Beiträge von Hubert

    Hallo Ingrid,


    auf Deine nun konkret gestellte Frage eine direkte Antwort: Nein, die von Dir genannten Krimiautoren sind keine Klassiker der Literatur.


    Und ob diese Werke überhaupt Literatur sind, wäre noch zu prüfen. Dass der Verlag diese Bezeichnung aus verkaufstechnischen Gründen so wählt, reicht jedenfalls nicht aus.


    Schönes Wochenende


    Hubert

    Jane Austen, die Pfarrerstochter aus der südenglischen Grafschaft Hampshire, wurde nur 41 Jahre alt, hat aber in ihrem kurzen Leben sechs Romane vollendet, die bis heute gelesen und immer wieder auch verfilmt werden. Zwei dieser Romane wurden erst 1818, also ein Jahr nach ihrem Tod veröffentlicht, wobei „Northanger Abbey“ aber schon 1799 vollendet war:


    - Northanger Abbey (deutsch: Die Abtei von Northanger)
    - Persuasion (deutsch: Anne Elliot)


    Northanger Abbey tells the story of a young girl, Catherine Morland who leaves her sheltered, rural home to enter the busy, sophisticated world of Bath in the late 1790s. Austen observes with insight and humour the interaction between Catherine and the various characters whom she meets there, and tracks her growing understanding of the world about her.


    Catherine Morland, die siebzehnjährige Pfarrerstochter aus „Die Abtei von Northanger“ lässt die Heldinnen aus Jane Austen früheren Romanen, Fanny und Emma und wie sie alle heißen mit ihrer liebenswürdigen Art alt aussehen. Als sie von dem jungen Henry Tilney, der sich in sie verliebt hat, auf den alten Familiensitz Northanger Abbey eingeladen wird, sieht Catherine die Chance den Heldinnen ihrer Lieblingsromane nachzueifern.



    Persuasion: What does persuasion mean – a firm belief, or the action of persuading someone to think something else? Anne Elliot is one of Austen’s quietest heroines, but also one of the strongest and the most open to change. She lives at the time of the Napoleonic wars, a time of accident, adventure, the making of new fortunes and alliances.


    Mit “Anne Elliot” ist es Jane Austen gelungen das Leben der Frauen im 19. Jahrhundert glaubhaft zu schildern. Obwohl sie in ihn verliebt war, hatte Anne den Heiratsantrag des armen Marineoffiziers Frederick abgewiesen. Als sie ihn jetzt nach 8 Jahren wiedertrifft ist er zu Reichtum gekommen kann ihr aber ihre einstige Ablehnung nicht verzeihen.



    Beide Bücher sind sowohl in englischen als auch in deutschen Ausgaben erhältlich. In der englischen Ausgabe beträgt der Umfang 179 bzw. 190 Seiten (zum Vergleich „Emma“ hat 354 Seiten)

    Hallo zusammen,


    damit wir für unsere Jane Austen Lesung eine richtige Auswahl haben, habe ich Ihr postumes Werk (2 kleine Romane) noch in die Lesevorschläge aufgenommen. Ich bin aber bei jedem Vorschlag dabei.


    Liebe Grüße


    Hubert


    PS: Kann es sein, dass bei dem Lesevorschlag "Stolz und Vorurteil" ein falsches Buch abgebildet ist (die deutsche Ausgabe von „Sense and sensibility“)

    Hallo zusammen!


    Polly
    Die Gespräche bei Fontane sind so natürlich, ...


    Mit dieser Meinung stehst Du nicht alleine da. Friedrich Spielhagen (das war der, der zur gleichen Zeit wie Fontane einen Roman über den „Fall Ardenne“ geschrieben hat) schrieb folgendes:
    Zu den Errungenschaften der modernen Erzählerkunst gehört mit in erster Linie, dass man die Sprechweise der Personen möglichst der, welche sie im wirklichen Leben haben würden anzunähern sucht. Ich kenne keinen modernen Erzähler, der es darin weiter gebracht hätte, als Fontane. ... er gibt die Quintessenz, sozusagen, der Alltagssprache, sie so unmerklich stilisierend, dass jeder Leser schwören möchte: so und nicht anders müssen diese Menschen ... gesprochen haben.


    Zu den „Sündenfällen“ Effis und Emmas:
    Es ist möglich, dass Flaubert sich sogar vor Gericht dafür verantworten musste, weil er diese Szene so unzweideutig geschildert hatte. Das jedenfalls hat mir mein Vater, der mir den Roman vor Jahren empfahl, erzählt, meine ich mich zu erinnern. Das kann sich aber auch auf einen anderen Roman bezogen haben


    Nein, es war „Madame Bovary“ die Flaubert vor Gericht brachte. Allerdings nicht wegen der unzweideutigen Szenen, sondern weil, wie es der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift formulierte, Flaubert einer Ehebrecherin einen „Glorienschein“ umgelegt hätte. Flauberts Verteidiger Sénard konnte allerdings das Gericht davon überzeugen, dass Flaubert nur realistisch beschreibe, was seine Protagonisten fühlen und keinerlei Wertung im Roman vornähme, vielmehr die Beurteilung der Story dem Leser überlasse. (Beides macht ja auch Fontane: Effi einen „Glorienschein“ umlegen, und die Wertung dem Leser überlassen?*) Flaubert hat dieser Prozess, der für viel Aufsehen sorgte und mit Flauberts Freispruch endete, nicht geschadet, vielmehr hat der Prozess den Roman in aller Welt bekannt gemacht.


    nein! NEIN! Innstetten stellt doch niemals Gottvater dar!


    Vielen Dank Polly, für Deine leidenschaftliche Diskussionsteilnahme (daher freut es mich auch sehr, dass Du Dich auch bei „Alexis Sorbas“ beteiligst). Hier liegt allerdings ein Missverständnis vor. Nichts liegt mir ferner als die Gleichung Innstetten = Gottvater, wenn man dies über den ganzen Roman betrachtet. Zum einen hatte ich bei meinem Beitrag, wie ausdrücklich erwähnt ins Unreine interpretiert (bin zwischenzeitlich aber von dieser Interpretation überzeugt), zum anderen hatte ich „Gottvater“ in Anführungszeichen gesetzt. Was ich aber meine: „Effi Briest“ kann man, wie ich unten noch ausführen will, auf mehreren Ebenen lesen. Eine dieser Ebenen ist die Umsetzung religiöser Bilder durch die Romanprotagonisten. Und eines dieser Bilder könnte sein: „Die Verführung Evas“. Und nur in diesem „Bild“ käme Innstetten diese Rolle zu. Davor und danach hat er mit dieser Rolle nichts mehr zu tun.


    So wie ja auch der „Chinese“ im Roman wechselnde Funktionen hat, wie in der Facharbeit (siehe Link) „Die Allegorie des Chinesen“ von Melmo dargelegt wird. In dieser Arbeit wird übrigens auch auf die Unterschiedlichkeit der Namen „Geert“ und „Effi“ hingewiesen. Ein Grund warum ich Sekundärliteratur erst hinterher lese: Das Erlebnis des Selbstentdeckens geht sonst verloren.



    DIE VERSCHIEDENEN EBENEN IM ROMAN „EFFI BRIEST“:


    1. Ebene


    „Effi Briest“ als (Anti-)Liebesroman: Die Handlungsebene ist kurz erzählt: Ein junges Mädchen heiratet einen älteren Mann, betrügt ihn, wird verstoßen und stirbt oder noch kürzer: "Eine Hochzeit, eine Geburt und zwei Beerdigungen".


    2. Ebene


    Die Illustration des Pauluswortes aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13, Vers 1 u. 2:
    (1)Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. (2)Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.


    Dieses Thema zieht sich durch den ganzen Roman, ja vielleicht durch das ganze Schaffen Fontanes. Zumindest habe ich im „Stechlin“ eine passende Stelle gefunden, die das Thema wieder aufgreift und noch konkreter wird:


    Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde gehen. Die Zehn Gebote, das war der Alte Bund; der Neue Bund aber hat ein andres, ein einziges Gebot, und das klingt aus in: ›Und du hättest der Liebe nicht ...‹
    Ja, so sprach Lorenzen«, fuhr Woldemar nach einer Pause fort, ...
    (Theodor Fontane: Der Stechlin. In: Bibliothek X·libris: Theodor Fontane, CD-ROM. München 1996. Seite 306)


    Vielen Dank, dass Ihr mich durch Eure Kommentare auf diese Ebene gestoßen habt:


    Ist das Liebe? Nicht zu bemerken, wie der Partner leidet? (Ingrid)


    Hier liebt eigentlich niemand niemanden. (Polly)


    Ich habe ein bißchen nachgeforscht und bin darauf gestoßen, daß Fontane hier auf den 1. Korinterbrief anspielt. Es stand zwar nicht der Vers dabei, aber ich nehme mal an, er meinte 1. Korinther 13,1 (Maria)


    Maria: Ich habe gesehen, dass Du den „Stechlin“ schon letztes Jahr in die Lesevorschläge aufgenommen hast. Da freue ich mich jetzt schon, wenn wir diesen Roman irgend wann einmal zusammen lesen. (Sicher war es aber gut, vorher „Effi“ zu lesen, der Roman ist ja auch vor dem „Stechlin“ entstanden)


    3. Ebene


    „Effi Briest“ ist ein Gesellschaftsroman. Die preußische Gesellschaft wird ausführlich dargestellt und kritisiert. Insbesondere durch den Wechsel des Handlungsortes wird die Gesellschaft des preußischen Adels in allen Bereichen dargestellt:
    - Berlin, die Hauptstadt mit seinem modernen Beamtenadel (dieser auch durch Baron von Innstetten verkörpert)
    - Hohen-Cremmen mit dem alteingesessenen brandenburgischen Landadel, der vor allem durch den alten Briest verkörpert wird
    - Kessin, mit seinen Vertretern des politisch reaktionären pommerschen Landadels


    und kritisiert:
    - Typisch preußische Tugenden wie Pflichtbewusstsein und Prinzipientreue werden als inhuman dargestellt
    - Werte wie Ehrenkult und Duellpraxis werden als überholt entlarvt
    - Durch die gesellschaftlichen Zwänge, die Natürlichkeit und Emotionalität nicht zulassen, kommt es zu einem Entfremdungszustand, in dem inbesondere Frauen, zu Opfern des Systems werden, wenn sie nicht wie Frau von Briest (die Mutter) oder Johanna, das System so verinnerlichen, dass sie selbst zu Tätern werden.


    4. Ebene


    „Effi Briest. Ein Leben nach christlichen Bildern“ heißt ein Buch von Peter-Klaus Schuster. Diesen Titel habe ich gerade entdeckt. Das Buch gibt es aber bei Amazon nicht mehr und beim ZVAB noch nicht, so dass ich jetzt erst mal in Büchereien auf der Suche bin. Ich stelle mir aber diese Ebene so vor: Ähnlich wie Joyce im Ulysses Bilder aus der Odyssee aufgreift, lässt Fontane Bilder aus der Bibel in „Effi Briest“ entstehen. (Verkündigung Marias und Verführung Evas haben wir ja schon erkannt). Dabei können die verschiedenen Protagonisten des Romans in den verschiedenen Bibelbildern auch unterschiedliche Rollen annehmen. Und wahrscheinlich gilt hier auch, was Steffi über das Verhältnis von Joyce zu Homer einmal postete:
    „Aber du darfst dir nicht vorstellen, dass Joyce (Fontane) dies 1:1 umsetzt, er interpretiert, analysiert, ironisiert ...“
    (Peter-Klaus Schuster, ist übrigens kein „Spinner“, sondern studierter Germanist und Philosoph, international anerkannter Kunsthistoriker und seit 1999 Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin und Leiter der Berliner Nationalgalerie).



    *Die Wertung der 1. Ebene haben wir meiner Meinung nach noch nicht ausdiskutiert. Da wir ja jetzt alle mit dem Roman durch sind, will ich folgende Fragen, wenn diese auch zum Teil schon angesprochen wurden, nochmals stellen:


    War Effis Ehe von Anfang an zum Scheitern verurteilt?
    Wieso der Ehebruch mit Crampas, der doch noch älter als Instetten war?
    Wäre auch ein Ehebruch mit Dagobert denkbar gewesen?
    Hätte Instetten nicht weiter mit Effi leben können?
    Wer hat Schuld an Effis Ende?


    Liebe Grüße


    Hubert

    In dem 1856 erschienenen Roman beschreibt Flaubert in realistischer Darstellungsweise die Entwicklung der Gutstochter und späteren Arztfrau Emma aus der Normandie, die dem langweiligen Leben in einem Provinzort und der Monotonie ihrer Ehe entflieht, sich in Schulden stürzt und ... (aber das Ende soll nicht verraten werden).
    Flaubert schildert dabei psychologisch fundiert ein Bild der bürgerlichen Spießer einerseits sowie der überspannten, durch das Lesen von romantischen Büchern entstandenen, Traumwelt Emmas und ihren Gefühlsschwankungen andererseits. Wie bei Cervantes Don Quijote kommt es zum Konflikt zwischen der Realität und der Traumwelt Emmas.

    Hallo Ihr Lieben!


    Polly
    Die Gespräche bei Fontane sind so natürlich, bei Flaubert kommen sie mir gestelzt und künstlich daher. So sprechen Menschen nicht wirklich.


    Wie gesagt, ich bin momentan auch davon überzeugt, dass Fontane besser ist als Flaubert, aber wenn Flauberts Gespräche gestelzt und künstlich wirken, könnte es auch an einer schlechten Übersetzung liegen und wer weiß, wie Fontane ins Französische übersetzt, für französische Ohren, klingt?


    Und was Flaubert alles beschreiben muss, um eine Stimmung auszudrücken. Nach der Fontane-Lektüre erscheint es mir geradezu lächerlich.


    Da hast Du absolut recht. Und weil man Fontane immer vorwirft er könne keine erotischen Szenen beschreiben, habe ich mal die beiden Szenen des jeweils ersten "Sündenfalls" von Effi und Emma verglichen. Nicht dass Fontane hier Weltklasse ist:


    Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. »Effi«, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an. Als sie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Walde heraus,


    Obwohl, wenn ich es jetzt noch einmal lese, wie Fontane bei dem zweiten „sie“ es der Phantasie des Lesers überlässt, ob damit Effi oder deren Hand gemeint ist: doch Weltklasse! Dagegen klingt Flaubert richtig kitschig:


    „Ach, Rudolf!« flüsterte die junge Frau, indem sie sich an ihn anschmiegte.
    Das Tuch ihres Jacketts lag dicht am Samt seines Rockes. Sie bog ihren weißen Hals zurück, den ein Seufzer schwellte. Halb ohnmächtig und tränenüberströmt, die Hände auf ihr Gesicht pressend und am ganzen Leibe zitternd, gab sie sich ihm hin.“


    . Fontane, das weiß ich jetzt, ist ein Meister im Weglassen von Worten.


    Danke für diesen Satz. Ich werde ihn in Zukunft all denen entgegen halten, denen zu Fontane nur die Worte langatmig, detailverliebt, weitschweifig einfallen und die damit nur zeigen, dass sie „Effi Briest“ nicht oder nicht richtig gelesen haben.


    Schließlich stammt der Chinese gar nicht von Innstetten. Und selbst wenn er, Innstetten, sein Haus vielleicht – was eine arge Mutmaßung ist – für das Paradies für Effi halten könnte, so wissen wir, dass es kein Paradies war.


    Zwar wissen wir nur von Crampas, dass Innstetten den Chinesen als Cherub benutzt, aber warum teilt Innstetten in Berlin sofort Effi mit, dass Johanna das Bild des Chinesen von Kessin nach Berlin mitgebracht hat. War das wirklich ohne jede Absicht?
    Ich provoziere mal weiter. Ist Eva im 1. Buch Moses nicht genau deshalb auf die Schlange hereingefallen, weil sie den Garten Eden nicht als Paradies erkannte, sondern es ihr zu langweilig und eintönig im Paradies war. Frage: Kann man das „Paradies“ überhaupt erkennen, wenn man drinnen ist, oder ist das Paradies nicht immer nur ein Ort der Sehnsucht? Im Ernst: Fontane hat Kessin sicher auch nicht als Paradies gesehen. Aber vielleicht hat er auf Effis Kinderparadies Hohen-Cremmen angespielt, dessen Zutritt Effi, nach ihrem "Sündenfall", auch verwehrt war.


    Hat Fontane wirklich an die Alarmfarbe gelb gedacht? Gelbe Tapeten befinden sich auch im Esszimmer der Bovarys, vielleicht war das damals eine Modefarbe?


    Wer sagt denn, dass die gelben Tapeten in Bovarys Esszimmer, nicht schon von Flaubert als Warnfarbe benutzt wurden. Nun es kann auch sein, dass Fontane die Zimmer des Landratsamtes in Kessin als Hommage an Flauberts gelbe Tapeten gelb „anmalte“. Nur eins ist sicher: Wenn Fontane die Farbe der drei leeren Zimmer für erwähnenswert hält, dann hat diese Farbe eine Bedeutung.
    Ich bestehe aber nicht auf meiner Version und bin besseren Ideen gegenüber immer aufgeschlossen. Das blauweiße Kleid mit Mariendarstellungen in Verbindung zu bringen, war allerdings nicht meine Idee, obwohl ich immer mehr daran glaube.

    Das blauweiße Kleid der Effi hat auch nicht zwangsläufig mit den Mariendarstellungen zu tun. Irgendwo habe ich gelesen, dass Fontane ein junges Mädchen in einem solchen Kleid gesehen hat, er fand es entzückend und bediente sich dieser Erinnerung bei der Schilderung von Effi.


    Es könnte aber trotzdem sein, dass Fontane von jenem Mädchen im Matrosenkleid nur deshalb so entzückt war, weil er jetzt endlich wußte wie er Effi in den Marienfarben darstellen konnte, ohne sie mit orientalischem weißem Umhang und blauem Schleier im Garten herumhüpfen zu lassen.


    Doch ob auch Fontane diese Gedanken dabei hatte?


    Bei der Interpretation eines Kunstwerkes ist es nicht entscheidend, welche Gedanken der Künstler hatte, sondern welche Gedanken der Betrachter/Leser/Hörer hat. Da Kunstwerke im Gegensatz zu Kunsthandwerk durch Inspiration entstehen, steckt in ihnen oft mehr als der Künstler ahnt. J.S.Bach war sich sicher nicht bewusst, welch große Kunst er geschaffen hat. Echte Künstler verzichten deshalb auch darauf ihre Werke selbst zu interpretieren.
    Am Freitag abend habe ich im Südwestfernsehen noch die Sendung „Literatur im Foyer“ gesehen, bei der Sigrid Löffler und zwei weitere Literaturkritiker mit drei Schriftstellern über deren Bücher sprachen. Dabei sagte Ralf Rothmann, dessen Roman „Hitze“ vorgestellt wurde auf die Frage, ob man sein Buch in einer bestimmten Weise interpretieren könnte, in etwa: Wenn Sie das so sehen, dann ist das sicher auch so, auch wenn ich mir beim Schreiben, dessen nicht bewusst war (und er sagte dies keineswegs ironisch).
    Aber dass Fontane die Farbe „Gelb“ in „Effi Briest“ ganz bewusst und gezielt einsetzte, davon bin ich, nachdem ich mir die Stellen (es sind mehr, als ich erwähnte) noch mal angesehen habe, überzeugt.


    Ingrid
    Und auch das blau-weiße Kleid = Unschuld Mariens? Blau-weiß waren unzählige Kinder- und Jungmädchenkleider der damaligen Zeit und leider auch noch zu meiner Kinderzeit (man hat mich auch immer in blau.-weiße Matrosenkleidchen gestopft


    Frag doch mal Deine Mutter, warum sie Dich in blau-weiße Jungmädchenkleider gestopft hat. Sicher nicht, um in Dir den Wunsch zu wecken, später mal Seemann zu werden oder Dir einen Matrosen zu angeln, aber vielleicht weil sie diese blau-weißen Kleidchen an die vielen Mariendarstellungen erinnerten? Übrigens kann sowas auch völlig unbewusst gemacht werden. (Das Unterbewußtsein hat mehr Einfluß auf unser Verhalten als wir ahnen und es wird gespeist von Bildern die wir bewußt oder unbewußt aufnehmen)


    ich hätte niemals gedacht, dass man in der Geschichte von "Effi Briest" so viel herauslesen und mutmaßen kann.


    Wenn man bedenkt, dass Fontane fünf Jahre an diesem Roman gearbeitet hat, wenn man weiter bedenkt, dass er vorher schon viele Romane und Erzählungen geschrieben hat und bevor er mit dem Bücherschreiben anfing auch schon über 20 Jahre Theaterkritiken u.a. geschrieben hat (also die 5 Jahre nicht, weil er nicht schreiben konnte), dann bin ich davon überzeugt, dass wir in der kurzen Zeit, in der wir uns mit dem Roman „Effi Briest“ beschäftigt haben, nur einen Bruchteil von dem herausgelesen haben, was Fontane hineingeschrieben hat.
    Übrigens bin ich auch überzeugt, dass es in unserem nächsten Buch „Alexis Sorbas“ einiges zu entdecken gibt. Da Nikos Kazantzakis u.a. Dantes „Göttliche Komödie“ und Nietzsches „Zarathustra“ übersetzt hat, würde ich mich nicht wundern, wenn Erkenntnisse aus diesen Arbeiten in seinen Roman mit eingeflossen wären.


    Maria
    Ihr habt mich neugierig gemacht auf Emma Bovary


    Da auch ich „Madame Bovary“ gelegentlich (dieses Jahr aber voraussichtlich nicht mehr) nochmals lesen will, habe ich, damit es nicht vergessen wird, das Buch in die Lesevorschläge aufgenommen.


    Vielen Dank für das Thomas Mann-Zitat über Fontanes "Effi Briest". Wenn Mann sagt, dass der Künstler das Vollkommene zuweilen träumerisch hervorbringt, dann meint er genau das, was ich vorher anzudeuten versuchte. In Kunstwerken und „Effi Briest“ zähle ich zu solchen, gibt es u.a. Sachen zu entdecken, die der Künstler nicht bewusst, sondern träumerisch (durch Inspiration) hineingeschrieben hat.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo zusammen,


    Maria hat geschrieben:
    Vermehrt erkennt man auch die Farbsymbolik. Die Briefe waren mit einem roten Band umwickelt,


    und in einem Gespräch zwischen Johanna und Roswitha erfahren wir, dass die Briefe schon ganz gelb aussahen:
    Aber bedenken Sie doch, Johanna, das ist ja nun schon eine halbe Ewigkeit her, und die Briefe, die mir gleich so sonderbar aussahen, weil sie die rote Strippe hatten und drei- oder viermal umwickelt und dann eingeknotet und keine Schleife – die sahen ja schon ganz gelb aus, so lange ist es her.


    Die Farbe „Gelb“ gilt allgemein als Warnzeichen. Im Tierreich dient sie als Warnung vor gefährlichen oder giftigen Tieren und wenn früher in einer Stadt die gelbe Flagge gehisst war, bedeutete dies, dass dort die Pest ausgebrochen war. Effi hat aber die Warnung der gelb gewordenen Briefe nicht wahrgenommen, sonst hätte sie diese vernichtet.


    Überhaupt fällt auf, dass die Farbe „Gelb“ in Kessin sehr häufig erwähnt wird, gleich als Effi ihr neues Heim besichtigt heißt es:
    Es befanden sich hier vier einfenstrige Zimmer, alle gelb getüncht, gerade wie der Saal, und ebenfalls ganz leer


    Und auch der Chinese auf dem aufgeklebten Bild trägt gelbe Pluderhosen.


    Dagegen wird die Farbe „Gelb“ in den ersten fünf Kapiteln überhaupt nicht erwähnt, ja in Hohen-Cremmen wo für Effi noch keine Gefahr bestand scheint es diese Farbe überhaupt nicht zu geben, was von Effi im 15. Kap. auch direkt ausgesprochen wird:
    „Solch fahles, gelbes Licht gibt es in Hohen-Cremmen gar nicht“, sagt Effi als sie nach ihrem Sommeraufenthalt nach Kessin zurückkehrt, und es wurde ihr wieder bang.


    Ganz stark warnt das „Gelb“ als Effi mit Crampas beim Picknick am Strand ist:
    Dann und wann kam ein Windzug und trieb den Schaum bis dicht an sie heran. Strandhafer stand umher, und das helle Gelb der Immortellen hob sich, trotz der Farbenverwandtschaft, von dem gelben Sand, darauf sie wuchsen, scharf ab. Effi machte die Wirtin. »Es tut mir leid, Major, Ihnen diese Brötchen in einem Korbdeckel präsentieren zu müssen...«


    Und wie Maria schon feststellte deuten die gelben Immortellen nicht nur auf die Gefahr hin, sondern machen deutlich das diese Gefahr mit dem Ende des Verhältnisses nicht beendet ist, sondern konserviert weiterwirkt::


    Immortellen
    sind Stauden auf sandigen Magerstandorten. In Nord- und Ostdeutschland blühen sie im Spätsommer mit gelben und bräunlichen Kopfchen (genannt Helichrysum arenarium). Man kann sie trocknen und sie halten sehr lange.


    Weltweit wird heute noch die Kompination von Gelb und Schwarz zur Kennzeichnung von Gefahren eingesetzt. Wenn Effi nach ihren Treffen mit Crampas auf Roswitha am Holzschuppen wartet heißt es bei Fontane:
    Effi saß auf einer an einem langen Holzschuppen sich hinziehenden Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkhause hinüber, gelb mit schwarzgestrichenen Balken, einer Wirtschaft für kleine Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo spielten.


    Effi wusste in welcher Gefahr sie sich befand. Warum nur hat sie die Warnzeichen nicht beachtet?


    Liebe Grüße


    Hubert

    Zitat:
    Im Text bleibt Effis genauer Sterbetag offen. Auch hier hilft die Sekundärliteratur. Es war der 15.8. Maria Himmelfahrt."
    der Schluß sagt nicht viel über den Sterbetag, mich würde es auch interessieren, wie man den Sterbetag lokalisieren kann.


    Ich habe mit meinem Suchprogramm, die digitale Version von „Effi Briest“ noch mal auf den 15. August hin untersucht (man kann ja schnell was überlesen), und tatsächlich der 15. August wird im Roman genannt. Aber nicht als Effis Sterbetag, sondern als Annies Tauftag und dieser Tauftag ist auch der Tag, an dem es zum 1. Mal zu einem kleinen Flirt zwischen Crampas und Effi kommt.


    Ich interpretiere mal ins Unreine: Wenn Effi in ihrem weiß-blauen Kleid die Unschuld Marias verkörpert, dann hat sie ev. bereits durch diesen ersten kleinen Flirt mit Crampas ihr „unschuldig sein“ verloren. Sie verkörpert jetzt nach diesem Flirt an Maria Himmelfahrt nicht mehr Maria (das Marienhafte an ihr ist an Maria Himmelfahrt gestorben?) sondern nur noch: .. Eva (so hat sie Geert ja schon in seinen Briefen genannt), die sich verführen lässt. Kommt deshalb Crampas bei der zweiten Begegnung mit Effi (die sich im Schaukelstuhl wiegt), wie die Schlange aus dem Wasser (obwohl die Ostsee am 27.9. eigentlich zum baden zu kalt ist) und küsst Effis Hand? Übrigens gibt es bei uns im Schwarzwald eine Figur der alemannischen Fasnacht: Krampus, eine Teufelsgestalt, ob Fontane daran gedacht hat, als er dem Verführer einen Namen gab?


    Wenn Crampus über den Chinesen zu Effi sagt: „Aber solch Spuk ist wie ein Cherub mit dem Schwert ...«“, dann spricht er ja direkt die Stelle in Genesis Kap. 3 Vers 23f an:
    Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist, und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.“
    Und wenn man Gottvater vorwerfen will, dass er den Cherub mit dem Schwert zu spät, also erst nach der Verführung Evas aufgestellt habe, so zeigt Fontane an „Gottvater“ Instetten, dass es gegen den Verführer auch nichts nützt den Cherub (Chinesen) vorsorglich zu installieren. Aber wundert es bei dieser Interpretation noch, dass Effi aus dem „Paradies“? vertrieben wird? Ich hoffe, mit diesem provokativem letzten Satz, eine Diskussion angeregt zu haben.


    Liebe Grüße


    Hubert


    Hallo ihr Lieben,


    kann man Effi Briest mit Emma Bovary vergleichen? Ich denke schon, nicht umsonst hat Fontane seiner Titelfigur einen Namen gegeben der mit den gleichen Anfangsbuchstaben (E.B.) wie Flauberts „Heldin“ beginnt. In der Tat sind die Ähnlichkeiten zwischen beiden verblüffend:


    - Effi ist wie Emma wohlgehütete Tochter begüterter Eltern
    - Effi ist wie Emma romantisch veranlagt
    - Effi hat wie Emma einen Hang zum Luxus
    - Effi lebt wie Emma mit ihrem Mann in einem langweiligen Provinzort
    - Effi fühlt sich wie Emma in ihrer Ehe vernachlässigt
    - Effi bricht wie Emma gesellschaftliche Konventionen
    - Effi trifft wie Emma auf einen Verführer, dem sein Amüsement wichtiger ist als die Folgen.
    - Sowohl in „Effi Briest“ als auch in „Madame Bovary“ spielt ein Apotheker eine Rolle, Gieshübler bei Fontane, Homais bei Flaubert.

    Hier fangen aber auch die Unterschiede zwischen beiden Romanen an. Fontane (selbst gelernter Apotheker) hat Gieshübler positiver gezeichnet, als Flaubert seinen Apotheker, der ein gefährlicher Karrieremensch ist. Auch den Ehemann hat Fontane positiver dargestellt als Flaubert: Instetten ist zwar wie Charles Bovary konservativ und stark beruflich orientiert, aber so langweilig wie Emmas Ehemann erscheint er mir nicht und auch seine Einsicht in die eigene Schuld (im Gegensatz zu Charles) macht ihn mir sympathischer als Charles. Bei aller Ähnlichkeit zwischen Effi und Emma sind die beiden Bücher doch sehr unterschiedlich geschrieben. Fontane schreibt gesellschaftskritischer als Flaubert, dieser geht dagegen meiner Meinung nach psychologischer vor. Es lohnt sich auf jeden Fall beide Romane zu lesen. Welches ist das bessere Buch? Jetzt so direkt nach „Effi Briest“ würde ich mich für Fontane entscheiden. Aber ich glaube, ich muß Flaubert erst noch einmal lesen.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo zusammen,


    Polly hat geschrieben:
    bekam ich außerdem den Eindruck, dass in keinem Roman, den ich bis jetzt gelesen habe, die Liebe so sehr fehlte. Hier liebt eigentlich niemand niemanden


    Ja, Polly Du hat recht, ein richtiger Anti-Liebesroman, aber dadurch auch sehr realistisch!


    Insgesamt scheint mir die Story der Effi/Frau von Ardenne nur das Gerüst für die eigentliche Thematik zu sein: Die Morbidität der so genannten Aristokratie im Preußen der Bismarckschen Zeit. Fontane muss das gereizt haben.


    Für den zweiten Teil dieser Aussage gebe ich Dir auch Recht. Fontane hat in „Effi Briest“ wie auch in anderen Romanen heftig Kritik an der Gesellschaft Preußens geübt. Dass aber die Anti-Liebesthematik nur Gerüst dazu war, glaube ich nicht. Zu zeigen wohin das Fehlen der Liebe führt, war, wie auch das von Maria entdeckte Pauluszitat zeigt, Fontane sehr wichtig und macht den Roman (weil im Unterschied zur Gesellschaft Preußens ein überzeitliches Thema) zur Weltliteratur.


    Maria:
    du sprichst von geschlossenen Dramen, gibt es auch offene?


    Weist der Aufbau eines Dramas eine Symmetrie auf, bei der eine steigende Handlung im mittleren Akt (Antike: 2. Akt; Klassik: 3. Akt) zum Höhepunkt oder Umschwung führt und danach eine fallende Handlung zur Katastrophe, so spricht man von einem geschlossenen Drama. Hält sich ein Drama nicht an diese pyramidale Form so ist es offen. Theoretisch wäre eine Tragödie denkbar, bei der Höhepunkt und Katastrophe bereits im 1. Akt stattfinden und die Erklärung wie es dazu kam, wird in x-Akten nachgeliefert. Das wäre dann eindeutig ein offenes Drama. Ob ein Drama offen ist oder sich an eine Form hält, sagt natürlich zunächst nichts über die Qualität aus.
    (PS: Dumme Fragen gibt es nicht, sagte der Oberlehrer)


    Liebe Grüße


    Hubert

    Wie wird man damit fertig, dass man die eigene Schuld in einem berühmten Roman nachlesen kann, und Millionen Leser das auch können, dass das eigene Fehlverhalten von Marianne Hoppe in dem Film „Der Schritt vom Wege“ unter der Regie von Gustaf Gründgens nachgespielt wird, dass man die eigenen Kinder Jahre lang nicht sehen darf, dass man als geborene Edle Freiin seinen Unterhalt als Nachtschwester verdienen muß, weil der geschiedene Ehemann, ein General, nichts bezahlt.?


    Einer der bedeutendsten deutschen Gegenwartsdramatiker, Rolf Hochhuth ist diesen Fragen nachgegangen und hat nach ausgiebigen Recherchen über Fontanes Vorbild für Effi Briest (unter anderem durch Gespräche mit „Effis“ Enkel, dem Professor Manfred von Ardenne das Buch „Effis Nacht“ geschrieben:.


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    Maria hat gefragt:
    ist die antike Tragödie ebenfalls so aufgebaut?


    Hallo Maria,


    Die idealtypische Form eines Dramas ist die geschlossene Form die u.a. folgende Merkmale aufweist:
    - Einsträngigkeit einer eindeutigen Haupthandlung
    - Linearität
    - Beschränkung auf wenige Figuren
    - Symmetrie in der Komposition
    - Pyramidaler Aufbau


    Unter „Pyramidalem Aufbau“ versteht man das dramaturgische Aufbauprinzip des plots der dramatischen Handlung. Dabei unterscheidet man die auf die Aristoteles-Rezeption zurückgehende, antike 3-teilige Dramenstruktur (Ausgangslage, Entwicklung, Auflösung) und die sich davon abgeleitete klassische 5-aktige Struktur (Exposition, Erregendes Moment, Höhe- oder Wendepunkt, Retardation, Katastrophe). Beide Aufbaustrukturen basieren auf der Symmetrie der dramatischen Handlung.


    Fontane hat dies in „Effi Briest“ (obwohl Roman und kein Drama) vorbildlich gelöst wie ich an Exposition und Retardation zeigen will:


    Die Exposition hat folgende Aufgaben:
    - Eventuelle Vorgeschichte (Instettens werben um Effis Mutter)
    - Vorstellung der Hauptfiguren (Geert und Effi werden beschrieben)
    - Einführung in Ort und Zeit
    - Andeutung des Konflikts


    Auch die Verzögerung des Handlungsablaufs (Retardation) bzw. das Hinausziehen der Katastrophe wird durch den Umzug nach Berlin vorbildlich dargestellt.


    Meist wird Shakespeares Macbeth als Schulbeispiel für die 5-aktige Struktur genommen, aber schon der Königsmord am Ende des 1. Aktes (Exposition) durchbricht meiner Meinung nach die Struktur und gehört als erregendes Moment in den 2. Akt. Aber Genies wie Shakespeares müssen sich natürlich nicht an Strukturen halten. Trotzdem gehört „Macbeth“ zu meinen Lieblingstragödien und ich kann nur jedem der die Gelegenheit hat, das Stück im Theater zu sehen, raten, die Gelegenheit zu nutzen.


    „Effi Briest“ weist neben der symmetrischen Komposition und dem pyramidalem Aufbau auch die anderen Merkmale der geschlossenen Dramenform auf: Linearität und Einsträngigkeit einer eindeutigen Haupthandlung (z.B. im Unterschied zu Tolstois „Anna ...“)


    Steffi:
    Hallo Steffi,
    beim Lesen von Koeppens “Treibhaus” ist die Struktur eines 5-aktigen Dramas in einem Roman noch leichter nachzuvollziehen, da das Buch aus genau 5 Kapiteln besteht. (Ich will jetzt aber nichts vorwegnehmen). Darüber hinaus hat Koeppen im Treibhaus auch Aristoteles’ Forderungen an ein Drama, nämlich Einheit von Ort (der Roman spielt nur in Bonn) und Zeit (der Roman schildert zwei aufeinanderfolgende Tage) verwirklicht.


    Liebe Grüße von


    Hubert (und dem Oberlehrer in ihm, der sich für Marias Frage bedankt)

    Hallo ihr Lieben,


    ist es Zufall, dass die letzten 5 Kapitel von „Effi Briest“ von der geschiedenen Effi erzählen so wie die ersten 5 Kapitel von der ledigen Effi erzählten.. Da mir dies auf einen symmetrischen Aufbau des Romans hindeutet, habe ich die Kapitelanzahl mal genauer untersucht und folgendes festgestellt:


    1. 5 Kapitel: Effi bis zur Hochzeit im Elternhaus in Hohen-Cremmen
    2. 9 Kapitel: Effis Eheleben in Kessin
    3. 8 Kapitel: Effis lernt Crampas kennen und beginnt ein Verhältnis
    4. 9 Kapitel: Effis Eheleben in Berlin bis zur Scheidung
    5. 5 Kapitel: Effi geschieden in Berlin und wieder im Elternhaus


    Dieser 5-teilige Romanaufbau entspricht meiner Meinung nach genau dem Aufbau einer klassischen Tragödie:


    1. Akt: Exposition
    2. Akt: Vorbereitung des Höhepunktes (das langweilige Eheleben)
    3. Akt: Höhepunkt (Der Seitensprung)
    4. Akt: Retardation (Versuch eines neuen Lebens in Berlin)
    5. Akt: Katastrophe (Effis Tod)

    Ist das für euch nachvollziehbar oder sehe ich da Dinge, die nicht sind?
    Diese Frage mußte ich noch los werden.

    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo zusammen,


    Jane Austen im Original lesen, da würde ich, wenn es nicht sofort sein muß, gerne mitmachen. Byron ist meiner Meinung nach nur noch für Byron-Fans interessant und Shakespeare im Original verstehen die meisten englischen Muttersprachler auch nur mit einem Kommentar. Außerdem lese ich lieber Romane und sehe mir Schauspiele lieber auf der Bühne an. Also wenn ihr noch etwas wartet (nach Effi Briest lese ich jetzt erst Alexis Sorbas) wäre ich dabei. Über einen der Romane der Jane Austen können wir uns sicher einigen oder habt Ihr schon Vorstellungen welchen Titel ihr bevorzugt lesen wollt?


    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo ihr Lieben,


    ich nähere mich nun auch dem Ende und freue mich schon auf die dann hoffentlich noch folgende Diskussion.


    Maria hat geschrieben:
    die sterbende Effi sagt über Innstetten, daß er viel Gutes in seiner Natur hatte, und war so edel, wie jemand sein kann ,der ohne rechte Liebe ist.
    ich nehme mal an, er meinte 1. Korinther 13,1


    Maria Du bist genial, natürlich das ist eindeutig und ich frage mich nur, warum ich hier nicht selber an Paulus gedacht habe


    Sie trägt gegen Ende wieder ihr Matrosenkleid und schaukelt,


    Ist euch aufgefallen, dass Effi auch schaukelt, als ihr Crampas das erste Mal begegnet. Zwar nur im Schaukelstuhl, aber immerhin.


    Findet ihr auch, daß Fontane das Thema sehr zart behandelt?


    Natürlich, und ich fand dies im Vergleich mit heutiger Literatur sehr angenehm. Man muß oft sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Der Literaturkritiker Walter Jens hat darüber einmal folgendes gesagt: „Wer das Bezugsspiel der Worte „Düne“, „Kirchhof“ und „Waldecke“ nicht durchschaut, hat Fontanes „Effi Briest“ vegebens gelesen: Er wird nicht verstehen, dass der Satz „Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf“ die Umschreibung einer ehebrecherischen Handlung ist.“


    Demnächst mehr. Für heute nur noch


    Liebe Grüße


    Hubert


    Hallo!


    Für alle die den Roman „Effi Briest“ zu Ende gelesen haben, aber mit „Effi“ noch nicht zu Ende sind, ein Lesetip: In dem Buch: „Wenn Du geredet hättest, Desdemona“, lässt Christine Brückner historische und literarische immer aber ungehaltene Frauen von Maria der Mutter Jesus bis zu Gudrun Ensslin mit ungehaltenen Reden zu Wort kommen. Darunter auch Effi Briest mit einer ungehaltenen Rede an ihren Hund Rollo. Sicher ein Lesevergnügen!


    Gruß


    Hubert

    Hallo zusammen,


    Bücher von Liebe oder Tod, am besten von beidem werden überleben, das ist sicher richtig aber nicht ausreichend. Zu einem zusätzlichen Kriterium bin ich bei unserer Lesung des Romans „Effi Briest“ gekommen: In Werken von nachfolgenden Autoren muß die Erinnerung an das Werk oder den Autor aufrecht erhalten werden!!


    Warum Homers „Odyssee“ überlebte. Nun das Werk handelt von Liebe und Tod. Aber unbestritten und wahrscheinlich noch wichtiger ist, dass Autoren wie Ovid, Dante, Goethe, Joyce (eine kleine Auswahl der bekanntesten) immer wieder daran erinnern. Dabei ist natürlich klar, dass sie in ihren Werken nur daran erinnern, weil sie von der Qualität der "Odyssee" überzeugt waren.


    Eine andere spannende Frage tut sich auf:
    Hat Montaigne vor 500 Jahren gar nicht so gut vorausgesagt, sondern haben die beiden Bücher (Boccaccio: "Das Dekameron" und Rabelais "Gargantua und Pantagruel") deshalb überlebt weil sie von Montaigne erwähnt wurden? :zwinker:


    Grüße


    Hubert

    Hallo zusammen!


    Maria hat geschrieben:
    Ist euch der Name von Crampas Sekundanten auch gleich ins Auge geschossen? "Buddenbrook"
    Ich nehme mal an, daß Thomas Mann sich diesen Namen für sein Werk aus Effi Briest entlieh


    Wow, ich bin zwar noch nicht so weit, aber das ist ja interessant. Wenn man bedenkt, dass der angehende Erfolgsschriftsteller Thomas Mann den Titel seines Romanerstlings einem nur sechs!!! Jahre zuvor erschienenen Roman entlieh: schon das zeugt von Manns Hochachtung vor Fontane. Nun ich habe gestern abend selbst noch gestaunt (als ich die Daten zu beiden Romanen nachsah), dass die beiden Werke nur sechs Jahre auseinanderliegen. Das Hauptwerk des deutschen Realismus „Effi Briest“ ist zum ersten Mal von 1894 bis 1895 in der „Deutschen Rundschau“ abgedruckt gewesen und Thomas Manns „Buddenbrooks“, das bekannteste Werk des deutschen Naturalismus wurde 1901 zum 1. Mal gedruckt. Bereits in einem Brief von 1896 erwähnt Thomas Mann, dass er gerade den vortrefflichen, neuen Roman von Fontane „Effi Briest“ gelesen habe (Als Buch erschien „Effi Briest“ 1895 zum ersten Mal). Den Stil des Romans aus dem 20. Jahrhundert mit dem aus dem 19. Jahrhundert zu vergleichen (obwohl nur sechs Jahre zwischen beiden Büchern liegen), wäre sicher auch interessant.


    Also sowohl der bedeutendste deutsche Schriftsteller aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Thomas Mann), als auch der bedeutendste deutsche Schriftsteller aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Günter Grass) haben den Titel einer ihrer großen Romane aus „Effi Briest“ entnommen! Diese Hommage an Fontane ist sicher kein Zufall, sondern zeugt von der Anerkennung durch nachfolgende große Kollegen.


    Im Thread „Klassiker in 500 Jahren?“ sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass Bücher die „von Liebe und Tod“ handeln, große Chancen zum Überleben haben. Das ist sicher richtig, da aber lt. MRR alle guten Bücher davon handeln, muß es ein zusätzliches Kriterium geben. Vielleicht ist es dies: In Werken von nachfolgenden Autoren muß die Erinnerung an das Werk oder den Autor aufrecht gehalten werden!


    Da „Effi Briest“ beide Kriterien erfüllt wird der Roman sicher überleben.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo Ihr Lieben,


    es muß einmal gesagt werden: mit Euch zusammen zu lesen, macht richtig Spaß. Vielen Dank für die vielen Informationen vom „Kladderaddatsch“ (Maria) bis zur Museumsinsel Bydoy (Ingrid). Vieles bleibt noch zu antworten (ich hoffe im Laufe der Woche), aber da ich auch noch viel zu Lesen habe, beschränke ich mich heute auf ein Thema.
    .
    Maria hat geschrieben:
    noch ein paar Infos, die fürs Weiterlesen nützlich sind. Vielleicht kennst du ja bereits das meiste:


    Danke für die Links, Maria, da ich im Roman noch nicht soweit war, hast Du mir die Sucharbeit abgenommen. Es lohnt sich sicher diese Sachen nachzulesen. Ich fand es interessant, wie gezielt Crampas die Heinegedichte einsetzt. Z.B. erwähnt er ja, als das Gespräch mit Effi auf die versunkene Stadt Vineta kommt, Heines Gedicht das „Seegespenst“, gibt aber nur den Anfang und das Ende des Gedichtes wieder und animiert Effi durch die Bemerkung das Gedicht sei nur kurz, dazu, Heine selbst zu lesen. Wahrscheinlich hat Effi dies aber nicht getan, sonst hätte sie den mittleren Teil des Gedichtes von „Mich selbst ergreift des fernen Klangs ....“ bis „.... Stürz ich hinab an dein Herz“ als Liebesgeständnis von Crampas an sie begriffen, genauso wie die von Crampas erwähnten Gedichte „Du hast Diamanten und Perlen“ und „Deine weichen Lilienfinger“ die Effi auch nicht kennt und nicht nachliest.: Hier zieht Fontane ja alle Register, wenn Crampas das Gedicht erwähnt und dabei Effis Hand leise berührt. Romanzitat: „»Nein, es ist eigentlich kurz, etwas länger als ›Du hast Diamanten und Perlen‹ oder ›Deine weichen Lilienfinger‹ ...« Und er berührte leise ihre Hand“. :schmetterling:


    Da die beiden Heinegedichte nicht mehr urheberechtlich geschützt sind, hier der Text:


    „Diamanten und Perlen“ von Heinrich Heine:


    Du hast Diamanten und Perlen,
    Hast alles, was Menschenbegehr,
    Und hast die schönsten Augen -
    Mein Liebchen, was willst du mehr?


    Auf deine schönen Augen
    Hab ich ein ganzes Heer
    Von ewigen Liedern gedichtet -
    Mein Liebchen, was willst du mehr?


    Mit deinen schönen Augen
    Hast du mich gequält so sehr,
    Und hast mich zu Grunde gerichtet -
    Mein Liebchen, was willst du mehr?


    „Deine weißen Liljenfinger“ von Heinrich Heine:


    Deine weißen Liljenfinger,
    Könnt ich sie noch einmal küssen,
    Und sie drücken an mein Herz,
    Und vergehn in stillem Weinen!


    Deine klaren Veilchenaugen
    Schweben vor mir Tag und Nacht,
    Und mich quält es: was bedeuten
    Diese süßen, blauen Rätsel?


    Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Effi Heine gekannt oder nachgelesen und somit vor Crampas gewarnt gewesen wäre, oder wollte Effi gar nicht gewarnt werden?


    Liebe Grüße


    Hubert