wunderbar gewählt. Und am Ende versteht man auch, warum das Cover so hässlich ist: Es ist diese Kombination aus unentschiedenen Pastelltönen mit einem seltsam unscharfen Bild, das aber trotzdem nach außen glitzert und glänzt, als wäre es mehr wert oder wolle mehr scheinen, als es ist...


    Und jetzt habe ich ein Problem. In den letzten Jahren konnte ich immer ziemlich genau sagen, welches mein Favorit für den Preis ist. In diesem Jahr fand ich alle drei Roman, die ich gelesen habe, preiswürdig. Seiler vor allem wegen seiner Sprache, Schulze wegen der gesellschaftlichen Relevanz und des raffinierten Aufbaus. Und jetzt dieses 'viruos lauwarme Meisterwerk' (SZ) von Randt. Da könnte ich mich mit jedem als Preisträger anfreunden.


    Bin mal gespannt auf morgen.

    Puh, dann bin ich aber froh, mich nicht ersatzweise um Tickets für Köln bemüht zu haben. Ich hatte schon geschaut, welche Autoren ich womöglich in Köln hätte hören können, dann aber dagegen entschieden, die Reise nach Köln auf mich zu nehmen. Die Lit.Cologne ist wegen ihrer Einzelveranstaltungen über einen längeren Zeitraum ohnehin nicht mit Leipzig zu vergleichen. Hätte mir jetzt sowieso nichts mehr genützt...


    Dafür bin ich jetzt am 1.4. in Frankfurt bei Lutz Seiler. Yay!


    Hoffentlich kannst Du Dir die Tickets erstatten lassen!

    Ich kenne auch keines davon, aber mich würde interessieren, warum Du das Cover so hässlich findest.

    Ich habe es mir bei Google angesehen und finde es in keiner Richtung besonders bemerkenswert.

    Was man im Netz nicht so gut sieht: der Umschlag hat so einen Glimmer- und Glitzer-Effekt und lässt sich deshalb auch sehr schlecht fotografieren. Was bei Google eher nach einfachem Pastell aussieht, reflektiert im Licht. Und das finde ich scheußlich. Es fasst sich auch nicht schon an, sondern der Umschlag wirkt wie mit Plaste überzogen.


    Zu dem Buch von Yanagihara könnte ich eine Menge sagen. Ich habe das damals gelesen (zu lesen versucht), weil es in einigen Foren geradezu hymnisch angepriesen wurde. Ich kann vor diesem Buch nur warnen. Es ist ein schreckliches Buch - ein totaler Gewaltporno mit höchst fragwürdigen Personen. Für Leser und Leserinnen, die sich gerne im Leid ihrer Figuren suhlen, ist es möglicherweise attraktiv, aber ich fand das Buch eine Zumutung.


    Das Umschlagfoto ist aus einer Serie, die Menschen im Moment des Orgamus zeigt. Irgendwie seltsam. Aber zum Gewaltporno passt es natürlich irgendwie. ;)


    EDIT: Meine Gedanken zu dem Buch habe ich seinerzeit im Nachbarforum aufgeschrieben, dort findest Du auch ein paar andere Stimmen dazu:

    https://literaturschock.de/lit…&postID=957932#post957932

    Ich habe keines der Bücher gelesen. In einer Rezension hieß es, daß Schulzes Buch pädagogisch-belehrend wirke, vor allem gegen das Ende hin.

    Hast Du das auch so empfunden?

    Nein, das habe ich nicht so empfunden. Denn das Buch vermeidet imho allzu große Eindeutigkeiten. Der Erzähler ringt sehr mit seiner Figur, was in Teil zwei und drei sehr deutlich wird. Es werden auch verschiedene Wege der Anpassung an die neue Gesellschaft vorgestellt - zugleich wird auch deutlich, dass die Hauptfigur (Antiquar Paulini) auch Opfer der Umbrüche ist, für die er nicht verantwortlich ist.


    Als pädagogisch habe ich es nicht empfunden. Wir werden das Buch im Mai in unserem Lesekreis besprechen, ich bin mal auf die Rückmeldungen der anderen gespannt. Vielleicht empfinden die das anders.

    Lutz Seilers Roman "Stern 111" habe ich nun beendet. Es fällt mir wirklich sehr schwer zu sagen, welchen Roman ich besser finde. Schulze und Seiler haben beide ausgezeichnete Bücher geschrieben, die sehr unterschiedlich die Wendezeit und Nachwendezeit beschreiben. Das Buch von Seiler ist poetischer, wie seinerzeit schon Kruso. Durch die Gegenüberstellung der Geschichten Carls und der seiner Eltern schafft der Roman auch eine Öffnung, die wichtig ist. Und die Atmosphäre im Berlin der 'Zwischenzeit' zwischen Mauerfall und Vereinigung der DDR mit der BRD ist wahrscheinlich noch nie so intensiv eingefangen worden.


    Daneben kommt Schulzes Roman zunächst einmal etwas konventioneller daher, gewinnt aber durch den doppelten Perspektivenwechsel dann eine solche Tiefe, dass ich das Buch für keinesfalls schlechter halte als das von Seiler. Ich will den Roman noch einmal lesen, diesmal aber von hinten, d.h. die Teile in umgekehrter Reihenfolge.


    Und nun kommt der Knaller: Heute habe ich mit der Lektüre von Leif Randt begonnen. Das Buch ist äußerlich hässlich, das Cover scheußlich. Eigentlich wollte ich das nur der Vollständigkeit halber lesen. Ich hatte gar keine Erwartungen an das Buch. Aber das erste Kapitel ist wirklich umwerfend gut. Völlig anderer Ton, völlig anderes Thema. In der Süddeutschen Zeitung schrieb jemand, es sei ein "virtuos lauwarmes Meisterwerk". Das sieht man schon am ersten Kapitel. Wenn das so bleibt, weiß ich wirklich nicht, wem ich den Preis gönnen soll...