Hoppla, jetzt hätte ich fast vergessen zu fragen: Wieso findest Du Richard nicht glaubwürdig, JHNewman?
Gruß, Gina
Ich bin erst jetzt aus dem Urlaub zurück, daher mit verspäteter Antwort. :winken:
Richard halte ich als Person für recht wenig glaubwürdig. Als Pensionär wird er zunächst als recht einsam, kaum motiviert und etwas strukturlos dargestellt. Für jemanden, der jahrzehntelang in Forschung und Lehre aktiv war und Kontakt zu Studenten hatte, erscheint mri die Figur am Anfang des Romans seltsam passiv, einsam und wenig vernetzt. Erst im Lauf der Geschichte erfährt man dann von einigen engeren Freunden, aber die Exposition gefiel mir nicht. Es war aber für die Autorin wohl notwendig, Richard so darzustellen, um sein Anspringen auf das Flüchtlingsthema einigermaßen erklären zu können. Aus sich selbst heraus fand ich das nicht schlüssig.
Problematischer erschien mir aber, dass Richard einerseits unglaublich gebildet ist, ständig Parallelen zur Geschichte und Literatur herstellt, Menschen, denen er begegnet, mit Figuren aus der klassischen Literatur vergleicht, aber dann nicht weiß, wer die Tuareg sind oder wie weit es nach Spandau ist. Für jemanden, der seit 25 im vereinten Berlin lebt, wenn auch im Osten, ist das einfach nicht glaubwürdig.
Dazu kamen dann aber noch ein paar weitere Kleinigkeiten, die mich beim Lesen stutzig machten, die allerdings eher sachliche Fehler waren. So verwechselt die Erzählerin bei der Schilderung des Sprachunterrichts für Flüchtlinge Umlaute mit Diphtongen. Oder es wird behauptet, Deutschland heiße erst seit ungefähr 150 Jahren Deutschland. Das ist natürlich Unsinn, es hieß auch vorher schon so, bloß war es staatlich nicht geeint. Oder jemand murrt darüber, dass der Name 'Deutsche Reichsbahn' "faschistisch" sei. Wieso das denn? Auch zur Zeit der sog. Weimarer Republik war der Name des Staates 'Deutsches Reich' - und davor zur Zeit der Monarchie auch. Wieso soll der Name 'Reichsbahn' dann faschistisch sein?
Und gänzlich seltsam fand ich dann den Anwalt, der beim Gespräch über die Rechtslage der Flüchtlinge zum Regal geht, um Tacitus zum Thema der Gastfreundschaft der Germanen zu zitieren.