Hallo zusammen!
Der Müdigkeit und Erschöpfung werde ich mich anschliessend widmen, zuerst noch etwas anderes:
Wie wirkt K. auf euch? - Ist er euch sympathisch, könnt ihr euch vorstellen, dass er Kafka ihn sympathisch zeichnen wollte? - Ich persönlich habe ziemlich Mühe mit K. Er kommt mir eigentlich gefühllos vor, sehr egozentrisch, kümmert sich hauptsächlich um sich selbst, das Schicksal der Barnabas kommt ihm zuerst zwar hart vor, je länger er zuhört, desto weniger erstaunt es ihn, desto weniger interessiert er sich dafür, es wird ihm fast ärgerlich, mit solchen Leuten verkehren zu müssen. Er scheint auch nicht immer aufrichtig zu sein, zu Frieda nicht, zu Olga nicht, zu sich selbst nicht. Man hat das Gefühl, er wisse selbst nicht so recht, was er eigentlich will: Was will er denn von Klamm, vom Schloss? - Will er aufgenommen werden? - Nie spricht er davon. Will er arbeiten? - Er weiss ja, dass niemand seine Landvermesserdienste braucht. Will er Frieda heiraten? - Wer heiratet schon eine Frau, die er erst seit zwei oder drei Tagen kennt? - Ausserdem würde Frieda gerne auswandern, was K. jedoch nicht will. Will er "schlicht und einfach" die Gunst des Schlosses? - Ja dann sollte er vielleicht nicht zu überheblich den Beamten gegenüber sein, die das Schloss doch eigentlich ausmachen, zwar soll es den Grafen Westwest geben, aber von ihm ist nur im ersten Kapitel die Rede, er tritt nie in Erscheinung, wird nie erwähnt, scheint also keine Bedeutung im alltäglichen Leben zu haben. Auch werden die Beamten als die eigentlichen Herren bezeichnet, während die Diener so leben, als wären sie die Herren, der Graf tritt nicht in Erscheinung...
Könnte nicht auch hier ein Teil der Begründung für die Müdigkeit, das Traumhafte, die Erschöpfung liegen? - K. strengt sich an, etwas zu erreichen, aber was das "etwas" ist, liegt eher im Unklaren, im Nebel, wie das Schloss bei K.'s Ankunft, alles verschwimmt: Schlaf, Müdigkeit, Erschöpfung, Tag und Nacht, Liebe und Berechnung, Angst und Sadismus (seine Haltung Jeremias gegenüber, nachdem er ihn wegschickte), Mitleid und Abneigung (gegenüber Barnabas und der Familie z. B. ) und vieles mehr. Dies liegt allerdings nicht nur an K., das darf man nicht behaupten, auch das Schloss macht es schwer, ja fast unmöglich, Klarheit zu gewinnen: Nicht nur K. auch das Schloss lässt die Wahrheit verschwimmen: Die Telefone, die spasseshalber abgenommen und als Scherze beantwortet werden, die Briefe von Klamm, die nicht viel mit der Realität zu tun haben, die erwähnten Diener, die nichts arbeiten, während die Beamten "hart arbeiten", die Beamten, die sich im Privatleben nicht zu benehmen wissen und so weiter. Die Wahrheit ist vom Trug nicht unterscheidbar. Sebst Äusserlichkeiten sind nicht fixiert: Das Aussehen von Klamm kennt niemand genau, denn er soll im Schloss anders aussehen, als im Dorf und im Dorf sieht er auch nicht immer gleich aus oder auch die Gehilfen: solange sie zusammen Dienst taten, waren sie fröhlich und jugendlich, als K. sie verscheucht, wird Jeremias alt und krank... Zu erwähnen ist vielleicht noch, das K. sagt, er sei "bitteres Kraut" genannt worden, wegen seiner Heilkundigkeit. Zum einen weiss ich nicht, wie zuverlässig seine Aussage ist, zum anderen ist "bitteres Kraut" nur ein zweifelhafter Spitzname, da steckt mehr von Bitterkeit als von Gesundheit dahinter, meinem Gefühl nach jedenfalls.
Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger scheint mir die Müdigkeit und Erschöpfung ein Zeichen von Lebensmüdigkeit zu sein: K. will nicht sterben, er will etwas erreichen; die Brückenhofwirtin und der Gemeindevorsteher sehnen sich auch nicht nach dem Ableben. Barnabas' Eltern sind zwar krank und Olga wartet auf das Ableben, erwähnt (soviel ich gesehen habe) nichts von Erlösung. Die Erlösung kann nur aus dem Schloss kommen, Olgas "Verdienste" könnten zwar wohl erst nach ihrem Tod anerkannt werden, dennoch scheint auch sie mir nicht wirklich todessehnsüchtig. Mir scheint, die ganze Müdigkeit und Erschöpfung, auch die Nachtverhöre sind teile davon, gehen vom Dunstkreis des Schlosses aus, sind wie ein Schutz vor Eindringlingen, da sie zermürbend wirken. Weshalb und wovor sich das Schloss zu schützen hat?
Es grüsst
alpha