Beiträge von scheichsbeutel^

    Hallo!


    Der Büchmann bietet einen reichen Zitatenschatz, mit einiger Liebesmüh sollte man dort fündig werden. Ansonsten - spricht hier die Klientel der 40%igen Kürzung? Humanistischer Pelzbesatz am grautristen juristischen Regenmantel? - Deja vu: Hochrangige Politiker pflegten sich an die Fakultät der Alten Geschichte zu wenden, um ihre Festtagsrede mit Quintilian & Co beginnen zu können. Manch einer bekam eine lateinische Sentenz und später reifte die Erkenntnis, dass das, was da vor der Landwirtschaftskammer zum Schlechtesten gegeben wurde, wenig mit Obstanbau oder Gemüsezucht zu tun hatte, sondern Ovidsche Anzüglichkeiten waren.


    Dies nur zur gefälligen Beachtung!


    s.


    Für gekürzte Kinder- bzw. Jugendausgaben habe ich schon Verständnis. Auf diesem Weg kann man den Kleinen kulturell wichtige Geschichten nahe bringen. Ich habe mich jedenfalls zum ersten Mal mit Hilfe solcher Bücher im Grundschulalter mit Odysseus beschäftigt.


    Halte ich auch für sehr empfehlenswert, man kann Neugierde erwecken, die Lust auf mehr. Früher (ob dem heute auch noch so ist vermag ich nicht zu beurteilen) gab es in den Donald-Taschenbüchern derartigen Themenklau. Ich glaube mich an den Ring der Nibelungen, an Othello oder Romeo und Julia zu erinnern. Und überhaupt: Bis 15 (+/-) darf man einfach alles ;-)


    Grüße


    s.


    Ich versteh darunter das, nehm ich mal an, wovon du verstehst dass ich es darunter versteh. :breitgrins:


    Ich sehe, wir verstehen uns!


    Und ich hätte genau so gut Hesse nennen können. Für beide gilt das gleiche, ich las sie vor 30 Jahren mal, mochte es damals, mag es heute aus der Rückschau nicht, und misstraue meinem Urteil, mag mir aber nicht die Zeit nehmen, es zu überprüfen.
    Was meinen damaligen Geschmack betrifft, bin ich nachsichtig mit mir. :breitgrins:


    Vollste Zustimmung. Der Unterschied besteht darin, dass ich als großer Freund des Wieder- und Wiederlesens sowohl Hesse als auch Zweig im Erwachsenenalter erneut mir vorgenommen habe (liegt aber auch schon länger zurück). Und ich mit Staunen zur Kenntnis nehmen musste, dass das, was mir da ach so wundervoll in Erinnerung war, eher ein peinliches Licht auf den Reifegrad des Heranwachsenden warf. (Peinlich ist natürlich falsch. Das passt schon, halte ich für eine gesunde Entwicklung. Seltsam finde ich es eigentlich nur, wenn 30ig, 40ig, 50jährige immer noch auf dem Unverstandenheitstrip mit dem Steppenwolf unterm Arm einher hampeln.)


    Hesse macht übrigens genau das, was ich oben in Ansätzen charakterisiert habe: Ein traumatisches Jugenderlebnis lässt den unverstandenen Helden in die weite Welt ziehen, dort erlebt er allerlei Abenteuer (oder "transzendiert zwischen vita activa und vita contemplativa", wie es weniger trivial beim Glasperlenspiel heißt) und kehrt geläutert und gereift zurück zum heimischen Herd. Siddartha, Narziss und Goldmund, Camenzind, Demian, Glasperlenspiel ad infinitum. Dazu ein Quentchen Sozialkritiik und elitäres Unverstandenheitsgefühl (in seiner Seltenheit vergleichbar den im Chore brüllenden Individualisten beim "Leben des Brian"), fertig ist das jugendliche Indentifkationsschema. Ein Schema, dass sich auch bei Kinderbüchern findet: Bummsti, der kleine Elefant geht auf große Reise, erlebt allerhand Abenteuer und kehrt gereift in Vater Bummstis liebenden Rüssel zurück.



    es scheint mir, dass ich in größerem Ausmaß mit dem Herzen lese als scheichsbeutel^ . Vielleicht vernachlässige ich darüber manchmal die Literaturwissenschaft :wink:


    Ach, ich mags auch süß, aber Marai übertreibt's ein wenig mit der Zuckerbeigabe - für meinen Geschmack.


    Grüße


    s.


    Kleines Geständnis am Rande: Vielleicht bin ich Herrn Marai gegenüber auch deshalb ungnädig, weil mir das Buch von einer Person empfohlen wurde, deren Sympathiewerte weit unter jenen lagen, die man einer kräftigen Darmspülung zugestehen würde. Was mir erst später klar wurde. Dafür kann er natürlich nix, der arme Marai.


    Für die Zielgruppe der Schlipsträger ist es wohl ausreichend. Da kann man mal zwischen zwei Managemententscheidungen sein Kulturverständnis raushängenlassen. :zwinker:


    Jaja, die kenn ich. Die "gehen in die Wirtschaft" oder "kommen aus der Wirtschaft", was früher mal jemanden illuminiert zurückgelassen hätte. Heute aber wird dieses Wirtschaftsbanner wie das Eiserne Kreuz ans Revers geheftet und mit einem Stolz verkündet, der an weiland Großpapa erinnert, wenn er vom Russlandfeldzug schwärmte.


    Grüße


    s.


    Ein bißchen wirkt die Verteidigung der vollständigen Länge der Klassiker in den Diskussionen danach, dass gleich der Untergang des Abendlandes befürchtet wird. Mir scheint, dass dies v.a. von den ernsthaften Klassik-Lesern (zu denen ich mich auch zähle) vorgetragen wird. Warum eigentlich? Welche "Gefahr" geht von solchen Büchern aus? Schummelnde Literatur-Studenten? Protzende Manager? Na und. Ich sehe da nicht viel.


    Gerade solches hab ich in einem anderen Posting - für mich - in Abrede gestellt. Im Gegenteil: Mir geht's am Allerwertesten vorbei, ob jemand seinen Klassikerkanon inhaliert hat. Das ist's ja gerade: Es ist keineswegs notwendig, das gelesen zu haben. Deshalb versteh ich auch diese "Abstracts-Konsumenten" nicht - (und allein "abstract" klingt ja schon so viel schlauer als Inhaltsangabe) außer wenn ich ihnen schnöselige Angeberei unterstelle. Denn mit der Kurzfassung entgeht ihnen das alles Entscheidende - und sie lesen sie ja offenbar auch nicht deshalb (wie Dostojewski), um eine ev. Lektüre vorzubereiten.


    Grüße


    s.


    Bei Opern gibt es das längst und es gibt auch Klassik Kompilationen, die nur einzelne Sätze aus Symphonie enthalten :grmpf:


    Genau - wie hass ich diese Opern im 10er-Pack, wo man sich Ouverture und 3 eingängige Arien anhören kann. Und ich hab sowas mal geschenkt bekommen und musste mich - höflicherweise - auch noch freuen.


    Ich muss mich auch Giesbert anschließen: Ich halte diese Leute für keine Leser. Ist natürlich Definitionsfrage, aber mir reicht bloße Handlung in einem Buch nicht aus - im Gegenteil: Das sprachliche, ästhetische Drumherum, die _Möglichkeit_, sich mit dem Geschriebenen auseinander zu setzen, macht's - für mich - erst wirklich aus. Und wenn's mal kompliziert wird - das stört mich nicht im mindesten - im Gegenteil: Eigentlich benutz ich meinen Kopf (befinde mich ja noch in der Präalzheimerperiode) ganz gern. Denken macht doch auch Spaß.


    Grüße


    s.

    Als "Groschenromanformat" würde ich die seitenlangen Gefühlsplatitüden bezeichnen. Das Ende des Buches beispielhaft: Die uralte Amme küsst den General "und wie jeder Kuss ist auch dieser eine Antwort [...] auf eine Frage, die nicht in Worte zu fassen ist." Von solchen Stellen gibt es im Buch nicht wenige - und so ab Nummer 5 beginnen sich mir die Zehennägel zu kräuseln.


    Ich bin schon gegenüber dem Gesamtaufbau skeptisch: Zwei 70jährige Männer besprechen die 41 Jahre zurückliegende Liebes- und Betrugsaffäre. Ohne jetzt genau zu wissen, was du unter "Realismusdiskussion" verstehst, bin ich einer solchen Konstruktion gegenüber höchst skeptisch. Erinnert ein bißchen an vorgestellte Romanzen, an 16jährige, die da noch glauben, dass die erste zerbrochene Liebe das alles Entscheidende ist und in ihrer Phantasie sich ausmalen, wie sie sich in 20, 50 Jahren auf edel-souveräne Weise mit dem Geschehen auseinandersetzen. Das ist eine Art vorgestelltes 25jähriges Maturatreffen, wo man es allen zeigen wird und endlich die Bewunderung, die dem Betreffenden versagt war, einheimst. In realiter schaut's dann meist ein wenig anders aus, man erinnert sich mit Müh und Not noch des Vornamens der Jugendliebe und erkennt die ehemaligen Kollegen kaum wieder - geschweige denn, dass man ihnen noch irgendwas beweisen wollte. Und wenn doch, dann darf man sich rühmen, die Pubertät über lange Jahre unbeschadet sich erhalten zu haben. Du erwähnst ja auch diesen "schwülstigen Freundschaftsbegriff": Dieses ganze Ehre- und Freundschaftsgedudel mag manch einer nett finden, ich will das aber nicht lesen.


    Den Vergleich mit Stefan Zweig find ich treffend (man ahnt, ich mag ihn nicht ;-)): Zweigs Novellen und Romane passen als Fortsetzungsroman in die "Brigitte", das ist Psychologie light für die frustrierte Hausfrau. Die Sternstunden sind einfach nur kindisch, ebenso seine Biographien (die ohnehin allesamt der Belletristik zuzurechnen, schlecht recherchiert sind und von teilweise stupender Unkenntnis des Porträtierten zeugen). Zweigs politische Klugheit, auch Weitsicht, seine integre Persönlichkeit (soweit sie mir bekannt ist) täuschen gern über seine mittelmäßigen Fähigkeiten als Schriftsteller hinweg.


    Seine Figuren bleiben immer künstlich - und je mehr er sich außergewöhnlicher Personen annimmt, desto schwächer wird seine Darstellung (der Schachweltmeister wird zu einer - ungewollten - Karikatur, so wie sich Klein-Hänschen einen solchen vorstellt). Aber auch seine kitschigen Liebesgeschichtchen sind nur einem weichen Herzchen zuzumuten (etwa Verwirrung der Gefühle, Rausch der Verwandlung oder Ungeduld des Herzens). Sie sind, was der Titel verspricht: Wohldosierte Aufregung fürs Großmütterchen.


    Genug gelästert ;-) - aber natürlich hast du Recht: Nach nur einem Buch sollte ein Autor nicht beurteilt werden.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Im Literaturwelt-Blog hat sich (heute) eine kleine Diskussion <a href="http://blog.literaturwelt.de/archiv/kurz-und-nicht-gut-kompakte-klassiker/">entwickelt</a>. Daß es, wie du schreibst, ein Klientel für diese Ausgaben gibt, geht schon daraus hervor, daß sie sie überhaupt verlegen. Kein Verleger begeht freiwillig Selbstmord.


    Auch wenn ich in diesem Fall der Meinung bin, dass ein solcher Markt durchaus besteht, halte ich die Logik des Satzes für fragwürdig: Dass nur erzeugt würde, wofür eine Klientel besteht. Denn häufig werden Produkte erzeugt und mit einem entsprechenden Marketingaufwand auch die Nachfrage. Nicht der Wunsch der potentiellen Kunden für das Vorhandensein eines Produkts ist ausschlaggebend, sondern jener des Produzierenden nach mehr Gewinn. Deshalb endet auch so manche Geschäftsidee als Rohrkrepierer.



    "In dem <a href="http://news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/newsnight/review/6571287.stm">Interview</a> mit Newsnight Review (...) (Einstieg bei 24:20min) gibt Orion Verleger Malcom Edwards ganz klar an, dass 'der Leser heutzutage keine Zeit mehr hat' und sie deshalb die kompakten Versionen auflegen."


    In diesem Sinne: Wir wärs mit Kurzbeschreibungen aller Rubens-Bilder? Unzumutbar der Zeitaufwand, sich das alles noch anzusehen.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Das Wichtige eines Sach- und Fachbuches ist IMHO nicht seine Länge und sein Ausgewälztsein. Für mich wäre sogar ein Zugewinn, wenn man die Thesen und Grundaussagen eines solchen Buch in einem Exzerpt vefügbar hätte, freilich nur kostenfrei. Bei 199.- Euro vergeht mir aber sofort die Lust, auch nur darüber nachzudenken.


    Versteh ich nicht - von Sach- oder Fachbüchern war doch nicht die Rede. - Und in der "schöngeistigen" Literatur ist solches Unsinn. Um bei den von mir erwähnten Beispielen zu bleiben: Was nützt mir die zusammenfassende Beschreibung einer Schweizer Lungenheilanstalt, wenn ich nicht Settembrinis Tischgespräche kenne, Mynheer Pepperkorn, den Großmeister der fragmentarischen Ausdrucksweise oder die moralinsauren Ausführungen Naphtas? Wie eine Parallelaktion beschreiben, das Paradigmatische der Kurzschriftsysteme Öhl und Vogelsang für die Sinnhaftigkeit des vorzubereitenden Jubiläums?


    Ich versteh's auch aus grundsätzlichen Überlegungen nicht. Man _muss_ eben nichts gelesen haben, wenn man aber _gern_ liest, wird man's tun. Das Wissen um den Inhalt eines Buches hat nichts, aber rein gar nichts mit dem Genuss des Lesens zu tun. Er kann eben bestenfalls als Tischgesprächsgrundlage dienen (man denke an die Frau Stöhr im Zauberberg, die zur Freude Settembrinis auch den guten Tantalos mal den Marmor wälzen lässt).


    Vielleicht ist meine Abneigung gegen diese Art Unterhaltung auch durch Erfahrung geprägt und verstärkt, da ich - leider - viele Menschen kenne, die da glauben, dass es mir eine besondere Freude sei, mich über Literatur zu äußern. Was prinzipiell stimmt, vorausgesetzt, jemand hat sich mal auch Gedanken über das lesetechnisch Konsumierte gemacht. Ansonsten ziehe ich Gespräche über die Fußballbundesliga oder die zweifelhafte Gegnerwahl bei Erdeis nächster Titelverteidigung im Halbschwergewicht (WBO) bei weitem vor.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Wie Klassikfreund schon schrieb: Kein Mensch muss Klassiker lesen. Und ich halte es für einen Irrtum (wahrscheinlich der Eitelkeit oder Angeberei oder Wichtigtuerei geschuldet), dass man nach Lesen einer Inhaltsangabe nun das Buch "kennt". Aber es kommt wohl auch drauf an, was man als das wirklich Wichtige eines Buches betrachtet, worauf man Wert legt. Die Vorstellung etwa, den Zauberberg oder den MoE nachzuerzählen mutet grotesk an, man würde von beiden Büchern noch immer keine Vorstellung haben. Das funktioniert auch in der bildenden Kunst nicht: Auf dem Gemälde von XY findet sich die Darstellung von Amor und Psyche, als diese die Identität von jenem entdeckt ...


    Ich halte es zwar nicht für den Untergang des Abendlandes, wenn derlei große Resonanz findet, es scheint aber eine Grundhaltung widerzuspiegeln: Man möchte schlicht "kenn ich" sagen dürfen in einer Unterhaltung oder "hab ich auch gelesen". Im Idealfall findet sich der Viel- und Inhaltsangabenleser bei Th. Gottschalk wieder und erkennt anhand von beliebigen Absätzen in einer Minute 50 Klassiker aus einem Gesamtvolumen von 2000 Werken. So ein g'scheiter Mensch aber auch ...


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Die Idee ist wirklich nicht neu, gerade Tolstoi (und andere) wurden oft schon von "unzeitgemäßen Längen" befreit. Ich glaube, dass sich in derlei eine handlungszentrierte Leseweise widerspiegelt - hat der Gärtner das Beil geschwungen oder reichts bei Klein Maxi diesmal für eine gediegene Kopulation mit der Angebeteten? Diese Lesehaltung ist Nährboden für Zusammenfassungen (wie kürzlich von Dostojewski gepostet) und Kürzungen, wobei man mit einigem Geschick auch eine 80%ige Reduktion zustande bringen sollte.


    Aber nichts, was nicht auch Vorteile birgt: Die Unterhaltung mit obgenannten Woody Allen Lesern trägt bei kreativer Gesprächsführung zum Amusement bei: Ich hab die "Recherche" beim Smalltalk schon als Arbeiterroman des homosexuellen Albert verkauft, der durch den sadistischen Baron Charlus in sexuelle Abhängigkeit gerät. Ad infinitum.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Seit gestern, und ich werd es wohl heute noch durchlesen:
    Sandor Marai, Die Glut.
    Ich hatte den Autor die letzten Jahre immer mal wieder positiv rezensiert gefunden.
    Und den Roman letzte Woche aus einem Ramschkasten gefischt.
    Spannend.


    Da wäre ich mal neugierig, wie dir dieses Buch gefällt. Ich war sehr enttäuscht, das Buch wurde (v. a. durch eine hymnische Rezension M. R. R.s) allüberall gelobt, ich fand es nur platt, sentimental, gehobenes Groschenromanformat. Für mich ist dieser Roman der Inbegriff eines "gehypten" Werkes.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Der biographische Hinweis auf Einstein - Vielen und herzlichen Dank dafür! - bestätigt dies ja schön. Dass seine Zuordnung zur Figur des Kepler Einstein nicht gerade entzückt, das ist nur zu gut zu verstehen.


    Brod hat bezüglich des Porträtcharakters später einen Rückzieher gemacht (nach Erscheinen der Einstein-Biographie von Philipp Frank 1949) und sich von einer Figurenidentität Kepler-Einstein distanziert. Bei Einstein habe das aber nur "gutmütige Heiterkeit" ausgelöst, er hat darauf hingewiesen, dass "die Zeit ein Sieb hat, durch welches die meisten Nichtigkeiten ins Meer der Vergessenheit ablaufen".


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Kepler der moderne Wissenschaftler und Brahe als die moderne Existenz? - Darüber muss ich ein wenig nachdenken...


    Vielleicht zum Verständnis der Figuren beitragend: Das Vorbild für Kepler in diesem Roman ist Albert Einstein, der 1910/11 als Ordinarius für Theoretische Physik in Prag tätig war und in dieser Zeit auch Max Brod kennenlernte. Wobei - es scheint eher umgekehrt gewesen zu sein, als man Einstein später auf dieses "Porträt" aufmerksam machte, hat er sich ein wenig despektierlich geäußert und offenbar keine konkreten Erinnerungen bewahrt: "Ich glaube übrigens, dass ich den Mann [Max Brod] in Prag kennengelernt habe. Er dürfte einem dortigen philosophisch und zionistisch verseuchten kleinen Kreis angehören, der um die Universitätsphilosophen herum lose gruppiert war, eine mittelalterlich anmutende kleine Schar weltfremder Menschen ...". Ich meine, dass es Brod in seiner Darstellung ein Gegensatzpaar "Junges Genie" (Kepler), "starr an der Überlieferung festhaltender Gelehrter" (Brahe) gestalten wollte. Wobei ihm nach eigener Aussage nicht an einem historisch getreuen Porträt der beiden Astronomen gelegen war.


    Ich persönlich halte von Brod als Schriftsteller oder Kafkabiograph sehr wenig. Die Lebensbeschreibung Kafkas mag als Quellenmaterial dienen, den Ansprüchen einer guten Biographie genügt die pathetisch-verklärende Darstellung keineswegs.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Darf ich einmal fragen, was Sie gerade lesen?



    Derzeit Ransmayrs "Fliegenden Berg". Was davon wirklich zu halten ist - ich weiß es (noch) nicht ...


    Zu Sperber: Die Gestaltung des Verlustes jedweder Menschlichkeit durch ideologische Verblendung, die Unmöglichkeit eines der Humanität verpflichteten Mittelweges (anhand Stettens Schicksal) sind mir in ausnehmend positiver Erinnerung. Vielleicht wäre es an der Zeit, dieses mein Gedächtnis durch Wiederlesen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    (Die Zoë steht bei mir immer noch im Regal. Als Warnung davor, a) Literaturpreise und b) zeitgenössische Kritiker ernst zu nehmen, sowie c) irgendwelche Bücher zu kaufen von noch lebenden AutorInnen, die unter 70 sind und ihre pubertären Vaterprobleme dem Leser aufbürden zu müssen meinen ... )


    Da muss ich die pubertären Nöte allerdings vor Verunglimpfung retten. Mir ist es im Grunde egal, was mir jemand erzählt, wenn er's denn zu erzählen versteht. Böswilligerweise könnte man auch die Buddenbrooks als Aufarbeitung der Mannschen Jugend bezeichnen - wie auch immer: Der junge Mann war des Schreibens kundig.


    Fräulein Jenny aber hat sich ihrer Aufgabe in berückend talentfreier Weise genähert, das Büchlein ist schon wieder so schlecht, dass ich aus dem Staunen kaum noch raus kam. Ich werde beim Jüngsten Gericht das Auslesen dieses Romans als strafmildernden Umstand anführen.


    Das wirklich Üble an solchen Preisverleihungen und Lobeshymnen aber ist, dass unter diesem Wust an Lobhudelei anderes, Lesenswertes verschwindet. Zoe ist ein gutes Beispiel für den Literaturbetrieb: Der Papa (meines Wissens) im Verlagswesen und als Lektor tätig besitzt die notwendigen Verbindungen und schon findet sich ein Dieter Bohlen der Literaturkritik, der uns an seinem zweifelhaften Geschmack teilhaben lässt. Wobei man schon einen Namen in der Kritikerszene sein eigen nennen muss, um überhaupt eine wenig wohlwollende Beurteilung unterzubringen. Weil die Tageszeitung zum Presshaus XY gehört, welches seit der Fusion mit YZ und dem dabei anhangenden Verlag ZA Mehrheitsanteile an AB hält, weshalb es dann ganz vorsichtig im Postskriptum heißt: Schreibn's halt wenigstens "bestechende Einfachheit" oder "pittoreske Formulierungen", damit es irgend jemand kauft. Aber "Sedativum für alzheimergeplagte Analphabeten", das kann man nicht drucken ...


    Grüße


    s.


    p. s.: Das mit der Abschreckung deucht mir eine gute Idee, andere stellen sich eine handgeschnitzte afrikanische Totenmaske aus Taiwan ins Ikea-Regal, um zu gepflegten zivilisatorischen Ängsten zu kommen. Oder betrachte den Roman als potentiellen Energielieferanten, sofern du bei möglicher Heizöl- oder Gasknappheit auf feste Brennstoffe umzustellen gezwungen bist.

    Hallo!



    ich möchte noch einmal auf Manes Sperber "Wie eine Träne im Ozean" zurückkommen.
    Mittlerweile gefällt mir diese Trilogie immer besser; die Charaktere stellen sich gut dar, die Verzweiflung und Widersinnigkeit ihres Handelns entwickelt sich! Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht!



    Sperbers "Wie eine Träne im Ozean" habe ich als ein politisch sehr kluges Buch im Gedächtnis. (Etwa die Stelle, an der sich ein jugoslawisches Dorf nach dreimaliger "Befreiung" von rechts und links gegen jede weitere derartige Beglückung zu wehren versucht, weil es eine solche nicht überleben würde.) Ein großer, breit angelegter Roman mit beeindruckenden Figuren (etwa jene des Baron Stetten), der die moralische Untiefen jedweden Engagements beleuchtet. Allerdings, die Lektüre liegt bei mir schon länger zurück und so manches Buch hat sich beim Wiederlesen als weniger großartig erwiesen denn in der Erinnerung.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Das Loben und Preisen ist des Kritikers Passion und des Lesers Fluch. Wenn Iris Radisch ein Buch empfiehlt, die sich schon seinerzeit beim Bachmannpreis nicht entblödet hat, ein Schulaufsätzchen wie das Blütenstaubzimmer zu hoher Literatur zu ernennen, dann pflege ich in Deckung zu gehen und um das Buch einen weiten Bogen zu machen. Zugegeben, das Buch kann ja nix dafür, wenn es von solch zweifelhafter Seite gewürdigt wird: Nichtsdestotrotz - eine Empfehlung ist das nicht gerade.


    Grüße


    s.

    Hallo!



    Dann würde das Hauptagens des Romans wegfallen.


    Das ist mir schon klar. Aber eben diese ganze Konstruktion rund um dieses Flüchtlingsschicksal war für mich wirklich nur Konstruktion, eine Art von Rechtfertigung dieses Buch zu schreiben. Wobei es einer solchen Rechtfertigung gar nicht bedurft hätte, man hätte die Hauptfigur auch ohne mysteriösen Koffer des verstorbenen Schriftsteller nach Marseille schicken können. Ganz ohne (für mich überhaupt nicht plausibel wirkende) Liebesgeschichte die Verlorenheit dieser Menschen schildern können.


    Ich empfand einen tiefen Bruch zwischen gut beschriebenen kleinen Szenen, die den Alltag dieser entwurzelten Menschen schilderten, und der ganzen Geschichte, den Zufällen (und ich gebe zu: Ich mag Zufälle in Romanen gar nicht, v. a. dann nicht, wenn dem Roman eigentlich eine realistische Konzeption zugrunde liegt - bei Dickens dürfen sie vorkommen :-) ), dem Identitätswechsel der Hauptfigur (Marie ist auf diese Weise wieder mit ihrem verstorbenen Mann vereint, (den sie verlassen, in den Selbstmord getrieben hat?) mit der Möglichkeit zu psychologischen Interpretationen ad infinitum).



    Die spartanische Sprache und entspricht dieser inneren Armut der Hauptfigur, weshalb der Roman in sich stimmig ist, wenn auch nicht leserfreundlich.



    Ich habe nichts gegen "prosaische Prosa", im vorliegendem Fall schien sie mir aber vom anfangs gelungenen Stilmittel zur sprachlichen Hilflosigkeit abzusinken. Nicht jeder muss wie Th. Mann schreiben, ich mag etwa Nossack oder Kafka ebenso. Trotzdem: Hauptkritikpunkt bleibt für mich dieses unsägliche Handlungsgerüst, das der Beschreibung des Flüchtlingselends aufgepropft wurde, zu dem sie sich scheinbar verpflichtet sah. Ich empfand auch keinerlei "Spannung", ob dieses Versteckspiel aufgelöst würde, vielmehr ertappte ich mich eher bei Gedanken der Art "jetzt sag's ihr schon, damit endlich Ruh' ist und andere Beschreibungen in den Vordergrund treten können". - Es hilft nichts, ich nehme diesem Ich-Erzähler seine emotionalen Verstrickungen einfach nicht ab, sie wirken auf mich ausgedacht.


    Aber Geschmäcker sind verschieden, Eindrücke ebenso - und das soll wohl so sein!


    Grüße


    s.