Ich habe jetzt mit Leif Randts "Allegro Pastell" den dritten Roman der Liste gelesen.
Eigentlich wollte ich das nur der Vollständigkeit halber tun und hatte nicht viel von dem Buch erwartet. Das scheußliche Cover trug zu meiner niedrigen Erwartungshaltung bei. Aber wie habe ich mich getäuscht... Bereits das erste Kapitel fand ich elektrisierend gut. Und so ging es dann auch weiter. In dem Buch passiert eigentlich überhaupt nichts, man fährt hin und her, schreibt sich Messages oder E-Mails, telefoniert, hat Sex, geht auf Parties, geht Essen (sehr wichtig!), macht Sport, reist. Das Leben der beiden Hauptfiguren ist finanziell gut ausgestattet, kultiviert, die Probleme sind Probleme auf hohem Niveau.
Was an dem Roman begeistert, ist der Ton des Erzählers. Er bleibt dicht dran an seinen Figuren, ist immer in ihrem Kopf. Die beiden sind wirklich nicht sympathisch, Tanja ist eine ziemliche Zicke, Jerome eher etwas passiv, nicht besonders ambitioniert, ein bisschen Typ Langweiler. Trotzdem passen die beiden ganz gut zusammen, weil sie jeweils das bieten, was der andere sucht und will. Bis zu einem gewissen Punkt. Und als sie merken, dass sie damit eigentlich ganz gut gefahren wären, ist es für die Beziehung schon wieder zu spät. Beide sind ständig dabei, sich und ihre Umwelt zu analysieren, zu bewerten, sich in irgendeiner Weise zu optimieren, zu inszenieren oder zu performen. Sie sind ständig ihre eigenen Zuschauer, weniger im Bezug auf Selbstdarstellung, eher im Hinblick auf Selbstanalyse. Diese Überreflektierte ist zugleich ein unglaublicher Hemmschuh. Alles ist irgendwie geplant und kontrolliert, daher bleibt alles im moderaten Bereich, eben in Pastelltönen. Wirklich grelle Farben gibt es nicht. Echte Bedürfnisse auch nicht. Große Gefühle ebenfalls nicht. Der Sex ist so okay, dass man den Eindruck hat, er könnte irgendwann mal richtig gut werden. Also reicht es. Häufig vorkommende Begriffe zur Beschreibung von Erfahrungen sind "easy" und "nice".
Die Stärke des Romans ist, dass er diese Sprache darstellt, ohne selbst zu ihrem Opfer zu werden. Er hält eine angenehme Distanz zu dem, was er erzählt, ohne es einfach nur bloßzustellen. Wahrscheinlich bleibt man deshalb auch dran an der Handlung, obwohl die Figuren wirklich keine Menschen sind, die man gerne kennenlernen würde. (Und gleichwohl hat man das Gefühl, dass man viele davon schon kennt...)
Eine andere: Als Jerome und seine Freundin von der Schwangerschaft erfahren, machen sie einen Ausflug in den Rheingau, natürlich mit einem SUV - aber immerhin elektrisch. Sie wollen einfach mal ein bisschen testweise auf Familie machen und in ein klassisches Ausflugslokal gehen - wo man Schnitzel mit Kroketten isst und so. Auf der Terrasse des Lokals angekommen, stellen sie fest, dass dort nur "weiße, heterosexuelle Menschen sind". Das ist ihnen zu viel, deshalb gehen sie wieder. Der Roman macht aber klar: natürlich ist ihnen das nicht zu viel, genau in diese Kategorie gehören sie ja selbst. Aber es widerspricht dem Selbstbild, das sie von sich haben möchten, einfach am Sonntagnachmittag in einem Ausflugslokal im Rheingau zu sitzen - wie andere auch.
Das Buch bleibt über die ganzen 280 Seiten unterkühlt - oder besser: lauwarm. Wirkliche Hitze gibt es nicht. Und obwohl die beiden Hauptfiguren ein eigentlich recht flottes Leben führen (eben im Allegro), bleibt es letztlich blass - eben Pastell. Der Titel ist wunderbar gewählt. Und am Ende versteht man auch, warum das Cover so hässlich ist: Es ist diese Kombination aus unentschiedenen Pastelltönen mit einem seltsam unscharfen Bild, das aber trotzdem nach außen glitzert und glänzt, als wäre es mehr wert oder wolle mehr scheinen, als es ist...
Und jetzt habe ich ein Problem. In den letzten Jahren konnte ich immer ziemlich genau sagen, welches mein Favorit für den Preis ist. In diesem Jahr fand ich alle drei Roman, die ich gelesen habe, preiswürdig. Seiler vor allem wegen seiner Sprache, Schulze wegen der gesellschaftlichen Relevanz und des raffinierten Aufbaus. Und jetzt dieses 'viruos lauwarme Meisterwerk' (SZ) von Randt. Da könnte ich mich mit jedem als Preisträger anfreunden.
Bin mal gespannt auf morgen.