Als "Groschenromanformat" würde ich die seitenlangen Gefühlsplatitüden bezeichnen. Das Ende des Buches beispielhaft: Die uralte Amme küsst den General "und wie jeder Kuss ist auch dieser eine Antwort [...] auf eine Frage, die nicht in Worte zu fassen ist." Von solchen Stellen gibt es im Buch nicht wenige - und so ab Nummer 5 beginnen sich mir die Zehennägel zu kräuseln.
Ich bin schon gegenüber dem Gesamtaufbau skeptisch: Zwei 70jährige Männer besprechen die 41 Jahre zurückliegende Liebes- und Betrugsaffäre. Ohne jetzt genau zu wissen, was du unter "Realismusdiskussion" verstehst, bin ich einer solchen Konstruktion gegenüber höchst skeptisch. Erinnert ein bißchen an vorgestellte Romanzen, an 16jährige, die da noch glauben, dass die erste zerbrochene Liebe das alles Entscheidende ist und in ihrer Phantasie sich ausmalen, wie sie sich in 20, 50 Jahren auf edel-souveräne Weise mit dem Geschehen auseinandersetzen. Das ist eine Art vorgestelltes 25jähriges Maturatreffen, wo man es allen zeigen wird und endlich die Bewunderung, die dem Betreffenden versagt war, einheimst. In realiter schaut's dann meist ein wenig anders aus, man erinnert sich mit Müh und Not noch des Vornamens der Jugendliebe und erkennt die ehemaligen Kollegen kaum wieder - geschweige denn, dass man ihnen noch irgendwas beweisen wollte. Und wenn doch, dann darf man sich rühmen, die Pubertät über lange Jahre unbeschadet sich erhalten zu haben. Du erwähnst ja auch diesen "schwülstigen Freundschaftsbegriff": Dieses ganze Ehre- und Freundschaftsgedudel mag manch einer nett finden, ich will das aber nicht lesen.
Den Vergleich mit Stefan Zweig find ich treffend (man ahnt, ich mag ihn nicht ;-)): Zweigs Novellen und Romane passen als Fortsetzungsroman in die "Brigitte", das ist Psychologie light für die frustrierte Hausfrau. Die Sternstunden sind einfach nur kindisch, ebenso seine Biographien (die ohnehin allesamt der Belletristik zuzurechnen, schlecht recherchiert sind und von teilweise stupender Unkenntnis des Porträtierten zeugen). Zweigs politische Klugheit, auch Weitsicht, seine integre Persönlichkeit (soweit sie mir bekannt ist) täuschen gern über seine mittelmäßigen Fähigkeiten als Schriftsteller hinweg.
Seine Figuren bleiben immer künstlich - und je mehr er sich außergewöhnlicher Personen annimmt, desto schwächer wird seine Darstellung (der Schachweltmeister wird zu einer - ungewollten - Karikatur, so wie sich Klein-Hänschen einen solchen vorstellt). Aber auch seine kitschigen Liebesgeschichtchen sind nur einem weichen Herzchen zuzumuten (etwa Verwirrung der Gefühle, Rausch der Verwandlung oder Ungeduld des Herzens). Sie sind, was der Titel verspricht: Wohldosierte Aufregung fürs Großmütterchen.
Genug gelästert
- aber natürlich hast du Recht: Nach nur einem Buch sollte ein Autor nicht beurteilt werden.
Grüße
s.