Beiträge von Zefira

    Vielen Dank euch beiden fürs Mitdenken!

    In dem Grimes-Roman ist kein Urheber für die Übertragung des Gedichts angegeben. Ich kann nur vermuten, dass das Gedicht von der gleichen Person übersetzt wurde wie das ganze übrige Buch.

    Das könnte natürlich bedeuten, dass eine möglichst gehübschte Form angestrebt wurde. Denn der Verlag musste wohl davon ausgehen, dass die große Mehrheit der deutschen Leser das Gedicht nicht kennt und auch nicht nachlesen wird. Ich glaube, ich muss meine eigene Interpretation noch mal auf den Prüfstand stellen.

    Ich bin halbwegs wieder gesund und habe gerade Kapitel 24 gelesen.

    Also, das toppt ja alles bisher Dagewesene ...

    Erst besteht Cardenio darauf, seine Geschichte OHNE Unterbrechungen erzählen zu dürfen, was natürlich sofort an Sanchos Ziegengeschichte erinnert. Don Quijote verspricht, still zu sein.

    Aber als die Rede auf die Ritterbücher kommt, muss er natürlich sofort loslegen, nicht anders als ein Huhn, das gackern muss, wenn es ein Ei gelegt hat ...

    Und wie reagiert Cardenio? Er konstatiert - nach geraumer Bedenkzeit -, dass "der Schurke Elísabat mit der Königin Madásima buhlerischen Umgang pflog." Worauf ebenso natürlich sofort wieder die Fäuste fliegen.

    Ich hätt mich auf dem Boden rollen können ...

    @ Volker: Ich habe deshalb zu Taschenbuchschwarten gegriffen, weil ich die problemlos im Liegen lesen kann. Der Don Quijote ist mir zum Lesen im Bett wirklich zu schwer.

    Martin Suter und Jan Seghers habe ich gelesen, und hätte es schlechter treffen können. Aber jetzt bin ich wieder in der Mancha. UNd werde nichts überspringen!


    Edit, eine Frage an die Kenner der deutschen Sprache: das Wort "pflog" als frühere Form von "pflegte" ist mir ein Begriff, aber ist nicht im Don Q. früher schon mal die Form "pflag" aufgetaucht? Oder irre ich mich da?

    Bedeutet pflag was anderes als pflog?


    Mehr anzeigen

    @ Volker: Danke für den Bildlink! Es kann durchaus sein, dass Daumier das Gesicht absichtlich nicht ausgeführt hat. Vielleicht sollte das Bild eine Vorstudie zu einem dtailreicheren Gemälde sein oder einen skizzenhaften Zug behalten. Sancho ist ja auch nicht wirklich zu sehen, obwohl er das laut Bildtitel sollte ...

    Ich bin in Kapitel 22, komme aber wegen übler Erkrankung kaum noch vorwärts. Die meiste Zeit liege ich auf dem Rücken und lese Taschenbuchschwarten ohne Anspruch.

    Jetzt weiß ich aber endlich, warum D.Q. in vielen Darstellungen diese merkwürdige Schüssel auf dem Kopf hat. Das Sträflingskapitel offenbart D.Q.s ganze Hybris. Glaubt er im Ernst, dass die befreiten Sträflinge geschlossen zur Rechenschaftslegung nach Toboso ziehen? Wie üblich wird er verhauen.

    Ich erwähnte ja schon weiter oben, dass ich mir auf einem Bücherflohmarkt ein Buch von Martha Grimes gekauft habe, dem ein Ausschnitt aus einem Gedicht von Wallace Stevens (die beiden letzten Strophen) vorangestellt war.
    Dazu muss ich euch jetzt was fragen und hoffe, dass sich hier jemand im Englischen besser auskennt als ich.


    Ich kannte von dem Gedicht anfangs nur das, was in dem Buch zitiert wird, also jene beiden letzten Strophen. Ich dachte sogar erst mal, das sei das ganze Gedicht.

    Die Heldin in Mrs. Grimes' Buch, eine einfache Kellnerin, liest sehr viel und vertieft sich in dieses Gedicht in fast besessener Weise. Es interessiert sie dabei nicht, etwas über Key West zu erfahren, wer Ramon Fernandez ist oder etwas über Wallace Stevens. Sie will das Gedicht aus sich selbst heraus verstehen, weil sie meint, dass es ihr etwas Besonderes und Wichtiges zu sagen habe. Nun kann es ja kein Zufall sein, dass Mrs. Grimes gerade dieses Gedicht gewählt hat und aus diesem die beiden letzten Strophen. Ich habe über die die dem Roman vorangestellte Übersetzung (gibt es hier - bitte zu Seite 7 scrollen) gehirnt und am Ende gedacht, jene "schöne Sucht nach Ordnung" müsse der Grund sein, warum Dichter überhaupt dichten, und das sei das Thema der beiden Strophen. Der Drang, die Welt mit Worten zu erfassen, "in geistigeren Grenzen, kühneren Lauten" ordnet das Chaos, reduziert die Banalität der Wirklichkeit und gibt ihr Zauber.

    Diese Deutung passt zu dem Grimes-Buch und der lesenden Heldin.


    Ich wollte mir also einen Gedichtband von Wallace Stevens bestellen, forschte nach "der besten Übersetzung" und stieß auf diesen Artikel, in dem übrigens auch das Originalgedicht nachzulesen ist:

    LitMag Weltlyrik - Wallace Stevens

    Die Übersetzung von Rainer G. Schmidt hat einen völlig anderen Tonfall als die bei Mrs. Grimes zitierte (und als die, die ich mir gekauft habe, von Karin Graf). "Ordnungswut" und "in gespenstischeren Abgrenzungen, schrilleren Lauten" schafft eine ironische Distanz, die in den anderen Übersetzungen nicht anklingt, und ich frage mich, ob ich auf die oben genannte Interpretation gekommen wäre, hätte ich nur Rainer Schmidts Übersetzung gekannt.


    Falls hier irgendjemand Lust hat, darüber nachzudenken - ich würde sehr gern eine andere Meinung hören. Vor allem, weil ich wie gesagt zwar Englisch lesen kann, aber nicht die Kenntnis habe, solche feineren Bedeutungsebenen zu erfassen.


    Grüße von Zefira

    Zu Kapitel 17: Das "Wippen" war ein beliebtes Spiel in Spanien, auch bei den Mädchen, die dazu eine Puppe nahmen, den "pelele". Goya hat dieses Motiv mehrmals gemalt bzw. gezeichnet, ein Beispiel:


    [Blockierte Grafik: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/da/Goya.pelele.prado.jpg/300px-Goya.pelele.prado.jpg]



    ps. Noch etwas: In Kapitel 18 erklärt Don Quijote, dass "nachdem das Unglück lange gedauert hat, das Glück jetzt nahe ist", im Ton einer logischen Sentenz.
    Das erinnert mich an die Stellungnahme eines spanischen Architekten, die ich in Zeiten der Wirtschaftskrise (ab 2007 irgendwann) in einer Zeitung gelesen habe:
    "Zwei Jahre geht es nun schon bergab. Aber dafür dauert es jetzt zwei Jahre weniger, bis es wieder bergauf geht."
    Dieser Ausspruch hat mich so tief beeindruckt, dass ich ihn eine Zeitlang als Signatur hatte.

    Sehr viel schneller geht es wahrscheinlich bei mir auch nicht. Diese behäbige Art des Erzählens macht mich manchmal ziemlich ungeduldig. Ich muss mich da selbst erziehen, langsam fortzuschreiten und nichts zu überschlagen. Deshalb lese ich lieber noch etwas anderes parallel.


    Zwei Kapitel täglich schaffe ich aber bestimmt. Bin jetzt in Kapitel 16.


    Über Marcelas Verteidigungsrede habe ich mich gefreut. Ich mag zum Beispiel die Musik des Frühbarock sehr, vor allem Monteverdi, und da findet man gefühlt in jedem zweiten Lied eine Anklage gegen irgendeine furchtbar grausame Dame, die sich nicht scheut, den entflammten Liebhaber zurückzuweisen, bis ihm nichts anderes übrig bleibt, als sich die Kehle durchzuschneiden. Schön, dass das auch mal etwas zurechtgerückt wird. 8)

    Es geht noch einmal länger ums Essen, ich glaube im neunten Kapitel. Da schlägt Sancho vor, für den Ritter ein paar Trockenpflaumen in seinen Sack zu tun, da sich ein Ritter ja von solchen Sachen nähre, und für sich selbst ordentlich Essen: Brot und Hähnchen.

    Aber Don Quijote stellt gleich richtig, dass für den Ritter kein Zwang bestehe, nichts anderes zu essen als Trockenobst und Kräuter. Er darf also auch ordentlich essen. :)

    Meines wiegt 880 Gramm. Aber da es klein im Format ist, macht mir das nichts aus, ich stütze es mit beiden Händen hoch. Schwere Bücher nerven mich nur, wenn sie auch noch großformatig sind, so dass das Halten die Handmuskulatur anstrengt. Was ich als etwas mühsam empfinde, ist das ständige Blättern nach hinten zu den erklärenden Anmerkungen. Aber schenken will ich es mir auch nicht, weil ich fürchte, dass mir ein wichtiger Witz entgeht.

    Ich stecke im 9. Kapitel und habe mich zwischendurch gefragt, ob Don Q. eigentlich überhaupt nie isst oder trinkt. Sein Knappe hat ja die Verpflegung in seinem "Zwerchsack", aber unser Ritter selbst braucht angeblich nie was, sondern lebt von der Liebe und seinem ritterlichen Ruhm.

    Der "erzähltechnisch interessante Cliffhanger" hat mich schallend auflachen lassen.

    Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich als Schülerin mal in einem englischsprachigen Theaterstück war. Auf dem absoluten Höhepunkt, wo Leben und Tod auf Spitz und Knopf stand, erstarrten alle Mimen auf einen Schlag, ein Sprecher kam herein und kündigte an: "Before we go on, let's look to the problem."

    :D:D

    Mein Buch ist übrigens genauso schwer, aber ich lege es mir auf die Knie.

    Also ich warne schon mal vor, dass ich mit dem ersten anfange.

    Habe heute abend schon ein wenig hineingespitzt und mich sehr amüsiert. Es ist nämlich so, dass ich oft in Spanien bin, leider gar kein Spanisch verstehe (ich kann Geschriebenes so halbwegs entziffern von meiner Kenntnis anderer romanischer Sprachen her, aber nix Gesprochenes verstehen): aber an Stränden, in Restaurants etc. freue ich mich jedes Mal als Mithörende über die Lust der Spanier am Monolog. Es ist erstaunlich, wie lange und trocken so ein Spanier daherreden kann und die anderen brav zuhören. In Deutschland hört man das weit seltener in dieser Form, da rufen immer alle: "Komm endlich zum Punkt!" Das Verrückte ist, dass mir meine Tochter (die Spanisch kann und Spanisch auf Lehramt studiert hat, sich also auch in der Literatur etwas auskennt) unlängst erklärte, diese ausufernde Art des Redens sei in Spanien üblich und entspringe aus der Erzähltradition; es gäbe also auch eine Entsprechung in der Literatur.

    Das liebe ich auch! Sehr sogar!


    Und, vo Safranski habe ich noch nie was gelesen. Wollte halt nur wissen, ob es sich lohnt und wenn ja, warum nicht :/

    Vielleicht leihe ich das Buch erstmal vom Nachbarn, ehe ich dafür Geld und Regalplatz opfere. Danke für die Antwort!

    @ Vult: Was gerade an Safranski so problematisch ist, wüsste ich gern ... mein Nachbar hat mir nämlich von Safranskis Goethe-Biographie vorgeschwärmt, wie toll er die fände. Ich hatte seitdem immer im Hinterkopf, mir das Buch mal zu besorgen, wenn ich dazu komme ...


    Was stimmt mit der Schiller-Biographie nicht?

    Ich habe eine Frage zu den "Konversationen". Ich nehme an, es handelt sich dabei um die früheren Privatnachrichten.

    Wenn ich die Seite "Konversation starten" aufrufe und meine Nachricht absetzen möchte, kommt die Rückmeldung, ich solle das Feld für "Teilnehmer" ausfüllen. Ich habe in dieses Feld den Namen des Empfängers der Nachricht geschrieben; bin auch sicher, dass ich mich nicht vertippt habe (es war Volker). Warum geht die Nachricht nicht raus?

    Ich habe auf einem Bücherflohmarkt in Frankfurt zugeschlagen. Jedes Buch 1 Euro, der Stapel reichte mir schon bis unters Kinn, mit 13 Büchern bin ich rausgegangen.
    Besonders gefreut hat mich der Erwerb des Krimis "Was am See geschah" von Martha Grimes. Ich habe dieses Buch vor ungefähr dreißig Jahren mal von einer Freundin geliehen gehabt und alles, was darin vorkam, vergessen; in Erinnerung war mir nur geblieben, dass die Heldin sich unausgesetzt mit einem Gedicht von Wallace Stevens beschäftigt. Die beiden letzten Strophen des Gedichts sind dem Roman vorangestellt. Wie gesagt hatte ich den Roman vergessen, aber die Zeile "Ramon Fernandez, sag, wenn du es weißt" hing mir noch in den Ganglien fest ...
    Das Buch selbst erwies sich nun als nicht so besonders bemerkenswert, aber über das Wiedersehen mit dem Gedicht habe ich mich sehr gefreut. Es ist in vollständiger Fassung auch online zu finden: Key West. Als ich das Buch vor dreißig Jahren vor hatte, verstand ich diese beiden letzten Strophen nicht, aber irgendwas müssen sie in mir ausgelöst haben, da ich mich so deutlich daran erinnerte. Jetzt kann ich für mich zumindest in diesen Zeilen den Grund ausmachen, warum Dichter überhaupt dichten und die Dinge nicht einfach nur so betrachten, wie sie sind, ohne darüber schreiben zu müssen.
    Wie gesagt, das Buch ist nicht so dolle, aber ich habe mir einen Gedichtband von Wallace Stevens bestellt und freue mich sehr darauf.

    Habe grade nochmal einen Blick ins Buch geworfen: Voß heißt mit Vornamen Amadeus, nicht Anselm.
    Warum dieser Name? Eine weniger liebenswerte Gestalt kann man in dem Buch suchen gehen ... abgesehen von einigen Mitgliedern der Familie Engelschall (auch so ein Name) ...
    Hm.
    Später mehr, das Wetter ist zu schön zum Lesen.

    :klatschen:


    Ich habe eine Ausgabe von Artemis & Winkler von 1993 (Erstauflage 1956), Übersetzung von Ludwig Braunfels, mit Illustrationen, Anmerkungen und einem Nachwort von Fritz Martini.
    Wahrscheinlich werde ich im Lauf des Wochenendes schon ein, zwei Kapitel lesen, da ich meine derzeitige Lektüre wohl heute abschließen kann und nichts mehr dazwischenschieben möchte.

    Noch einmal zu meiner oben genannten Meinung, dass Wasseermanns Frauengestalten oft keine eigenständige Rolle haben.
    Ich meinte das nicht in dem Sinne, dass sie mir zu wenig emanzipiert seien oder etwas in der Art, sondern ausschließlich im Sinne ihrer Funktion innerhalb der Erzählung. Der Wahnschaffe ist dafür kein gutes Beispiel, da die Frauengestalten, allen voran Ruth, Eva, auch Evas "Impresario" Susanne Rappard und Anselm Voß' Freundin Johanna Schöntag, ein berichtenswertes Eigenleben haben. Es gibt ganze Kapitel, die nur von ihnen, ihren Gefühlen und ihrem Erleben handeln. Andere Frauengestalten Wassermanns, vor allem die im "Gänsemännchen", existieren nur in ihrer Beziehung zur mänlichen Hauptperson. Das meine ich nicht wegen der Dinge, die sie tun oder nicht tun, sondern wegen der Art und Weise, wie über sie erzählt wird.
    Natürlich ist Daniel Nothafft, der Protagonist im Gänsemännchen, ein klassisches Beispiel für diese Art des Erzählens; vielleicht ist das überhaupt eher ein Problem des "Künstlerromans" als ein Wassermannsches Problem. Ein ähnliches Beispiel wäre etwa auch Zolas Künstlerroman "Das Werk". Der Protagonist, natürlich immer ein Mann (ein weibliches Gegenstück würde mich interessieren!), unterwirft alles, was in seinem Umfeld lebt und wirkt, seinem künstlerischen Ziel. Alle Mitmenschen haben nur die Funktion von Trabanten, die ihm entweder nützen oder ihn behindern. Ganz übel wird das natürlich, wenn so ein Mensch etwa Vater wird.


    Wie gesagt ärgert es mich immer furchtbar, so etwas zu lesen, aber ich weiß jetzt nicht, ob das mit Wassermanns Stil zusammenhängt oder einfach mit der Wahl seines Themas. Von der "Geschichte der jungen Renate Fuchs", die ich im letzten Jahr gelesen habe, war ich sehr enttäuscht; die Hauptfigur bleibt blass und ihr Handeln nicht nachvollziehbar. "Laudin und die Seinen" und "Ein Mann von vierzig Jahren" habe ich vor längerer Zeit gelesen, und wenn ich mich richtig erinnere, geht es in beiden Büchern um Männer, die ihre Familie verlassen; allerdings war das Porträt der verlassenen Frau im "Mann von vierzig Jahren" sehr differenziert und einfühlsam.


    Später (morgen oder übermorgen) mehr zu Deinen anderen Bemerkungen - auch zu Karen Engelschall, über die ich gern noch etwas schreiben würde.

    Zu den Frauen: Mit der Argentinierin meinst Du wahrscheinlich Lätizia. Sie ist eine außereheliche Tochter Crammons und erscheint imi "Teenageralter" zunächst auf reizende Weise unbedarft; mit zunehmendem Alter wird ihre geistige Anspruchslosigkeit aber manchmal recht peinlich. Als sie und Christian einander das erste Mal begegnen, lebt er noch als sehr junger Mensch glücklich in vollem Weltgenuss. (Es gibt da eine sehr sprechende Szene, als er mit seiner Hundemeute rauft - im Grunde unterscheidet er sich kaum von den Hunden.)
    Kurze Zeit später heiratet Lätizia einen jungen, sehr reichen Argentinier, dessen Familie ursprünglich aus Deutschland - oder Österreich? - stammt; er macht ihr auf sehr ungestüme und schmeichelhafte Weise den Hof. Als er sie erst einmal in Argentinien unter Dach und Fach hat, entpuppt er sich als Halbwilder. Das war eine Passage des Romans, die mir sehr unangenehm war. Die ganze Familie des Argentiniers könnte direkt aus "Game of Thrones" oder einer italienischen Oper entsprungen sein. Als er zum Beispiel einmal Lätizia mit wildem Augenrollen droht, er werde sie erstechen, wenn sie ihn betrügt, antwortet sie ganz naiv, er möge ihr doch den Dolch zeigen, sie sei neugierig.
    Lätizias Haupteigenschaft als vollkommener Dummbatz gibt sich auch später nicht, nachdem sie den Argentiniern entkommen und wieder in Deutschland angekommen ist. Nach meiner Erinnerung begegnet sie Christian übrigens nicht mehr, da er sich inzwischen von seiner Familie und dem ganzen gesellschaftlichen Dunstkreis losgesagt hat.


    Erheblich wichtiger im Rahmen des Romans ist die Tänzerin Eva, nach der der erste Band benannt ist (der zweite heißt "Ruth"). Als Christian und Eva einander kennen lernen, ist sie ihm geistig weit überlegen: Sie ist bereits eine ausgeformte Persönlichkeit, hat eine riesige Fangemeinde, empfängt und hält Hof; er ist zunächst nur einer ihrer Trabanten - sie gibt ihm den Spitznamen Eidolon*, übrigens ist er zu dieser Zeit mit einer anderen Frau liiert. Trotzdem macht sich (wenn ich mir das nicht nur eingebildet habe) von Anfang an eine starke erotische Spannung zwischen den beiden bemerkbar. Alles deutet in Richtung einer Liebesbeziehung, die auch zustande kommt und die ich, wie schon oben erwähnt, als beglückend und passend empfunden habe, als es endlich so weit war. Leider ist es nur eine ganz kurze Episode in beider Leben. Interessant ist, dass Christian ihr einen gigantischen, überaus kostbaren Diamanten schenkt - und das zu einer Zeit, als er bereits anfängt, solche Insignien des Reichtums wie Schmuck, Schlösser**, Kunstsammlungen und dergleichen zu verachten. Ich hatte den Eindruck, dass der Erwerb dieses Diamanten, der selbst für seine Begriffe extrem viel Geld kostet, so etwas wie eine symbolische Gabe ist, um sich von der Welt, die Eva repräsentiert - dem Glamour, Prominenz, Reichtum - loszukaufen.


    Wassermann hat - nach meiner persönlichen Meinung - nicht immer die glücklichste Hand mit seinen Frauengestalten. Sie sind oft ausschließlich als Gegenstück zu seinen männlichen Hauptpersonen konzipiert, mehr Symbole als Persönlichkeiten. Zum Glück zeigt sich das bei den wichtigsten Frauen im "Wahnschaffe", nämlich Eva, Ruth und Karen (zu der ich hoffentlich noch kommen werde) nicht allzu deutlich. Eva ist eine wirklich lebendige, überaus interessante, differenziert geschilderte Frau.


    Später gerne mehr.


    *) Gegen Ende des Romans kommt noch einmal der alte Crammon zu Wort: "Wenn er in seinen Erinnerungen wühlte, einem Sammler vergleichbar, der seine eifersüchtig behüteten Schätze mustert, war es stets Christians Gestalt, die vor allen anderen verklärt emporstieg. Der Christian des Anfangs, nur der; unter den Hunden im Park; in der Mondnacht unter der Platane, im erlesen geschmückten Saal der Tänzerin ... Christian lachend, Christian verführend, Christian verschwendend, Christian der Herr; Eidolon."
    Eidolon, ich habe es nachgeschlagen, bedeutet soviel wie Trugbild; nach Platon der erste Abdruck im Bewusstsein, der Wiedererkennen gewährleistet - also auch Symbol oder Abbild, wie eine Fotografie. Im nachhinein erscheint es selbstverständlich, dass Christian sich nicht damit zufriedengeben wird, ein Eidolon zu sein; er will sich entfalten. Ich hatte bei meinen Wassermann-Lektüren mehrmals das Gefühl, dass er (Wassermann) seinen Frauenspersonen eben jene Entfaltung verweigert - zum Beispiel den Schwestern im "Gänsemännchen". Die Tänzerin Eva jedoch, die mehr als alle anderen Frauen im Wahnschaffe zur Entfaltung gelangt, ist interessanterweise eine uneheliche Tochter des "Gänsemännchens" Daniel Nothafft. Vielleicht ist das so eine Art Abbitte des Autors ...


    **) Christian besitzt von seinen Eltern einen schlossartigen Landsitz mit Namen "Christiansruh"! Ich bin schon recht dankbar, dass ich mir hier den Raum nehmen darf, über den Roman zu erzählen ... Der Name war mir immer unbehaglich; mir wird jetzt erst klar warum. Er klingt, als sei Christian schon tot. Christiansruh gehört zu den Besitztümern, die er als erstes verkauft.