Hallo zusammen,
„ich gestehe, ich habe es mir einfacher vorgestellt, ein Buch von Fontane zu lesen“, hat Ingrid gepostet und so will ich auch anfangen, wenn auch möglicherweise aus anderen Gründen, aber langsam wird mir klar, warum Thomas Mann das Buch so hoch einschätzte. Schon das erste Kapitel hat es in sich:
Im Thread „Romananfänge“ hat Ikarus einen Link zum Hölderlin-Gymnasium in Heidelberg hinterlegt (nochmals vielen Dank) und dort hatte ich folgendes Briefzitat von Fontane gefunden:
»Das erste Kapitel ist immer die Hauptsache und in dem ersten Kapitel die erste Seite, beinah die erste Zeile [...] Bei richtigem Aufbau muss in der ersten Seite der Keim des Ganzen stecken.« (Theodor Fontane in einem Brief an Karpeles vom 18. August 1880).
Dieses Fontane-Zitat auf seine „Effi“ angewendet lässt mich Fontane, den ich nie für einen Meister des ersten Satzes angesehen hatte, mit anderen Augen sehen: „...während --- ein ... Seitenflügel einen breiten S c h a t t e n erst auf einen ... Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonenuhr ... besetztes Rondell warf.“, endet der erste Satz des ersten Kapitels von „Effi Briest“ und hat mich sofort an die „Dubliner“ von Joyce erinnert. (Für Eingeweihte: -> Es gab keine Hoffnung für Effi! – Hallo Maria, ob Joyce Fontane kannte?). :zwinker:
Was steckt sonst noch an Andeutungen im ersten Kapitel: Effi „immer am Trapez, immer Tochter der Luft“, deutet sicher auf Effis unbeschwertes, wenn nicht leichtsinniges Wesen; „Effi, nicht so leidenschaftlich“, warnt die Mutter; „ich falle jeden Tag ..., und noch ist mir nichts gebrochen“, sagt Effi; und „Unsinn. Wie kann das gegen das vierte Gebot sein?“; und am Schluß des ersten Kapitels ein Hinweis auf die „unglücklichen Frauen, die versenkt worden sind, natürlich wegen Untreue“ – „Aber so was vergisst man doch wieder“, sagte Hulda. „Ich nicht. Ich behalte so was.“.
Ingrid
Zitat:
“Nicht, dass ich es kompliziert finde, das sicher nicht
Nun ich finde es schon kompliziert und ohne Lexikon und Wörterbuch ist es für mich nicht zu schaffen: z.B. wusste ich nicht, dass „Canna indica“ (schon im 1. Satz) eine Zierpflanze und ein „Courmacher“ ein Frauenheld ist und auch nach „Mining und Lining“ einem Zwillingspaar aus „Ut mine Stromtid“ des niederdeutschen Heimatdichters Fritz Reuters musste ich erst recherchieren.
Zitat:
„was mir aufgefallen ist, ist diese absolut genaue Beschreibung, wie Fontane jedes winzige Detail erklärt“.
Hat Dich das gestört oder war das für Dich in Ordnung?
Meiner Meinung nach gehen diese Detailbeschreibungen bei Fontane weit über die allgmeine Detailfreude des „Realismus“ hinaus und sind möglicherweise symbolische Andeutungen des weiteren Geschehens. (Beispiele aus dem 1. Absatz: die Kirchhofsmauer, die mit Fronthaus und Seitenflügel ein Hufeisen bildet; Effis Schaukel, deren Pfosten schon etwas schief stehen! - Hinweise auf Tod und Gefahr?)
Zitat:
„Und doch hat man den Eindruck, dass Effi eben doch noch ein bißchen ein Kind ist“
Den Eindruck hatte ich auch, wenn ich im Umschlagstext nicht gelesen hätte, dass Effi 17 Jahre alt ist, ich hätte (nachdem was man im 1. Kapitel von ihr erfährt) eher 14 vermutet.
(Will Fontane damit zeigen, dass Effi noch nicht reif für eine Ehe ist?)
Zitat:
„Ich finde, die Mutter ist schon eine sehr berechnende Dame gewesen.... „
Ich denke, sie will nur das Beste für ihre Tochter. Allerdings mit dem Ehrgeiz einer „Tennis/Eiskunstlauf/?/-Mutter“. (Zitat aus dem 2. Kapitel: „Wenn du nicht nein sagst, ... so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst deine Mama weit überholen“)
Zitat:
„mein Problem ist, dass ich mich mit Effi einfach nicht so richtig anfreunden kann!“
Wieso ist das ein Problem? Auch in meiner letzten Leserunde („Die Pest“ von Camus) gab es Mitleser, die bedauerten, dass es keine Romanhelden gab mit denen man sich identifizieren konnte oder die einem symphatisch waren. Sollte das ein Qualitätsmerkmal für Literatur sein? Davon abgesehen könnte ich mich mit Effi nicht nur anfreunden, nein – ich habe mich direkt in sie verliebt. Eine junge, hübsche Frau, mit Humor „und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte“ verraten, dazu zärtlich und leidenschaftlich, also wenn Fontane da keine Traumfrau beschrieben hat, ....? – ich habe allerdings erst 2 Kapitel gelesen. Ingrid, wie weit hast Du schon gelesen?
Polly,
Welche Ausgabe hat Dir die Buchhandlung besorgt. Da ich „Effi“ nur im Rahmen einer Gesamtausgabe des „Deutschen Realismus“ besitze, suche ich noch eine Taschenbuchausgabe in der ich ohne schlechtes Gewissen Randbemerkungen etc anbringen kann. Kannst Du deine Ausgabe empfehlen – soll heißen, gibt es Anmerkungen, Worterklärungen etc.?
Ein schönes Wochenende und
Liebe Grüße
Hubert