Beiträge von Zefira

    Na ja. Da muss ich spontan eines benennen: die hässliche Zeit, die hinter uns liegt. Meine Schwiegermutter hat mir ein Buch mit Zeitzeugnissen von Soldaten des WK II gebracht. Darin finden sich abgedruckte Briefe von Soldaten an die Lieben daheim. Karl Richter schreibt im Februar 1943 an seine Frau einen bewegenden Liebesbrief: "Sehnsucht zieht mich zu dir hin, mein Schatz ..." IM August bekommt die Ehefrau die Nachricht, dass ihr Mann gefallen sei, mit den Schlussworten: "Möge Ihnen die Gewissheit, dass Ihr Gatte sein Leben für Führer, Volk und Vaterland gab, ein Trost sein in dem schweren Leid ... Heil Hitler."

    Ich habe meine 92jährige Schwiegermutter, die im Verwandten- und Freundeskreis viele Gefallene zu beklagen hatte, gefragt, ob das damals ein Trost war, und bekam ein vehementes "Nee!" zur Antwort. Das ist klar. Was ich mich frage: hat überhaupt irgendjemand glauben können, dass das ein Trost sei? Das ist ein Abspulen von Formeln. Die Zeiten, als Soldaten noch leidenschaftlich kämpften und fielen, dürften geendet haben, als der König nicht mehr vor dem Heer stand, so wie weiland König Teja am Vesuv ...

    Ja, ich habe mal in einem alten Roman gelesen - kann mich leider nicht mehr erinnern, wo - wie einer der Beteiligten eine höllische Angst vor dem Duell hatte. Oder er fand es albern, jedenfalls wollte er sich auf keinen Fall drauf einlassen. Da hat er einfach den Weg genommen, sich selbst für "nicht satisfaktionsfähig" zu erklären. Das enthob ihn zwar des Zwangs, sich zu duellieren, bedeutete aber gleichzeitig die selbst gewählte gesellschaftliche Deklassierung. Er zählte von einem Tag auf den andern nicht mehr mit, musste sogar den Wohnort verlassen. Aber leider erinnere ich mich nicht mehr an die genauen Umstände.


    ps. Es könnte bei Cronin gewesen sein. Das wäre dann allerdings schon 19. Jhdt, aber das ist ja auch die Zeit Zolas.

    Dieser Duellierzwang der alten Zeit ist etwas, was ich jetzt mal extrem abwertend als "Männerding" bezeichnen möchte.

    Etwa auf gleicher Stufe mit dem Stierkampf. So ein archaisches Überbleibsel aus der Steinzeit, irgendwo verankert in der untersten Etage des Stammhirns ...

    Eine sehr komische Variation des Motivs findet sich in Emile Zolas Roman "Ein feines Haus". Der ziemlich trottelige und von chronischer Migräne geplagte Ehemann ertappt seine Frau buchstäblich mit dem Lover im Bett; alle sind sich einig, dass er "sich schlagen" müsse. Er mag nicht, aber man lässt ihm keine Wahl. Er wird in eine Kutsche verfrachtet und zur Rekrutierung der "Sekundanten" kreuz und quer durch Paris gekarrt. Am Ende ist er heilfroh, dass ihm doch noch erlaubt wird, seiner Frau den Fehltritt zu verzeihen.

    Ich habe bis Kapitel 26 gelesen und bin hingerissen von der - im besten Sinne - überaus präzisen Schilderung dieser Liebesgeschichte, die so einfach und natürlich beginnt, dann aber immer mehr von der gesellschaftlichen Konvention "beschädigt" wird, die Nechliudov nach und nach in ihre Fänge zieht. Alles, was in ihm gut und unverfälscht war, wird durch diese Konventionen entstellt und in sein Gegenteil verkehrt. Wenn er Gutes tut und fühlt, hält man ihn für verschroben oder unreif; nur wenn er sich den allgemein verbreiteten Zwängen und Boshaftigkeiten anheimgibt, m.a.W. genauso ein Schmierlappen wird wie alle anderen, ist er nach den Maßstäben von Familie und Gesellschaft "in Ordnung". Und das alles geschieht anscheinend mit vollem Bewusstsein, denn so stellt Tolstoi es dar. Immer wieder wird N. von tiefer Scham befallen; nicht gerade Reue, weil er sich unfähig sieht, das Richtige zu tun, aber er schämt sich entsetzlich. Und das schon bevor er seiner früheren Geliebten wiederbegegnet.
    Ich kenne das Buch schon, aber beim ersten Lesen hat es mich bei weitem nicht so ergriffen. Ich bin froh, es noch einmal vorgenommen zu haben.

    Was die Empfindlichkeit des Ehre des Ehemannes angeht, ist es bei der Deutschen Effi Briest aber nicht besser bestellt ... dieses Getue um einen lange zurückliegenden Vorfall, von dem keiner mehr weiß, was da eigentlich genau passiert ist ... obwohl, da scheint es ja primär um die Offiziersehre zu gehen, nach meiner Erinnerung ...

    Ich habe mich gerade hineinvertieft. Es entfaltet ein ganzes Panorama, einfach hinreißend.

    Vielleicht ist es auch "so ein persönliches Ding" bei mir. Mein Vater liebte das Buch sehr und hat es mir mehrfach ans Herz gelegt. Ich habe auch immer mal wieder ein paar Kapitel gelesen im Abstand von mehreren Jahren; deshalb erkenne ich jetzt vieles wieder, aber das Verständnis dafür geht mir erst jetzt richtig auf. So auch zum Beispiel beim Monolog über die Geschichte, den Jura Schiwagos Onkel in einem der ersten Kapitel hält. Das ist eine Passage, die ich jedem Menschen ans Herz legen würde, der unklare Vorstellungen von der "abendländisch-christlichen Identität" hat, diese aber nicht recht formulieren kann. Gerade jetzt ja ein aktuelles Thema.

    Der Film kann natürlich solche Passagen nicht umsetzen. Aber dafür, dass es doch ein sehr, sehr langer Film war, fand ich ihn wie gesagt sehr arm an Inhalt und Atmosphäre. Wenn es dann noch in der Filmkritik heißt, Kira Knightley sei die Hauptattraktion des Films ... ich fand sie wie gesagt heftig überfordert mit der Rolle der Lara.
    Wenn ich nicht eine umfangreiche Strickarbeit dabei gehabt hätte, hätte ich den Film nicht aussitzen können.

    Ich war eben auf dem Speicher, um das über 50 Jahre, abgegriffene Taschenbuch meines Vaters hervorzusuchen.
    Ein Zitat:


    "Als er ganz klein war, hatte es eine Zeit gegeben, in welcher der Name, den er trug, eine große Anzahl der verschiedensten Dinge bezeichnete:
    Es gab die Fabrik Schiwago, die Bank Schiwago, das mmobilienbüro Schiwago, das Verfahren Schiwago, mit Hilfe dessen man Krawattenknoten durch Nadeln befestigte, und sogar eine Sorte von runden Kuchen, der man den Namen Schiwago gegeben hatte. Damals brauchte man einem Moskauer Kutscher nur zuzurufen "Zu Schiwago", und der Schlitten entführte einen ans Ende der Welt in ein verzaubertes Königreich. Ein stiller Park schloß sich von allen Seiten zusammen. Von den Zweigen der Tannen rieselte der Schnee, wenn sich eine Krähe darauf niederließ.

    Rassehunde liefen über den Weg jenseits der Schneise, wo die neuen Gebäude standen. Dort unten zündete man die Lichter an. Der Abend nahte.

    Eines Tages löste sich die ganze Herrlichkeit in nichts auf. Sie waren arm geworden."

    Es braucht nur diesen einen Absatz, um nachzuweisen, wie hoffnungslos unterlegen das Medium Film dem Medium Buch ist.

    Als ich das Buch das erste Mal in der Hand hatte (von meinem Vater in dieselbe gedrückt) muss ich noch sehr jung gewesen sein, wahrscheinlich nicht älter als 13 oder so. Ich kann mich erinnern, dass ich das mit dem nahenden Abend nicht verstand; überhaupt verstand ich das Prinzip des pars pro toto nicht, das hier angewendet wird. Heute bekomme ich beim Lesen dieses Absatzes eine wonnige Gänsehaut.

    Kennt jemand die Verfilmung "Doktor Schiwago" von 2002? (Es gibt hier einen Trailer.)

    Ich muss gestehen, dass ich das Buch immer noch nicht kenne. Mein Vater versuchte es mir nahezubringen, als ich ein Teenager war, ich habe auch mal ein paar Kapitel gelesen und hier und dort darin herumgeblättert (das Bild des grausam Verstümmelten, der am Boden kriecht, hat sich mir eingebrannt), aber letztlich kam ich nicht damit zu Rande.

    Ich empfand den sehr langen (zweiteiligen) Film als fürchterlich platt und gedankenarm. Kann sein, dass es auch an Keira Knightley lag. Ich habe nichts gegen sie, aber als Lara fand ich sie fehlbesetzt, obwohl ich, wie gesagt, die Vorlage gar nicht kenne.

    Hat noch jemand den Film gesehen und kann etwas dazu sagen?

    Bei mir waren die Eltern und vor allem mein Vater maßgebend. Ebenso wie später meine Töchter konnte ich lange, bevor ich in die Schule kam, lesen. Meine Eltern waren Mitglieder der Büchergilde undich durfte mir immer zu Weihnachten bzw. Geburtstag Bücher aus dem Katalog aussuchen. Zudem las ich mich wahllos durch die elterliche Bibliothek; darunter war vieles, wofür ich eigentlich zu jung war und was ich nicht verstand, aber vieles machte mir auch große Freude. Ich habe zum Beispiel mit etwa 11 oder 12 Jahren die "tolldreisten Geschichten" von Balzac gelesen, in einer Ausgabe mit Illustrationen von Doré, und war ungeheuer beeindruckt.

    Die Schullektüre hat mich weit weniger interessiert. Ich kann mich erinnern, dass ich die ausgegebenen Lesebücher durchgelesen habe, von vorne bis hinten. Aber was besprochen wurde, ging meistens wenig "an mich".

    Ja, ich habe mich registriert und nachgefragt.

    Gestern habe ich lange bei Mobile Read Wiki gestöbert und gleich in drei Fällen den Download-Link zum Ebook vermisst. Ich kopiere hier meine Frage und die Antwort:


    Hallo liebe Foristen,
    ich habe mich extra angemeldet, um diese Frage stellen zu können.
    Wenn ich ein neues Ebook laden möchte, bin ich bisher immer von dieser Seite ausgegangen: Mobile read Wiki.
    Ab und zu kommt es aber vor, dass ein Ebook, das dort angegeben ist, nicht um Download bereitsteht. Zum Beispiel: "Die Geschichte von zwei Städten" von Dickens, "Die Erde" von Zola, "Erzählungen" von Ernst Wichert ... Es gibt dann einen Foreneintrag dazu, aber keinen Link zum Runterladen des Ebooks.
    Dickens, Zwei Städte
    Wichert, Erzählungen
    Zola, Erde

    Grüße ins Forum, Zefira


    Antwort:
    Das Zola-Buch von Insider wurde höchstwahrscheinlich ins Offline-Forum verschoben, weil die Übersetzung (noch) nicht gemeinfrei ist. Falls sie tatsächlich nicht gemeinfrei sein sollte, kannst Du Dir mit epub2go ein epub für die Gutenberg-Version generieren lassen.

    Die anderen Bücher wurden von brucewelch hochgeladen, der derzeit viele Bücher überarbeitet. Du müsstest also ihn fragen, ob und wann er aktualisierte Versionen hochlädt.


    In der Gutenbergversion von "Die Erde" gefällt mir die Übersetzung nicht, deshalb hatte ich auf MRW gesucht. Aber egal ... Die Antwort leuchtet jedenfalls ein.


    Insgesamt ist MRW ein tolles Projekt. Ich werde ncoh eine Weile im Forum präsent bleiben.


    Wenn ich die Beiträge hier so lese, fällt mir immer mehr aus meiner eigenen Schulzeit ein. "Sansibar oder der letzte Grund" hatten wir auch. Ich musste viel daran denken, als ich im Januar selbst auf Sansibar war. Wie konnte ich das inzwischen wieder vergessen ...

    Zitat von Karamzin

    In Goethe "Faust I" wurden im Staatstheater Weimar zwei Bemerkungen mit minutenlangem (!) Beifall bedacht, woran im 19. Jahrhundert niemand gedacht hätte:

    Mephistopheles: "Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen" und

    Gretchen: "Es faßt mich kalt am Schopfe: meine Mutter sitzt auf einem Stein und wackelt mit dem Kopfe."




    Als ich mit der Klasse im "Faust" war, gab es am meisten Lachen und Applaus an dieser Stelle:
    ".... Als er in Napel fremd umherspazierte; Sie hat an ihm viel Lieb's und Treu's getan, Daß er's bis an sein selig Ende spürte."

    Bei der letzten Zeile machte Mephisto eine Geste an seinem Rumpf hinunter und mimte mit aufwärts weisendem Zeigefinger eine Erektion. Das war das selig Ende.

    Edit, hab die Zitierfunktion vermasselt ...

    Ach, die neuen Leiden hatte ich auch, fällt mir gerade ein.

    Gefiel mir überhaupt nicht. Ich habe so einen flapsig-larmoyanten Erzählton in Erinnerung, der mich genervt hat. Aber vielleicht tu ich dem Buch Unrecht, es ist so lange her.


    Edit, da hab ich wieder mal ein Beispiel für mein Mülleimergedächtnis. Es ist mehr als vierzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch wortwörtlich daran, wie Edgar auf dem Klo das Werther-Büchlein fand. "Und kein Papier, Leute. Ich fummelte wie ein Irrer in dem ganzen Klo rum." Das müsste ein halbwegs wörtliches Zitat sein. Seit vierzig Jahren auf Halde in meinem Kopp ... :rolleyes:

    Meine beiden Töchter haben ebenfalls in den Neunzigern Abi gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie in der Schule Gedichte gelesen haben und welche (werde sie bei Gelegenheit fragen), aber ich erinnere mich, dass sie die klassische Schullektüre, zum Beispiel Fontanes "Irrungen und Wirrungen" bzw. "Effi Briest" sehr gemocht haben, und zb auch Jane Austen.

    Es ist lustig, dass Du in diesem Zusammenhang "Ehepaare" erwähnst. Es gehörte zur Bibliothek meiner Eltern; mein Vater hatte es als Urlaubslektüre gekauft (und da ich es ebenfalls im Familienurlaub gelesen habe, kann ich damals nicht älter gewesen sein als 14 oder 15). Ich hatte beim Lesen das Gefühl völliger Sinnlosigkeit. Als ich (mit 50) die Bibliothek meiner Eltern übernahm, machte ich noch mal einen Versuch damit, wel ich dachte, vielleicht sei ich damals zu jung gewesen. Ich las ca. 20 Seiten und entsorgte das Buch, da es ohnehin auseinanderfiel.


    Einige von Updikes Erzählungen schätze ich übrigens sehr.

    Es wäre vielleicht einen Extra-Faden wert, zu überlegen (angesichts der breitgefächerten Altersstruktur hier), welche Wertigkeit das Lesen und die Literatur (und wenn ja, welche Literatur) in der blühenden Jugend eines jeden gehabt haben ...

    Als ich so um die 17 war, galt es als schick, Gedichte zu lesen. Ich hatte lange Zeit immer ein Taschenbuch mit Brecht-Gedichten dabei. Obwohl ich einige dieser Gedichte bis heute liebe, bin ich nicht sicher, warum ich eigentlich dieses Buch wirklich dabei hatte. Es gab einen Roman, ich glaube von Eva Heller, in dem die Heldin immer einen Band Hegel dabei hat. Sie legt in die Tasche ihres Trenchcoats ganz unten eine Packung Tempos, so dass der Hegel gerade so weit oben aus der Tasche schaut, damit man den Namen "Hegel" auf dem Cover lesen kann. Diese Haltung ist leider für die Zeit, von der ich spreche, symptomatisch. Genauso hat man sich in meiner Schule zum Beispiel auch mit der Mao-Bibel und mit den Schriften von A.S.Neill, dem Papst der Antiautoritären Erziehung, geschmückt.


    Ich habe heute ein winziges Ringbüchlein mit meinen Lieblingsgedichten; abgeschrieben und eingeheftet (ich kann dank multifokaler Linsen selbst Beipackzettelschrift mühelos lesen). Das habe ich immer bei mir. Damit begonnen habe ich nach einer Gruppenreise, als mir auffiel, dass ich eine Handhabe für "kleine Fluchten" bei mir haben muss, um mich wohl zu fühlen.

    Ich habe nur sehr, sehr wenige Biographien gelesen. Wenn mich ein Autor interessiert, lese ich bei Wiki nach, wie thopas. Das reicht mir meistens.

    Ich erinnere mich an Biographien über E.A.Poe, Kafka, Tolkien, Agatha Christie und Melville (letztere habe ich nicht ausgelesen).


    Ich schreibe hier überhaupt nur diesen Beitrag, um ein Kuriosum aus meiner Kafka-Biographie zu berichten, an das ich mich erinnere.


    Hatte mich beinahe verlesen:

    "Am 8. August beantragte Kafka mit einem ärztlichen Attest eine Woche Urlaub, der schon am folgenden Tag gewährt wurde. Am 4. September brach er zusammen -" - ich so: Schock!!! - "-mit Max Brod und dessen Bruder Otto, der im Vorjahr Ferien am Gardasee gemacht hatte, dorthin auf." Uff. Nochmal gut gegangen ...


    Danke für die Antwort. Vielleicht schreibe ich bei Gelegenheit mal einen der Foristen an. Hätte es schon gestern gemacht, aber da muss man sich erst registrieren ... na gut.


    sandhofer: Manchmal ist Mobile Read Wiki der Gutenberg-Seite vorzuziehen. Im Augenblick zum Beispiel lese ich die Auferstehung von Tolstoi, und da gibt es bei Gutenberg nur eine gekürzte Fassung.