Beiträge von Lucien

    Zitat

    Wobei im Grunde genommen weder Schiller noch Goethe den Hölderlin wirklich verstanden haben.


    Ist leider absolut wahr... Besonders drastisch zeigt sich das an Goethes Rat an Hölderlin doch möglichst "kurze, sentenzenartige Gedichtlein" zu verfassen. Goethe sah in Hölderlin eben nur einen weiteren romantischen Schwärmer und Nachahmer Schillers...


    Die einzige Begegnung der beiden war übrigens bezeichnend... Hölderlin erkannte Goethe nicht und war zurückhaltend bis abweisend zu ihm... Vielleicht hat das Goethe auch ein wenig in seiner Eitelkeit verletzt...


    Grüsse,
    Lucien

    hallo historikus,


    Dickens ist sicherlich ein ganz guter Einstieg; ich finde es toll, dass du Dir vornimmst Klassiker lesen zu wollen, aber achte ruhig auch immer darauf, dass du Sachen liest, die Dir Freude bereiten...


    Haralds Anregung "Die Buddenbrooks" zu lesen kann ich nur zustimmen.
    Ich habe bis zu meinem 18. Lebensjahr so gut wie gar nichts gelesen, ausgenommen den Sportteil in der Tageszeitung, dann lasen wir in der Schule "Die Buddenbrooks" von Thomas Mann und da merkte ich auf einmal, dass da Dinge abgehandelt wurden, die mich ganz persönlich betrafen, und dabei noch auf eine ungeheuerlich komische Art und Weise. Von da an war ich den Büchern verfallen... Für den Einstieg würde ich Dir aber vielleicht eher Kurzgeschichten von Thomas Mann emfpehlen wie "Tristan" oder "Tonio Kröger", dann merkst du ob er etwas für Dich ist...


    In der englischen Literatur würde ich Dir "Sturmhöhe" von Emily Bronte emfpehlen. Tolle Atmosphäre, ganz schaurig und mit Sicherheit ein ganz großer Klassiker...


    übrigens schade um dein Forum, hat mir optisch sehr gut gefallen... ich hoffe du fühlst Dich hier auch wohl,


    Grüsse,
    Lucien

    hallo,


    über die Weihnachtsfeiertage habe ich mich mal an Ernst Jünger herangewagt. Ich las "Auf den Marmorklippen" aus dem Jahr 1939, und irgendwie weiss ich nicht so recht, was ich von dem Werk und seinem Autor halten soll...


    Ich muss sagen ich war wirklich sehr angetan, ja überrascht von Jüngers Sprache, so ganz weihevoll und erhaben; auch ist das Buch ein klares Bekenntnis zur Macht des Geistigen gegenüber der Barbarei und Unmenschlichkeit, und dass das Buch 1939 überhaupt in Deutschland erscheinen konnte ist wohl auch nur Jüngers früheren kriegsverherrlichenden Schriften zu verdanken...


    Und doch hat mich das Buch seltsam ratlos zurückgelassen und jetzt befürchte ich, dass ich wohl noch was anderes von Jünger lesen muss, um ihn mir zu erschließen.
    Mich würden von euch nun ein paar Meinungen und Stellungnahmen zu Ernst Jünger interessieren... Ist er für euch überhaupt ein klassischer Autor? Welches andere seiner Bücher ist zu empfehlen?


    Grüsse,
    Lucien

    hallo zusammen,


    Célines "Reise ans Ende der Nacht" habe ich vor gut einem halben Jahr auch gelesen. Es ist so ein Buch, dass ich persönlich toll fand, aber niemandem empfehlen würde. Mich hat es damals emotionell sehr mitgenommen. An diesem Buch haftet ein solcher Schmerz und eine solche Trauer über die Verlorenheit und die Einsamkeit des Menschen in der Welt, denen man sich kaum entziehen kann. Wenn man den Protagonisten eins zu eins mit Céline liest, dann wundert einen auch seine spätere Unterstützung des Vichy-Regimes sowie seine agitatorischen, antisemitischen Schriften, nicht mehr. Denn schon in diesem Roman verschafft sich sein seelisches Leiden häufig Luft in gewalttätigen Ausbrüchen. Tragisch und bedauerlich... So hat er sich um seine eigene Wirkungsgeschichte gebracht, ähnlich wie bei Hamsun in Norwegen...


    Beeindruckt hat mich das Buch auch, weil ich nicht für möglich gehalten hätte, dass jemand schon zu Beginn der 30er Jahre so abgrundtief modern schreiben konnte. Erinnert bisweilen stark an Houellebecq oder Beigbeder, die sicherlich von ihm gelernt haben dürften...


    Klassiker hin oder her - auf jeden Fall ein außergewöhliches Buch !!


    Grüsse,
    Lucien

    hallo Steffi und Hafis,


    ich werde die Gesänge ja irgendwann nochmal zu Ende lesen (bin da sehr streng mit mir was einmal begonnene Bücher betrifft), aber um das Eingeständnis, dass ich Dante nur in homöopathischen Dosen verkrafte, komme ich trotzdem nicht herum...
    Und vielleicht kommt ja im nächsten Frühjahr eine Phase wo ich danach verlangen werde zu wissen, wie denn nun das Paradies in Dantes Entwurf aussieht... aber für die Weihnachtsferien sehne ich mich nach was Einfachem, Lustigem, Entspannendem...


    Grüße,
    Lucien

    hallo Mitleser, hallo Steffi,


    nun ist es soweit: nach dem 8. Gesang Fegefeuer gebe ich mich geschlagen, und bring' Buch + Komentar zurück in die Bibliothek... Ich gebe es offen zu, ich bin an dem Werk gescheitert. Letztlich verläuft doch jeder Gesang nach demselben Muster: sie gehen ein Stückchen weiter, sie treffen jemanden, der erzählt seine (mehr oder weniger spannende) Geschichte, sie gehen weiter... Ich hätte wirklich Interesse aufbringen müssen für die theologischen Fragestellungen, die sich aus Dantes Entwurf jeweils ergeben, doch dafür fehlt mir auch gleichzeitig die Verankerung im christlichen Glauben... Und diese Verankerung halte ich tatsächlich für wichtig bei der Lektüre dieses Werkes, weil sonst alles nur Seifenblase auf anderer Seifenblase ist, ohne jegliche Relevanz, ohne die Möglichkeit auch nur ansatzweise ein Gefühl der Einfühlung aufkommen zu lassen...


    Ich hoffe ihr seit gänzlich anderer Meinung als ich und habt' auch weiterhin Gefallen an dem Werk, der Vielzahl seiner Bilder und religiösen und mythologischen Bezügen...


    vorweihnachtliche Grüsse,
    Lucien

    hallo zusammen,


    Ein erstes, kurzes Zwischenresümee auch von meiner Seite:
    Bin leider auch erst noch ziemlich am Anfang (24. Gesang, Hölle) und fürchte, dass ich den Stoff auch nicht so schnell bearbeiten werde können. Der Grund ist ganz einfach der, dass ich beim Lesen dieser Gesänge furchtbar bald ermüde... Was mir partout fehlt ist so etwas wie Handlung, wie Spannung... Ich bin ja schon froh um die paar Malebranche-Teufel (mit ihren wunderbaren Namen), die wenigstens in Ansätzen so etwas wie Bewegung und Handlung in die Sache bringen...


    Aber werde versuchen durchzuhalten, und bin jetzt auch dazu übergegangen das Original parallel zu lesen. Die Musikalität und Weichheit dieser Terzinen(?) entschädigen mich dann doch zumindest ein wenig...


    Im übrigen habe ich mir sagen lassen, dass das Purgatorio viel angenehmer und interessanter zu lesen sein wird... also durchhalten :smile:


    Grüsse,
    Lucien

    ich kann die Kurzgeschichten von William Somerset Maugham sehr empfehlen. Bin aber ansonsten auch kein Freund von Kurzgeschichten - diese offenen Enden sind nichts für mich... Wenn man so gerade erst richtig warm mit den Figuren ist, ist es auch schon vorbei... Irgendwie unbefriedigend...


    Lucien

    hallo allen Mitlesern,


    habe mir jetzt am Wochenende die 100. Gesänge besorgt und dazu einen Erläuterungsband der umfangreicher ist als das eigentliche Werk. Wie ich aber gleich feststellen konnte ist er aber unerlässlich, wäre ohne diese Erläuterungen hoffnungslos verloren... Gerade diese ganzen historischen und autobiographischen Anklänge würde man sonst ja gar nicht verstehen, da ich mich mit Dante und der Geschichte um 1300 noch kaum beschäftigt habe...


    Bin jetzt schon bis zum 5. Höllenkreis vorangeschritten (9. Gesang). Mein Problem ist, dass ich grundsätzlich die Vorstellung einer Hölle in dieser Form schon schlimm genug finde und ich schon eine innerliche Hürde überwinden muss, wenn ich lesen muss, dass Ungetaufte in den Limbus kommen und auch Sokrates hätte ich persönlich ein lauschiges Plätzchen im Paradies vergönnt.


    Zwar setzt Dante einige Akzente anders als in der herkömmlichen christlich tradierten Vorstellung der Hölle wie sie uns v.a. durch die Kirchenväter überliefert ist, so wenn er die Menschen, die sich den Leidenschaften und der Sinnenlust hingaben "nur" in den 2. Kreis der Hölle verbannt... Doch grundsätzlich bleibt das christliche Weltbild unangetastet (da steckt er meines Erachtens also noch ganz im Mittelalter).


    Zitat

    Kann man sagen, dass sich bei Dante der Renaissancemensch ankündigt?


    Interessante Frage: generell wird der Übergang vom mittelalterlichen zum neuzeitlichen Menschen ja meist an Petrarca festgemacht. Und bei ihm vornehmlich darin, dass er sich selbst in das Zentrum gerückt hat, und von sich aus die Welt entwirft (Stichworte Perspektivismus, Besteigung des Mont Ventoux).
    Ob das bei Dante schon angelegt ist, kann gut sein... Kenne ihn zuwenig und bin auf andere Meinungen gespannt...


    Was haltet ihr von der Sprache? Bin überrascht wie klar, einfach, unprätentiös er schreibt...


    soviel fürs erste,
    Grüsse, Lucien

    hallo Markus,


    deiner Fähigkeit zur Systemtisierung und der Quantität deiner gelesenen Bücher habe ich ja schon in einem anderen Forum "gehuldigt"... Hat mich wirklich beeindruckt!!


    Ich denke, dass ich mich auch den Russen des 19. Jahrhunderts nahe fühle, kenne aber außer Dostojewskij und Tolstoi noch recht wenig. Kannst du mir ein oder zwei Bücher empfehlen? Was hat sich besonders begeistert?


    Und ich möchte so nach und nach auch von Dostojewskij alles lesen. Bis jetzt habe ich erst die Kurzerzählungen in "Weisse Nächte", "Der Idiot", "Strafe und Verbrechen" und "Arme Leute" gelesen. Und das gehört mit zum besten was ich an Literatur überhaupt kenne. Was ist noch ein absolutes Muss? Lohnen sich die "Dämonen" z.B.?


    Wäre Dir für ein paar Hinweise und Anregungen dankbar...
    Grüße,
    Lucien

    hi Hubert


    Zitat

    Meiner Meinung nach macht diese Reihenfolge mehr Sinn und kommt glaubhafter rüber als im Roman.


    Ja, da stimme ich Dir zu. Die Verfilmung hat sich in vielen Dingen nicht ganz so eng am Buch orientiert. Und die Eifersucht der Einheimischen kam im Film tatsächlich besser rüber (weil auch toll gespielt), als im Buch, wo die Einheimischen mir an und für sich gemäßigter erschienen...


    Grüße,
    Lucien

    hallo Hubert,


    ja genau, die Art und Weise, in der die Witwe in diesem Buch wegkommt oder eben gerade nicht, ist für mich auch fragwürdig. Zwar verhält sich Sorbas hier ja sehr vorbildlich und stellt sich zwischen die lynchende kretische Bevölkerung, aber trotzdem erschüttert uns Leser der Tod wohl eher, als den Ich-Erzähler, der sich davon sehr bald erholt... Das war für mich nicht wirklich glaubhaft, oder? Und es zeigt vielleicht auch die stark ausgeprägte männliche Welt, die in dem Buch beschrieben wird. Die Frau ist eben "nur" die "Quelle" und erhält ihren Wert durch die Verherrlichung des Mannes, durch die Stilisierung zum "Weiblichen schlechthin". Aus einer feministischen Blickrichtung sehr angreifbar, finde ich. Oder was meinst du?


    Die andere Frage, die du stellst bezüglich des Vergleiches mit dem Film ist natürlich auch hochinteressant. Die Verfilmung gehört ja für mich zu den wenigen Literaturverfilmungen, die mit dem Buch konkurrieren können. Vielleicht noch "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" fällt mir ein, als ein Film, der sogar besser ist als das Buch...
    Die "Steinigungsszene" wie du sie nennst, war im Buch sehr viel drastischer: ich war ja regelrecht schockiert, da wurde der Kopf vom Rumpf abgetrennt... Im Film verblutet sie, wenn ich mich recht erinnere. Übrigens diese Irene Papas spielte die Witwe schon phantastisch...


    Das Motiv der Tötung war im Buch sowie im Film, der Selbstmord des Sohnes von Mavrantonis (so hieß er glaub' ich)... Das Motiv des Selbstmordes dagegen war unterschiedlich: im Buch nicht erwiderte Liebe, im Film Eifersucht, weil er von der Liebesnacht der Witwe mit dem Chef, erfuhr...


    Liebe Grüße,
    Lucien

    hallo zusammen,


    nachdem ich es mir schon lange vorgenommen hatte, habe ich das Buch jetzt auch endlich fertig gelesen. Und obwohl ich den legendären Film mit Anthony Quinn schon kannte, kam bei mir nie ein Hauch von Langeweile auf, im Gegenteil.
    Gerade der Part des Ich-Erzählers war es, der das Buch in so ein verschwommen-melancholisches Licht taucht. Und die ganze Szenerie, philosophische Gespräche am Strand an der Südküste Kretas, Wein, Brot... Das Glück ist so einfach zu erreichen, das nehme ich so als Aussage mit...


    In euren Diskussion drehte sich viel um die Frage, welche Lebenshaltung jetzt angemessener für das Leben eines Menschen sei, und ob nicht sogar die von Sorbas propagierte kindliche, erdverbundene, spontane Lebensart einen Rückschritt darstellt. Das was Nimue vorgebracht hat stimmt schon, und natürlich würde ich bei aller Sympathie für Sorbas nie ernsthaft daran denken meine Bücher zu verbrennen, aber in vielem kann man Sorbas doch auch wiederum nur beneiden... Ein ungemein anregendes Buch, voll von Lebensfreude und Traurigkeit über die Veränglichkeit dieser Freuden!!


    Ich denke ich werde noch mehr von Kazantzakis lesen müssen !!


    Grüsse,
    Lucien

    hallo Hubert,


    erstmal Danke für deine freundliche Begrüßung; leider schaffe ich es im Moment nicht, mir das kleine Büchlein nochmal zu beschaffen, deshalb kann ich mich nicht mehr ausreichend hineinlesen, um Beispiele anzuführen oder inhaltich ein bisschen besser argumentieren zu können...


    Aber es freut' mich, dass auch du Freude an dem Buch hast... Und wenn es vielleicht gerade die Teile des Buches sind, die mir persönlich eher schwach vorkamen, na dann umso besser.


    Ich denke mein Problem mit dem Ende des Buches bestand in der Zeitraffung. Da wo am Anfang noch ausführliche, interessante Dialoge waren (ich denke an das Gespräch mit Fr. Boye oder auch die Gespräche und die Schilderung von Fennimore) da wird am Ende so schnell und unreflektiert über alles hinweggegangen. Auf wenigen Seiten heiratet er, stirbt seine Frau, zieht er in den Krieg... Ich habe mir beim Lesen gedacht, wie schade, dass doch ist, denn hätte er diesselbe Sorgfalt, die er am Beginn gegenüber seinem Helden hat, bis ans Ende durchgezogen, hätte das wahrlich ein ganz, ganz großer Roman werden können. So kam der Roman über den Status eines Geheimtips unter sensiblen Intellektuellen leider nie hinaus...


    Sonst kenne ich von Jacobsen nur ein paar Erzählungen, z.B. "Die Pest von Bergamo", die ganz annehmbar waren, mehr aber auch nicht...


    Ciao ciao,
    Lucien

    salut amelie, hallo Hubert,


    würde mich gerne an eurer Diskussion über das Buch beteiligen... Habe das Buch zwar schon im Mai gelesen, aber keine Sorge ich will nichts vorweg nehmen...


    Dieser Herr Bigum ist natürlich eine sehr bemitleidenswerte Gestalt. Sie erinnert mich sehr an den kleinen Herrn Friedemann. Thomas Mann hat den Niels Lyhne übrigens auch gut gekannt, und es würde mich nicht wundern, wenn davon auch etwas in seine spätere Erzählung mit eingeflossen ist...
    Ich denke viele Schriftsteller schaffen solch' eine Figur wie den Herrn Bigum, weil sie damit ihre eigene theoretisch-intellektuelle Ausrichtung auf das Leben, problematisieren wollen. Diese nur "abstrakte" Sicht auf die Welt (wie sie im Roman genannt wird) fällt augenblicklich in sich zusammen und wird als nichtig erkannt, wenn es zu einem Einbrechen der Triebwelt, der erotischen Fixierung oder ähnlichem kommt...


    Für den jungen Niels Lyhne, der diese Szene verfolgen muss, ist das natürlich ein entscheidendes Erlebnis, was ja auch sehr gut und
    eindringlich beschrieben wird... Eine mögliche Flucht vor der Lebensproblematik in die Geistigkeit wird ihm damit schon früh als nicht erstrebenswert vorgeführt...


    Also, ich persönlich halte diese Szene für die beste literarische Darstellung einer Abfuhr, die ich überhaupt jemals gelesen habe... Hart, ehrlich, anschaulich, die ganze Tragik einer aussichtslosen Liebe auf den Punkt gebracht.


    Bleibt am Ball,
    und nicht zu schnell lesen: der Jacobsen schreibt unheimlich kompakt, da ist beinahe kein Satz nur so dahingeschrieben...


    Grüsse,
    Lucien

    hallo alpha,


    Ich bin bestimmt kein guter Kafka-Kenner, außer ein paar Erzählungen, das "Schloss" und den "Heizer" habe ich noch nichts von ihm gelesen. Auch an ein paar seiner Aphorismen habe ich mir schon die Zähne ausgebissen...


    Könntest du vielleicht inhaltlich noch näher ausführen, welche Religion oder Weltanschauung du bei Kafka entdeckt zu haben meinst?


    Denn so oberflächlich wie ich ihn kenne, ist er doch zunächst mal genau das Gegenteil von einem Propheten... ein Prophet sollte doch auch den Horizont auf ein Neues eröffnen, den Menschen eine nahende, erhabene Zukunft in Aussicht stellen... Kafkas Leistung besteht für mich vornehmlich darin, den Menschen mit ihrer eigene Ausweglosigkeit, der Sinnlosigkeit von allem, zu konfrontieren. Das macht er grandios in seinen Erzählungen, da gibt es keinen Ausweg... Ich lese ihn ehrlich gesagt nicht gerne, weil er mich so beklommen macht... Ähnlich wie bei Thomas Bernhard, den ich aber lieber lese, weil ich hier den konkreten Bezug auf die erdrückenden Missstände mitgeliefert bekomme... Ein Prophet soll mich doch auch mitreissen und zu neuem bekehren, und dafür böten sich eigentlich andere eher an, z.B. Nietzsche, George oder meinetwegen auch Hesse oder Rilke...


    Also, worin siehst du gerade bei Kafka das Prophetische oder was verstehst du darunter?


    Grüsse,
    Lucien

    also ich versuche tatsächlich nach Plan zu leben und auch zu lesen; aber die Betonung liegt in der Tat auf versuchen.


    Ich habe eine Liste, und was da mal draufkommt wird unerbittlich zu Ende gelesen... So schaffe ich es wenigstens mich auch durch die zähesten Werke zu kämpfen... Aber das betrifft eigentlich eher Sachbücher oder Sekundärliteratur, Biographien u.ä.


    Die sog. Schöne Literatur ist ja zum Glück kein Muss, sondern ein Vergnügen, eine phantastische Reise, auf die man geht.
    Und wenn mich etwas begeistert kann ich mich ohnehin nicht bremsen es sofort wegzulesen. Für Dostojewski "Idioten" oder auch "Schuld und Sühne" habe ich beinahe 3 Tage ununterbrochen gelesen. Kennt ihr das auch, dass man sich in so einen Rausch hineinließt und sogar gegen Hunger und Müdigkeit anlesen will...?


    Aber es gibt auch Ladenhüter auf meiner Liste, etwa den "Wilhelm Meister" von Goethe, den schaffe ich partout nicht, oder auch Schillers "Wilhelm Tell" schlummert seit 2 Jahren unvollendet auf der Liste...


    Aber zum Glück nehme ich meine Marotten nicht ganz so ernst, und kann mich schon auch mal für Wochen von diesem Schatten der Umklammerung, den solch' eine Disziplinierung verursacht, freimachen...


    Grüsse,
    Lucien

    Habe das Buch in diesem Frühjahr gelesen, aus eben denselben Motiven heraus wie du auch... War von der Sprachkraft und der gefühlsmäßigen Dichte des Buches sehr angetan... Einige Passagen sind wirklich zum Einrahmen wunderschön...


    Negativ anzumerken ist allerdings, dass das Buch gegen Ende unheimlich abbaut gerade was den Handlungsverlauf betrifft. Jacobsen hat ja insgesamt 8 Jahre an dem Buch gearbeitet, und die Vermutung liegt nahe, dass er es dann irgendwann einfach abschließen wollte; so steht es auch in dem Nachwort meiner Reclam-Ausgabe...


    Aber auf jeden Fall sehr zu empfehlen (für Rilke-Begeisterte sogar ein "Muss" !).


    bye, :winken:
    Lucien