Hallo Ihr Lieben!
Polly
Die Gespräche bei Fontane sind so natürlich, bei Flaubert kommen sie mir gestelzt und künstlich daher. So sprechen Menschen nicht wirklich.
Wie gesagt, ich bin momentan auch davon überzeugt, dass Fontane besser ist als Flaubert, aber wenn Flauberts Gespräche gestelzt und künstlich wirken, könnte es auch an einer schlechten Übersetzung liegen und wer weiß, wie Fontane ins Französische übersetzt, für französische Ohren, klingt?
Und was Flaubert alles beschreiben muss, um eine Stimmung auszudrücken. Nach der Fontane-Lektüre erscheint es mir geradezu lächerlich.
Da hast Du absolut recht. Und weil man Fontane immer vorwirft er könne keine erotischen Szenen beschreiben, habe ich mal die beiden Szenen des jeweils ersten "Sündenfalls" von Effi und Emma verglichen. Nicht dass Fontane hier Weltklasse ist:
Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. »Effi«, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an. Als sie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Walde heraus,
Obwohl, wenn ich es jetzt noch einmal lese, wie Fontane bei dem zweiten „sie“ es der Phantasie des Lesers überlässt, ob damit Effi oder deren Hand gemeint ist: doch Weltklasse! Dagegen klingt Flaubert richtig kitschig:
„Ach, Rudolf!« flüsterte die junge Frau, indem sie sich an ihn anschmiegte.
Das Tuch ihres Jacketts lag dicht am Samt seines Rockes. Sie bog ihren weißen Hals zurück, den ein Seufzer schwellte. Halb ohnmächtig und tränenüberströmt, die Hände auf ihr Gesicht pressend und am ganzen Leibe zitternd, gab sie sich ihm hin.“
. Fontane, das weiß ich jetzt, ist ein Meister im Weglassen von Worten.
Danke für diesen Satz. Ich werde ihn in Zukunft all denen entgegen halten, denen zu Fontane nur die Worte langatmig, detailverliebt, weitschweifig einfallen und die damit nur zeigen, dass sie „Effi Briest“ nicht oder nicht richtig gelesen haben.
Schließlich stammt der Chinese gar nicht von Innstetten. Und selbst wenn er, Innstetten, sein Haus vielleicht – was eine arge Mutmaßung ist – für das Paradies für Effi halten könnte, so wissen wir, dass es kein Paradies war.
Zwar wissen wir nur von Crampas, dass Innstetten den Chinesen als Cherub benutzt, aber warum teilt Innstetten in Berlin sofort Effi mit, dass Johanna das Bild des Chinesen von Kessin nach Berlin mitgebracht hat. War das wirklich ohne jede Absicht?
Ich provoziere mal weiter. Ist Eva im 1. Buch Moses nicht genau deshalb auf die Schlange hereingefallen, weil sie den Garten Eden nicht als Paradies erkannte, sondern es ihr zu langweilig und eintönig im Paradies war. Frage: Kann man das „Paradies“ überhaupt erkennen, wenn man drinnen ist, oder ist das Paradies nicht immer nur ein Ort der Sehnsucht? Im Ernst: Fontane hat Kessin sicher auch nicht als Paradies gesehen. Aber vielleicht hat er auf Effis Kinderparadies Hohen-Cremmen angespielt, dessen Zutritt Effi, nach ihrem "Sündenfall", auch verwehrt war.
Hat Fontane wirklich an die Alarmfarbe gelb gedacht? Gelbe Tapeten befinden sich auch im Esszimmer der Bovarys, vielleicht war das damals eine Modefarbe?
Wer sagt denn, dass die gelben Tapeten in Bovarys Esszimmer, nicht schon von Flaubert als Warnfarbe benutzt wurden. Nun es kann auch sein, dass Fontane die Zimmer des Landratsamtes in Kessin als Hommage an Flauberts gelbe Tapeten gelb „anmalte“. Nur eins ist sicher: Wenn Fontane die Farbe der drei leeren Zimmer für erwähnenswert hält, dann hat diese Farbe eine Bedeutung.
Ich bestehe aber nicht auf meiner Version und bin besseren Ideen gegenüber immer aufgeschlossen. Das blauweiße Kleid mit Mariendarstellungen in Verbindung zu bringen, war allerdings nicht meine Idee, obwohl ich immer mehr daran glaube.
Das blauweiße Kleid der Effi hat auch nicht zwangsläufig mit den Mariendarstellungen zu tun. Irgendwo habe ich gelesen, dass Fontane ein junges Mädchen in einem solchen Kleid gesehen hat, er fand es entzückend und bediente sich dieser Erinnerung bei der Schilderung von Effi.
Es könnte aber trotzdem sein, dass Fontane von jenem Mädchen im Matrosenkleid nur deshalb so entzückt war, weil er jetzt endlich wußte wie er Effi in den Marienfarben darstellen konnte, ohne sie mit orientalischem weißem Umhang und blauem Schleier im Garten herumhüpfen zu lassen.
Doch ob auch Fontane diese Gedanken dabei hatte?
Bei der Interpretation eines Kunstwerkes ist es nicht entscheidend, welche Gedanken der Künstler hatte, sondern welche Gedanken der Betrachter/Leser/Hörer hat. Da Kunstwerke im Gegensatz zu Kunsthandwerk durch Inspiration entstehen, steckt in ihnen oft mehr als der Künstler ahnt. J.S.Bach war sich sicher nicht bewusst, welch große Kunst er geschaffen hat. Echte Künstler verzichten deshalb auch darauf ihre Werke selbst zu interpretieren.
Am Freitag abend habe ich im Südwestfernsehen noch die Sendung „Literatur im Foyer“ gesehen, bei der Sigrid Löffler und zwei weitere Literaturkritiker mit drei Schriftstellern über deren Bücher sprachen. Dabei sagte Ralf Rothmann, dessen Roman „Hitze“ vorgestellt wurde auf die Frage, ob man sein Buch in einer bestimmten Weise interpretieren könnte, in etwa: Wenn Sie das so sehen, dann ist das sicher auch so, auch wenn ich mir beim Schreiben, dessen nicht bewusst war (und er sagte dies keineswegs ironisch).
Aber dass Fontane die Farbe „Gelb“ in „Effi Briest“ ganz bewusst und gezielt einsetzte, davon bin ich, nachdem ich mir die Stellen (es sind mehr, als ich erwähnte) noch mal angesehen habe, überzeugt.
Ingrid
Und auch das blau-weiße Kleid = Unschuld Mariens? Blau-weiß waren unzählige Kinder- und Jungmädchenkleider der damaligen Zeit und leider auch noch zu meiner Kinderzeit (man hat mich auch immer in blau.-weiße Matrosenkleidchen gestopft
Frag doch mal Deine Mutter, warum sie Dich in blau-weiße Jungmädchenkleider gestopft hat. Sicher nicht, um in Dir den Wunsch zu wecken, später mal Seemann zu werden oder Dir einen Matrosen zu angeln, aber vielleicht weil sie diese blau-weißen Kleidchen an die vielen Mariendarstellungen erinnerten? Übrigens kann sowas auch völlig unbewusst gemacht werden. (Das Unterbewußtsein hat mehr Einfluß auf unser Verhalten als wir ahnen und es wird gespeist von Bildern die wir bewußt oder unbewußt aufnehmen)
ich hätte niemals gedacht, dass man in der Geschichte von "Effi Briest" so viel herauslesen und mutmaßen kann.
Wenn man bedenkt, dass Fontane fünf Jahre an diesem Roman gearbeitet hat, wenn man weiter bedenkt, dass er vorher schon viele Romane und Erzählungen geschrieben hat und bevor er mit dem Bücherschreiben anfing auch schon über 20 Jahre Theaterkritiken u.a. geschrieben hat (also die 5 Jahre nicht, weil er nicht schreiben konnte), dann bin ich davon überzeugt, dass wir in der kurzen Zeit, in der wir uns mit dem Roman „Effi Briest“ beschäftigt haben, nur einen Bruchteil von dem herausgelesen haben, was Fontane hineingeschrieben hat.
Übrigens bin ich auch überzeugt, dass es in unserem nächsten Buch „Alexis Sorbas“ einiges zu entdecken gibt. Da Nikos Kazantzakis u.a. Dantes „Göttliche Komödie“ und Nietzsches „Zarathustra“ übersetzt hat, würde ich mich nicht wundern, wenn Erkenntnisse aus diesen Arbeiten in seinen Roman mit eingeflossen wären.
Maria
Ihr habt mich neugierig gemacht auf Emma Bovary
Da auch ich „Madame Bovary“ gelegentlich (dieses Jahr aber voraussichtlich nicht mehr) nochmals lesen will, habe ich, damit es nicht vergessen wird, das Buch in die Lesevorschläge aufgenommen.
Vielen Dank für das Thomas Mann-Zitat über Fontanes "Effi Briest". Wenn Mann sagt, dass der Künstler das Vollkommene zuweilen träumerisch hervorbringt, dann meint er genau das, was ich vorher anzudeuten versuchte. In Kunstwerken und „Effi Briest“ zähle ich zu solchen, gibt es u.a. Sachen zu entdecken, die der Künstler nicht bewusst, sondern träumerisch (durch Inspiration) hineingeschrieben hat.
Liebe Grüße
Hubert